Die Anorexia nervosa ist der medizinische Fachbegriff für Magersucht. Auch der Begriff Anorexia mentalis wird zur Indikation verwendet.
Definition
Anorexia Nervosa kommt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt Appetitverlust. Diese Übersetzung ist jedoch irreführend, da Magersüchtige nicht ihren Appetit verlieren. Sie hungern genau so wie andere Menschen auch, nur versuchen sie ihren Hunger vollkommen unter Kontrolle zu bringen, so dass sie nur noch so wenig wie möglich essen müssen. Magersucht ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet. Am häufigsten ist diese Essstörung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen zwischen elf und 40 Jahren, sie tritt aber auch bei Männern immer häufiger auf. In letzter Zeit nehmen auch Berichte über die Zunahme von Anorexie-Erkrankungen bei Frauen über 40 Jahren zu.
Anorexie beginnt meist mit dem Wunsch, schlank zu sein oder zu werden, und einer Diät, um dies zu erreichen. Wird der Schlankheitswunsch zu stark, kann die Diät außer Kontrolle geraten. Das ganze Leben der Betroffenen dreht sich nur mehr um Essen. Sie zählen jede Kalorie und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie einmal mehr gegessen haben. Bei Patienten zwischen zwölf und 20 Jahren sind die Heilungschancen sehr hoch, sie sinken jedoch mit dem Alter. Die Magersucht bleibt bei Freunden und Verwandten lange unbemerkt. Die kranke Person zieht sich vollständig zurück und ist nur noch mit ihren Kalorien beschäftigt.
Neben dem Gewichtsverlust sind typische Verhaltensweisen:
- Krankhafte Nahrungsentnahme, Nahrungsverweigerung, freiwilliges Hungern
- Soziale Isolierung bei der Essensaufnahme
- Übertriebenes Jugend- und Schlankheitsideal bis zum Schlankheitswahn
- Übermäßige körperliche Aktivitäten und exzessives Sporttreiben
- Gebrauch von Appetitzüglern, Wassertabletten oder Schilddrüsenhormonen
- Miss-/Gebrauch von Abführmitteln
- Die eigene abgemagerte Figur wird meist durch weite Kleidung kaschiert. Magersüchtige meiden alle Situationen, die zur Entkleidung führen, wie Besuche im Schwimmbad oder der Sauna
- Die eigene Körperwahrnehmung ist extrem verzerrt. Selbst, wenn schon die Knochen deutlich hervortreten, sehen sich die Betroffenen noch als "zu dick" an
- Allgemeine soziale Isolation
- perfektionistisches, ehrgeiziges Leistungsverhalten in Schule und Beruf
Zur Erkennung der Magersucht ist der Brocaindex besser geeignet als der Body Mass Index:
- Normalgewicht [in kg] = Körpergröße [in cm] - 100
Beispiel: Körpergröße = 180 cm ---> Normalgewicht [in kg] = 180 - 100 = 80 ---> Normalgewicht 80 kg
- Idealgewicht [in kg]: (Körpergröße in cm - 100) 0.9
- Untergewicht [in kg]: Das gemessene Gewicht ist kleiner als (Körpergröße in cm - 100) 0.8
- starkes Untergewicht [in kg]: Das Gewicht ist kleiner als (Körpergröße in cm - 100) 0.7
Der Austausch von Zahlenangaben zum eigenen Gewicht zwischen Betroffenen ist mit Vorsicht zu handhaben. Leicht kann das zu schädlichem Konkurrenzdenken (wer hat das geringste Gewicht?) führen. Deshalb sind Gewichtsangaben und Indizes in Selbsthilfegruppen tabu.
Gründe
Die genauen Gründe, die zu einer Magersucht führen, sind heute immer noch unklar. Es wird angenommen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich die Krankheit entwickelt (Bio-Psycho-Soziales-Krankheitsmodell). Ausgelöst wird die Anorexia Nervosa häufig durch ein belastendes Ereignis und/oder nach einer Diät.
Einer der Gründe für die Entwicklung einer Magersucht ist sicherlich das aktuell vorherrschende, soziokulturell bedingte Schlankheitsideal und die Einstellung, dass das Aussehen des eigenen Körpers eine fundamentale Bedeutung für den eigenen Selbstwert sowie Erfolg in sozialen Beziehungen und im Beruf hat.
Außerdem stellt die Magersucht ein Kontrollmoment für die jeweilige Person dar. Man kann mit Kalorienzählen seinen Körper beherrschen und bekommt dadurch ein Gefühl der Selbstkontrolle.
In einigen Untersuchungen (Zwillings-Studien) wurde festgestellt, dass sehr häufig beide eineiige Zwillinge unter Essstörungen leiden. Als biologische Grundlage wird ein Mangel des Nervenbotenstoffs Serotonin vermutet.
Weitere Gründe können – oft zusätzlich zu den obigen sozialen Gründen – tiefe psychische Konflikte, wie Eltern-Kind Beziehungskonflikte oder Traumata wie Vergewaltigung oder Misshandlung sein. Ähnlich wie beim selbstverletzenden Verhalten, das in solchen Fällen u.U. parallel entwickelt werden kann, ist dann die Magersucht ein begleitendes Symptom für ein tieferes psychologisches Problem, welches behandelt werden muß. Die Magersucht kann sich auch zusätzlich zu noch anderen Erkrankung entwickeln. So neigen z.B. auch depressive Persönlichkeiten dazu, eine Esstörung wie die Magersucht zu entwickeln, weil die Kontrolle über den Körper das einzige zu sein scheint, was noch übrig bleibt.
