Kinder- und Jugendliteratur

Literaturgenre
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Das literarische Genre der Kinder- und Jugendliteratur umfasst die im Wesentlichen für Kinder oder Jugendliche geschriebenen Bücher. Es gilt die Faustregel, dass der gedachte Leser ein bis drei Jahre jünger als der Protagonist ist.

Sie sollen eine altersgerechte Wahrnehmung ihrer Umgebung (allgemein: der Welt) ermöglichen.

Typischerweise enthalten sie einen an das Verständnis von Kindern angepassten Inhalt, zahlreiche Illustrationen und lebendige Dialoge.

Geschichte

Anfänge

 
William Caxtons Übersetzung von Äsops Fabeln (um 1500)
 
Orbis Sensualium Pictus (1658)

Im Mittelalter hatte kaum ein Kind, selbst aus wohlhabendem Umfeld, Zugang zu Manuskripten oder Büchern. Der erste Kontakt von Kindern mit Literatur dürfte vereinzelt ab dem 12. Jahrhundert stattgefunden haben. Es ist denkbar, dass in Klosterschulen und auf reichen Höfen einige Kinder mit Werken wie der Bibel in Berührung kamen. Diese waren zunächst in lateinischer, später auch in der örtlichen Sprache abgefasst. Ab der Renaissance studierten einige Kinder zusammen mit ihren Eltern oder Religionslehrern religiöse Literatur.

Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts erleichterte den Zugang der Bevölkerung – darunter auch den Kindern – zur Literatur. In den 1480er Jahren veröffentlichte William Caxton eine Reihe von Kinderbüchern. Diese stellten einen lukrativen Markt dar, da Kinder dazu neigten, Bücher rasch zu zerstören. Mit dem Buchdruck waren auch immer mehr Menschen in der Lage, zu lesen. Ein Großteil der ersten speziell für Kinder gedruckten Werke waren Lernhilfen, darunter sogenannte „Buchstabentafeln“ oder Hornbücher. Diese waren meist mit einem Griff versehene Holztafeln, auf denen ein bedrucktes, zum Schutz mit einer durchsichtigen Schicht aus Hornsubstanz überzoges Pergamentblatt angebracht war. Darauf war meist ein ABC und ein Gebet abgedruckt. Erstmalig wurden Kindern gedruckte Texte zur Verfügung gestellt, mit denen sie selbst umgehen konnten.

In den 1580er Jahren erschienen zahlreiche günstige, oft minderwertige Bücher, die von Hausierern vertrieben und später auch „Volksbücher“ genannt wurden. Einige Historiker halten das 1658 vom Tschechen Johann Amos Comenius veröffentlichte Werk zum Lateinunterricht Orbis Sensualium Pictus für das erste Bilderbuch für Kinder. In den 1750er Jahren kamen nur wenige Seiten umfassende Hefte unterschiedlichen Inhalts aus Pappe auf den Markt, die oft Gebete sowie ein mit Holzschnitten illustriertes ABC enthielten. Diese Buchform war bis Mitte des 19. Jahrhunderts populär. Bekannt wurde der vom englischen Buchverkäufer und Autor anti-katholischer Verse Benjamin Harris verfasste New England Primer, der zum weitverbreitetsten Schulbuch Amerikas wurde.

Werke wie Defoes Robinson Crusoe (1719) und Swifts Gullivers Reisen (1726), die durch ihre aufregende Handlung und Exotik bestachen, waren auch bei Jugendlichen lange Zeit populär; allerdings waren vor dem 19. Jahrhundert Romane selten bebildert.

Moralistische Werke

 
A Token for Children (um 1671)

Viele der im 17. und 18. Jahruhundert verbreiteten Kinderbücher waren von protestantischer Ethik geprägt. In England und Amerika veröffentlichten Puritaner die ersten Kinderbücher. Da die Kindersterblichkeit zur damaligen Zeit sehr hoch war – nur etwa die Hälfte erreichte das Erwachsenenalter – lag der erzieherische Sinn der moralistischen Kinderliteratur vor allem in der Vorbereitung der Kinder auf ihren Tod und der Vermeidung der Höllenverdammnis. Ein Beispiel puritanischer Kinderliteratur ist James Janeways A Token for Children (1671?), das eine Reihe von „Geschichten beispielhafter Lebensführung und freudvoller Todesfälle kleiner Kinder“ enthält. Es war bis etwa 1790 in England und seinen Kolonien weitverbreitet. Die Todesfurcht der Kinder wurde auch durch präzise Beschreibungen der Höllenqualen und durch das Zeigen von Leichen und öffentlichen Hinrichtungen gefördert.

Isaac Watts’ 1715 veröffentlichte Divine Songs Attempted in Easy Language for the Use of Children milderten die makabre Erzählweise und waren freundlicher gehalten. Seine Verse waren weiterhin Ausdruck der im 18. Jahrhundert verbreiteten Sichtweise, dass Kinder kleine Erwachsene von immanent boshaftem Wesen seien. Watts’ Lieder waren bis ins späte 19. Jahrhundert als Übungen zum Auswendiglernen geschätzt.

Abkehr von der erzieherischen Botschaft

 
Szene aus dem Struwwelpeter (1845)
Datei:TennielAlice.png
Illustration aus Alice im Wunderland (1865)

Einige der ersten Kinderbücher, die neben einer rein erzieherischen Botschaft auch Unterhaltungswert hatten, wurden von John Newbery in den 1740er Jahren veröffentlicht; allerdings schrieb bereits einige Jahre zuvor Thomas Boreman seine Gigantick Histories.

