Tränenpalast
Der Tränenpalast ist die umgangssprachliche Bezeichnung im Berliner Volksmund für die ehemalige Ausreisehalle der Grenzübergangsstelle im Bahnhof Friedrichstraße innerhalb Ost-Berlins, in das – den Westteil Berlins verbindende – S-Bahn- und U-Bahn-Netz der zwischen 1961 und 1989 geteilten Stadt Berlin. Er befindet sich in der Dorotheenstadt im Ortsteil Mitte.

Die Bezeichnung Tränenpalast leitet sich davon ab, dass die meisten DDR-Bürger im genannten Zeitraum keine Reisefreiheit nach West-Berlin hatten und ihre westlichen Besucher hier unter Tränen verabschieden mussten.
Grenzabfertigung
Im Tränenpalast selbst befanden sich die Kontrollen und Abfertigungsschalter der Grenztruppen der DDR. Nachdem sich die ausreisenden Personen in eine Warteschlange vor dem Tränenpalast eingereiht hatten, wurden sie am Eingang des Gebäudes in der Regel von zwei Volkspolizisten per Augenschein bei Vorlage des Personalausweises bzw. des Reisepasses und des Visums „vorkontrolliert“.
Im Gebäude führte eine Treppe hinunter zur Zollkontrolle. Hier war im vorderen Teil der Halle jeweils links und rechts vom Hauptweg ein offener Abfertigungsschalter angeordnet. Die Ausfuhr von DDR-Währung in den Westen war verboten, deshalb musste ggf. übrig gebliebenes Geld (oft Beträge unter 10 Mark) noch vor der Zollkontrolle auf einem Sonderkonto bei einer Filiale der Staatsbank deponiert werden (dieses Geld konnte bei erneuter Einreise wieder abgehoben werden). Weiterhin waren die Ausfuhrbestimmungen für Waren zu beachten, die mitgeführten Waren (oft vom Zwangsumtausch gekaufte Bücher) mussten vorher in eine Zollausfuhrerklärung eingetragen werden. Hier wurden oft Reisetaschen und Koffer durchsucht.
Nach der Zollkontrolle erfolgte die eigentliche Kontrolle der Reisedokumente. Hierfür befanden sich im hinteren Teil der Halle rund zehn nebeneinander angeordnete Abfertigungsschalter. Sie waren aus Vierkantstahlrohr gebaut und mit Sprelacart-Platten verkleidet. Neben jedem Durchgang befanden sich Leuchtfelder zur Trennung der ausreisenden Personen in „Bürger Berlin (West)“, „Bürger der BRD“, „Bürger DDR“ und „Bürger anderer Staaten“. Hier erfolgte dann die ausführliche Kontrolle der Pässe bzw. Personalausweise und der Visa. Nach der „Abfertigung“ wurde eine Tür per Summer kurz geöffnet und der für den westlichen Verkehr reservierte Teil des Bahnhofs Friedrichstraße konnte betreten werden.
Hier bestanden Fahrmöglichkeiten in den Westteil Berlins mit der U-Bahn in nördlicher Richtung nach Wedding und Tegel oder südlich nach Kreuzberg, Tempelhof und Mariendorf sowie mit der S-Bahn nach Zoo und Wannsee (westlich), Gesundbrunnen, Frohnau und Heiligensee (nördlich) sowie Anhalter Bahnhof, Schöneberg, Zehlendorf, Lichterfelde und Lichtenrade (südlich). Außerdem konnte der Fernbahnsteig erreicht werden. Diese Grenzübergangsstelle schloss typischerweise mit den letzten Zügen der U- und S-Bahn, die dort bis zwei Uhr nachts verkehrten. Verspätete Ausreisende mussten im Bahnhof Friedrichstraße in besonderen Räumen bis zum ersten Zug am nächsten Morgen übernachten.
Die Einreise nach Ost-Berlin erfolgte über den Bahnhof Friedrichstraße, nicht über den Tränenpalast. Im Gegensatz zu anderen Grenzübergangsstellen war dieser Grenzübergang für alle Nationalitäten geöffnet, also nicht nur für West-Berliner (die in der DDR nicht als Bürger der Bundesrepublik Deutschland angesehen wurden), sondern gleichzeitig auch für BRD-Bürger und Ausländer (sowohl sozialistisches als auch nichtsozialistisches Ausland). Kurioserweise konnten die „Bürger anderer Staaten“ – im Gegensatz zu „Bürgern aus Berlin (West)“ und „Bürgern der BRD“ – nach Ausreise, die bis spätestens 24:00 Uhr erfolgen musste, unmittelbar nach 0:00 Uhr wieder einreisen. So war der Tränenpalast für viele „Bürger anderer Staaten“ eine ständige Transitstelle, die um Mitternacht passiert werden musste.
