Wilhelm Liebknecht (* 29. März 1826 in Gießen; † 7. August 1900 in Berlin), Vater von Theodor Liebknecht und Karl Liebknecht, war einer der Gründerväter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Er war als Revolutionär aktiv an der Märzrevolution von 1848/49 in Baden beteiligt. Beruflich unter anderem als Journalist tätig, wurde er nach Jahren des Exils in der Schweiz und in England als Mitbegründer der SPD und ihrer Vorläuferparteien zu einem der profiliertesten sozialistischen Politiker und parlamentarischen Gegenspieler des Reichskanzlers Otto von Bismarck in den ersten Jahrzehnten des deutschen Kaiserreichs.
Bedeutung und Wirkung Liebknechts
Liebknecht erlangte historische Bedeutung als einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie. Seine Biographie ist untrennbar mit der Entwicklung der parteipolitischen Organisierung der Arbeiterbewegung Deutschlands und Europas im 19. Jahrhundert verbunden.
Er war Mitbegründer der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und deren Vorgängerparteien Sächsische Volkspartei, Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) .
Für die entsprechenden Parteien war er zunächst von 1867 bis 1871, und - nach einer Unterbrechung - erneut ab 1874 bis zu seinem Lebensende Abgeordneter im Reichstag - zuerst dem Reichstag/Parlament des Norddeutschen Bundes, dann des nachfolgenden deutschen Kaiserreichs.
Mit seinen radikaldemokratischen und revolutionär-marxistischen Positionen hatte er wesentlichen Anteil daran, dass die SPD des 19. Jahrhunderts ideologisch an diesen Inhalten ausgerichtet wurde.
Liebknecht war außerdem als Vertreter einer internationalistischen Orientierung der Arbeiterbewegung vor dem Hintergrund seiner antimilitaristischen Haltung mit dem Ziel von Völkerverständigung und Frieden maßgeblich an der Gründung der zweiten - bzw. der ursprünglichen Sozialistischen Internationale - beteiligt, und trug dazu bei, dass die SPD als deren deutsche Sektion zur weltweit stärksten und einflussreichsten sozialistischen Partei seiner Zeit wurde.
Leben
Nach dem Tod seiner Eltern, dem hessischen Regierungsbeamten Ludwig Christian Liebknecht und dessen Frau Katharina (geb. Hirsch) wuchs der zu diesem Zeitpunkt 6-jährige Wilhelm ab 1832 bei Verwandten in seinem Geburtsort Gießen auf. Dort besuchte er auch die Schule, die er 1842 mit Gymnasialabschluss beendete.
Studium und Beteiligung an der Märzrevolution (1842 - 1849)
Liebknecht studierte von 1843 bis 1846 zuerst in seiner Heimatstadt Gießen Philologie und evangelische Theologie, dazwischen auch ein Semester Philosophie in Berlin. Im Herbst 1846 schrieb er sich für das Fach Philosophie an der Universität Marburg ein. Neben dem Studium absolvierte er zwei Handwerkerlehren: in Gießen lernte er Zimmermann, in Marburg Büchsenmacher. Dies, so nahm er an, würde ihm bei seiner zeitweilig erwogenen Auswanderung nach Amerika helfen, vor Ort zurecht zu kommen.
Als Student kam er noch zur Zeit des Vormärz in Kontakt mit der Burschenschaftsbewegung, die sich damals für demokratische Rechte und die nationale Einigung des Deutschen Bundes in einem gesamtdeutschen Nationalstaat einsetzte. Die in Corps und Burschenschaften organisierten Studenten standen zu der Zeit, häufig aus dem illegalen Untergrund heraus, oft in Opposition zur seit dem Wiener Kongress von 1814/1815 herrschenden reaktionären Restaurationspolitik, die wesentlich vom österreichischen Staatskanzler Fürst von Metternich geprägt war. Dabei war Liebknecht eher von den frühsozialistischen Vorstellungen Saint-Simons als von nationalstaatlichen Ideen beeinflusst, was ihn nicht davon abhielt, studentischen Corps beizutreten. So trat er 1846 in Gießen in das Corps Rhenania ein. In Marburg wurde er am 12. Januar 1847 in das Corps Hasso-Nassovia aufgenommen. Danach war er auch an der Gründung eines nur kurzzeitig bestehenden Corps Rhenania im Marburg beteiligt.
