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Verstädterung in Entwicklungsländern

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Datei:Brasilia (Brasilien) aus dem Weltall - ISS005-E-9532.jpg
Brasilia aus dem Weltall

In den Entwicklungsländern hat der Verstädterungsprozess wesentlich später eingesetzt als in der westlichen Welt, in der dritten Welt nimmt er jedoch bedrohliche Ausmaße an. Zwischen 1965 und 1990 nahm die städtische Bevölkerung in den Entwicklungsländern um 177%, von 657Mio auf 1,8Mrd zu. Im gleichen Zeitraum stieg die städtische Bevölkerung in den Industrienationen um knapp 38%. Prognosen der UNO zufolge wird sich das Wachstum der Städte in den Entwicklungsländern in den nächsten Jahren sogar noch weiter beschleunigen.
Jedoch zeigt der Verstädterungsgrad in den Entwicklungsländern starke regionale Unterschiede. Während Lateinamerika mit einem Verstädterungsgrad von 65% Europa und Nordamerika bereits eingeholt hat und mit Venezuela, Uruguay, Argentinien und Chile mehrere der am höchsten verstädterten Länder der Erde beherbergt, sind die asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländer überwiegend noch ländlich geprägt, dies betrifft besonders die west- und ostafrikanischen Länder wie Ruanda, Burundi und Uganda. Dennoch ist das städtische Wachstum Asiens nicht zu unterschätzen, China, Indien, Indonesien, Bangladesch und Pakistan stellen, obgleich sie sich erst am Anfang der Urbanisierungsperiode befinden, mit 970Mio. Stadtbewohnern bereits rund 40% der urbanen Weltbevölkerung. Geht man von einem gleich bleibendem Zuwachs aus, wird sich ihre Zahl in wenigen Jahren auf 2Mrd. erhöhen, das entspricht der doppelten Bevölkerung von Nordamerika, Europa und den GUS zusammen.
Noch krasser als das Wachstum der Städte an sich, ist das Wachstum der Metropolen. Über 20% der Bevölkerung dieser Länder, über 50% ihrer städtischen Bevölkerung und mehr als 400% der Einwohner der nächstgrößeren Stadt, konzentriert sich auf die Haupt- und Millionenstädte. Während die Bevölkerung der Entwicklungsländer seit 1940 um rund 220% wuchs, stieg die der Städte um über 500% und die der Millionenstädte sogar um 1500%. Das zeigt, dass die eigentliche Bevölkerungsexplosion der Entwicklungsländer hauptsächlich in den Metropolen stattfindet. Deshalb spricht man in der Dritten Welt auch oft von Metropolisierung anstatt von Verstädterung. Infolge des extremen Wachstums ist keine geordnete Stadtplanung mehr möglich. Auch können nicht ausreichend Arbeitsplätze, Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen oder andere Einrichtungen bereitgestellt werden.
Die Metropolisierung hat im Wesentlichen, neben den zahlreichen ökologischen Problemen, wie der Verseuchung der Grundwasservorkommen oder der enormen Luftbelastung durch die Verkehrssituation, zwei Folgen. Zum einen die, durch den überproportionalen Wachstum der Städte hervorgerufene, noch stärkere Zentrierung der politischen, gesellschaftlichen und Wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Metropolen und damit die Verstärkung der regionalen Disparitäten innerhalb der Länder. Die Metropole wird zunehmend zur Primatstadt, wobei die primacy rate ständig zunimmt. Zum anderen eine Ausbreitung der Marginalsiedlungen, welche dazu führt, dass große Bevölkerungsgruppen kaum an wichtigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen und am Wachstum der Wirtschaft teilhaben. Daraus entstehen fast zwangsläufig soziale Spannungen, welche die politische Stabilität der Entwicklungsländer stark gefährden.

