Kernenergie

durch Kernfusion oder Kernspaltung erzeugte Energie
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Kernenergie oder Atomenergie bezeichnet die Anwendung von Kernreaktionen sowohl im zivilen Bereich (meist Stromerzeugung) als auch bei Kernwaffen. Es wird die durch Spaltung des Atomkerns oder die Verschmelzung (Fusion) von Atomkernen frei werdende Energie genutzt. Bei der Stromerzeugung wir die Kernspaltung im Kernkraftwerk betrieben. Es werden aber auch Forschungen auf dem Gebiet der Kernfusion zur Entwicklung von Kernfusionsreaktoren durchgeführt.


Einleitung

Im Fall der Kernspaltung (Kernfission) wird Energie aus der Spaltung großer Atomkerne freigesetzt. Der entgegengesetzte Fall, nämlich die Verschmelzung von Atomkernen, die sogenannte Kernfusion, kann ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen Energie freisetzen. Der Begriff Kernenergie wird für beide Formen der Energiefreisetzung benutzt. Beim Spalten großer Atomkerne oder Verschmelzen kleiner Atomkerne wird Masse in Energie umgewandelt. Auch wenn der Massenverlust dabei relativ gering ist, wird dennoch, entsprechend der Einsteinschen Formel   vergleichsweise viel Energie freigesetzt.

Man versteht unter Kernkraft bzw. Atomkraft die zivile Anwendung von Kernreaktionen zur Stromerzeugung, während Kernenergie sowohl die zivile Anwendung als auch Kernwaffen bezeichnet.

Kraftwerke zur Energieerzeugung durch Kernspaltung wurden zuerst von den Betreibern als Atomkraftwerke, abgekürzt AKW, bezeichnet. Der Begriff Kernkraft (oder Kernenergie) selber wurde in den 60er Jahren von Kernkraftwerksbetreibern eingeführt, die argumentierten, dass die Spaltung des Kerns den wesentlichen energieliefernden Prozess darstellt. Da der Begriff Atomkraftwerk aber Assoziationen mit Atombombe birgt und in der Öffentlichkeit auf die Gefahren der Atomkraft erst Ende der 60er hingewiesen wurde, wird vermutet, dass die Kernkraftwerksbetreiber den Begriff Kernenergie als eine werbewirksame Bezeichnung benutzten, und auch heute verwenden. Der Begriff Atomkraft wird von den Betreibern gemieden.

In der Wissenschaft wird meistens der Begriff Kernenergie verwandt, das deutsche Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit verwendet auf den Seiten seines Internetportals meist den Begriff Atomkraft (Stand 2005).

Anwendungsmöglichkeiten

 
Länder die Kernkraftwerke in Betrieb haben

Die wichtigste Anwendung der Kernenergie ist die Stromerzeugung in Kernkraftwerken, abgekürzt KKW. Es waren im Jahr 2004 439 AKW in 31 verschiedenen Ländern in Betrieb. Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Energieerzeugung betrug 1998 6,5% (UNDP). Der Atomstromanteil an der weltweiten Stromerzeugung betrug im Jahr 2002 16% (IAEA). Den höchsten Anteil an Atomstrom haben Litauen mit 80% (IAEA 2003) und Frankreich mit fast 78% (IAEA 2003). In der Schweiz waren 5 AKW in Betrieb und in Österreich ist weder ein AKW in Betrieb noch in Bau (stand 2004).

Daneben wird sie auch noch in Forschungsreaktoren zur Erzeugung künstlicher radioaktiver Isotope genutzt. Die radioaktiven Isotope werden in der Medizin bei bestimmten Krebserkrankungen genutzt. Auch in der Technik z.B. Messtechnik werden radioaktive Isotope eingesetzt.

Eine weitere Anwendung ist der Kernenergieantrieb von Schiffen, Fahrzeugen und Fluggeräten. Die Entwicklung der letzten beiden Anwendungen sind über Konzepte und Prototypen nicht herausgekommen.

Auch für Atombomben wurden zahlreiche nichtmilitärische Anwendungen im Rahmen des "Projekts Plowshare" untersucht, dann aber wegen der radioaktiven Verseuchung wieder verworfen. Die Sowjetunion hatte weniger Bedenken, und legte mit Hilfe von Atombomben Wasserspeicher an und nutzte unterirdische Atombombenexplosionen, um brennende Ölquellen zu löschen und um die Förderleistung von Erdgasfeldern zu steigern.

