Der Begriff Mittelalter wurde in der frühen Neuzeit eingeführt, um jenen Zeitraum zu beschreiben, welcher die Antike von der Renaissance zu trennen schien. Soweit die Bezeichnung Medium aevum - wie schon in der Renaissance und in der Aufklärung - abwertend verwendet wird, verkennt der Kritiker jedoch, dass auch die Philosophen des Mittelalters einen bedeutenden Teil zum Bestand der Philosophie beigetragen haben, ohne den sich die Antithesen des Humanismus, der Renaissance und der Reformation gar nicht hätten herausbilden können. Weiterhin suggeriert der Begriff Mittelalterliche Philosophie eine Einheitlichkeit des Denkens, obwohl die Epoche durch eine extreme Spannweite in der Philosophie geprägt ist.
Als mittelalterlich wird für die Philosophie der historische Zeitraum von ca. 500 bis ca. 1500 bezeichnet. Oftmals werden das Ende des weströmischen Reiches (476) und - als eine von mehreren Möglichkeiten - die Reformation (1517) als zeitliche Grenzen festgelegt. Geographisch umfaßt der Begriff den westeuropäischen Raum, vor allem die romanischen Länder, Deutschland, England und Irland. Inhaltlich dominierte das religiös geprägte, vornehmlich christliche, aber auch jüdische und arabische Denken. Ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Epoche ist die einheitliche Verwendung des Lateinischen als Sprache der Wissenschaft im weitgehend grenzenlosen europäischen Kulturraum.
Überblick
Das Fundament für die aus einem Zusammenspiel von christlich theologischen Gedanken und dem Neuplatonismus geprägte Philosophie dieser Zeit wurde durch die Kirchenväter in der so genannten Patristik geschaffen, die rein chronologisch noch dem Altertum zuzurechnen wäre; siehe dazu auch Spätantike. Geistes- und wirkungsgeschichtlich gehört die Patristik jedoch bereits zur nachfolgenden Periode. Das aufkommende Christentum musste sich dogmatisch festigen und gegen die noch vorherrschende Philosophie, aber auch gegen Verzerrungen der Gnosis und konkurrierende Systeme wie den Manichäismus durchsetzen. Nach Vorbereitungen durch die Apologeten und die Systematiker schuf in der Spätantike der Nordafrikaner und Kirchenvater Augustinus von Hippo das Fundament für die nächsten 500 Jahre. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts war es Boethius, der mit dem Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae) ein bedeutendes und im Mittelalter sehr beliebtes Werk schuf, in welchem Boethius aus seinem Wissen der Philosophie der Antike schöpfte und damit dem Mittelalter griechisches Wissen vermittelte. Er übersetzte auch einige Werke des Aristoteles ins Lateinische, insbesondere dessen Schriften zur Logik (Organon). Bis ins 12. Jahrhundert blieben seine z.T. kommentierenden und erläuternden Übertragungen die einzigen in Europa auf Lateinisch verfügbaren Schriften des Aristoteles.
Nach dem Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 wurde das Wissen im westlichen Europa nur noch in den Klöstern, die u.a. die Funktion von Brückenköpfen bei der Christianisierung und als Ausbildungsstätten der Priester hatten, bewahrt. In der so genannten "dunklen Zeit" bis 800 gibt es keine bekannten Philosophen, bis 1100 nur wenige dokumentierte Größen wie Johannes Eriugena und Anselm von Canterbury.
Dagegen hatte im Osten das griechisch geprägte byzantinische Reich bis 1453 Bestand. Dort sollte das antike Wissen auch zu einem größeren Maße bewahrt werden als im Westen (vgl. Spätantike). Nach dem Untergang von Byzanz, und kurz davor, wanderten viele byzantinische Gelehrte in den Westen aus und waren so an der Renaissance des antiken Wissens in Westeuropa beteiligt (siehe auch Byzantinische Philosophie).
