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Antonio Gramsci

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Antonio Gramsci (* 23. Januar 1891 in Ales auf Sardinien, Italien; † 27. April 1937 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Politiker und Philosoph, ein Theoretiker des Sozialismus, Kommunist und Antifaschist.

Gramsci hat den Begriff Zivilgesellschaft wesentlich geprägt, den er aus der Praxis der revolutionären Bewegungen seit 1917 abgeleitet hat, er stellt eine integrative Theorie vor, die das Politische und das Private (als politische Praxis, als Eigenaktivität) sowie Lernen und Lehren miteinander verbindet.

Leben

Gramsci, seit 1913 Mitglied der PSI Partito Socialista Italiano (Sozialistische Partei) Italiens, beteiligte sich 1918/19 an den revolutionären Kämpfen in Turin (Turiner Rätebewegung). 1921 war er führend beteiligt an der Gründung der KPI (Kommunistische Partei Italiens, ital. PCI = Partito Comunista Italiano), die als Abspaltung aus der PSI hervorging. 1922/23 war er erstmals bei der Kommunistischen Internationale (KI) in Moskau, wo er seine spätere Frau kennenlernte. Auf Betreiben der KI entmachtete er 1924/25 als KPI-Generalsekretär den linksradikalen KPI-Führer Amadeo Bordiga und setzte die Bolschewisierung der KPI durch.

1922 wurde der Faschist Benito Mussolini Regierungschef in Italien, doch die KPI blieb zunächst legal. 1925 wurde Gramsci ins Parlament gewählt. November 1926 verbot Mussolini die KPI und ließ die gesamte Parteiführung, darunter Gramsci, verhaften. Gramsci verbrachte die Jahre bis kurz vor seinem Tod 1937 im Gefängnis und starb an den Folgen der Haft. 1937 gab es eine internationale Kampagne für die Freilassung des todkranken Kommunisten. In der Haftzeit schrieb er in den "Gefängnisheften" zahlreiche Studien zum Marxismus und zu Problemen des Leninismus. Dabei dachte Gramsci über die Ursachen der Machtverhältnisse nach. Er meinte sie in der geistigen Vorherrschaft der Faschisten in jener Zeit zu erkennen. Sein Konzept der "kulturellen Hegemonie" wurde in der 68er Studentenbewegung wieder aufgegriffen. Es wurde durch die Frankfurter Schule zu einem festen Begriff der Soziologie und der Cultural Studies.

Schaffen

Gramsci schrieb in seiner Gefangenschaft mehr als 30 Notizbücher, voll von historischen Analysen. Diese Schriften, auch bekannt als Gefängnishefte, beinhalten Gramscis Meinungen zum Nationalismus und der italienischen Geschichte, genau wie einige Ideen einer kritischen Theorie und einer Theorie des Erziehens, die mit seinem Namen verbunden wird, wie der

  • kulturellen Hegemonie, mit der der bürgerliche, kapitalistische Staat sich aufrechterhält. sowie
  • die Notwendigkeit, dass sich die Arbeiter bilden, um auch aus der Arbeiterklasse Intellektuelle zu erschaffen

Für Gramsci ist ein Ausgangspunkt die Niederlage der Turiner Rätebewegung und der Sieg des Kapitalismus zu seiner Zeit.

Wichtige Wörter, die auf die Eigenaktivität und das Subjekt abstellen, sind Selbstermächtigung, Selbstfindung, Selbstverfügung und Selbsterziehung mit den Adjektiven solidarisch, gesellschaftlich und emanzipatorisch. Das Selbst wird aber hier nicht als ein direkter Weg zur Erkenntnis auf Grund der Erfahrung, sondern als ein gespaltenes, plurales Gebilde gesehen, der 'Alltagsverstand' als ein wirr zusammgensetzer, mit Elementen des Aberglaubens neben der Wissenschaft. Wichtige Orientierung bilden für ihn die marxschen Feuerbachthesen.

Seinen Texten muss zugute gehalten werden, dass Gramsci hier in der Einsamkeit des Gefängnisses versucht, seinen Intellekt zu behalten, sein Denken zu schärfen - man kann anhand der Texte lernen, wie das Denken an sich entwickelt wird, und wie man sich auch unter den widrigen Umständen des italienischen Faschismus "Denkmittel" verschaffen kann. Er nähert sich vielen Themen immer wieder kursorisch an.