Eine weitere denkbare nichtmilitärische Anwendung von Atombomben ist die Abwehr großer Meteoriten, die auf die Erde zu stürzen drohen und die Bahnmanipulation kleinerer Asteroiden.

Anwendung in Deutschland

In Deutschland sind 17 AKW in Betrieb (Stand 2005). In den letzten Jahren wurden bereits zwei AKW (Stade und Obrigheim) vom Netz genommen. Die nächsten Stilllegungen sollen nach dem Plan zum Atomausstieg 2008 erfolgen (Biblis A und Neckarwestheim 1). Die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke decken seit Ende der 80er Jahre knapp ein Drittel des Deutschen Stromverbrauchs (laut IAEA im Jahr 2003 28,1%). Im internationalen Vergleich belegen die deutschen Reaktoren seit Jahren stets mehrere Plätze unter den 10 weltweit am meisten Strom produzierenden Anlagen (Strommenge pro Jahr). Im Zuge der vorgezognenen Bundestagswahl 2005 kam die Debatte um eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomreaktoren auf.

Brennstoff und Transport

Die Verwendung des Begriffes "Brennen", im Zusammenhang mit der Kernenergie ('Brennstab', 'Brennelement' usw.), ist irreführend. Keines der hierbei verwendeten Materialien unterliegt einem Verbrennungsprozess (Oxidation) im eigentlichen Sinne oder unterstützt einen solchen.

Bei der Kernspaltung wird meist Uran in einigen Fällen aber auch Plutonium genutzt. Uran besteht in der Natur aus 2 Isotopen: Zu 0,7 % aus U-235 und zu 99,3 % aus U-238. In thermischen Reaktoren ist im Wesentlichen nur das U-235 ausnutzbar. Beschränkt man sich auf sie, ist der Energieinhalt der weltweiten abbauwürdigen Uranvorkommen etwa gleich groß wie der der Erdölvorkommen.

In Schnellen Brütern kann (im Wesentlichen über die Umwandlung in Plutonium) aber auch das U-238 ausgenutzt werden. Setzt man diese ein, reichen die Kernbrennstoffvorräte für Jahrtausende (die wesentlich bessere Ausnutzung des Urans erhöht nicht nur dessen nutzbaren Energieinhalt, sondern erlaubt auch die Nutzung von Uranvorkommen mit wesentlich höheren Gewinnungskosten).

Für abgenutzte (umgangssprachlich auch 'abgebrannte'), hoch radioaktive Brennelemente gibt es in (West-) Europa spezielle Transport- und Lagerbehälter, beispielsweise die Castor-Behälter oder die TN-Behälter für die Transporte in die Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield (Großbritannien) und La Hague (Frankreich).

Reaktortypen

Die bei einer Kernspaltung entstehenden Neutronen haben eine hohe Geschwindigkeit. Werden diese direkt zum Auslösen weiterer Spaltungen herangezogen, spricht man von einem „schnellen Reaktor“ (z. B. einem „Schnellen Brüter“). Werden die Neutronen vorher abgebremst (wodurch die Wahrscheinlichkeit, einen Atomkern des Kernbrennstoffes zu spalten, erhöht wird), spricht man von einem „thermischen Reaktor“ (weil die Abbremsung der Neutronen bis ins Gleichgewicht mit der Temperaturbewegung der Atomkerne erfolgt). Das zum Abbremsen der Neutronen verwendete Material heißt „Moderator“.

  • Leichtwasserreaktor (LWR): Als Reaktorkühlmittel wird hier leichtes Wasser verwendet, welches das in der Natur am häufigsten vorkommende Wasser ist, gebildet mit dem leichten Wasserstoff-Isotop 1H. Das leichte Wasser dient gleichzeitig als Moderator. Als Brennstoff geeignet ist angereichertes Uran mit einem U-235-Massenanteil zwischen etwa 1,5 und 6 Prozent. Der LWR wird ausgeführt als
    • Druckwasserreaktor (DWR): Das Reaktorkühlmittel transportiert die Kernspaltungswärme in einem geschlossenen Kreislauf, dem Primärkreislauf, zu einem Dampferzeuger, mit dem der Dampf zum Antrieb der Turbinen in einem sekundären Kreislauf erzeugt wird. Dieser Sekundärkreislauf ist nicht mehr Teil des Kontrollbereichs. Der EPR (European Pressurized Reactor), der derzeit in Finnland gebaut wird, ist ein solcher Druckwasserreaktor.
    • Siedewasserreaktor (SWR): Das Reaktorkühlmittel wird im Reaktordruckbehälter verdampft und direkt den Turbinen zugeführt. Der gesamte Wasser-Dampfkreislauf ist damit Teil des Kontrollbereichs.

