In der Mathematik, vor allem der Variationsrechnung und der Theorie der stochastischen Prozesse, ist die Variation einer Funktion ein Maß für das lokale Schwingungsverhalten der Funktion. Besonders bei den stochastischen Prozessen ist die Variation von besonderer Bedeutung, da sie die Klasse der zeitstetigen Prozesse in zwei fundamental verschiedene Unterklassen unterteilt: jene mit endlicher und solche mit unendlicher Variation.
Definition
Sei eine Funktion auf dem reellen Intervall [a,b]. Das Funktional der Variation ist definiert als
- ,
also durch die kleinste obere Schranke (Supremum), die alle Summen majorisiert, die sich durch eine beliebig feine Unterteilungen des Intervalls ergeben. (Falls sich keine reelle Zahl finden läßt, die alle Summen majorsiert, so wird das Supremem zu plus unendlich gesetzt.)
Für stückweise monotone Funktionen gilt allerdings der folgende Satz:
Ist in den Intervallen jeweils monoton steigend oder fallend, so gilt für die Variation von f die Gleichung
- .
Obige Definition der Variation läßt sich auf Funktionen übertragen, die auf unbeschränkten Intervallen definiert sind und Werte in den komplexen Zahlen oder in normierten Vektorräumen annehmen.
Beispiel einer stetigen Funktion mit unendlicher Variation
Wir wollen zeigen, dass für die auf dem Einheitsintervall stetige Funktion
gilt. Für jedes sein
Dann ist (Zeichnung anfertigen!)
was wegen der Divergenz der harmonischen Reihe für gegen unendlich strebt.
Anwendung in der Variationsrechnung
In der Variationsrechnung begegnet man häufig Optimierungsproblemen der folgenden Art:
- ,
wobei eine vorgegebene Menge von Funktionen ist, etwa alle zweimal stetig differenzierbaren Funktionen mit zusätzlichen Eigenschaften wie . Ähnliche Probleme führen beispielsweise zur Definition der Splines.
Ein weiterer Grund für die Verbreitung der Variation in Optimierungsproblemen ist die folgende Feststellung: Beschreibt die Funktion f den Verlauf eines Objekts in einem eindimensionalen Raum im Laufe der Zeit, dann gibt gerade die im Zeitraum [a,b] zurückgelegte Strecke an.
Anwendung in der Stochastik
In der Theorie der stochastischen Prozesse spielt der Begriff der variation eine besondere Rolle: eine wichtige Charakterisierung von Prozessen (neben der einteilung in Klassen wie Markov-, Lévy- oder Gauss-Prozesse) ist die Entscheidung, ob ein Prozess über endlichen Intervallen endliche oder unendliche Variation aufweist.
Das Standardbeispiel für einen Prozess fast sicher endlicher Variation ist beispielsweise der Poisson-Prozess: für eine Poisson-Prozess mit Intensität gilt wegen der Monotonie .
Der Wiener-Prozess hingegen hat fast sicher unendliche Variation in jedem Intervall . Für die Anwendung des Wiener-Prozesses in der Physik zur Erklärung der brownschen Molekularbewegung hat diese Eigenschaft fatale Folgen: ein Partikel, dessen Bewegung einem Wiener-Prozess folgt, würde in jedem Teilraum eine unendliche Strecke zurücklegen - im krassen Widerspruch zu den gesetzen der Physik (das Teilchen hätte unendliche Durchschnittsgeschwindigkeit).
Quadratische Variation
Eine weitere interessante Eigenschaft des Wiener-Prozesses hängt ebenfalls mit dessen Variation zusammen: ersetzt man den in der obigen Definition das durch , so gelangt man zum Begriff der quadratischen Variation einer Funktion, in der Stochastik mit bezeichnet. Ein wichtiges Resultat, dass sich beispielsweise im Lemma von Itō niedrschlägt, ist das folgende: ist ein Standard-Wiener-Prozess, so gilt für dessen quadratische Variation , fast sicher.