Präsidialkabinett

Reichsregierung der Weimarer Republik, gestützt durch den Reichspräsidenten
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Als Präsidialkabinette bezeichnet man in Deutschland die letzten drei Regierungen der Weimarer Republik unter Heinrich Brüning (Zentrumspartei), Franz von Papen (Zentrum/parteilos) und Kurt von Schleicher (parteilos). Der Reichspräsident, zu dieser Zeit Paul von Hindenburg, hatte in der Weimarer Verfassung die Stellung eines Ersatzkaisers. Die Artikel 25 (Auflösung des Reichstags), 48 (Notverordnungsrecht) und 53 (Einsetzung und Entlassung des Reichskanzlers) ermöglichten ihm die Bildung einer nur auf sein Vertrauen gestützten Regierung. Möglich war die Entwicklung durch die zunehmende Handlungsunfähigkeit geworden.

Mit dem Begriff Präsidialkabinett wird der Sachverhalt umschrieben, dass sich die Regierung auf keine eigene Mehrheit im Parlament mehr stützen konnte und daher nur auf das Vertrauen des Reichspräsidenten angewiesen waren. Bisweilen wird auch der Begriff Präsidialdiktatur verwendet, um den Sachverhalt zu verdeutlichen, dass die parlamentarische Kontrolle faktisch ausgeschaltet war.

Beginn der Präsidialkabinette

Bereits am 18. März 1929 hatte Hindenburg mit Kuno von Westarp, dem Fraktionsvorsitzenden der DNVP, die Möglichkeit einer Regierung ohne das Vertrauen des Reichstags erörtert. Ostern 1929 sprach von Schleicher mit Brüning über die Regierung mit Hilfe von Notverordnungen und über die Wiedererrichtung einer Monarchie. Am 15. Januar 1930 skizzierte Otto Meissner gegenüber Graf Westarp die geplante Hindenburg-Regierung: sie sollte vor allem antiparlamentarisch und antimarxistisch sein. Diese Kamarilla um Otto Meissner und Kurt von Schleicher zog auch später im Hintergrund die Fäden, bevor Schleicher schließlich selbst Reichskanzler wurde.

Am 27. März 1930 scheiterte die Große Koalition unter Hermann Müller (SPD) im Streit um ein halbes Prozent Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, nachdem sich der Reichspräsident, entgegen seiner vorangegangenen Versprechen, geweigert hatte diesem Kabinett die Vollmachten des Artikels 48 WRV zu gewähren. Schon 3 Tage später ernannte Hindenburg Heinrich Brüning zum neuen Reichskanzler, der in seinem Kabinett nur die 3 Minister der SPD ersetzte, so dass wahrscheinlich dieses Vorgehen von Hindenburg geplant, und die meisten Parteien in die Pläne eingeweiht waren. Am 1. April erklärte Brüning, der keine Mehrheit im Reichstag besaß, dass er notfalls nur mit Hilfe von Notverordnungen regieren würde. Während der Reichstag die ersten Gesetze noch mit einer knappen Mehrheit beschlossen hatte, lehnte er ein unsoziales Sanierungsprogramm ab.

Mechanismus der Präsidialregierungen

Nun setzte der Mechanismus der Präsidialregierungen ein: Wenn ein Gesetzesentwurf der Regierung keine Mehrheit im Reichstag fand, setzte der Reichspräsident diesen in Form einer Notverordnung in Kraft, obwohl Notverordnungen tatsächlich nur für Notsituationen gedacht waren. Es war aber in der Verfassung nicht festgelegt worden, wie eine Notsituation zu definieren sei und wer sie feststellen könne; es hieß dazu nur Das Nähere regelt ein Reichsgesetz. Dies war aber nie verabschiedet worden. Wenn der Reichstag das Recht wahrnahm, die Aufhebung der Notverordnung vom Reichspräsidenten zu verlangen, oder dem Reichskanzler sein Misstrauen aussprach, löste der Reichspräsident gemäß Artikel 25 der Weimarer Verfassung das Parlament auf; Neuwahlen mussten laut Verfassung nach spätestens 60 Tagen abgehalten werden, und der gewählte Reichstag spätestens nach weiteren 30 Tagen zusammentreten. In diesen 90 Tagen konnte der Reichspräsident mithilfe des Kabinetts mit Notverordnungen regieren. Die im Parlament gescheiterten Gesetzesvorschläge setzte er nun, nur dem Wort nach verfassungsgemäß, durch das Notverordnungsrecht gemäß Artikel 48 unter Umgehung der Legislative in Kraft. Sowohl die Exekutive als auch die Legislative lag nun beim Reichspräsidenten und beim Reichskanzler, der die Notverodnungen gegenzeichnen musste; die Gewaltenteilung war aufgehoben. Durch die ständigen Neuwahlen und Auflösungen des Parlamentes fand kaum noch eine geregelte Gesetzgebung statt: so gab es 1931 34 vom Reichstag verabschiedete Gesetze, aber 44 Notverordnungen.