Im störungsfreien Betrieb verlässt das Reaktorkühlmittel das Containment, eine druckdichte Stahlkugel, des DWR nicht, im SWR dagegen gelangt es bis in die Turbinen und Kondensatoren des Wasser-Dampfkreislaufs.

  • Schwerwasserreaktor (HWR): Schweres Wasser (D2O) als Reaktorkühlmittel wird mit schwerem Wasserstoff, dem Deuterium, gebildet, das Neutronen schlechter absorbiert. Deshalb kann als Brennstoff Natur-Uran mit einem Massenanteil an U-235 von etwa 0,7 Prozent verwendet werden.
  • Flüssigmetall gekühlter Brutreaktor (Schneller Brüter): Der Brutreaktor erzeugt während des Betriebs spaltbares Plutonium aus dem Uran und ermöglicht dadurch eine um 60 Prozent höhere Brennstoffausnutzung. Flüssiges Metall (z.B. Natrium), das Neutronen nicht abbremst ("moderiert"), wird als Reaktorkühlmittel eingesetzt und erzeugt über einen Wärmetauscher den Dampf für die Turbinen.

Hochtemperaturreaktor: Der Hochtemperaturreaktor ist ursprünglich eine deutsche Erfindung und wird derzeit in Japan weiterentwickelt. Neben dem Uran-235 Isotop, wird auch das Thorium-232 (Th-232) Isotop als Energierohstoff verwendet, dass sich im Betrieb durch Neutroneneinfang in spaltbares U-233 umwandelt. Anders als in den anderen Reaktoren, befindet sich der Brennstoff in winzigen, beschichteten Partikeln, die in tennisballgroßen Graphitkugeln eingescholssen sind. Das Graphit dient als Moderator.

Derzeit wird ein neuer Reaktortyp, das Rubbiatron, entwickelt, mit dem langlebige radioaktive Stoffe in kurzlebige Isotope (Halbwertszeiten: maximal einige Jahre) umgewandelt werden sollen.

Beim Rubbiatron handelt es sich um einen passiven Reaktor-Typ, der von Außen angeregt (gepulst) wird. Man benötigt dazu einen Teilchen-Beschleuniger (Zyklotron).

Zwischen- und Endlager

Derzeit (stand 2005) gibt es weltweit, kein genehmigtes Endlager für hoch radioaktive Abfälle. Zurzeit (stand 2005) gibt es in Deutschland 5 genehmigte Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle. Zudem sind ab Mitte 2005 alle Transporte von abgebrannten Brennelementen zur Wiederaufarbeitung verboten. Aus diesen Gründen werden für die deutschen Kernkraftwerke derzeit neue Zwischenlager gebaut, in die ab Mitte 2005 die abgebrannten Brennelemente eingelagert werden. Die schwach und mittel radioaktiven Abfälle werden derzeit in verschiedenen anderen Zwischenlagern in ganz Deutschland gelagert.

Als Endlager werden insbesondere Salzstöcke (beispielsweise Gorleben) erwogen, wo hunderte Meter Salz und Deckgestein für einen sicheren Einschluss sorgen könnten. Die tatsächliche Stabilität solcher geologischen Formationen für den notwendigen jahrhundertelangen Einschluss ist allerdings unter Geologen umstritten. Von Befürwortern wird eingewandt, das Beispiel eines natürlichen Kernreaktors in Oklo (Gabun, Westafrika) zeige, dass die Migration der Spaltstoffe über Jahrmillionen zu vernachlässigen sei und keine Bedrohung für die Menschheit darstelle.