Liebknecht sah sich veranlasst, Marburg schon im Sommer 1847 fluchtartig zu verlassen, da er an einem öffentlichen Vivat für einen der damals bekanntesten politischen Strafgefangenen in Hessen, Sylvester Jordan, den Schöpfer der kurhessischen Verfassung, teilgenommen hatte, und deswegen polizeilichen und juristischen Repressalien ausgesetzt war.
Nach seiner Flucht in die Schweiz arbeitete Liebknecht 1847/48 als Lehrer an einer "Musterschule" des Reformpädagogen und Begründers der Kindergärten Friedrich Wilhelm August Fröbel in Zürich und machte erste journalistische Erfahrungen als Korrespondent der "Mannheimer Abendzeitung"
Nach Auslösung der bürgerlichen Februarrevolution 1848 in Frankreich ging er nach Paris, wo er aktiv auf der Seite der Aufständischen an den revolutionären Kämpfen teilnahm.
Die Februarrevolution, die zur Ausrufung der 2. französischen Republik führte, bildete den Funken für den Beginn der Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes; - dort zuerst im Großherzogtum Baden. Die badische Revolution war als regionaler Bestandteil der Märzrevolution diejenige, in der die weitestgehenden Forderungen nach Demokratie und sozialen Veränderungen zugunsten der sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten (im Wesentlichen Handwerksgesellen, Arbeiter und Bauern ohne Landbesitz) vertreten wurden.
Im September 1848 beteiligte sich Liebknecht am Aufstand des radikaldemokratischen Revolutionärs Gustav Struve im badischen Lörrach. Nach dessen Niederschlagung wurde Wilhelm Liebknecht verhaftet. Während seiner Gefangenschaft verliebte sich der damals 22jährige die 6 Jahre jüngere Tochter des Gefängnisaufsehers, Ernestine Landolf, die später Liebknechts erste Ehefrau werden sollte. Im Mai 1849 kam er nach etwa 7 Monaten Untersuchungshaft wieder auf freien Fuß, nachdem in der Bundesfestung Rastatt mit einer Meuterei der badischen Garnison am 11. Mai 1849 der badische Maiaufstand begonnen hatte.
Liebknecht schloss sich während dieser letzten Phase der Märzrevolution der Badischen Volkswehr an. Als Leutnant im Mannheimer Arbeiterbataillon war er Adjutant Gustav Struves. Der Kampf der Revolutionäre für die im Grunde schon gescheiterte Reichsverfassung (vgl. auch Reichsverfassungskampagne) beinhaltete den Einsatz für die Anerkennung der demokratischen Veränderungen in einigen Staaten des Deutschen Bundes und die Verteidigung der am 1. Juni 1849 ausgerufenen badischen Republik gegen die von Norden und Westen anrückende konterrevolutionäre Armee. Diese wurde von preußischen Offizieren unter dem Oberkommando des Bruders von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen angeführt, - dem bei den Revolutionären als Kartätschenprinz berüchtigten Wilhelm von Preußen, der 1871 zum ersten deutschen Kaiser Wilhelm I. ausgerufen werden sollte.
Exiljahre, Einfluss von Karl Marx (1849 - 1862)
Nach der Niederschlagung der Revolution durch preußische Truppen im Juli 1849 konnte sich Liebknecht einer Gefangennahme (die eine Hinrichtung hätte bedeuten können) durch Flucht ins Exil entziehen. Er ging zunächst wieder in die Schweiz, wo er Mitglied des "Genfer Arbeitervereins" wurde. Im Exil lernte er Friedrich Engels kennen, der als Beteiligter an der badischen Revolution ebenfalls vorübergehend in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte.