Bei Magersucht gibt es meist keine Krankheitseinsicht; die Person sieht das Hungern als Sieg über den eigenen Körper, über die Rolle als Frau oder als Mann und über das Erwachsenwerden. Darin wird auch ein starkes Autonomiebedürfnis ausgedrückt.
Folgen
Magersucht muss unbedingt behandelt werden, weil sie lebensgefährlich sein kann und die körperlichen Schäden gravierend sind. Anorexie-Patienten magern stark ab, der Stoffwechsel wird verlangsamt,es treten erhebliche Mangelerscheinungen ein, Hautschäden können auftreten, die Knochen entkalken (Gefahr der Osteoporose), die Organe werden nicht mehr richtig mit Nährstoffen versorgt und Schwächeanfälle können auftreten. Bei Frauen Verzögerung oder gar Ausbleiben der Pubertätsentwicklung (Wachstumsstopp, fehlende Brustentwicklung, Ausbleiben der Periode (ausser die Frau nimmt die Anti-Baby-Pille) sowie im Extremfall der Tod durch Versagen lebenswichtiger Organe).
Behandlung
Die Therapie umfasst neben einer Stabilisierung des Essverhaltens in der Regel eine psychotherapeutische Betreuung, insbesondere wenn psychologische Konflikte die Ursache der Magersucht sind. Bei kritischem Untergewicht ist eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus mit einer parenteralen Ernährung notwendig.
(Ehemals) magersüchtige Prominente
- Victoria Beckham (Sängerin)
- Lara Flynn Boyle (Schauspielerin)
- Helga Brathen (Gymnastin, die an Magersucht starb)
- Karen Carpenter (Sängerin, starb 1983 an Herzversagen als Folge der Krankheit)
- Nadia Comăneci (Turnerin)
- Jane Fonda (Schauspielerin)
- Cynthia French (Sängerin)
- Tracey Gold
- Christy Henrich (Sportlerin, die 1994 an den Folgen der Krankheit starb)
- Whitney Houston (Sängerin, Schauspielerin)
- Daniel Johns (Musiker, Frontmann von Silverchair)
- Kathy Johnson (Turnerin)
- Mary-Kate Olsen (Schauspielerin, Zwillingsschwester von Ashley Olsen)
- Prinzessin Diana
- Bahne Rabe (Sportler, Olympia-Sieger im Rudern, starb an Lungenentzündung als Folge von Magersucht)
- Christina Ricci (Schauspielerin)
- Cathy Rigby (Turnerin)
- Lena Zavaroni (Schauspielerin, die an Magersucht starb)
- Jodie Kidd (Modell, trat auf Druck von magersüchtigen Müttern aus der Öffentlichkeit zurück)
Siehe auch
Bulimie, Essstörungen, Ernährung, Idealgewicht, Sucht, Orthorexie
Weblinks
- Informationen zu Magersucht von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung des Gesundheitsministerium
- Informationen der Abteilung für Allgemeine Klinische und Psychosomatische Medizin der Medizinischen Universitätsklinik an der Universität Heidelberg
- Magersucht-Online – eine online Selbsthilfegruppe inkl. Informationsmaterial
- magersucht.de - Selbsthilfe bei Magersucht e.V. – gemeinnütziger Verein zur Hilfe bei Magersucht inkl. Informationsmaterial
Literatur
Wissenschaftliche Literatur (Fachliteratur)
- Joan Jacobs Brumberg: Todeshunger. Die Geschichte der Anorexia Nervosa vom Mittelalter bis heute, Beltz, Weinheim 1994, ISBN 3-593-35050-5
- Kommentar: Das Buch ist im Buchhandel bereits vergriffen (2004), im Antiquariat oder Bibliotheken ev. auffindbar, der Buchtitel ist leicht unpassend, ansonsten ein sehr gutes Buch zur Geschichte und zum Verständnis der Magersucht
- Herbert Csef: Magersucht und Bulimia nervosa. in: Monatsberichte Kinderheilkunde 147(4), S. 396 - 406 (1999)
- Lars Wöckel, Martin H. Schmidt: Magersucht, Bulimie und Adipositas. Wenn der Körper aus dem Gleichgewicht gerät. in: Biologie in unserer Zeit 32(6), S. 362 - 369 (2002)
Erfahrungsberichte und Belletristik
- Jessica Antonis: Hunger nach weniger. Roman einer Magersucht, Ueberreuter, Wien, 2001, ISBN 3-8000-2795-X
- Kommentar: Jugendroman, in dem autobiographische Erfahrungen mit Magersucht beschrieben werden
- Claire Beeken, Rosanna Greenstreet: Mein Körper mein Feind, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach, 1998, ISBN 3-404-61422-4
- Kommentar: Erfahrungsbericht einer Magersüchtigen, die ihre Krankheit besiegt hat. Der Roman gibt einen guten Einblick in das Leben einer Magersüchtigen
- Monika Gerlinghoff: Magersüchtig. Eine Therapeutin und Betroffene berichten, Beltz, Weinheim, 2001, ISBN 3-407-22833-3
- Kommentar: Es bietet im Gegensatz zur Fachliteratur einen Einblick in die Sichtweisen der Betroffenen bzw. deren Angehörigen
- Marya Hornbacher: Alice im Hungerland. Leben mit Bulimie und Magersucht, eine Autobiographie Ullstein, München, 2001, ISBN 3-548-36248-6
- Kommentar: Die Psycho-Mechanismen zur Bulimie und Anorexie und das Spiel der kranken Person mit der Umgebung