Eingriffsregelung in Deutschland

Instrument im deutschen Recht zur Durchsetzung des Naturschutzes
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Die Eingriff-Ausgleich-Regelung (E/A-Regelung) ist ein wichtiger, zwingend vorgeschriebener Prozess in der Bebauungsplanung, teilweise auch in der Flächennutzungsplanung, und bei Einzelvorhaben. Sie dient dazu, negative Auswirkungen von Bauvorhaben etc. (Eingriffe) auf den Naturhaushalt zu vermeiden, zu minimieren und nicht vermeidbare, negative Auswirkungen zu kompensieren. Die rechtsverbindliche Vorbereitung eines Eingriffs gilt als Eingriff. Die Anwendung der E/A-Regelung ist Aufgabe der Landschaftsplanung. Die wichtigste Rechtsgrundlage ist § 19 Bundesnaturschutzgesetz und § 1a Baugesetzbuch.

Zusammenfassung

Definition Eingriff

Der Begriff des Eingriffes wird im § 18 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) definiert. Danach ist jede Änderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen ein Eingriff, wenn sie die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigt.

Im EG-Vertrag wurde das Verursacherprinzip festgeschrieben, nachdem jeder Verursacher auch für die Umweltschäden seines Eingriffes haften muss.

Verursacher von umweltbeeinträchtigenden Eingriffen werden in § 19 BNatSchG verpflichtet, das Eingriffsvorhaben so zu planen und durchzuführen, dass Beeinträchtigungen vermieden werden. Wenn das nicht möglich ist, müssen unvermeidbare Beeinträchtigungen, zunächst vermindert werden, verbleibende Beeinträchtigungen müssen kompensiert werden. In Ausnahmefällen, in denen ein Ausgleich nicht möglich ist, muss ein Ersatz geleistet werden.

Grundsätzlich dürfen sich der Zustand von Natur und Landschaft nicht weiter verschlechtern, nicht vermeidbare Folgen von Eingriffen müssen also vollständig ausgeglichen werden.

Vermeidungs- und Minimierungsgebot, Untersagung

Man unterscheidet zwischen

  • "vermeidbaren" negativen Auswirkungen (Beeinträchtigungen) und
  • "unvermeidbaren" Auswirkungen.

Vermeidbare Beeinträchtigungen müssen vermieden werden. Unvermeidbare Beeinträchtigungen müssen soweit als möglich minimiert werden. Bleiben Beeinträchtigungen übrig, müssen sie kompensiert werden, Ausnahmen sind bei fachlich fundierter Landschaftsplanung dabei nicht nötig.

Dabei geht es nicht darum, ob der Eingriff an sich vermeidbar wäre. Dies ist nur in Gebieten nach der FFH-Richtlinie der Fall. Bei allen anderen Gebieten, auch in Naturschutzgebieten, stellt das Umfeld der E/A-Regelung andere Instrumente bereit (z.B. §200a BauGB). Eine Untersagung durch die Landschaftsplanung des Eingriffs ist nur auf Umwegen (Rechtsmängel, Rechtsbruch) und daher nur implizit möglich (neues Naturschutzgesetz). In der Praxis werden solche Hindernisse meistens im Planungsprozess ausgeräumt (die Planung wird modifiziert). Im Zweifelsfall ist eine Normenkontrolle oder Verbandsklage möglich, dies ist jedoch nicht Inhalt Landschaftsplanung.

Kompensation der Beeinträchtigungen

Die Kompensation der Beeinträchtigungen lässt sich erreichen:

  • durch Ausgleich (Kompensation im räumlich und funktionalem Zusammenhang): Die beeinträchtigte Funktion des Naturhaushaltes wird am selben Ort zeitnah durch eine andere Maßnahme verbessert. Beispiel: Durch die Versiegelung eines Straßenneubaus wird die Grundwasserspende verringert. In unmittelbarer Nähe wird eine alte Straße auf der selben Fläche abgebaut ("Rückbau"). Die selbe Menge Regenwasser kann versickern, die Beeinträchtigung der Funktion ist ausgeglichen.
  • durch Ersatz (Kompensation im räumlichen oder funktionalem Zusammenhang, nur in schwierigen Fällen weder im räumlichen, noch im funktionalem Zusammenhang(fachlich abzulehnen)): beeinträchtigte Funktionen werden an anderer Stelle (weit entfernt) verbessert oder eine andere Funktion wird in der Nähe verbessert: Statt des Rückbaus werden Bäume gepflanzt oder der Rückbau findet woanders statt. Schlimmstenfalls findet eine Baumpflanzung an anderer Stelle statt.

Verfahren der Eingriff-Ausgleich-Regelung

Die Anwendung der Eingriff-Ausgleich-Regelung in der Bauleitplanung erfolgt in einer Abfolge einzelner sachlich abgegrenzter, aufeinander aufbauender Arbeitsschritte, die sich aus den Fragestellungen und dem Prüfauftrag der Eingriffsregelung ergeben.

Entscheidungsbaum der Eingriffsregelung

A: Maßnahme: Liegt ein Eigriff nach § 19 BNatSchG vor?