Die Sicherheit von Kernkraftwerken

Problem und Lösungsansatz

Das Risiko von Kernkraftwerken besteht im Wesentlichen im möglichen Austritt radioaktiver Stoffe in die Umgebung. Ein solcher Austritt kommt zum Einen durch die radioaktiven Emissionen im normalen Betrieb zustande. Zum Anderen ergibt er sich aus kleineren oder größeren Störfällen bzw. Unfällen in den AKW. Einen solchen Austritt möglichst zu verhindern, war von Anfang an das Ziel der sicherheitstechnischen Entwicklung von Kernkraftwerken. Dabei geht man von der Erkenntnis aus, dass ein gravierendes Versagen von technischen Einrichtungen nicht rein zufällig eintritt, sondern aufgrund einer Kette von Ursachen und Wirkungen. Sind diese Wirkungsketten bekannt, können sie gezielt unterbrochen werden. Wird ein solches Unterbrechen mehrfach und mit voneinander unabhängigen Maßnahmen vorgesehen, kann man insgesamt eine hohe Sicherheit erreichen, da Fehler in einzelnen Schritten durch Funktionieren der anderen Schritte aufgefangen werden können. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Fehler auf ein Versagen von Komponenten oder Systemen („technische Fehler“) oder auf Fehlhandlungen von Menschen („Bedienungsfehler“, „menschliche Fehler“) zurückzuführen sind. Man spricht von einem „mehrstufigen, fehlerverzeihenden Sicherheitskonzept“.

Dieser Ansatz wird bei Kernkraftwerken grundsätzlich weltweit verfolgt. Wie erfolgreich er ist, hängt allerdings ganz wesentlich davon ab, wie er umgesetzt wird.

Nach Studien des Münchener Umwelt-Instituts ist im Wohnumfeld vieler deutscher Kernkraftwerke das Risiko für einzelne Krebserkrankungen signifikant erhöht. Ob dieser Befund das Ergebnis von Langzeitwirkungen der Normalbetriebsemissionen ist, oder durch erhöhte Emissionen bei Störfällen ausgelöst wird, ist noch ungeklärt.

Im Folgenden wird das systematische Vorgehen bei modernen, westlichen Leichtwasserreaktoren beschrieben. Vor allem bei Reaktoren aus dem früheren Ostblock liegen zum Teil deutlich andere Konzepte vor.

Mehrstufiges, fehlerverzeihendes Sicherheitskonzept

In modernen deutschen Kernkraftwerken gibt es vier Sicherheitsebenen: Die erste Ebene entspricht dem Normalbetrieb des Kraftwerkes. Hier sollen Störungen möglichst vermieden werden. Trotzdem wird unterstellt, dass Störungen auftreten. In der zweiten Ebene, dem so genannten „anomalen Betreib“, wird dann das Ziel verfolgt, diese Störungen einzudämmen und zu verhindern, dass sie sich zu Störfällen ausweiten. Auch hier wird wieder systematisch unterstellt, dass dieses Ziel nicht erreicht wird und in der dritten Ebene, der Ebene der Störfallbeherrschung, werden Störfälle durch sehr zuverlässige eigene Sicherheitssysteme möglichst aufgefangen. Doch auch hier wird systematisch ein Versagen unterstellt und in der vierten Ebene wird mit so genannten „anlageninternen Notfallschutzmaßnahmen“ versucht, die Auswirkungen des Störfalles möglichst auf die Anlage selbst zu beschränken und einschneidende Maßnahmen in der Umgebung (insbesondere Evakuierung) nicht notwendig werden zu lassen.

Ergänzt wird dieses Konzept noch Maßnahmen:

  • Die Konstruktion des Reaktorkernes so, dass sich ein selbststabilisierendes Verhalten der Kettgenreaktion ergibt, negativer Dampfblasenkoeffizient.

Das Barrierenkonzept

In Atomkraftwerken geschieht der Einschluss der radioaktiven Materialien in mehrfachen, ineinander geschachtelten Barrieren (Mehrbarrierenkonzept). Wenn eine Barriere versagt oder umgangen wird, aus welchem Grund auch immer, soll die Störung durch die anderen Barrieren aufgefangen werden. In westlichen Leichtwasserreaktoren gibt es sechs Barrieren zum Zurückhalten der radioaktiven Stoffe:

  • Das Kristallgitter des Brennstoffes
Bei den Kernspaltungen in einem Reaktor entstehen die Spaltprodukte gewissermaßen als Fremdatome im Kristallgitter des Urandioxids. Solange dieses intakt bleibt, werden sie (außer den gasförmigen Spaltprodukten, das sind aber ca. 5 %) sehr zuverlässig im Kristallgitter zurückgehalten.
Dieser dient vor allem der Abschirmung von Direktstrahlung aus dem Reaktorkern. Da er keine vollkommen geschlossene Konstruktion aufweist, kann er Spaltprodukte nur teilweise zurückhalten.
Containment“ aus ca. 4 cm dickem Stahl (manchmal auch aus Spannbeton). i
  • Die umschließende Stahlbetonhülle
Der gesamte Sicherheitsbehälter wird von einer etwa 1,5 bis 2 m dicken Stahlbetonhülle umgeben, die vor allem Einwirkungen von außen – wie z. B. Zerstörungen durch einen Flugzeugabsturz – verhindern soll, aber natürlich auch radioaktive Materialien in seinem Inneren zurückhalten kann.

