Ortstafelstreit

Kontroverse in einem Gebiet des österreichischen Bundeslandes Kärnten
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Als Ortstafelstreit wird eine jahrzehntelange Kontroverse um zweisprachige (deutsch/slowenisch) Ortstafeln in einem Teil des österreichischen Bundeslandes Kärnten bezeichnet. Die betreffenden Ortstafeln sind der slowenischen Minderheit verfassungsmäßig garantiert, werden aber von Kärntner Abwehrkämpferbund und Lokalpolitikern wie dem Landeshauptmann Jörg Haider unter Berufung auf den angeblichen Mehrheitswillen verhindert.

Zweisprachige Ortstafel der Ortschaft Zell-Koschuta in der Gemeinde Zell (Sele).

Rechtliche Aspekte

Der Anspruch der slowenischen und kroatischen Minderheit auf zweisprachige Ortstafeln sowie Schulunterricht in der Muttersprache ergibt sich völkerrechtlich verbindlich aus Artikel 7, Ziffer 2 und 3 des Österreichischen Staatsvertrages. Die genannten Ziffern 2 und 3 sind neben der Ziffer 4 Bestandteil österreichischen Verfassungsrechts und damit für die innerstaatliche Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens der Minderheitenpolitik verbindlich.

Die für die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln relevante Ziffer 3 des Artikel 7 ("Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten") lautet wie folgt:

     Art. 7 (Recht der slowenischen und kroatischen Minderheiten)

     3. In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens,
des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer,
kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische
oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als
Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die
Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in
slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt.
    

Im Jahr 1976 wurde vom österreichischen Nationalrat das Volksgruppengesetz verabschiedet. Der relevante Paragraph 2, Absatz 1, Ziffer 2 lautete folgendermaßen:

     § 2.(1) Durch Verordnungen der Bundesregierung im
Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates sind nach
Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung
festzulegen:

     1. (...)

     2. Die Gebietsteile, in denen wegen der
verhältnismäßig beträchtlichen Zahl (ein Viertel) der dort
wohnhaften Volksgruppenangehörigen topographische
Bezeichnungen zweisprachig anzubringen sind.

     3. (...)

Dieses Gesetz sah also die Aufstellung von zweisprachigen topographischen Aufschriften für jene Gemeinden bzw. Ortsteile vor, in denen sich zumindest 25% der Bevölkerung zur slowenischsprachigen Volksgruppe bekennen. In einer 1977 erlassenen Verordnung (sogenannte Topographieverordnung für Kärnten) wurden das Volksgruppengesetz näher ausgeführt und die Gemeinden bzw. Gemeindeteile näher bestimmt, in denen zweisprachige topographische Aufschriften angebracht werden müssen. In einer weiteren Verordnung (Verordnung über slowenische Ortsbezeichnungen) wurden die slowenischen Bezeichnungen der Ortschaften offiziell festgelegt.

Siehe auch: Liste der Ortschaften mit zweisprachigen topographischen Aufschriften lt. Topographieverordnung


Urteil des Verfassungsgerichtshofes

Der Verfassungsgerichtshof sah in seinem 2001 gefällten Urteil den Prozentsatz von 25% als zu hoch und damit als verfassungswidrig an, da er nicht mit Artikel 7 Abs. 3 des Staatsvertrages kompatibel sei. In der Begründung zum Urteil beriefen sich die Verfassungsrichter in einer historischen Gesetzesinterpretation auf die Entstehungsgeschichte des Staatsvertrages und legten einen Prozentsatz von ungefähr 10% als hinreichendes Kriterium für die Aufstellung zweisprachiger topographischer Aufschriften fest (Urteil und Begründung des VfGH in der Causa Orstafeln).

Der Auslöser der Behandlung der Causa durch den Verfassungsgerichtshof war eine (absichtlich herbeigeführte) Geschwindigkeitsübertretung (65 km/h anstatt der vorgeschriebenen 50 km/h) eines Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in St. Kanzian. Der Beschwerdeführer Rudolf Vouk bezahlte das Strafmandat nicht, da die Orstafel seiner Ansicht nach aufgrund der fehlenden zweisprachigen Aufschrift nicht ordnungsgemäß kundgemacht war, und dadurch nicht gelte. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung behauptete der Beschwerdeführer Rudolf Vouk nicht, dass er die rein deutschsprachige Aufschrift der Orstafeln nicht lesen könne (für die Geltung der Geschwindigkeitsbegrenzung wäre das auch irrelevant). Auch musste Rudolf Vouk sein Organstrafmandat bezahlen, da es laut dem VfGH kein subjektives Recht der Volksgruppenangehörigen auf zweisprachige Ortstafeln gibt (Urteil und Begründung des VfGH in der Causa Rudolf Vouk).