Möglichkeiten des Reichstags

Der Reichstag hatte zwei Möglichkeiten, gegen den Reichspräsidenten vorzugehen:

  • eine Absetzung des Reichspräsidenten nach Artikel 43 mit Hilfe einer Volksabstimmung
  • eine Anklage beim Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich nach Artikel 59

Für beide Vorgehensweisen war eine, praktisch unmöglich zu erreichende, Zweidrittelmehrheit im Reichstag nötig.

Geschichte der Präsidialkabinette

Brüning

Nach den Reichstagswahlen vom 14. September 1930, deren Sieger eindeutig die NSDAP war, entschied sich die SPD, Brüning als das kleinere Übel gegenüber Adolf Hitler zu tolerieren, um die in Preußen noch bestehende Weimarer Koalition zu schützen. Brüning wurde auf Grund seiner umstrittenen Deflationspolitik, die vor allem seinem Hauptziel, einem Ende der Reparationszahlungen dienten, unbeliebt; er galt als Hungerkanzler. Obwohl er den Auftrag erhalten hatte, antimarxistisch zu regieren musste er sich auf die Tolerierung der SPD verlassen und Hindenburg wurde mit Hilfe der SPD wiedergewählt. Am 13. April 1932 unterzeichnete Hindenburg das Verbot der SA und SS. In der Folge musste Wilhelm Groener als Reichswehrminister zurücktreten. Die Kamarilla um Hindenburg nutzte das Verbot zum Sturz Brünings. Den letztendlichen Grund bildete die Osthilfeverordnung, die von den ostpreußischen Grundbesitzern – zu denen auch der Reichspräsident gehörte – stark kritisiert wurde. Am 30. Mai trat das gesamte Kabinett zurück, die außenpolitischen Erfolge, wie das Ende der Reparationszahlungen, konnten einer reinen Rechtsregierung zufallen. Brüning war nicht vom Reichstag gestürzt worden, sondern von einer einzelnen Person. Die Unterstützung des Reichstags nutzte ihm nichts, da er sich selbst für das präsidiale Notverordnungsregime entschieden hatte, um sein Ziel – so stellte er es jedenfalls in seiner Autobiografie dar – zu erreichen: die Errichtung einer Monarchie. Der Sturz Brünings kann insofern als der Abschluss einer Epoche gesehen werden, da die letzten Minister der demokratischen Parteien durch solche der DNVP oder parteilose Fachminister ersetzt wurden.

Papen und Schleicher

Der nächste Reichskanzler wurde wieder ein Mitglied der Zentrumspartei, Franz von Papen. Er gehörte allerdings zur Rechten und trat mit seinem Kabinett der Barone vor dem Amtsantritt aus der Partei aus. Er musste zurücktreten, nachdem der Reichstag es geschafft hatte, ihm das Misstrauen auszusprechen, und Hindenburg nicht so weit gehen wollte, den Reichstag aufzulösen, ohne Neuwahlen festzusetzen, was ein offensichtlicher und eindeutiger Verfassungsbruch gewesen wäre. Als nächster kam von Schleicher, der schon vorher mit seinem Einfluss auf den Reichspräsidenten die Geschichte der Präsidialkabinette maßgeblich mitbestimmt hatte. Er musste zurücktreten, nachdem sein Plan einer Querfront, die ihn im Reichstag stützen sollte, gescheitert war und Hindenburg sich wieder weigerte, den Reichstag ohne Festsetzung von Neuwahlen aufzulösen. Sein Nachfolger wurde Adolf Hitler.

Lehren aus den Präsidialkabinetten

Da durch die strukturellen Fehler in der Reichsverfassung die Demokratie geschwächt und letztlich deren Zusammenbruch sowie der Aufstieg Adolf Hitlers begünstigt wurde, hat man im Grundgesetz der Bundesrepublik die Stellung des Bundespräsidenten stark beschnitten. Er erfüllt normalerweise nur repräsentative Aufgaben, nur in besonderen Ausnahmesituationen (keine regierungsfähige Mehrheit im Bundestag) darf er das Parlament auflösen. Eine Entmachtung des Bundestages kann er als Gesetzgebungsnotstand nur auf kompliziertem Wege auf Antrag der Regierung und mit Zustimmung des Bundesrates zeitlich befristet beschließen. Die Auflösung des Parlamentes erfolgte in der Geschichte der Bundesrepublik bisher drei Mal: 1972, 1982 und 2005. Sie wurden jeweils bewusst vom Bundeskanzler und der Mehrheit des Bundestages herbeigeführt, um gewünschte Neuwahlen zu erreichen. Die Entmachtung durch Gesetzgebungsnotstand kam noch nie vor.

Siehe auch