Da diese Grenzübergangsstelle mitten auf Ost-Berliner Territorium lag, gab es keine direkten Kontrollen auf West-Berliner Seite. Nur die nächstgelegenen S- und U-Bahn-Stationen auf West-Berliner Gebiet wurden stichprobenartig bestreift, insbesondere durch westliche Zollbeamte, die nach größeren Mengen von im Intershop zoll- und steuerfrei erworbenen Spirituosen und Zigaretten fahndeten. Die DDR hatte hierdurch auch eine Möglichkeit, problemlos Ausländer in den Westen abzuschieben (z. B. Asylbewerber).
Geschichte nach der Wiedervereinigung
Ein ursprünglich bestehender Verbindungsgang zum Bahnhof Friedrichstraße wurde nach der Grenzöffnung 1990 entfernt. Nach der Wiedervereinigung wurde 1991 aus dem ehemaligen Tränenpalast ein gleichnamiger Club mit unterschiedlichen kulturellen Veranstaltungen (Diskothek, Kabarett und andere Live-Veranstaltungen). Der Club musste im Juli 2006 geschlossen werden, da der Berliner Senat das Grundstück verkauft hat.[1] Für die Zukunft wurde eine kulturelle Nutzung vorgeschrieben.
Auf dem umliegenden Grundstück – begrenzt durch den Bahnhof Friedrichstraße, Reichstagufer und Friedrichstraße – entstand ein Bürokomplex, genannt „Spreedreieck“. Die Umstände des Grundstücksverkaufs an den Investor sollen durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses geklärt werden.[2]
Zukünftiges Nutzungskonzept
Im November 2008 wurde mit der „Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes“ die Nutzung des Gebäudes als Erinnerungsort und Ausstellungsraum festgeschrieben. Nach Abschluss umfangreicher Umbau- und Sanierungsmaßnahmen bietet die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ab dem 15. September 2011 im denkmalgeschützten Tränenpalast die ständige Ausstellung "GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung" an.[3] Mit biografischen Beispielen, Originalobjekten und Zeitzeugeninterviews veranschaulicht sie auf 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche das Leben angesichts von Teilung und Grenze. Sie zeigt außerdem die wichtigsten Stationen im Vereinigungsprozess. Als Ausstellungsobjekte dienen beispielsweise originale und rekonstruierte Abfertigungsschalter, wie sie im Tränenpalast im Einsatz waren, sowie ein Modell im Maßstab 1:87, das die Aus- und Einreisebewegungen in der gesamten Anlage - bestehend aus Tränenpalast und Bahnhof Friedrichstraße - veranschaulicht. Ein Mietvertrag mit der Bonner Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde im Januar 2010 über 20 Jahre abgeschlossen.[4][5]
Original-Schilder und Wegweiser im Tränenpalast
Weblinks
- Commons: Tränenpalast – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Offizielle Website des Tränenpalastes
- Trauer um den Tränenpalast, Stern, 2. August 2006
- Postkartenansicht von 1964
- Eintrag zu Tränenpalast (Obj.-Dok.-Nr. 09065041) in der Berliner Landesdenkmalliste mit weiteren Informationen
- Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Einzelnachweise
- ↑ Vorhang fällt ins Ungewisse, Spiegel online, 12. Juli 2006
- ↑ Opposition beantragt Untersuchung des Spreedreieckskandals, taz, 17. April 2008
- ↑ Tränenpalast Stiftung Haus der Geschichte
- ↑ Haus der Geschichte wird im Berliner „Tränenpalast“ die deutsch-deutsche Teilung dokumentieren. In: General-Anzeiger (Bonn), 15. November 2008
- ↑ Starkes Engagement in Berlin. In: General-Anzeiger (Bonn), 26. Januar 2010
Koordinaten: 52° 31′ 15″ N, 13° 23′ 13″ O