In anderen Reaktoren, insbesondere in solchen des ehemaligen Ostblockes, sind z. T. weniger und qualitativ schlechtere Barrieren vorhanden so fehlen oft der Sicherheitbehälter und die umschließende Stahlhülle. Die ersten 3 Barrieren sind sind auch für den Betrieb des Kraftwerkes notwendig oder sinnvoll. Der Sicherheitsbehälter und die Stahlbetonhülle dienen ausschließlich der Sicherheit.

Nachwärmeabfuhr

Ein möglicher Mechanismus, der zum Versagen mehrerer Barrieren führen kann, ist eine Überhitzung des Reaktorkerns bis zum Schmelzen der Brennelemente (Unfall mit Kernschmelze). Dadurch würden die vier erstgenannten Barrieren zerstört und längerfristig möglicherweise auch die beiden restlichen Barrieren. Gegen eine solche Überhitzung sind entsprechende Kühleinrichtungen erforderlich. Da ein Kernkraftwerk auch nach dem Abschalten durch den Zerfall der angesammelten radioaktiven Spaltprodukte noch Wärme produziert (sgn. Nachzerfallswärme, unmittelbar nach dem Abschalten sind das noch etwa 5 % der Nennleistung, nach 10 Stunden sind es noch ca. 0,5 % der Nennleistung, auch nach Monaten sind es noch nennenswerte Wärmemengen), müssen diese Kühleinrichtungen langfristig sicher funktionieren (Nachwärmeabfuhr). Auch diese Kühleinrichtungen sind mehrfach vorhanden und nur wenn hinreichend viele von ihnen versagen (und auch nicht durch Notfallmaßnahmen ersetzt werden können), kann es zu einer Kernschmelze kommen.

Einwirkungen von außen

Neben Material-, Montage-, Konstruktions-, Wartungs- und Bedienfehlern ist es auch nicht ausgeschlossen das Abstürze besonders großer Flugzeuge, Erdbeben und Militär- oder Terroraktionen zu Unfällen mit Austreten von Radioaktivität führen können.

Viele Atomkraftwerke stehen in erdbebengefährdeten Gebieten, z. B. französische Kernkraftwerke wurden an der Grenze zu Deutschland aufgestellt, in einem Gebiet, in dem Erdbeben für europäische Verhältnisse relativ häufig auftreten.

Einwirkungen von außen bei deutschen Atomkraftanlagen

Die gegenwärtig in Betrieb befindlichen AKW sind für 3 unterschiedliche Szenarien bezüglich Flugzeugabstürze ausgelegt. Keine exlizite Auslegung gegen Flugzeugabsturz, Auslegung gegen einen Flugzeugabsturz von Typ Starfighter und Auslegung gegen einen Flugzeugabsturz von Typ Phantom, jeweils ohne Waffen. Eine Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aus dem Jahr 2002 wurde in Auszügen veröffentlicht, sie beschreibt, dass bei allen 3 Auslegungsarten eine Freisetzung von Radioktivität möglich ist, und bei den am schwächsten ausgelegten AKW ein Durchschlagen der äußeren Stahlbetonhülle wahrscheinlich ist.

Gerichtsurteile stellten fest daß der Genehmigung für das AKW Mülheim-Kärlich "keine ausreichende Ermittlung und Bewertung des Erdbebenrisikos" zugrunde liegt. Das AKW wurde daraufhin außer Betrieb genommen.

Das österreichische Umweltbundesamt kann der deutschen Auslegung gegen Erdbeben für das Zwischenlager Grundremmingen nicht folgen und vermißt eine vom IAEO empfohlene Berücksichtigung seltener Starkbebenereignisse. Auch das AKW Grundremmingen ist nicht gegen stärkere Erdbeben ausgelegt.

Prof. Dr. Eckhard Grimmel ist der Meinung dass kein einziges deutsches AKW hinreichend gegen seismische Einwirkungen ausgelegt ist. Denn im Norddeutschen Tiefland ist mit einem maximalen Magnitudenwert von M = 6 und in den übrigen Gebieten, besonders in der Rhein-Riftzone, von M = 6,75 zu rechnen.