  • Nein = E/A ist nicht notwendig
  • Ja: Beeinträchtigung vermeibar?
    • Ja: Beeinträchtigung unterlassen.
    • Nein: Beeinträchtigung minimierbar?
      • Ja: Beeinträchtigung minimieren.
      • Nein, bzw, minimierte Beeinträchtigung bleibt zurück: Kompensation möglich?
        • Ja: Weiter bei B.
        • Nein: weiter bei C.

B:

  • Beeinträchtigung räumlich-funktional auszugleichen?
    • Ja: Beeinträchtigung räumlich-funktional ausgleichen.
    • Nein: Widerspricht ein entkoppelter (räumlich-funktional) Ersatz den örtlichen Zielen?
      • Nein: Die Beeinträchtigung ist entkoppelt an anderen Orten zu Ersetzen
      • Ja: Der Eingriff ist zu unterlassen.

C:

  • Widerspricht eine Beeinträchtigung den örtlichen Zielen?
    • Ja: Der Eingriff ist zu unterlassen
    • Nein: Geht Natur und Landschaft im Rang vor?
      • Ja: Der Eingriff ist zu unterlassen.
      • Nein: Der Eingriff wird durchgeführt.


Ablauf

  • Schritt 1: Festlegung des vom geplanten Eingriff voraussichtlich betroffenen Raumes.
    Welcher Raum wird von den geplanten Bauvorhaben voraussichtlich betroffen?
  • Schritt 2: Erfassung und Bewertung von Natur und Landschaft im vom Eingriff betroffenen Raum.
    Welche Bedeutung hat die Ausprägung von Natur und Landschaft dieses Raumes für den Naturschutz und die Landschaftspflege?
  • Schritt 3: Ermittlung und Bewertung von Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes durch den geplanten Eingriff.
    Können Natur und Landschaft durch die geplanten Bauvorhaben beeinträchtigt werden?
  • Schritt 4:Vermeidung von Beeinträchtigungen.
    Können diese Beeintächtigungen vermieden werden und welche Vorkehrungen zur Vermeidung sind erforderlich?
  • 'Schritt 5: Minimierung der Beeinträchtigungen: Wie sind unvermeidbare Beeinträchtigungen zu minimieren?
  • Schritt 6: Ermittlung der Ausgleichbarkeit erheblicher Beeinträchtigungen und Festlegung von Ausgleichsmaßnahmen.
    Können die unvermeidbaren erheblichen Beeinträchtigungen ausgeglichen werden und welche Ausgleichsmaßnahmen sind erforderlich?
  • Schritt 7: Festlegung von Ersatzmaßnahmen.
    Welche Ersatzmaßnahmen sind für die nicht ausgleichbaren Beeinträchtigungen erforderlich?
  • Schritt 8: Gegenüberstellung von Beeintächtigungen und Vorkehrungen zur Vermeidung, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.
    Werden die Eingriffsfolgen den Verpflichtungen der Eingriffsfolgen gemäß bewältigt?

Vorschriften zur Anwendung der Eingriff-Ausgleich-Regelung

Bebauungsplan

Seit Inkraftreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes 1993 ist die Anwendung der E/A-Regelung auf die Ebene des Bebauungsplans (B-Plan)vorgezogen. D. h., dass bei Aufstellung und Änderung des B-Planes die E/A-Regelung anzuwenden ist. Die notwendigen Kompensationsmaßnahmen werden verbindlich festgesetzt und sollten spätestens bei Verwirklichung der Planung, oder in einem Zeitraum nach Maßgabe der Landschaftsplanung, vom Vorhabenträger (der Kommune) umgesetzt werden. Dazu gehören Festsetzungen nach §§ 5 (10) und 9 (1), soweit sie als Kompensationsmaßnahmen im Sinne der Landschaftsplanung gelten.

Dadurch wird die plangemäße Bebauung Innerhalb des Geltungsbereiches eines Bebauungsplanes von der E/A-Regelung entlastet. Die Kosten für die Kompensationsmaßnahmen werden in der Regel auf die Investoren abgewälzt (§ 135a Baugesetzbuch).

Ob Kompensationsmaßnahmen als Darstellung in den Bebauungsplan übernommen werden oder über einen städtebaulichen Vertrag gem. § 11 BauGB durchgeführt werden, hängt von den übergeordneten, verbindlichen örtlichen Zielen ab. Dies Ziele sind im Flächennutzungsplan oder, sofern der Landschaftsplan alleine Rechtsverbindlichkeit besitzt (Ländersache), aufgeführt. Kann eine Kompensation nicht erfolgen (letztlich eine politische Entscheidung), und widerspricht dies nicht den Zielen übergeordneter Planung, wird im Rahmen des § 1 BauGB abgewogen, welche Belange im Rang vorgehen.

Abwägungsgebot in der Bauleitplanung

Vorraussetzung einer gerechten Abwägung der öffentlichen Belange untereinander ist die Bestandsanalyse nach anerkannten fachlichen Grundsätzen (Stand der Technik). Werden einzelne Schutzgüter oder Belange ohne plausible Erklärung nicht untersucht oder gar nicht erwähnt, kann dies zu einem schweren Abwägungsmangel führen. Ein Mangel liegt auch vor, wenn die von der Landschaftsplanung vorgeschlagenen Kompensationsmaßnahmen ohne ernsthafte Prüfung der Realisierbarkeit als nicht realisierbar zurückgewiesen werden.