Die Initiative zur Vereinigung der deutschen Arbeitervereine in der Schweiz führte zu einer erneuten Verhaftung Liebknechts und zu seiner Ausweisung wegen „sozialistischer Umtriebe“. Über Frankreich kam er nach England. In London trat er dem Bund der Kommunisten bei. Über diese Organisation traf er wieder auf Engels und kam in Kontakt mit Karl Marx, zu dem er auch eine persönliche Freundschaft aufbaute, die in den folgenden Jahren, noch während seiner Zeit im Exil, nicht unbelastet blieb. So schrieb Marx 1859 in einem Anflug des Zorns bezüglich des Disputs mit Liebknecht in einem Brief an Engels, in dem er sich äußerst polemisch-abwertend über Wilhelm Liebknecht äußerte: „... Liebknecht ist ebenso schriftstellerisch unbrauchbar wie er unzuverlässig und charakterschwach ist. Der Kerl hätte diese Woche einen definitiven Abschiedstritt in den Hintern erhalten, zwängen nicht gewisse Umstände, ihn einstweilen noch als Vogelscheuche zu vewenden ...“
Dennoch vertiefte Liebknechts Kontakt zu Marx seine sozialistische Einstellung und prägte wesentlich auch seine nachfolgende politische Haltung, wobei er dem dialektischen Materialismus von Marx weiterhin eher distanziert gegenüber stand. Bei aller Annäherung an die marxistische Theorie legte Liebknecht seine radikaldemokratischen Wurzeln nicht ab. Demokratie ohne Sozialismus war für ihn keine wirkliche Demokratie, und Sozialismus ohne Demokratie kein wirklicher Sozialismus. Beides bedingte sich für ihn gegenseitig.
Beschäftigung fand Liebknecht in England unter anderem als Privatlehrer und Korrespondent, wodurch er sich und seine Frau Ernestine, die er 1854 in London geheiratet hatte, notdürtig materiell über Wasser halten konnte. Als 1862 durch eine Amnestie als Folge der Inthronisierung des preußischen Königs Wilhelm I. die Strafverfolgung für viele ehemalige 1848/49er-Revolutionäre aufgehoben wurde, kehrte das Ehepaar Liebknecht nach Deutschland zurück, wo sich Wilhelm Liebknecht zunächst in Preußen beim Aufbau der sozialdemokratischen Bewegung beteiligte. Neben seinem Engagement für die Arbeiterbildungsvereine verstärkte sich sein Einsatz für eine parteipolitische Organisierung der Arbeiterbewegung.
Gründung der organisierten Sozialdemokratie, Reichstagsabgeordneter (1863 - 1900)
Konflikt mit dem ADAV; Ausweisung aus Preußen; Kontakt zu August Bebel
In Preußen wurde er 1863 Mitglied in dem von Ferdinand Lassalle neu gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), der ersten als politische Partei organisierten Vorläuferorganisation der späteren SPD. Er arbeitete als Journalist unter anderem für das Zentralorgan des ADAV, die Zeitung „Der Social-Demokrat“, aber auch für bürgerlich-liberale Zeitungen wie die erst kurz zuvor gegründete "Norddeutsche Allgemeine Zeitung", deren Linie sich später in eine staatstragende, bzw. die Politik Bismarcks unterstützende und SPD-feindliche Richtung wandeln sollte.
Bereits zwischen Lassalle und Liebknecht hatte es Differenzen um die Rolle des Staates, insbesondere der von Lassalle favorisierten vorrangigen Rolle Preußens im deutschen Staatenbund gegeben. Weitere Meinungsverschiedenheiten drehten sich um die Bedeutung von Reform oder Revolution auf dem Weg zu einer angestrebten sozialistischen Gesellschaft. Nach Lassalles frühem Tod in Folge eines Pistolenduells aus privaten Hintergründen im Jahr 1864 spitzten sich die Auseinandersetzungen zwischen Liebknecht und der Partei zu. Schon 1865 wurde Wilhelm Liebknecht aus der Partei ausgeschlossen. Letzter Anlass für diesen Ausschluss war ein Konflikt, in den er mit dem Herausgeber des Social-Demokrat, Johann Baptist von Schweitzer, geriet, als Liebknecht die preußenfreundliche und kleindeutsch-nationalistische Ausrichtung des Blattes kritisierte, wegen der er schließlich auch die Redaktion verließ. Von Schweitzer, nach dem Tode Lassalles seit 1864 einflussreicher Funktionär des ADAV und von 1867 bis 1871 dessen Präsident, hatte in Folge von Liebknechts Kritik dessen Parteiausschluss betrieben. Unmittelbar nach dem Ausschluss wurde Liebknecht auch aus Berlin und Preußen ausgewiesen, woraufhin er sich in Leipzig im Königreich Sachsen niederließ, und sich dort dem sächsischen Arbeiterbildungsverein anschloss.