Historische Entwicklung und aktuelle Politik

Als Bundeskanzler Bruno Kreisky 1972 versuchte, durch 205 zweisprachige Ortstafeln den Staatsvertrag zu erfüllen, kam es zum sogenannten Ortstafelsturm, bei dem teilweise vor laufender Kamera mehrere Ortstafeln abmontiert oder zerstört wurden. Kreisky reagierte mit einer umstrittenen Volkszählung, die von vielen Kärntner Slowenen boykottiert wurde und einem neuen Volksgruppengesetz 1976 und der dazu gehörigen Topographieverordnung 1977, in der nur Gemeinden mit über 25% Slowenenanteil eine zweisprachige Ortstafel bekommen sollten. Von den 90 betroffenen Gemeinden hatten im April 2005 nur 70 entsprechende Schilder.

2001 klagte der Slowenen-Vertreter Rudi Vouk vor dem Verfassungsgerichtshof. Er nutzte dabei die Tatsache, dass einsprachige Ortstafeln in gemischtsprachigen Gebieten juristisch nicht als Ortstafeln gelten und überschritt die nach StVO bestehende Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet. Im Erkenntnis wurden Teile des Volksgruppengesetzes 1976 und der Topographieverordnung 1977 als verfassungswidrig erkannt und als neuer Richtwert für das Aufstellen von Ortstafeln 10% slowenischsprachige Bevölkerung angenommen. Als ein weiterer Streitpunkt erwies sich hierbei jedoch die Formulierung, dass "über einen längeren Zeitraum" 10% der Bevölkerung slowenischsprachig sein müssen. Da der Anteil der slowenischsprachigen Kärntner seit Jahren sinkt (1971: 20.972; 2001: 12.586), versuchen hier beide Seiten diese Formulierung möglichst großzügig zu ihren Gunsten auszulegen. Auch die Definition des windischen Dialekts (laut Volkszählung 2001: 567) sorgt immer wieder für Konflikte. So sehen slowenischsprachige Kärntner das Windische lediglich als slowenischen Dialekt und zählen die Windischsprachigen zu ihrer Sprachgruppe hinzu, während die Windischsprachigen bei den Volkszählungen bewusst "windisch" und nicht "slowenisch" als Umgangssprache angeben, um nicht als slowenischsprachige Kärntner gezählt zu werden. Da die Regierung keine Neuregelung beschlossen hat, müssten mit dem Auslaufen der Reparaturfrist eine Vielzahl von Ortstafeln in den betroffenen Bezirken Kärntens zweisprachig sein.

Am 29. April 2005 verkündete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ein Zwischenergebnis der fünften Konsenskonferenz zur Beilegung des Streites: Die 20 seit 1977 ausständigen Ortstafeln sollen bis zum 26. Oktober 2005 angebracht werden. Der Landeshauptmann Haider weist den Wunsch nach etwa 150 weiteren Ortstafeln (in Orten mit über 10% Slowenenanteil) mit Hinweis auf die "Interessen der Mehrheit" zurück. Die Kärntner FPÖ bezeichnet bereits Haiders Zustimmung in der Konsenskonferenz als "Verrat an der Kärntner Bevölkerung".

Während Bundespräsident Heinz Fischer die zweisprachigen Ortstafeln als Zeichen sieht, dass hier eine respektierte Minderheit lebt, will Landeshauptmann Jörg Haider diese Ortstafeln nur nach einer geheimen Volkszählung mit Erhebung der Muttersprache aufstellen.

Am 12. Mai 2005 wurden, noch rechtzeitig vor dem 50. Jubiläum des Staatsvertrages am 15. Mai 2005 und teilweise unter Anwesenheit Ranghoher Politiker (Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel, Landeshauptmann Haider,...) seit langer Zeit wieder fünf zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufgestellt, wobei in einem Ort Proteste angesagt wurden, so dass man auf Feierlichkeiten verzichtete. In der darauffolgenden Nacht wurden zwei installierte Ortstafeln beschädigt. Folgende zweisprachige Ortstafeln wurden aufgestellt:

Gespräche in der Konsenskonferenz für weitere Tafeln sollen folgen.

Nachdem in Gesprächen über weitere Tafeln zwischen den betroffenen Volksgruppen keine Einigung getroffen werden konnte, haben der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider und sein Stellvertreter Peter Ambrozy im Juni 2005 die Entscheidung wieder an die Bundesregierung delegiert.

siehe auch: Geschichte Kärntens