Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine neue deutsche Armee zunächst undenkbar, der Schock der Nazi-Diktatur saß zu tief. In den folgenden Jahren nahmen aber die Stimmen zu, die eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland forderten. Die Geburtsstunde der Bundeswehr selbst schlug schließlich am 12. November 1955, als den ersten Soldaten ihre Ernennungsurkunden überreicht wurden. Die Geschichte der Bundeswehr umfasst vorausgehende Debatten und alle Ereignisse ab 1955.
Die ersten Jahre - Jahre des Aufbaus
Das "Amt Blank"
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen die alliierten Siegermächte USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion unter anderem im Potsdamer Abkommen die vollständige Entmilitarisierung Deutschlands.
Konrad Adenauer bezeichnete bereits im März 1949 den vollen Beitritt eines westdeutschen Staates zur NATO als eine vordringliche Aufgabe der ersten westdeutschen Regierung und spricht im Dezember 1949 erstmals öffentlich über die damit zusammenhängende Wiederbewaffnung. Anfang der 1950er Jahre rückte zunehmend der Ost-West Konflikt in den Fokus der deutschen Regierung. Adenauer ernannte am 24. Mai 1950 den ehemaligen Panzergeneral Gerhard Graf von Schwerin zu seinem Berater in technischen Fragen der Sicherheit. Er sollte im Geheimen Vorbereitungen zum Aufbau westdeutscher Streitkräfte treffen. Besonders der am 27. Juni 1950 beginnende Koreakrieg verstärkte sowohl in Deutschland wie auch im Westen Europas und in den USA Bestrebungen, deutsche Streitkräfte für die Abwehr einer Bedrohung aus dem Osten aufzustellen, damals als "westdeutschen Verteidigungsbeitrag" bezeichnet. Der damals regierende Konrad Adenauer (CDU) war der Meinung, eine neue deutsche Armee sei notwendig, um den Westen und seine Demokratie zu schützen und dadurch mehr Stabilität und Stärke der Demokratie zu erreichen. So könne sich die westliche Demokratie in der Bundesrepublik gegen das antidemokratische System der DDR wehren.
Für Adenauer spielte außerdem die Erlangung der weitgehenden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, die noch immer durch das Besatzungsstatut stark eingeschränkt war, eine wichtge Rolle. In den Verhandlungen mit den Alliierten galt für ihn der Grundsatz: Wiederbewaffnung gegen Souveränität.
Anfang Oktober 1950 tagte eine Kommission deutscher Militärexperten im Eifelkloster Himmerod. Sie verfassten eine "Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas", in der erstmals Strukturen und Umfänge neuer deutscher Streitkräfte beschrieben wurden, die sogenannte Himmeroder Denkschrift. Sie enthielt auch erste Überlegungen zur inneren Ordnung der Bundeswehr, der später so genannten Inneren Führung.
Am 26. Oktober 1950 berief Konrad Adenauer Theodor Blank zum Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen. Aus diesem so genannten Amt Blank enstand später das Bundesministeriums der Verteidigung. Die Arbeit des Amts Blank, die der Vorbereitung einer Wiederbewaffnung diente, widersprach eigentlich den Bestimmungen der Alliierten, wonach Deutschland langfristig entmilitarisiert bleiben sollte; sie war jedoch den Westalliierten bekannt und wurde von ihnen angesichts des sich abzeichnenden Kalten Krieges geduldet und sogar gefördert.
Die innenpolitischen Widerstände gegen eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik waren enorm. Vor allem die beiden großen Parteien SPD und CDU waren völlig gegensätzlicher Meinung über die Frage, ob es moralisch zu verantworten sei, dass Deutschland nach der Hitler-Diktatur jemals wieder über eine Armee verfügen sollte. Dass schließlich die Bundeswehr gegründet werden konnte, ist vor allem auf das überragende Wahlergebnis für die CDU bei der Wahl zum Zweiten Deutschen Bundestag 1953, bei der 50,2% der Stimmen auf Adenauers CDU entfielen. Trotzdem führte schon die Debatte um die Wiederbewaffnung zur Gründung von Friedensbewegungen wie z.B. der "Ohne-mich-Bewegung".
Die EVG-Verträge
Am 26. Februar 1954 wird im Deutschen Bundestag über einen "deutschen Wehrbeitrag" debattiert. Das war nötig geworden, weil die auch von der Bundesrepublik angenommenen EVG-Verträge die Schaffung einer gemeinsamen Armee in Westeuropa vorsah. Schließlich wird nach der dritten Lesung die 1. Wehrnovelle ("Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes") mit 2/3-Mehrheit (v.a. durch Mitglieder CDU/CSU-Fraktion) angenommen. Auch der Bundesrat stimmte zu, sodass das Gesetz mit der Unterzeichnung durch Bundespräsident Theodor Heuss am 26. März 1954 in Kraft treten konnte. Das Grundgesetz wurde in drei Punkten geändert:
- Artikel 73: Der Bund bekommt die ausschließliche Gesetzgebung nun auch über die "Verteidigung einschließlich der Wehrpflicht der Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an und des Schutzes der Zivilbevölkerung"
- Artikel 79 Absatz 1: Das Verfassungsänderungsverfahrens wird für völkerrechtliche Verträge, die "eine Friedensregelung, [...] zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt" erleichtert
- Artikel 142a: Im neu angelegten Artikel wird erklärt "Die Bestimmungen dieses Grundgesetzes stehen" dem EVG-Vertrag "nicht entgegen".