Ursachen von Verstädterung/Metropolisierung

Der wichtigste Grund für das Wachstum der Städte ist die Landflucht. Diese auch rural-urbane Mobilität genannte Bevölkerungsbewegung vom Land in die Hauptstädte wirkt sich stark auf Struktur und Funktion der städtischen und ländlichen Räume aus. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine alle Bevölkerungsschichten umfassende Wanderung, sondern vielmehr um eine selektive Migration.
Nach erreichen der Unabhängigkeit strebten die Regierungen der Entwicklungsländer eine schnelle, intensive Industrialisierung an, um die Entwicklung der Industrienationen einzuholen. Wegen der schlechten Infrastruktur konzentrierten sich die Industriestandorte dabei vornehmlich auf die Städte. So kam es jedoch nicht zu Strukturveränderungen und Modernisierungen in den übrigen Regionen, weshalb sich die sozio-ökonomischen Disparitäten innerhalb der Länder eher vergrößert haben. Dies zeigt, dass Industrialisierung, räumliche Mobilität der Bevölkerung und das rasche Städtewachstum eng miteinander verknüpft und typisch für die Entwicklung von Entwicklungsländern sind.
Knapp die Hälfte des Städtewachstums geht dabei auf Migranten vom Land zurück. Je nach Region können diese Zahlen jedoch stark variieren, so kommt es in China und den Ländern des mittleren Ostens vor allem durch natürliches Wachstum zur Vergrößerung der Städte, während in den Lateinamerika dieses zu über 50% von den Zuwanderern geleistet wird. Dabei überlagern sich mehrere Wanderungsströme, wobei die stärksten stets auf die Hauptstädte oder küstennahe Ballungszentren gerichtet sind.
Zwar sind die Gründe für die rural-urbanen Wanderung sehr vielfältig und unterschiedlich, dennoch lassen sich oft einheitliche Pull- und Push-Faktoren nennen. So erhoffen sich die Migranten in den Städten vor allem bessere Arbeits-, Verdienst- und Bildungsmöglichkeiten, ein besser ausgeprägtes Sozial- und Gesundheitswesen, Chancen für den sozialen Aufstieg, eine größere persönliche Freiheit, größere Teilnahme an Dienstleistungen und Gütern des Staates, einen abwechslungsreicheren Lebensalltag und andere Annehmlichkeiten des städtischen Lebens. Diese Hoffnungen werden vor allem durch Massenkommunikationsmittel, wie dem Rundfunk, durch positive Darstellungen von ehemaligen Dorfbewohnern, welche aus dem städtischen Milieu zurückkehren, durch Erfahrungen vom Saisonarbeitern in der Stadt und durch den „schlechter kann es nicht mehr werden“-Gedanken geschürt. Besonders die jüngeren, aktiveren Bevölkerungsteile zeigen eine hohe Abwanderungsbereitschaft, was durch die inzwischen verbesserte Verkehrsanbindung der ländlichen Regionen auch erleichtert wird. Wesentliche Push-Faktoren der agraren Regionen bestehen in dem hohen Bevölkerungsdruck durch das hohe natürliche Bevölkerungswachstum, die Grenzen der landwirtschaftlichen Nutzung, die geringen Besitzgrößen die nicht mehr ausreichen um ihre Besitzer zu ernähren, die Unterdrückung und Ausbeutung durch Großgrundbesitzer und Zwischenhändler, die hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, erstarrte Sozialstrukturen, fehlende Innovationsbereitschaft, zusammen mit den geringen Alternativen bei der Berufswahl und die mangelhafte Versorgung mit Dienstleistungen.
In der Regel können die Städte die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Die Industrie kann die Masse der zugewandeten Arbeiter nicht aufnehmen, weshalb der Tertiäre Sektor in diesen Städten oft überdimensional ausgeprägt ist, dabei handelt es sich aber vielmehr um Straßenverkauf, Kofferträger, Schuhputzer, etc. Entsprechend hoch ist der Grad der Unterbeschäftigung, also verlagert sich die Arbeitslosigkeit lediglich von der Landwirtschaft in die städtischen sekundären und tertiären Sektoren, die Armut vom Land in die Stadt.
Gleichzeitig kommt es durch die Abwanderung besonders der jungen und dynamischen Bevölkerung zu einer Schwächung der Investitionskraft in Abwanderungsgebieten (back-wash effect). Die selektive Migration führt hier zu einer Überalterung der ländlichen Bevölkerung. Die zurückbleibenden älteren, weiblichen und kindlichen Bevölkerungsschichten eignen sich nicht für eine Durchführung von Entwicklungsprojekten in diesem Raum, was die räumlichen Disparitäten weiter verschärft.