Im Westen begann erst im späten 11. Jahrhundert (auch unter dem Einfluss der arabischen Philosophen Avicenna, Averroes), begleitet von einer prosperierenden Wirtschaft und einem signifikanten Bevölkerungswachstum, in der Philosophie ein Aufschwung. In Bologna, Oxford und Paris wurden Universitäten zur Theologenausbildung gegründet. Neben Theologie und Medizin wurde auch Philosophie gelehrt. Diese umfasste die sog. „sieben freien Künste“ (Artes liberales), die sich aus dem Trivium (Grammatik, Dialektik und Rhetorik) sowie aus dem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) zusammensetzten. Europa war in dieser Zeit noch nicht durch nationale Grenzen beschränkt. Die Wissenschaftssprache war Latein, so dass ein Wissensaustausch zwischen allen Regionen ungehindert stattfinden konnte. Um 1100 entstand der Universalienstreit zwischen dem platonisch–realistischen Vertreter Wilhelm von Champeaux und Anselm von Canterbury einerseits sowie dem radikalen Nominalisten Roscelinus andererseits. Roscelinus unterlag und musste widerrufen, ähnlich wie auch später sein Schüler Abaelard mit einem Versuch der Versöhnung der gegensätzlichen Positionen scheiterte. Von letzterem wurde die sog. Scholastische Methode (sic et non = Ja und Nein) zu einer vollständigen Systematik ausgearbeitet, so dass das frühe Mittelalter eigentlich falsch mit "Frühscholastik" bezeichnet wird. In diesem Verfahren wird in einer aufwändigen dialektischen Diskussion ein Thema unter Einbeziehung aller bisher bekannten Argumente untersucht, um dann das Problem in einer Synthese zu lösen. In formstrengen Disputationen werden Begriffe geklärt und scharf abgegrenzt und die Logik entwickelt sich weiter. Es entstanden eine Reihe von Enzyklopädien als sog. „Summae“ oder „Sentenzen“.
In dieser Zeit (12. Jahrhundert) war die byzantinische und die islamische Welt Europa kulturell überlegen. Erkenntnisse der Medizin und der Mathematik wurden durch das Abendland übernommen. Vor allem aber gelangte auch das bis dahin nur als Teil der Logik vorliegende Werk des Aristoteles, vermittelt durch islamische und später byzantinische Gelehrte, in Gänze an die Universitäten und Klosterschulen. Besonders gefördert durch Albertus Magnus und seinen Schüler Thomas von Aquin, dem bedeutendsten Philosophen des Mittelalters mit Wirkung noch bis in die Gegenwart, wird der wissenschaftsfreundliche Aristotelismus nun für lange Zeit dominierend. Doch es waren auch schon Scholastiker wie Roger Bacon oder Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham, die Gegenpositionen zu Thomas aufbauten und mit einer Öffnung zur naturwissenschaftlichen Forschung hin sowie einer stärkeren Betonung des Individuellen die Türen für die Neuzeit öffneten. Vor allem die letzten beiden sind Wegbereiter der Trennung der Welt des Glaubens von der der Philosophie.
In der Spätscholastik entstehen auch die ersten Werke, die sich mit einer Trennung von geistlicher und weltlicher Macht befassen (Dante). Neben der Scholastik existierte eine breite Bewegung der Mystik, für die u.a. Hildegard von Bingen und Meister Eckhart stehen. Als Höhepunkt der mittelalterlichen Philosophie und zugleich als Übergang kann die Philosophie des Nikolaus von Kues angesehen werden, wobei dessen Bedeutung heute höher gewichtet wird, als sie zu seiner eigenen Zeit wahrgenommen wurde. In jedem Fall kann man feststellen, dass der Ursprung der Neuzeit im Mittelalter liegt. Die Renaissance war also keineswegs der Neuanfang, als den sie sich gerne sah, sondern Teil eines fließenden Übergangs vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit zwischen etwa 1400 (Geburt von Nikolaus von Kues 1401) und 1600 (Geburt von Descartes 1596).
Patristik
Die Geschichte der Patristik ist ganz überwiegend ein Stück Theologiegeschichte. Historisch gesehen gehört sie eigentlich in die Spätantike. Um die Entstehung der philosophischen Positionen des Mittelalters – ausgehend von Augustinus – verstehen zu können, bedarf es jedoch eines vorhergehenden Überblicks über diese Zeit.