Dennoch prägten moralistische Wertvorstellungen bis ins späte 19. Jahrhundert weiterhin – auch im deutschsprachigen Raum – viele Kinderbücher, obwohl ab Mitte des 18. Jahrhunderts die rein religiöse Botschaft immer mehr von dem von Locke und Rousseau propagierten rationalen Moralismus, bei dem die erzieherische Botschaft in raffiniert ausgearbeiteten Geschichten versteckt wird, verdrängt wurde. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch reine Fantasie- und Abenteuergeschichten immer mehr als Kinderliteratur akzeptiert.

Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845) war eines der ersten und auch eines der erfolgreichsten Kinderbücher, die vom Autor selbst illustriert wurden. Auch wenn – oder gerade weil – die erzieherische Botschaft deutlich zu erkennen ist, weisen die grotesk überzeichneten Illustrationen und Texte eine ganz eigene Komik auf, die jedoch teilweise nicht wahrgenommen wurde.

Historiker sind sich darin einig, dass Lewis Carrolls Geschichten von Alice im Wunderland (1865) die ersten von moralistischer Botschaft gänzlich befreiten sind.

Interessanterweise parodierte Carroll in seinem Werk Watts’ Verse. Im selben Jahr wie Alice erschienen Wilhelm Buschs satirische Max und Moritz-Geschichten. Die nunmehr zunehmend in Vergessenheit geratenden Geschichten zur moralischen Erbauung wurden auch weiterhin vereinzelt parodiert, etwa von Hilaire Belloc (Cautionary Tales, 1907) oder Edward Gorey (The Gashlycrumb Tinies, 1963).

Moderne Werke

Überholt ist die Ansicht, Kinder- und Jugendbücher hätten auf bestimmte Themen zu verzichten, da sie sich nicht altersgerecht darstellen ließen. Vielmehr umfasst die Spanne dieselbe Bandbreite wie in der Literatur für Erwachsene. Auch besteht ein immer größeres Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen danach, in Büchern all die gesellschaftlichen und sozialen Themen wieder zu finden, mit denen sie selber konfrontiert sind. Sie möchten auch als Leser ernst genommen werden. Deshalb finden sich in der Literatur Themen wie Obdachlosigkeit (Morton Rhue: Asphalt Tribe), Tod (Jutta Bauer: Opas Engel; Jutta Richter: Hechtsommer), Selbstmord (Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther), Ausländerfeindlichkeit (Taher Ben Jelloun: Papa, was ist ein Fremder?), Behinderungen (Rodman Philbreak: Freak) oder der Kampf um Selbstbestimmung (Bali Rai: Bloß (k)eine Hochzeit).

Buchtypen

Immer noch gibt es verschiedene Buchreihen, die sich ganz speziell an Mädchen wenden. Pferdebücher etwa sind sehr beliebt bei Mädchen im frühen Teenager-Alter. In diesen Büchern geht es hauptsächlich um Mädchenfreundschaften. Dagegen existiert keine Literatur speziell für Jungen. Die erfolgreiche Reihe Die Wilden Fußballkerle wird auch von Mädchen gelesen.

Generell ist in Untersuchungen zum Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen festgestellt worden, dass Mädchen eher bereit sind, Bücher zu lesen, in denen Jungen die Hauptpersonen sind, während diese sich schwer damit tun, Geschichten zu lesen, deren Heldin ein Mädchen ist (so Dorothee Markert: Momo, Pippi, Rote Zora... was dann?).

Die Grenzen zur (Erwachsenen-) Literatur sind beim Kinder- und Jugendbuch zunehmend fließend. Richteten die Werke von Jules Verne, Karl May oder Jonathan Swifts Gullivers Reisen sich zur Zeit ihres Entstehens noch vorwiegend an Erwachsene, gelten sie heute als Jugendliteratur.

Die früher gebräuchlichen strikten Differenzierungen der verschiedenen Zielgruppen, für die ein Roman als geeignet angesehen wird, verschwimmen immer mehr. Dies liegt zum einem daran, dass Kinder immer früher die Reife vorausgehender Generationen erreichen, aber auch daran, dass immer mehr Autoren wie Joanne K. Rowling, Cornelia Funke oder Walter Moers mit ihren vor allem an Jugendliche gerichteten Geschichten zunehmend auch Erwachsene als Leser erreichen. Daneben schreiben renommierte Autoren wie Per Olov Enquist, Isabel Allende, Henning Mankell, Paula Fox oder Joyce Carol Oates für eine jugendliche Leserschaft.

Ein bedeutender Zweig der (Erwachsenen-) Literatur sind des Weiteren Schilderungen von (autobiographischen) Jugenderlebnissen, in denen Literaten sich selber oder fiktive Charaktere beschreiben, um eine zurückliegende Zeit und den dahinter stehenden Reifeprozess zu behandeln. Dieses ist für gleichaltrige Leser aus nahe liegenden Gründen auch interessant, auch wenn Handlung und Stil nicht an jugendliche Lesebedürfnisse angepasst sind. Reale Beispiele hierfür Imre KerteszRoman eines Schicksallosen und Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque, literarische Darstellungen fiktiver Coming of Age-Geschichten sind William Goldings Herr der Fliegen oder Sven Regeners Neue Vahr Süd.

Auszeichnungen

In Deutschland ist der Deutsche Jugendliteraturpreis der renommierteste Preis. Daneben gibt es etwa den LUCHS, La vache qui lit oder den Buxtehuder Bullen.

Vergleichbar mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ist in Amerika die Newberry Medal. Im Commonwealth wird die Carnegie Medal verliehen für Werke, die auf Englisch geschrieben wurden.

Die bedeutendste internationale Auszeichnung ist der Hans Christian Andersen Award.

Siehe auch

Subgenres im Kinderbuch sind unter anderem das Märchen, das Bilderbuch und der Comic.

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