Schundliteratur

Begriff, mit dem angeblich unmoralische Literatur angeprangert wird.
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Schundliteratur ist ein Begriff, mit dem angeblich unmoralische oder verderbte Literatur angeprangert wird. Zur Zeit des den Begriff prägenden Schmutz- und Schundgesetzes der Weimarer Republik von 1926 ging es vor allem gegen Romane oder Druckwerke mit deutlich sinnlichem Inhalt. Die Definition von „Schund“ hat sich seitdem verändert, der Begriff hält sich aber weiterhin.

Die Schülerinnen, Schüler und Jungen Pioniere der 18. Grundschule in Berlin-Pankow (Buchholz) werfen am Abend des Internationalen Kindertages 1955 „Schmutz- und Schundliteratur“ auf den Scheiterhaufen. Sie gaben damit den Auftakt für eine Welle von Elternversammlungen, in denen ein Verbot der Schund- und Schmutzliteratur für das Gebiet der DDR und Groß-Berlin durch ein Gesetz gefordert wurde.

Ehemals zum Schund gerechnete Romane werden manchmal erst nach Jahrzehnten rehabilitiert, wie es zum Beispiel bei den wegen Obszönität indizierten Werken des englischen Autors D. H. Lawrence der Fall war. In der DDR wurde der Begriff ideologisch für die Auseinandersetzung der Gesellschaftssysteme genutzt und mit folgender Lesart definiert (Lexikon A-Z in zwei Bänden, Leipzig 1958): Schundliteratur: Literatur, die nach Form und Inhalt wertlos (z. B. verlogen-sentimentale Liebesromane) und, besonders für Jugendliche, moralisch gefährlich ist (z. B. Gangstergeschichten). Die S. wird in den Ländern des Friedenslagers energisch bekämpft und vor allem durch eine wertvolle Jugendliteratur ausgeschaltet, während sie in den kapitalistischen Ländern teilweise in den Dienst der Aufrüstung gestellt wird." In den Schulen der DDR wurden jährlich durch die Klassenleiter Belehrungen über das Verbot von sogenannter "Schmutz- und Schundliteratur" durchgeführt.

Heute werden umgangssprachlich Bücher von literarisch minderer Qualität (oder solche, die dafür gehalten werden), als „Schund“ bezeichnet, meist Comics oder Romane, die dem Bereich der Trivialliteratur zugerechnet werden. Für vergleichbare Produkte im Film- und Musiksektor hat sich dagegen der Anglizismus Trash eingebürgert.

Was im deutschen Trash genannt wird, würde im Englischen korrekt als Pulp übersetzt. Pulp Fiction heißt somit Schundliteratur.

Kritiker der Schundliteratur werfen ihr vor, die kindliche Phantasie zu missbrauchen und sie wie eine Krankheit zu schädigen. Sie sei wertlos und das Produkt skrupelloser Geschäftemacherei, ihre Sprache unterstes Niveau, die Charaktere schablonenhaft, amoralisch und ohne Vorbildfunktion. Die Oberflächlichkeit der Erzählung lasse die Entwicklung der Empathie verkümmern und verstelle den Zugang zu guter, wertvoller Literatur. Die Überfütterung mit Sensationen bewirke ein ständiges Verlangen nach noch mehr Reizen und verführe zu krimineller Aktivität. Dementsprechend werden Maßnahmen gegen Schundliteratur als Kinder- und Jugendschutz begründet. Insbesondere wird die Vermittlung von klaren Werten gefordert.

Trotz aller Kritik bietet als Schund gebrandmarkte Literatur dem Leser eine eskapistische Alternative. Mit dem A-cappella-Chorwerk „Schundromane lesen“ bekam dieses Genre durch Paul Hindemith zur Zeit des Nationalsozialismus eine ungewöhnliche und anstößige musikalische Ehrung:
Das ist das Schönste: auf der Treppe hocken! Und mit Nat Pinkerton durch London zieh’n ...

Scholastiker wie auch Kyniker in den Literaturwissenschaften zählen meist durch die allgemeine Öffentlichkeit gefeierte Werke zeitgenössischer Autoren wie Paulo Coelho, Dan Brown oder auch Charlotte Roche zur Schundliteratur. Diesbezüglich entflammte im Herbst 2008 eine Debatte im Feuilleton-Teil der FAZ, angetrieben vom Potsdamer Literaturwissenschaftler Heribert Kapp. Der am 24. Oktober 2008 erschienene Artikel "Schundliteratur und Belletristik" war der Anfang der Debatte; eine Gegenargumentation des Frankfurter Autors Tassilo Wolny, der für eine allgemeine, nicht einschränkende Definition von Literatur steht, erschien am 29. Oktober 2008. Die Debatte wurde von internationalen Intellektuellen unter anderem auch durch einen Artikel im renommierten Journal of Interdisciplinary Studies in Literature wahrgenommen.

Nackt kam die Fremde und Atlanta Nights sind zwei von zwei Autorenkollektiven, die zeigen wollten, dass sich auch der größte Schund verkauft, beziehungsweise verlegt wird, geschriebene Schundromane. Die Autorenkollektive schrieben absichtlich Romane ohne jegliche literarische Qualitäten.

I, Libertine ist ebenfalls ein absichtlich schlecht geschriebener Schundroman, der gestartet wurde, um die Erstellung von Bestsellerlisten zu kritisieren.

Literatur

  • Rosmarie Ernst: Lesesucht, Schund und gute Schriften: Pädagogische Konzepte und Aktivitäten der Jugendschriftenkommission des Schweizerischen Lehrervereins (1859-1919). Chronos, Zürich 1991, ISBN 978-3-905278-80-4
  • Werner Glogauer: Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen. Nomos, Baden-Baden 1990, ISBN 978-3-7890-2489-4 (4. Auflage 1994 ISBN 978-3-7890-3391-9)
  • Mike McGrady: Stranger Than Naked or How to Write Dirty Books for Fun. 1970.
  • Julius Mende: Die sexuelle Welle. Zwischen Sinnlichkeit und Vermarktung. Bilder und Texte, Promedia, Wien 2007, ISBN 978-3-8537-1266-5
  • Ernst Schultze: Die Schundliteratur. Ihr Vordringen, ihre Folgen, ihre Bekämpfung; Verlag des Waisenhauses, Halle, 1909
  • Tanja Vorderstemann: Der Kampf gegen Schmutz und Schund - Heftserien: Nick Carter, Nat Pinkerton, Lord Lister - Positiver Schundkampf Wolgast und die Position der Jugendschriftenbewegung. Grin, München 2007, ISBN 978-3638653763
  • Frederic Wertham: Seduction of the Innocent; New York/Toronto: Rinehart & Company, 1954

Siehe auch