Neugotik

Kunst- und Architekturstil
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 15. September 2005 um 23:33 Uhr durch 84.182.227.9 (Diskussion) (Personen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Neugotik, auch Neogotik genannt ist eine der frühesten Spielarten des Historismus, einer im 19. Jahrhundert auftretenden eklektizistischen Stilrichtung, deren Vertreter auf die Stile der Kunst in den vergangenen zwei Jahrtausenden zurückgriffen.

Datei:Uni Glasgow.JPG
Universität von Glasgow
Datei:Bad Hönningen Arenfels.jpg
Schloss Arenfels in Bad Hönningen
Datei:Bad Hönningen Arenfels Detail.jpg
Detail von Schloss Arenfels
Schloss Braunfels Entwurf Oppler
Schloss Stolzenfels
Jagdschloss Hubloka bei Budweis, Gotische Elemente
Die Hallgrimskirche, Wahrzeichen von Reykjavik(Baubeginn 1943)
Britische Neogotik: In den Kolonien wurde der neogotische Stil auch mit einheimischer Architektur verquickt, wie hier beim Chatrapati Shivaji Terminus in Mumbai (früher Bombay), Indien.

Im Mittelpunkt der Verbreitung der Neugotik stand ein umfassendes Bau- und Einrichtungsprogramm, das bis in die Literatur und den Lebensstil Einzug hielt. Die Formensprache der Neugotik orientierte sich an einem idealisierten Mittelalterbild. Ihre Blüte hatte sie in der Zeit von 1830 bis 1900.

In neugotischem Stil wurden vor allem Kirchenbauten, aber auch Universtäten und Rathäuser errichtet, um an die Freiheit und Geisteskultur der mittelalterlichen Städte anzuknüpfen.

Neugotik in Großbritannien

Die Neugotik begann in Großbritannien schon ab 1720, als bei der Gestaltung neuer Bauwerke Formen der mittelalterlichen Gotik nachgeahmt wurden. Der auf dem Kontinent herrschende Stil des Rokoko wurde als Rokoko-Gotik interpretiert.

Typisch dafür sind Bauten wie das Landhaus Strawberry Hill (Baubeginn 1751) des Horace Walpole. Aber erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war, von Großbritannien aus, der maßgebliche Durchbruch zu verzeichnen. Zu dieser Zeit wurde zum Beispiel der Palace of Westminster (1840-1860) von Sir Charles Barry errichtet.

Neugotik im deutschen Sprachraum

Das Nauener Tor in Potsdam (1755), das Friedrich der Große auf britische Anregung errichten ließ, war das erste neugotische Bauwerk in Deutschland. Mit der Unterstützung von Friedrich dem Großen erhielt die Neugotik eine nationale Ausrichtung, da man sich in einer Verbundenheit mit dem mittelalterlichen deutschen Kaiserreich sah. Insbesondere bei den damaligen Parkbauten setzte sich die Stilrichtung durch, wie beispielsweise das Gotische Haus im Wörlitzer Park (1786/1787), oder die Löwenburg im Bergpark Wilhelmshöhe. Sie entstand nach Entwürfen von Heinrich Christoph Jussow in der Zeit von 1793 bis 1800 als Nachahmung einer mittelalterlichen englischen Ritterburg.

Die Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte in Deutschland zu einer Begeisterung für die mittelalterlichen Bauwerke, insbesondere für die großen Dome der Gotik und die Burgen. Im Zuge dieser neuen Mode konnten alte Bauruinen wie der Kölner Dom (Wiederaufnahme des Baus 1846) oder das Ulmer Münster (Fertigstellung des Westturmes 1890) nach den Plänen des Mittelalters vollendet werden. Andere gotische Kirchen wurden purifiziert, das heißt, von nachträglichen Änderungen nachfolgender Stilepochen befreit, vervollständigt und von vermeintlichen Fehlern bereinigt. Die Vollendungen verwendeten die originalen Baupläne, es sind also aus kunsthistorischer Sicht noch (zum überwiegenden Teil) Bauwerke der mittelalterlichen Gotik.

Vorhandene Burgruinen wurden gerne nach englischem Vorbild, dem Castellated Style wiederaufgebaut, dieser Wiederaufbau hatte allerdings nichts mehr mit der historischen Gestalt der Burg zu tun. Ein typisches Beispiel dafür ist die Burg Hohenzollern bei Hechingen und das Schloss Stolzenfels in Koblenz.