In seinen Anfängen war das Christentum als Religion ausschließlich durch seine Herkunft aus dem Judentum und dessen Traditionen geprägt. Je weiter es sich aber im Mittelmeerraum ausbreitete, um so mehr wurde es mit anderen Weltanschauungen - insbesondere der dominierenden griechischen Philosophie - konfrontiert. Zugleich entstand eine Tendenz zur regionalen Individualisierung der christlichen Gemeinden. Um dem entgegenzuwirken bedurfte es einer stabilisierenden Dogmatisierung. Ebenso weitete sich die Zahl der Heidenchristen massiv aus, die einen anderen philosophischen Hintergrund hatten und deren Fragen und Sichtweisen in den christlichen Glauben integriert werden mussten. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen war daher eine frühe Aufgabe der Kirchenväter, von denen überwiegend nur Bruchstücke bzw. Nachweise in Erzählungen vorliegen. Hermas (um 150), Ignatius von Antiochien (gest. ca. 107) oder Polykarp von Smyrna (um 69 – 155/156) haben dabei vorwiegend Lehrbriefe in neutestamentlicher Weise verfasst.
Häretiker
Unter Gnosis ("Erkenntnislehre") werden Vertreter christlicher Gedanken zusammengefasst, die die Erkenntnis Gottes vor allem spirituell erreichen wollten und die die offiziellen Lehren oft mit mystischen und phantastischen Lehren ergänzten. Oft wird zwischen Gott und Weltschöpfer unterschieden. Die Seele wird als ein auf der Erde verirrter Fremdling wahrgenommen, doch enthält der Mensch einen göttlichen „pneumatischen Samen“, der die Rückkehr in die Sphäre Gottes, das Pleuroma, ermöglicht, wenn die Menschen sich von allem Irdischen lösen. Gnosis ist also die Erkenntnis des Überweltlichen und des Weges dorthin. Bedeutende Vertreter waren Basilides (um 125), Valentinus (um 150) und Marcion von Sinope. Die Gnostiker waren in ihrer Wirkung in aller Regel lokal und zeitlich begrenzt. Eine weitaus umfassendere Wirkung erreichte der Manichäismus des Persers Mani (216 – 276). Nach Mani ist die Geschichte in drei Phasen eingeteilt. Zunächst standen sich die Reiche des Lichtes und der Finsternis getrennt gegenüber. In der zweiten Phase, der der Entstehung des Kosmos, kam es zu einer Vermischung beider Reiche. Die Erlösung entsteht in der dritten Phase der Weltgeschichte, in der das Licht die Oberhand über die Finsternis gewinnt. Als Propheten dieser Zeit werden u.a. Buddha, Jesus und schließlich Mani angesehen.
Die Apologeten
Vor allem die Apologeten benutzten die Philosophie um die Verträglichkeit des Christentums mit den hergebrachten Weltanschauungen aufzuzeigen. Dabei erfolgte ihr Philosophieren immer unter dem Primat des Glaubens. Für Justin den Märtyrer (um 100 – 163) führte der Weg zu Gott nur über die Philosophie. Die klassische Philosophie kann aber keine Antworten auf letzte Fragen geben. Dies ist nur durch die Heilige Schrift und die Lehren der Freunde Christi möglich. Athenagoras von Athen (ca. 130 – 190) wandte sich mit einer Bittschrift an den Kaiser Mark Aurel und gilt als stark platonisch beeinflusst. Von Tatian als Schüler des Justin ist eine Rede an die Griechen bekannt. Irenäus von Lyon (120 – 200) war Bischof von Lyon, kämpfte gegen die Häretiker und gilt als einer der Begründer der kirchlichen Dogmatik. Tertullian (ca. 160 – 225) war der erste Kirchenvater, der auf Latein schrieb und so wichtige Begriffe des Kirchenlateins schuf. Für ihn galt das Primat der Heiligen Schrift, die Philosophie hatte nur eine ergänzende Funktion.