Hier lernte er August Bebel kennen, der sich unter Liebknechts Einfluss ebenfalls marxistischen Positionen annäherte. Zwischen Liebknecht und Bebel entwickelte sich in der Folgezeit nicht nur eine enge politische Zusammenarbeit, sondern auch eine lebenslange persönliche Freundschaft.
Beide waren sich einig in ihrer Ablehnung des preußischen Militär- und Polizeistaates und dessen Hegemoniestreben. Aus diesem Grund suchten sie Mitte der 1860er Jahre das Bündnis mit den süddeutschen freiheitlichen Liberalen, die sich bis 1868 zum Teil in der Deutschen Volkspartei, einer linksliberalen Abspaltung der Deutschen Fortschrittspartei, sammelten; - auch wenn diese nicht durchgehend eine reine Republik, sondern teilweise eine konstitutionelle Monarchie, jedoch unter Einbeziehung Österreichs, also als großdeutsche Lösung mit föderalistischer Struktur und mit deutlich eingeschränkten Machtbefugnissen für die regierenden Monarchen und Fürsten vertraten. Damit war die Hoffnung verbunden, den reaktionären Einfluss Preußens einzudämmen.
Von der Sächsischen Volkspartei zur SDAP; Opposition gegen den Krieg, Festungshaft
Zusammen mit Bebel gründete Liebknecht am 19. August 1866 die Sächsische Volkspartei, die eine Allianz zwischen den sozialistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsvereinen und antipreußischen Linksliberalen in Sachsen bildete. Im Jahr darauf wurden Bebel und Liebknecht als Abgeordnete dieser Partei in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, wo sie ab 1868 in der Fraktionsgemeinschaft mit der Deutschen Volkspartei (DtVP) gegen die Regierung Bismarcks und die Vorherrschaft Preußens opponierten.
In dieser Zeit überschattete der relativ frühe Tod von Liebknechts Frau Ernestine († 1867) sein Privatleben. Sie war an Tuberkulose, damals auch als „Schwindsucht“ oder „Proletarierkrankheit“ bezeichnet, erkrankt und innerhalb kurzer Zeit im Alter von 32 Jahren daran verstorben. Aus der Ehe waren drei Kinder hervorgegangen. Im Jahr darauf, 1868, heiratete Wilhelm Liebknecht erneut. Seine zweite Frau Nathalie, geborene Reh (* 1835, † 1909), bis dahin eine Freundin der Familie, brachte in den Folgejahren fünf Söhne zur Welt, darunter zuerst 1870 Theodor und 1871 Karl, der zwischen 1914 und 1919 als Kriegsgegner und KPD-Mitbegründer eine eigene historische Bedeutung erlangen sollte.
1869 wurde die Sächsische Volkspartei aufgelöst; ihr dominierender linker Flügel ging in der überregionalen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) auf, die auf Initiative Liebknechts und Bebels in Eisenach gegründet wurde und ein eindeutiges sozialistisches Programm erhielt. In den Folgejahren wurden die Anhänger der SDAP in Abgrenzung zu den Unterstützern des preußisch-sozialdemokratischen ADAV, den „Lassalleanern“, auch „die Eisenacher“ genannt.