Außerdem muß beücksichtigt werden, daß selbst eine vorschriftsmäßige Auslegung eines Atomkraftwerks gegen das potentiell stärkste Erdbeben in einer bestimmten tektonischen Einheit noch keinen zuverlässigen Schutz gegen seismische Einwirkungen liefert. Denn die Festkörperwellen, die vom Erdbebenherd abgestrahlt werden, sind komplexer Natur, und sie werden noch komplexer, wenn sie auf Bauwerke übertragen werden, die aus sehr verschiedenartigen Bau- und Funktionsteilen zusammengesetzt sind.

Harrisburg und Tschernobyl

In der Geschichte der Kernenergienutzung ragen die beiden Ereignisse von Three Mile Island (Harrisburg) und Tschernobyl heraus. Bei Three Mile Island wurden durch eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände die ersten vier Barrieren zerstört. Die restliche beiden (Sicherheitsbehälter und Stahlbetonhülle) aber hielten Stand und verhinderten katastrophale Auswirkungen nach außen. Radioaktivität gelangte während den Aufräumarbeiten in die Atmosphäre, da kontaminiertes Wasser und Wasserdampf zur Verhinderung einer Explosion abgelassen wurde. Die U.S. Nuclear Regulatory Commission schätzte, dass während der ersten Aufräumarbeiten ca 43.000 Curie an radioaktiven Gas (in Form von Krypton 85) entwichen. Der Report of the President's Commision on the Accident at Three Mile Island schätzt eine Freisetzung von radioaktiven Edelgasen in die Umwelt vom 28 März bis 27 April auf bis zu 2,4 Millionen Curie.

Tschernobyl verlief nicht nur ganz anders, sondern in Tschernobyl waren auch die Voraussetzungen ganz andere:

  • Die Barrieren gegen den Austritt radioaktiver Substanzen waren viel weniger und qualitativ schlechter, insbesondere aber fehlten die beiden letztgenannten Barrieren Sicherheitsbehälter und Stahlbetonhülle praktisch vollkommen.
  • Es gab viel weniger Sicherheitseinrichtungen, diese waren qualitativ viel schlechter und nicht ausreichend voneinander unabhängig.

Probabilistische Sicherheitsanalysen

In so genannten Probabilistischen Sicherheitsanalysen (PSA) wird versucht, das Risiko von Kernkraftwerken zu quantifizieren. Dabei wird ermittelt, mit welcher Zuverlässigkeit sich angenommene Störungen („auslösende Ereignisse“) mit den vorhandenen Sicherheitseinrichtungen „planmäßig beherrschen“ lassen. Für Absolutaussagen zur Sicherheit insgesamt sind die Ergebnisse wenig geeignet, da ein Überschreiten des „planmäßigen Beherrschens“ noch nichts über die dann eintretenden Folgen aussagt. Wofür sich PSA aber sehr gut bewährt haben, sind vergleichende Sicherheitsbetrachtungen im Sinne vom Erkennen von möglichen Schwachstellen und Bewerten von geplanten Änderungen. Dadurch haben PSA zu vielen kleinen Verbesserungsschritten beigetragen und sind heute ein unverzichtbares Instrument der Weiterentwicklung der Sicherheit.


Die Wahrscheinlichkeit eines Atomunfalls nach der deutschen Reaktorsicherheitsstudie

Nach der Deutschen Risikostudie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) von 1989 ist für eines der deutschen AKW alle 33.000 Betriebsjahre mit einem schweren Unfall zu rechnen. Werden 17 laufende AKW in Deutschland (Stand 2005) und 30 Betriebsjahre berücksichtigt, liegt die Wahrscheinlichkeit aus dieser Studie bei knapp 2 Prozent. Allerdings bleiben in dieser Studie mehrere Aspekte unberücksichtigt. Sabotagemaßnahmen oder panikbedingte Fehlentscheidungen des Personals wie in Harrisburg fließen nicht in die Berechnungen ein. Auch können unerwartete, da bislang unbekannte physikalische Phänomene nicht berücksichtigt werden. Hierzu zählt etwa die im Sicherheitskonzept seinerzeit nicht vorhergesehene Wasserstoffbildung in Siedewasserreaktoren durch sog. Radiolyse, die bei der Reaktorkatastrophe von Harrisburg eine Rolle spielte. Die GRS-Studie von 1989 wird von Atomexperten des Darmstädter Öko-Instituts dahingehend kritisiert, dass die Wahrscheinlichkeit einen schweren Unfalls hier als zu niedrig eingestuft wird.