Clemens von Alexandrien (ca. 150 - gest. nach 215) war stark beeinflusst von Philon, einem jüdischen Alexandriner, der sich aus Sicht des Judentums stark mit der Philosophie befasst. „Denn die richtigen Lehren anzunehmen und die anderen zu verwerfen, dazu befähigt nicht einfach der Glaube, sondern nur der auf Wissen beruhende Glaube.“ (nach Heinzmann, 35). Ergebnisse seines Denken waren später wichtige und umstrittene Themen der mittelalterlichen Philosophie:
- Überlegtes und vernünftiges Handeln entspricht dem Willen Gottes.
- Die Fähigkeit durch Abstraktion zum Glauben zu finden ist eine natürliche Fähigkeit der Seele.
- Die Philosophie dient auch der Auseinandersetzung über das im Glauben als richtig Erkannte.
- Der Glaube bestimmt allerdings schlußendlich die Wahrheit.
- Der Zweifel der Skepsis ist in sich selbstwidersprüchlich.
- Gott selbst ist unsichtbar und unaussprechlich.
Die Wahrheit findet man in den von ihm geoffenbarten Schriften. Cyprian (200 – 258), der wie Tertullian aus Karthago stammte, vertrat hingegen die Kindstaufe (d.h. eine Taufe ohne bewußte Einwilligung) und entwickelte die Lehre vom Glauben als der Gnade Gottes.
Innerkirchliche Probleme brachte die Auseinandersetzung um die sog. Trinitätslehre. Der christliche Presbyter Arius von Alexandria (256 – 336) bestritt die Dreieinigkeit Gottes und sah im Sohn wie auch im Logos zwar etwas Göttliches, aber nicht Gott selbst. Demgegenüber vertraten die Trinitarier unter maßgeblicher Führung des Bischofs von Alexandrien Athanasius (um 298 – 373) die Position der Identität von Jesus und Gott. Der Streit schwelte über 50 Jahre, bis er offiziell im Jahre 381 durch das 1. Konzil von Konstantinopel zugunsten der Trinitarier gelöst wurde. Der Arianismus hielt sich aber noch ca. 300 Jahre, insbesondere unter den Germanen und Goten, die erst allmählich in die römische Kirche aufgenommen wurden.
Theologische Systematisierungen
Origines (ca. 185 - 253) führte das Konzept der allegorischen Schriftauslegung ein, um Widersprüchen in den Originaltexten der Bibel zu entgehen. Auch sein Ziel ist es in der Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie, um insbesondere dem Neuplatonismus das Christentum als die wahre Philosophie aufzuzeigen. Philosophie hat dabei die Aufgabe der Durchdringung der apostolischen Überlieferung, die göttlichen Ursprungs ist. Gott ist unerkennbarer Geist jenseits von Sein und Wesen, der durch den Logos der Schöpfer von allem ist. Eusebius von Caesarea (ca. 260 – 337) ist vor allen Dingen durch seine Chroniken als Begründer der Kirchengeschichte bekannt. Hilarius von Poitiers (315 – 367) war maßgeblicher Vertreter der Trinitarier, Gregor von Nyssa (335 – 394) ist als Kirchenvater vor allem für die orthodoxe Kirche von Bedeutung. Im Gegensatz zu Origines lehrte er die Unendlichkeit Gottes sowie die Dreifaltigkeit. Ambrosius von Mailand (340 – 397) war gemäßigter Trinitarier, wurde durch die Übersetzung theologischer Schriften aus dem Griechischen bekannt und nahm auf die nachfolgende Entwicklung vor allem durch die Taufe des Augustinus Einfluss auf die nachfolgende Geschichte.