Nach dem Deutschen Krieg von 1866 war mit dem Sieg Preußens über Österreich bis 1867 der Deutsche Bund aufgelöst und mit dem Zusammenschluss der Fürstentümer nördlich der Mainlinie der Norddeutsche Bund unter preußischer Vorherrschaft gebildet worden, wodurch Österreich seine schon seit dem Ende des Krimkriegs im Jahr 1856 bröckelnde Vorherrschaft im zentralen Mitteleuropa zugunsten Preußens endgültig eingebüßt hatte. Damit hatte sich das Ziel einer „großdeutschen“ Reichseinigung und mit ihr auch das Zweckbündnis zwischen Liberalen und Sozialisten in der Sächsischen Volkspartei erübrigt. Die entsprechenden Reichstagsmandate gingen auf die SDAP über.
Liebknecht gab das Parteiorgan der neu gegründeten SDAP, „der Volksstaat“, heraus. Die SDAP erklärte sich zur deutschen Sektion der 1864 in London gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), die heute auch als „erste Internationale“ der Arbeiterbewegung bezeichnet wird.
Nach Beginn des deutsch-französischen Krieges im Jahr 1870 ergriff Liebknecht öffentlich Stellung gegen diesen Krieg und lehnte im Reichstag gemeinsam mit Bebel einen Kredit für den Krieg gegen Frankreich ab. 1871 erklärte er seine Solidarität mit der Pariser Kommune und sprach sich gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen aus. In Folge ihres entsprechenden reichskritischen Engagements wurden Liebknecht und Bebel 1872 beim „Leipziger Hochverratsprozess“ zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Liebknechts und Bebels Opposition gegen den Krieg brachte der Sozialdemokratie den Ruf der „vaterlandslosen Gesellen“ im Kaiserreich ein, - ein Ruf, der der SPD bis zum 1. Weltkrieg und teilweise, zumal in nationalistisch-konservativen und reaktionären Kreisen auch darüber hinaus anhaften sollte.
Nach seiner Haftentlassung wurde Liebknecht 1874 nach 3 Jahren Unterbrechung erneut als Abgeordneter der SDAP in den Reichstag des nunmehr (seit 1871) Deutschen Kaiserreiches gewählt.
Vereinigung der SDAP mit dem ADAV zur SAP; Sozialistengesetze
1875 vereinigte sich die SDAP in Gotha mit dem ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Die Vereinigung der bis dahin in Konkurrenz zueinander stehenden sozialdemokratischen Parteien war möglich geworden, nachdem mit der Reichsgründung von 1871 und der mit ihr geschaffenen politischen Fakten die Hauptgründe für die Rivalität weggefallen waren, die wesentlich in unterschiedlichen Auffassungen zur nationalen Frage und zur Haltung gegenüber der Vorherrschaft Preußens in den deutschen Staaten gelegen waren. Außerdem hatte der Rücktritt des antimarxistischen ADAV-Vorsitzenden Johann Baptist von Schweitzer den Weg zur Vereinigung der beiden Parteien frei gemacht.
Diese Fusion der „Eisenacher“ mit den „Lassalleanern“ wurde von Karl Marx aus London wegen der anpasslerischen Haltung an den eher reformorientierten ADAV im Gothaer Programm der SAP kritisiert. Obwohl Wilhelm Liebknecht an der Ausarbeitung des Parteiprogramms, das einen Kompromiss darstellte, beteiligt war, teilte er Marx´ Kritik, stand aber aus pragmatischen Gründen, vor denen er der Einheit der sozialistischen Bewegung eine Priorität einräumte, dennoch hinter dem Zusammenschluss von SDAP und ADAV. In der neu gegründeten Parteizeitung „Vorwärts“ setzte er sich für die Durchsetzung der marxistischen Theorie in der neuen, vereinigten Partei ein.
Trotz der repressiven Sozialistengesetze („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) des Reichskanzlers Otto von Bismarck, während denen zwischen 1878 und 1890 die Aktivitäten der Sozialdemokratie außerhalb des Reichstags verboten waren, wuchs die SAP unter Liebknecht und Bebel zu einer Massenpartei heran. Im Reichstag nahm Liebknecht kein Blatt vor den Mund und nutzte seine Stellung als Abgeordneter, um die Regierungspolitik Bismarcks scharf zu kritisieren.