Rechtsgrundlagen

In Deutschland

Rechtsgrundlage ist das Atomgesetz (Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren). Auch wurden mehrere Gerichtsurteile zu der Thematik gesprochen. Vor dem Bundesverfassungsgericht wurde gegen den Schnellen Brüter in Kalkar geklagt. Das Gericht wies 1978 die Klage ab, in dem Urteil wird beschrieben das in bestimmten Situationen sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen sind.

Rückstellungen und Versicherungen

Da der Rückbau eines Kernkraftwerks sehr teuer ist (~500 Millionen Euro je Kraftwerk), müssen die Betreiber für den Rückbau steuerfreie Rückstellungen anlegen. Dieses Geld wird in der Schweiz von einem unabhängigen Fonds verwaltet, in Deutschland kann der Stromerzeuger die Rückstellungen eigenständig verwalten. Das führt dazu, dass z.B. Investitionen auf dem Kapitalmarkt in Aktien oder ähnliches getätigt werden können, etwaige Kursschwankungen sind auszugleichen. Dies wird durch unabhängige Wirtschaftsprüfer überprüft und testiert.

Haftungsfall in Deutschland und Folgen eines großen Unfalls

Für das Risiko eines Unfalls müssen die Betreiber eine Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro vorhalten. Auch diese kann in Form von Aktien vorgelegt werden; wobei die Deckungsvorsorge stets den genannten Betrag haben muß. Die Unternehmen müssen eine Haftpflichtversicherung über 256 Mio. Euro abschließen. Weitere 2,244 Mrd. Euro werden über eine Solidarvereinbarung der Muttergesellschaften der Betreiber von KKW aufgebracht.

Für Schäden, die auf nuklearen Ereignissen beruhen, die unmittelbar auf Handlungen eines bewaffneten Konfliktes, von Feindseligkeiten, eines Bürgerkrieges, eines Aufstandes oder auf eine schwere Naturkatastrophe außergewöhnlicher Art zurückzuführen sind, haften die Betreiber mit höchstens 2,5 Milliarden Euro.

Bei Schäden durch nuklearen Ereignissen, die nicht auf die gerade erwähnten Urachen zurückzuführen sind, und über 2,5 Milliarden Euro betragen, haften die jeweiligen Muttergesellschaften mit ihrem gesamten Vermögen.

Die Schäden eines Unfalls mit erheblicher Freisetzung von Radioaktivität bezifferte eine Studie der Prognos AG 1992 mit bis zu 10,7 Billionen DM, dem drei- bis vierfachen des damaligem jährlichen deutschen Bruttosozialproduktes. In der ersten "Deutschen Risikostudie" aus dem Jahr 1979 erstellt durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit werden mögliche Unfallfolgen von bis zu 14 500 Soforttoten und 104 000 späteren Todesfällen angegeben. Auch könnte laut Gesellschaft für Reaktorsicherheit eine Fläche bis zu 5600 Quadratkilometern so stark kontaminiert werden, daß 2,9 Millionen Menschen evakuiert werden müßten.

Vergleich mit fossilen Brennstoffen (Treibhauseffekt)

Die Stromerzeugung mittels Atomkraft setzt im Vergleich zur Stromerzeugung durch konventionelle fossile Brennstoffe geringere Mengen an Kohlendioxid frei. Damit ist z. B. der Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt geringer als beim äquivalenten Betrieb eines herkömmlichen Öl- Gas- oder Kohlekraftwerks. Im Vergleich Strom aus Windkraftanlagen oder manchen Biogasanlagen errechnet die Gemis-Studie des Öko-Instituts Darmstadt allerdings eine ungünstigere Kohlendioxisbilanz des Atomstroms.

Atomkraftwerke werden aus sicherheitstechnischen Überlegungen meist nicht in unmittelbarer Nähe zu Orten mit einer großen Bevölkerungszahl gebaut. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden Atomkraftwerke meist in einer Größenordnung von mehr als 1000 MW gebaut. Dies bedeutet eine zentrale Stromversorgung und im Falle einer Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) entsprechend längere Wege für die (Fern)Heizungsrohre als in einem dezentralen Konzept. Das Kernkraftwerk Stade hatte z.B. eine Dampfauskopplung für den Betrieb einer Saline auf dem benachbarten Gelände, das AKW Stade wurde aber im November 2003 "stillgelegt". Zur Zeit (Stand 2005) hat kein Atomkraftwerk in der BRD eine Kraft-Wärme-Kopplung. Bezogen auf die Energieleistung (inklusive Wärmenutzung) trägt Strom aus Atomkraftwerken daher stärker zum Treibhauseffekt bei, als moderne Gaskraftwerke mit KWK.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind für den Klimaschutz Investitionen in einen Ausbau der Kernenergienutzung aufgrund der hohen Anlagekosten unwirtschaftlich. Zur Erzielung der gleichen Klimaschutzeffekte (v.a. Senkung der Kohlendioxidemissionen) sind Investitionen in die Alternativen Stromeinsparung, regenerative Energien und rationelle Energienutzung mit Kraft-Wärme-Kopplung deutlich preiswerter.