Mit der kulturellen Hegemonie - den Begriff hat Gramsci im Sinne Lenins in die marxistische Theorie eingeführt - entwickelte er eine genaue Erklärung, warum die im orthodoxen Marxismus "unausweichliche" Revolution des Proletariats weder in Italien noch in Deutschland stattfand. Der Sozialismus hat nicht nur eine Niederlage erlitten, es schien, als ob der Kapitalismus in der Zeit des Fordismus auch noch gestärkt worden sei. Der Kapitalismus, so Gramsci, erhalte die Macht nicht nur durch Gewalt und politische und ökonomische Zwänge, sondern auch ideologisch durch eine hegemoniale Kultur, in welcher die Werte der Bourgeoisie allgemeingültige Ideologie aller wären.

Folglich stellte sich für Gramsci als politische Hauptaufgabe der Gewinn der "kulturellen Hegemonie" durch die Partei als "kollektiven Intellektuellen", die "Übersetzung" der (marxistischen) Philosophie in Alltagsbewußtsein und ihre Bestätigung als "Philosophie der Praxis": Das sind Ausgangspunkte für die Überwindung des auch als Stalinismus benannten metaphysischen Materialismus im Zusammenhang mit einem dogmatisch befehlsadministrativ durchexerzierten Marxismus-Leninismus. Gramscis Denken fließt in den 'Westlichen Marxismus', z. B. in den Eurokommunismus der 1970er und 1980er Jahre ein. Mit Gramsci wird eine Neu-Lektüre von Marx ermöglicht im Interesse der tätigen Subjekte im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnissen (Marx), kann eine an umfassender Emanzipation orientierte Philosophie der Praxis = historischer Materialismus lebendig und eingreifend denkend gedacht werden. Marxismus als orthodoxes Lehrgebäude ist tot, mit Gramsci leben plurale Marxismen. Diese finden unter anderem ihren Ausdruck in Arbeiten wie jene von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, die einen post-marxistischen, neo-gramscianischen Hegemonie-Begriff vorschlagen.

Werke

  • Antonio Gramsci - Gefängnishefte. Herausgegeben von Klaus Bochmann und Wolfgang Fritz Haug.Argument Verlag, Hamburg/Berlin 1991ff
  • Erziehung und Bildung. Gramsci-Reader 1, Herausgegeben von Andreas Merkens. Argument-Verlag, Hamburg 2004 ISBN 3-88619-423-X
  • Il materialismo storico e la filosofia di Benedetto Croce. 3. edition, Ed. Riunti, Roma 1996
  • Philosophie der Praxis. Eine Auswahl, herausgegeben und übersetzt von Christian Riechers. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1967

Literatur

  • Christian Riechers: Antonio Gramsci. Marxismus in Italien. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 1970
  • Perry Anderson: Antonio Gramsci: eine kritische Würdigung. Olle & Wolter, Berlin (West) 1979, ISBN 3921241456
  • Hans Heinz Holz, Giuseppe Prestipino: Antonio Gramsci heute. Aktuelle Perspektiven seiner Philosophie. Pahl-Rugenstein, Bonn 1992
  • Utopie und Zivilgesellschaft. Rekonstruktionen, Thesen und Informationen zu Antonio Gramsci. Hg. v. Uwe Hirschfeld u. Werner Rügemer, Elefantenpress, Berlin 1990
  • Wolfgang Fritz Haug: Von Marx zu Gramsci - von Gramsci zu Marx. Historischer Materialismus und Philosophie der Praxis. In: Haug, W.F.: Dreizehn Versuche marxistisches Denken zu erneuern". Karl Dietz Verlag, Berlin 2001
  • Uwe Hirschfeld (Hg.): Gramsci-Perspektiven. Beiträge zur Gründungskonferenz des "Berliner Instituts für Kritische Theorie" e. V. vom 18. bis 20. April 1997 im Jagdschloss Glienicke, Berlin, Argument-Verlag, Berlin/Hamburg 1998
  • Karin Hofer: Die politische Theorie Antonio Gramscis. SFP, Salzburg 1991
  • Sabine Kebir: Antonio Gramscis Zivilgesellschaft. VSA-Verlag, Hamburg 1991 ISBN 3879755566
  • Theo Votsos: Der Begriff der Zivilgesellschaft bei Antonio Gramsci. Argument-Verlag, Berlin 2001 ISBN 3886192814
  • Giuseppe Fiori: Vita di Antonio Gramsci. Ilisso, Nuoro 2003
  • Zogholy, André: Kulturpolitische Strategien der FPÖ und die Hegemonietheorie nach Antonio Gramsci, Schriften der Johannes-Kepler-Universität Linz : Reihe B, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ; 61, Trauner Verlag, Linz 2002 ISBN3-85487-336-0/2002

Siehe auch