Da er außerhalb des Reichstags im Deutschland jener Zeit keine Möglichkeit hatte, legal in der Öffentlichkeit aufzutreten, und in Folge der Sozialistengesetze auch viele deutsche Sozialdemokraten in die Nachbarstaaten emigriert waren, reiste er viel und sprach auf internationalen sozialistischen Kongressen.
Nach dem bis 1876 erfolgten Zerfall der Internationalen Arbeiterassoziation aufgrund des Konflikts zwischen deren anarchistischem Flügel um Michail Bakunin und dem marxistischen Flügel um Karl Marx war es nach Marx´ Tod 1883 Liebknechts Bestreben, zu einer neuen Einheit der internationalen Arbeiterbewegung zu kommen. Bei der Gründung der Sozialistischen Internationale 1889 in Paris, an der Liebknecht einen maßgeblichen Anteil hatte, war die SAP trotz ihrer Unterdrückung im eigenen Land zur einflussreichsten sozialistischen Partei Europas geworden.
Konstituierung der SPD; 1890er Jahre
Bei den Reichstagswahlen im Februar 1890 wurden die Sozialdemokraten mit 19,7 % der Stimmen zur wählerstärksten Partei im Reich und erreichten 35 Reichtagsmandate. Bedingt durch das undemokratische Dreiklassenwahlrecht in Preußen waren dies weniger Sitze, als ihnen nach heutigem Maßstab zuerkannt würden.
Nach der Entlassung Bismarcks als Reichskanzler durch den seit 1888 amtierenden Kaiser Wilhelm II. am 20. März 1890 setzte sich in der neuen Regierung die Einsicht durch, dass die Sozialistengesetze die Sozialdemokratie nicht geschwächt, sondern eher noch gestärkt hatten. Unter dem neuen Reichskanzler Leo Graf von Caprivi wurde das letzte Sozialistengesetz am 30. September 1890 schließlich außer Kraft gesetzt.
Nach Aufhebung der Sozialistengesetze wurde die SAP 1890 auf dem Parteitag in Halle umbenannt in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die diesen Namen bis heute beibehalten hat - trotz vieler programmatischer Veränderungen seither.
Die Linie der neuen SPD erhielt im Erfurter Programm von 1891 in ihrem von Karl Kautsky entworfenen theoretischen Teil zunächst wieder eine von Liebknecht geforderte deutlichere marxistische Ausrichtung.
Als Chefredakteur der Parteizeitung Vorwärts (ab 1891) und als Abgeordneter trat Liebknecht auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt als Anhänger eines internationalistischen Marxismus auf und kritisierte aus dieser Haltung heraus vehement den preußischen Militarismus und den sich verstärkenden deutschen Kolonialismus bzw. Imperialismus. 1896 wurde er als 70-Jähriger wegen "Majestätsbeleidigung" noch einmal zu einer 4-monatigen Haftstrafe verurteilt, die er im Berliner Gefängnis Plötzensee absaß. Zum Ende seines Lebens wandte er sich gegen die innerhalb der Partei aufkommenden revisionistischen Tendenzen, die durch ein Thesenpapier Eduard Bernsteins die Revisionismusdebatte ausgelöst hatten.
Er starb am 7. August 1900 im Alter von 74 Jahren in Berlin-Charlottenburg. An seiner Beisetzung auf dem seitdem so bezeichneten Sozialistenfriedhof in Berlin nahmen zwischen 120.000 und 150.000 Menschen am Trauerzug teil - zumeist Arbeiter und Anhänger der SPD. Noch mehr Trauernde säumten als Spalier des Zuges die Straßen Berlins. Liebknechts Beerdigung war der Hintergrund für die größte Massenversammlung in Berlin seit dem Tode Kaiser Willhelms I. 12 Jahre davor. Sie war eine Huldigung an den „Soldaten der Revolution“ (eine Selbstsbezeichnung Liebknechts), als der er von vielen in Erinnerung an die Märzrevolution betrachtet wurde - und zugleich eine Demonstration für Liebknechts Hauptinhalte und Ziele: Frieden zwischen den Völkern und die Befreiung der Arbeiterklasse.