Auch aufgrund der begrenzten Uranvorkommen ist ein klimaschutzmotivierter Ausbau der Kernenergie nicht lohnend. Die heute hinreichend sicheren und wirtschaftlich nutzbaren Uranvorkommen betragen rund 3 Mio. Tonnen. Bei weltweiter Energieversorgung allein auf dieser Basis wären diese Vorräte in 4 Jahren aufgebraucht.

Da die Kosten für den "nuklearen Brennstoff" gegenüber den Anlagekosten z. Z. (Stand 2005) sehr gering sind und die Reaktionszeiten bei der Steuerung im Vergleich zu Wasser, Gas oder Ölkraftwerken erheblich länger sind, werden Atomkraftwerke meist zur Versorgung der Grundlast betrieben.

Die Bergbauschäden des Uranabbaus sind geringer als die des Kohletagebaus.

Dagegen werden beim Uranbergbau radioaktive Stäube freigesetzt.

Sonstige Argumente

Es könne etwa nicht ausgeschlossen werden, dass durch kriminelle Machenschaften radioaktive Stoffe in die Hände von Terroristen gelangen könnten.

Bestimmte Typen von Kernkraftwerken (graphit- oder schwerwasser-moderierte (D2O)) lassen sich zur Gewinnung von Plutonium als Ausgangsmaterial für Atomwaffen nutzen. Bei Leichtwasser-moderierten-Reaktoren (DWR, SWR) ist dies allerdings nur mit einer speziell gekoppelten Wiederaufarbeitung, die im Wochenzyklus erfolgen muss, möglich, was daher technologisch sehr aufwendig und aufgrund von etwaigen (IAEA-Überwachungen) auch schwierig ist. Bisher ist noch kein Fall bekannt geworden, durch den auf diese Weise eine Atomwaffe hergestellt wurde. Allerdings gab es Meldungen über verschwundenes Plutonium, etwa aus der englischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield. Siehe auch Anreicherung und Plutoniumbombe. Eine Reihe von Staaten hat die Nutzung der zivilen Kernkraft zur parallelen Entwicklung von Kernwaffen genutzt: Indien (Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet), Pakistan (Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet), Südafrika (1990 eingestellt, Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet), Nordkorea (Ende 2002 aus Atomwaffensperrvertrag ausgetreten).

Die Debatte um die Kernkraft ist auch von Misstrauen gegenüber den Betreibern kerntechnischer Anlagen gekennzeichnet. Es wird argumentiert, dass Kernkraftwerke aufgrund ihrer potentiellen Gefährlichkeit besonderer Kontrolle bedürfen ("Störfall-Kommission und Technischer Ausschuss für Anlagensicherheit" in Deutschland), die Betreiber aus Angst vor Imageschäden aber versuchten, Störfälle nicht publik werden zu lassen, wodurch eine effektive Kontrolle nur schwer möglich sei.

Ein weiterer Einwand von Gegnern ist, dass Betrieb und Kontrolle von Kernkraftwerken in Händen einer kleinen Anzahl von Personen liegen. Auch die finanziellen Einnahmen fließen einer geringen Zahl von Eignern zu, während das Risiko von der breiten Masse und ihren Nachkommen getragen wird. Die aus wirtschaftlichen und technischen Gründen in wenigen großen Anlagen erfolgende Kernenergienutzung verhindere, so ein weiterer Einwand, einen aus ökologischen und sozialen Erwägungen heraus notwendigen Strukturwandel der Energieversorgung. So könne mit dezentralen Anlagen unter Nutzung von KWK (siehe oben) die Energieeffizienz mindestens verdoppelt werden.

Hinzu kommt, dass die zu lagernden Stoffe zum Teil über 100.000 Jahre radioaktive Strahlung emittieren, weltweit aber noch kein Endlager (Stand 2005) für stark radioaktiven Abfall existiert.

Siehe auch