Für neue Kirchen- und Profanbauten in den wachsenden Städten griff man gerne auf die gotische Architektur zurück und komponierte mit Formelementen aus dem reichen Erbe vorhandener Bauwerke eine neue idealisierte Architektur, die Neugotik. Allerdings fehlte aufgrund der großen zeitlichen Distanz das tiefe Verständnis für die Formensprache und so finden sich Formen des Kirchenbaus an neugotischen Rathäusern wieder. Herausragende Beispiele für neugotische Profanbauten sind die Rathäuser in Wien, München und dem Berliner Bezirk Köpenick sowie das einzigartige Ensemble der Speicherstadt in Hamburg.

Für die Innenausstattung, insbesondere Altäre und Kanzeln der neuen und purifizierten Kirchen schuf man aufwändig geschnitzte Werke, die sich an die Elemente der Architektur anlehnen, aber ohne Vorbild waren. Diese Werke nannte man später abwertend Schreinergotik. Die Glasmalerei erlebte ebenfalls eine neue Blüte, allerdings sind die neuen Werke realistischer und naturalistischer als die historischen Vorbilder. Viele derartige Ausstattungsgegenstände der Kirchen sind ab 1960 aus Verachtung für die nachgemachten Stile wieder entfernt und zerstört worden.

Neugotische Bauten besonders im deutschen Sprachraum waren im vergangenen Jahrhundert natürlich massiven Zerstörungen und Angriffen durch Kriege ausgesetzt. Wie durch ein Wunder blieben aber fast alle bedeutenden gotischen Kathedralen vom Zusammensturz verschont, auch wenn vielerorts die Dachstühle ausbrannten. Ein Ausnahme bildet hier die Nikolaikirche in Hamburg, dessen Schiffe nach einem verheerenden Bombenangriff abgebrochen werden mussten und bis heute nicht wieder rekonstruiert wurden. Nur der Turm ragt heute noch 147 Meter hoch aus dem Häusermeer (das Ulmer Münster ist nur 15 Meter höher). Er lässt die Größe der zerstörten Kirche erahnen, die sicherlich als eine der größten und prächtigsten gelten kann, die allein im Stil der Neugotik (ohne mittelalterliche Vorlagen) erbaut worden sind.

Die Begeisterung für gotische Formen ließ im stark nationalistisch geprägen Deutschland des 2. Kaiserreiches wieder nach, nachdem man erkannt hatte, dass die Gotik nicht ein typisch deutscher Stil ist, sondern historisch aus Frankreich stammt. Diesen gesuchten typisch deutschen Stil glaubte man in der Romanik gefunden zu haben, worauf sich der Schwerpunkt auf romanische Formen verlagerte und die Neuromanik ihre Blüte erlebte.

Die ersten Wolkenkratzer in Nordamerika

Für viele der weltweit ersten richtigen Geschäftshochhäuser, die um 1910 bis 1920 in Städten wie New York oder Chicago entstanden, bediente man sich gotischer architektonischer Formen, was zunächst verwunderlich scheint. Man kann aber nachvollziehen, dass man an die Pracht und Herrlichkeit der gigantischen Kathedralen Europas anknüpfen wollte. Waren diese noch dazu gedacht, mit ihrer Größe Gott (bzw. das Himmlische Jerusalem) zu ehren, benutzte man im Grunde nun die gleiche Formensprache, um der allgegenwärtigen Macht der Wirtschaft eine ausdrucksstarke, einschüchternde Form zu verleihen.

Nicht zufällig erinnert der Tribune Tower in Chicago stark an den Hauptturm der Kathedrale von Rouen. Beim Woolworth Building (vollendet 1910, in Ney York City) ist sogar im Grunde eine Kathedrale inklusive ihrer Seitenschiffe als modernes Bürohochhaus verwirklicht worden. Diesen Bauwerken ist eine üppige Maßwerkverzierung bis hin zur Turmspitze gemein, lange, schlanke Fenster beherrschen die plastisch gegliederte Fassade. Hat man die mittelalterliche Spätgotik sowie auch die europäische Neugotik im Blick, wirkt der Wolkenkratzerstil von seiner üppigen Ornamentik eher verkitscht und überladen.

Personen

Bauwerke