Wilhelm Liebknecht gilt zusammen mit Ferdinand Lassalle und August Bebel als einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie und einer ihrer bedeutendsten Anführer mit auch internationalem Renommée.
Zitat "Wissen ist Macht"
Das bis heute verbreitete geflügelte Wort "Wissen ist Macht" geht auf einen Ausspruch Wilhelm Liebknechts vor einer Versammlung von Vertretern der Arbeiterbildungsvereine im Jahr 1872 zurück, bei der er im Rahmen eines Vortrags den prägnanten Satz "Wissen ist Macht - Macht ist Wissen" geäußert hatte.
Werke Wilhelm Liebknechts
- Die politische Stellung der Socialdemokratie. Leipzig (1869)
- Zu Trutz und Schutz. Leipzig (1871)
- Wissen ist Macht - Macht ist Wissen. Leipzig (1872)
- Was die Socialdemokraten sind und was sie wollen. (1877)
- Zur orientalischen Frage oder soll Europa kosakisch werden? Leipzig (1878)
- Die Emser Depesche oder wie kriege gemacht werden. Nürnberg (7. A. 1899)
- Zur Grund- und Bodenfrage. Leipzig (1876)
- Volks-Fremdwörterbuch. Leipzig (1874)
- Robert Blum und seine Zeit. Nürnberg (2. A. 1890)
- Ein Blick in die neue Welt. Stuttgart (1887)
- Geschichte der Französischen Revolution. Dresden (1890)
- Robert Owen. Dresden (1892)
- Karl Marx zum Gedächtnis. Nürnberg (1896)
Nachgeschichte; inhaltlicher Wandel und Spaltung der SPD, Rolle von Liebknechts Söhnen Karl und Theodor (1900 - 1920er Jahre)
Nach Wilhelm Liebknechts Tod verstärkte sich in der SPD ein inhaltlicher Wandlungsprozess, der schon zum Ende seines Lebens in der von Eduard Bernstein ausgelösten Revisionismusdebatte begonnen hatte. Unter der fortgesetzten Parteiführung von August Bebel und Paul Singer († 1911) wurde die SPD nach den Reichtagswahlen 1912 mit 34,8 % zur stärksten Fraktion im deutschen Reichstag. Bebel konnte noch ausgleichend auf die verschiedenen Parteiflügel wirken.
Als nach Bebels Tod 1913 Friedrich Ebert neben Hugo Haase die Parteiführung übernahm, setzte sich, verstärkt durch den Beginn des 1. Weltkriegs und die Burgfriedenspolitik der SPD unter Federführung Eberts, ab August 1914 die reformistische Fraktion gegen den revolutionär-marxistischen Flügel um dessen Protagonisten Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und andere durch. Diese Entwicklung führte noch während des Krieges zur Spaltung der Partei in MSPD und USPD; - eine Spaltung, die nach der Novemberrevolution 1918, noch kurz vor der Konstituierung der Weimarer Republik, unumkehrbar wurde.
Karl Liebknecht, der zweitgeborene Sohn Wilhelm Liebknechts, war als SPD-Reichstagsabgeordneter von Anfang an einer der wenigen radikalen Gegner des Ersten Weltkriegs im Parlament des Kaiserreichs, und stimmte - zunächst als einziges Mitglied des Reichstags - ab Dezember 1914 gegen die Kriegskredite, nachdem er der ersten Abstimmung darüber aus Gründen der Parteiraison ferngeblieben war. Aufgrund dieser Haltung wurde er 1916 aus der Partei ausgeschlossen. Sein öffentlicher Auftritt bei einer Rede im Rahmen einer verbotenen Antikriegsdemonstration im selben Jahr führte zu einer Anklage wegen Hochverrat und zu seiner Inhaftierung bis Oktober 1918. Zum Jahreswechsel 1918/1919 gehörte Karl Liebknecht als einer der Anführer des linksrevolutionären Spartakusbundes zu den Mitbegründern der KPD.