Sofort nach Inkrafttreten der Verfassungsänderung wurde mit der Rekrutierung Freiwilliger für die neue europäische Armee, die in den EVG-Verträgen vorgesehen war, begonnen. Als allerdings am 31. August 1954 die französische Nationalversammlung die Verabschiedung des EVG-Vertrages vertagte, war diese Armee gescheitert. Es musste eine neue Möglichkeit für einen deutschen Wehrbeitrag gesucht werden. Die Frage wurde im September/Oktober 1954 auf der Neunmächtekonferenz in London geklärt, als der Beitritt Deutschlands zur NATO und zum Brüsseler Pakt beschlossen wurde. Am 27. Februar 1955 ratifiziert der Bundestag die Pariser Verträge, die Bundesrepublik wird somit NATO-Mitglied. Die Verträge treten zum 5. Mai 1955 in Kraft.
Aufbau der neuen Streitkräfte
Im Folgenden begann der eigentliche Aufbau der Bundeswehr, die allerdings bis dahin noch keinen Namen trug und in zeitgenössischen Dokumenten als "neue Wehrmacht" bezeichnet wurde. Am 7. Juni 1955 wurde das vormalige "Amt Blank" umbenannt. Mit Theodor Blank als erstem Verteidigungsminister hieß es nun "Bundesministerium für Verteidigung". Noch im selben Jahr wurden erste Wehrgesetze vom Deutschen Bundestag verabschiedet und im September von der Bundesregierung der Aufstellungsplan verkündet. Der Plan sah vor, dass bis zum Januar 1959 der Aufbau des Heeres und bis Januar 1960 auch der Aufbau von Luftwaffe und Marine fertig gestellt sein sollte. Die voraussichtlichen Gesamtkosten dieses Planes wurden mit 51 Milliarden DM (ca. 25 Milliarden €) beziffert.
Am 12. November 1955, überreichte Theodor Blank den ersten 101 freiwilligen Soldaten ihre Ernennungsurkunden. Anfang des folgenden Jahres wurden die ersten drei Standorte in Betrieb genommen und insgesamt 1000 Soldaten dort stationiert:
Mit der Wahl des 12. Novembers als Tag der Gründung der neuen deutschen Streitkräfte zeigte sich bereits, in welcher Tradition die Bundeswehr stehen sollte: Der 12. November 1955 war der 200. Geburtstag des preußischen General Gerhard von Scharnhorst, der sich um die preußische Heeresreform von 1807 bis 1813 verdient machte. Hervorzuheben ist die Schaffung eines Reservisten- und Wehrpflichtsystems mit der gedanklichen Grundlage "jeder Bürger eines Staates müsse zugleich dessen geborener Verteidiger sein" (bundeswehr.de). Scharnhorst hatte außerdem auf die Abschaffung der Prügelstrafe im preußischen Militär hingewirkt.
Die Namensgebung: "Bundeswehr"
Während der Gründungszeit waren für die neue deutsche Armee vor allem die Bezeichnungen "Wehrmacht" und "Bundeswehr" im Gespräch. Während der Begriff "Wehrmacht" natürlich durch das Nazi-Regime erheblich vorbelastet war, schien dem Sicherheitsausschuss des Deutschen Bundestages der Name "Bundeswehr" passender. Bei der Debatte um das "Soldatengesetz" am 22. Februar 1956 wurde dem Antrag des Vorsitzenden Dr. Richard Jäger, die neuen Streitkräfte "Bundeswehr" zu nennen, stattgegeben. Jäger selbst nennt aber als eigentlichen Namensgeber den ehemaligen General und nun FDP-Abgeordneten Hasso von Manteuffel.
Probleme mit der Nazi-Vergangenheit
Besonders problematisch in den Anfangsjahren der Bundeswehr war die Einstellung neuer (Unter-)Offiziere höherer Dienstgrade. Eine "saubere" Besetzung dieser Posten war kaum möglich, da nahezu alle militärisch Vorgebildeten Deutschen eine belastete Vergangenheit während der Nazi-Diktatur hatten, solche Personen aber zur Schaffung einer Führungsstruktur unbedingt notwendig waren. Um das Risiko die "falschen" Soldaten einzustellen zu minimieren, wurden alle Offiziere vom Oberst aufwärts durch den Personalgutachterausschuss überprüft, ein Gremium aus 38 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung und nach Bestätigung durch den Bundestag ernannt worden waren. Auf den Vorwurf, alle hohen Offiziere hätten in der Wehrmacht gedient, antwortete Bundeskanzler Adenauer sinngemäß, die NATO "nehme ihm keine 18-jährigen Generäle ab".
Siehe auch
Literatur
- Detlef Bald: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005 (2005), C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-52792-2
Weblinks
- Jubiläumsseite der Bundeswehr mit multimedial aufbereitetem Zeitstrahl
- Artikel mit einigen Bildern aus den frühen Jahren der Bundeswehr
Alle Ereignisse nach den 1950er-Jahren --King 20:17, 2. Sep 2005 (CEST)