Die Abwägung der öffentlichen Belange hat außerdem gegen private Belange zu Erfolgen. Die Anwendung der E/A-Regelung unterliegt nicht der Abwägung.

Vorhaben im Innen- und Außenbereich

Im bebauten Innenbereich (Flächen innerhalb von Siedlungen, die im Flächennutzungsplan als Bauflächen gekennzeichnet sind) ohne gültigen Bebauungsplan (§ 34 BauGB) wird die E/A-Regelung nicht angewendet; nach § 34 haben die Bauvorhaben dem Gebietscharakter zu entsprechen, die Versiegelung darf nicht steigen, und andere Rechtsvorschriften wie z.B. Gehölzschutzsatzungen dürfen nicht berührt werden. Ob dies der Fall ist, entscheidet die Baubehörde im Einvernehmen mit der Umweltbehörde.

Im Außenbereich nach § 35 BauGB (außerhalb geschlossener Ortschaften) gelten für Bauvorhaben vor Anwendung der E/A-Regelung verschärfte Bedingungen. Nur gewisse Nutzungen haben einen Rechtsanspruch auf Prüfung der Zulässigkeit von Bauvorhaben, z.B. Fernmeldewesen, Landwirtschaft, Forschung etc.; sofern sie den Darstellungen im Flächennutzungsplan, übergeordneten Planwerken und anderen öffentlichen Belangen, z.B. den Festsetzungen eines (Natur-, Landschafts-) Schutzgebietes, nicht widersprechen. Die E/A-Regelung ist hier immer anzuwenden.

Kompensation

Paragraf 200a des Baugesetzbuch definiert die Vorraussetzungen für eine zeitliche, räumliche und funktionale Entkopplung von Kompensationen. Die zeitliche und räumliche Entkopplung ermöglicht die Einführung von "Ökokonten". Sie dienen vorwiegend dazu, Kompensationsmaßnahmen vorhalten zu können, um schneller auf Investitionswünsche zu reagiern. Das Ökokonto sollte nicht dazu dienen, Kompensationen von vornherein räumlich-funktional entkoppelt durchzuführen.

Eine Entkopplung ist nur zulässig, solange sie den (örtlichen) verbindlichen Zielen der Landschaftsplanung, im Landschaftsplan festgelegt, oder den Festsetzungen und Zielen (auch textlich formulierte Ziele) der übergeordneten Planung nicht widerspricht. Dies ist vor allem in Gebieten städtischer Überwärmung, hinsichtlich des Grundwasserschutzes und auch hinsichtlich der Freiraumversorgung zu beachten.

Zur Festlegung der Kompensationsmaßnahmen werden unterschiedliche Verfahren angewendet. Eines davon ist das (umstrittene) Biotopwertverfahren.


Abweichende Vorschriften

Je nach Land und Art der Vorhaben können aber auch weitergehende Vorschriften gelten (Ländergesetzgebung). Weitere bundesweite Abweichungen sind:

  • raumbedeutsame Planungen (Bergbau, Windenergie, etc., Fernstraßen unterliegen dem UVP-Gesetz)
  • Gebiete, die die Kriterien der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie entsprechen, unabhängig davon, ob sie förmlich gemeldet sind oder nicht: Hier ist sind weiträumig Alternativen zu prüfen. Das Abwägungsgebot ist eingeschränkt, FFH-Gebiete gehen im Rang vor (EU-Recht bricht Bundesrecht!).
  • besonders geschützte Biotope nach § 30 BNatSchG oder der Landesgesetze, unabhängig von ihrem Meldestatus, gehen im Rang vor (Bundesrecht bricht Satzung!).

Fazit

Durch die Überlagerung der bundesrechtlichen mit der europäischen Philosophie zum Schutze der Natur sowie der vielen einzelgesetzlichen Regelungen, die durch das Fehlen eines einheitlichen Umweltgesetzbuches bestehen, stellt sich die Eingriffs-Ausgleichs-Regelung sehr zersplittert und unübersichtlich dar.

Untersuchungen zeigen aber deutlich, dass selbst Fachbehörden die Eingriffsregelung zum einen nicht verstanden oder nicht vollzogen haben. Eine Überprüfung von Teilaspekten der Eingriffsregelung auf ihren Vollzug hin ergab als Ergebnis: "10 Jahre nach Einführung der Eingriffsregelung in Niedersachsen gibt es einen erschreckenden Mangel in der gesetzeskonformen Handhabung der Eingriffsregelung sowohl bei den Eingriffsverursachern (und ihren Planungsbüros) und Entscheidungsbehörden, als auch innerhalb der Naturschutzverwaltung" (Hoffmann und Hoffmann, 1990, cit. in: Breuer, 1993)

Literatur

  • Breuer, W.: Erfolgskontrolle für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen, 13. Jg., Nr. 5, S. 181-186, Hannover 1993b