Sowohl bei der Parteispitze der nunmehr regierenden revisionistischen SPD als auch bei den republikfeindlichen Militärs verhasst, wurde der Sohn Wilhelm Liebknechts zusammen mit Rosa Luxemburg während des Spartakusaufstands in Berlin am 15. Januar 1919 von rechtsextremen Freikorps unter dem Kommando Waldemar Pabsts und der politischen Verantwortung des SPD-Reichswehrministers Gustav Noske ermordet.
Wilhelm Liebknechts erstgeborener Sohn Theodor stieg nach der Ermordung seines Bruders als Mitglied der USPD in die Parteipolitik ein. Er wurde 1924 der Vorsitzende der USPD, die nach 1922 nur noch eine Splitterpartei war, zerrieben zwischen der SPD und der KPD, und die 1931 in der neu gegründeten, ebenfalls marginalisierten neuen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP) aufging.
Siehe auch
Sozialismus, Sozialdemokratie, Kommunistische Partei, Sozialistische Partei, SPD
Literatur (chronologisch nach Erscheinungsdatum)
- Kurt Eisner: „Wilhelm Liebknecht: Sein Leben und Wirken“; Berlin, 1900
- Karl-Heinz Leidigkeit: „Wilhelm Liebknecht und August Bebel in der deutschen Arbeiterbewegung 1862 - 1869“; Verlag Rütten & Loenig, 1957, 385 Seiten
- Vadim Tschubinski: „Wilhelm Liebknecht“; deutsche Übersetzung der Biografie aus dem Russischen bei Dietz Verlag Berlin, 1973
- Wolfgang Schröder: „Ernestine. Vom ungewöhnlichen Leben der ersten Frau Wilhelm Liebknechts“; 1987
- Werner Wendorff: „Schule und Bildung in der Politik von Wilhelm Liebknecht“; Wissenschaftlicher Verlag Spiess, Berlin, 1998
- Dieter Dowe: „Agitieren, organisieren, studieren! - Wilhelm Liebknecht und die frühe deutsche Sozialdemokratie - Vortrag anlässlich der Gedenkveranstaltung der Stadt Gießen und des oberhessischen Geschichtsvereins zum 100. Todestag von Wilhelm Liebknecht“; Veröffentlichung der Friedrich Ebert-Stiftung, 2000, 31 Seiten - ISBN 3-86077-942-7
- Wolfgang Beutin (Herausgeber): „Eine Gesellschaft der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit - Beiträge der Tagung zum 100.Todestag Wilhelm Liebknechts am 21. und 22. Oktober 2000 in Kiel“; Verlag Lang, Frankfurt am Main, 229 Seiten - ISBN 3-631-37711-8
Weblinks
- Vorlage:PND
- chronologische Biografiedaten Liebknechts beim DHM
- Kurzbiografie bei Preussen-chronik.de
- Weitere Kurzbiographie
- Dokumentation zur Geschichte der SPD: 1863 - 1890 aus: "Sozialdemokratie in Deutschland - Bilddokumentation zur Geschichte der SPD"; herausgegeben vom SPD-Parteivorstand, Berlin 2002
- Text Wilhelm Liebknechts: "Kein Kompromiß - Kein Wahlbündnis" aus dem Jahr 1899; ein Beitrag Liebknechts zur Auseinandersetzung mit der Revisionismusdebatte, ausgelöst durch Eduard Bernstein
- Links zu weiteren Texten W. Liebknechts (meist PDF-Dateien)
- Rede Liebknechts „zum Landsturm“ von 1875 im Reichstag - Abschrift des stenographischen Protokolls incl. der Reaktionen des Reichstagspräsidenten und des Plenums
Personendaten | |
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NAME | Liebknecht, Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | Mitbegründer der SPD, Reichstagsabgeordneter |
GEBURTSDATUM | 29. März 1826 |
GEBURTSORT | Gießen |
STERBEDATUM | 7. August 1900 |
STERBEORT | Berlin |