Marginalsiedlungen

Das Ergebnis der Wanderung vom Land in die Stadt ist das Heranwachsen von Elendsvierteln zu künftigen Katastrophengebieten. In einigen Fällen übersteigt die Zahl der Slumbewohner bereits die der restlichen Stadtbevölkerung. Dabei lassen sich die Slums in den Entwicklungsländern nur bedingt mit denen der Industrieländer vergleichen, denn Slums, die in den USA als diskriminierend und unzureichend empfunden werden, würden in den Entwicklungsländern noch als voll ausreichend eingeschätzt werden. Aber auch zwischen den Slums der Entwicklungsländer bestehen starke Unterschiede, so dass eine umfassende Definition dieses Begriffs kaum möglich erscheint, dennoch gibt es auch hier einige charakteristische, gemeinsame Merkmale. Dazu gehören die mangelhafte Bausubstanz, die hohe Wohndichte, die schlechte Wohninfrastruktur und öffentliche Infrastruktur, sowie ein geringes Einkommen oder Arbeitslosigkeit bei den Bewohnern.
In den Entwicklungsländern muss zwischen zwei Arten von Elendsgebieten unterschieden werden, zum einen die innerstädtischen Slums und die randstädtischen „squatter settlements“ (Marginalsiedlungen). Aufgrund ihres enormen Einflusses auf die Siedlungsausprägung in den Städten wurden ihnen vielerorts eigene, regional gebundene Namen gegeben. In Indien spricht man so von „bazaars“, im Mittleren Osten von „compounds“, in Peru von „gurios“ als Bezeichnung für Slums. „Squatter settlements“ werden in Peru „barriadas“, in den ehem. franz. Kolonien „bidonvilles“, in Indien „bustees“, in Mexikocolonias proletarias“ und in Brasilienfavelas“ genannt.
Die Bildung dieser Elendsviertel verläuft in der Regel immer gleich: Ehemalige Wohngebiete von Mittel- und Oberschicht, die wegen der sich verschlechternden Lebensbedingungen in die Peripherie abgewandert sind, im Stadtkern sind die erste Anlaufstation für Zuwanderer, die hier die Nähe zu den Arbeitsplätzen und Versorgungseinrichtungen nutzen. Unterkünfte werden hier oft zimmer- oder bettenweise vermietet und sind meist veraltet und nicht mit ausreichenden sanitären Einrichtungen ausgestattet. Sobald ein Bewohner eine Arbeitsstelle gefunden und etwas Kapital gesammelt hat, versucht er also diesen miserablen Verhältnissen zu entkommen und am Stadtrand ein eigenes Haus zu bauen. Dies findet oft illegal, d.h. ohne Baugenehmigung, auf öffentlichen oder ungenutzten privaten Flächen statt. Der Baubeginn findet oft gut geplant und vorbereitet über Nacht statt, um die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen, es gibt jedoch auch durchaus legale Hüttenviertel, auf denen der Bau vom Staat genehmigt oder sogar organisiert wird.
Das menschliche Elend dieser provisorischen Siedlungen aus Matten, Pappkartons oder ähnlichem ist allgemein bekannt, jedoch tragen diese auch zum Wirtschaftsleben der jeweiligen Stadt und zur Integration der Zuwanderer bei. Nicht selten werden 60 bis 80% des Bruttosozialproduktes eines Landes allein in den Städten erwirtschaftet. Sie entlasten oft die Finanzsituation der Behörden, indem es sich auch hier um einen Beitrag zur Neulanderschließung und Wohnungsversorgung handelt. Oft wird innerhalb dieser Gebiete eine eigene Infrastruktur aufgebaut, die durch kommunale Institutionen und Vereinigungen hilft die Zugewanderten an das Leben in der Großstadt anzupassen. Auch helfen sie durch Selbsthilfeeinrichtungen, Handwerksbetriebe, Geschäften und anderen kleineren Unternehmen bei der Minderung der Arbeitslosigkeit.

Slumsanierungen

Schon früh wurden Versuche zur Sanierung der Slums unternommen. Dafür gibt es drei Arten. Im Rahmen von „Low-cost-housing-Programme“ sollen mehrgeschossige Wohnblocks mit primitiven Wohnungen errichtet werden, welche zu Spottpreisen gemietet oder erworben werden können. Unter „Site-and-service-Programmen“ versteht man die Zurverfügungstellung von Neusiedlungsflächen, Infrastruktur- und Dienstleistungseinrichtungen am Stadtrand. Die Grundstücke werden an Familien verkauft, vermietet oder verpachtet, die die Wohnungen erbauen. Die Verbesserung der Bausubstanz und Infrastruktur in den illegalen und halblegalen Siedlungen wird in „Upgrading-Programmen“ angestrebt und durch eine Kombination aus Staats- und Selbsthilfe realisiert. Die Sanierungen sind jedoch nur durch die enorme Dynamik dieser Siedlungen möglich. Deshalb ist der Ausdruck Slums oder Elendsviertel nicht gerechtfertig, da er oft Hoffnungslosigkeit und Stagnation suggeriert.
Durch die Sanierung ist das Problem der Landflucht und somit des Wachstums der Elendssiedlungen nicht gelöst, deshalb legt man heute mehr Wert auf die Entwicklung der ländlichen Regionen, um die Abwanderung dort zu bremsen. Die geschieht unter anderem durch Agrarreformen oder durch eine dezentralisierte Förderung der Industrie. In einigen Ländern zieht die Entwicklungsplanung deshalb auch auf kleinere und mittlere Orte, um dort durch die Förderung von Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt einen Abbau der regionalen Disparitäten zu erreichen. Gute Erfolgsaussichten bestehen hier besonders dann, wenn die gewählten Orte bereits eine gewisse dynamische Entwicklungsphase erreicht haben oder in potentiell entwicklungsfähigen Räumen liegen.