Augustinus
Man kann Augustinus von Hippo (354 – 430) als den eigentlichen Begründer der christlichen Philosophie bezeichnen. Er ist zugleich auch der einzige „große Philosoph“ des ersten Jahrtausends nach Christus. Zwar von seiner Mutter, zu der er eine enge Bindung hatte, christlich erzogen, führte er während seines Rhetorik–Studiums ein lockeres Lebens, hatte mit einer verheirateten Frau ein uneheliches Kind und kümmerte sich wenig um die Religion. Während des Studiums kam er dem immer noch verbreiteten Manichäismus nahe, fand aber keine befriedigenden Antworten und wandte sich dem Skeptizismus der Neuen Akademie zu. Erst die Begegnung mit Ambrosius während seiner Lehrtätigkeit in Mailand sowie die Beschäftigung mit dem Neuplatonismus brachte ihm das Christentum näher. Er wurde getauft, kehrte nach Nordafrika zurück und begann sein philosophisches und theologisches Werk. Auf Drängen ließ er sich zum Priester weihen und wurde schließlich 397 Bischof von Hippo.
Seine Umkehr beschrieb Augustinus in den "Bekenntnissen" (Confessiones). Er wendete sich zunächst direkt gegen die (überwundenen) Skeptiker mit der später von Descartes wiederholten Feststellung: si enim fallor sum ("wenn ich nämlich zweifele, bin ich"). Die Sinne mögen sich täuschen - dies ist die Sphäre der der Natur -, doch die Wahrheit der Ideen wie in der Mathematik bleibt unbezweifelbar. Aufgrund seiner Vorstellung einer getrennten geistigen und leiblichen Welt sah Augustin eine große Nähe des Platonismus zum Christentum. Das konkrete Einzelne ist nur ein vergängliches Abbild der wirklichen Ideen. Die Ideen selbst sind aber im Geiste ihres Schöpfers selbst enthalten. Gott ist das einzige unveränderliche Wesen, das man erkennen kann, indem man sich selbst erkennt. Augustinus erklärte das Böse als das "nicht existierende Gute" und befasste sich mit der Frage der Schöpfung aus dem Nichts (Creatio ex nihilo). Letzteres führt ihn zu einer Philosophie der Zeit, die bis heute von Bedeutung ist.
Mit Übernahme der kirchlichen Ämter weicht die philosophische Weltsicht des Augustin immer mehr der christlich theologischen Begründung. Besonders deutlich wird dies in seiner Gnadenlehre von 397:
- Alle Menschen sind grundsätzlich der Erbsünde verfallen. Das Verdorbensein durch die Erbsünde ist angewiesen auf die Gnade der Erlösung. Diese kann man sich nicht verdienen, sondern sie wird von Gott nach seinem, dem Menschen nicht erkennbaren Maßstab gewährt (doppelte Prädestination). Die Freiheit steht hierzu in einem dialektischen Verhältnis: Gott hat als Schöpfer dem Menschen zwar die Freiheit geschenkt, doch befähigt sie den Menschen ausschließlich zum Bösen. Das Wollen des Guten beruht wiederum allein auf der Gnade Gottes.
- Der Glaube geht der Vernunft voran, doch ist letztere wichtig, um den Glauben zu bestätigen. Wissensgewinn ist kein Wert an sich, sondern dient der Festigung der Glaubensposition. Die Vernunft allein ist zu schwach, die Wahrheit zu finden. Hierzu bedarf es der Autorität der Heiligen Schrift, auch wenn diese in manchen Fällen allegorisch auszulegen ist. Der Glauben wird durch die Autorität bestimmt. Diese besteht in der Schrift und der Institution der Kirche, die durch Nachfolge bis zu den Aposteln zurückreicht.
Zur Durchsetzung der Autorität griff Augustin auch zu Mitteln der Gewalt gegen nicht linientreue christliche Strömungen, eine Position, die er auch in dogmatischen Schriften gegen die Donatisten und die Pelagianer niederlegte.
Der Pelagianismus wurde durch den irischen Mönch Pelagius (gest. um 418) begründet und wich von den offiziellen Lehren insbesondere durch die Ablehnung der Erbsünde und die Zurechnung einer persönlichen Willensfreiheit mit der Konsequenz der Verantwortung des Menschen für seine Sündhaftigkeit. Nach verschiedenen Anläufen des Augustinus wurden diese Lehren auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 für unzulässig erklärt, so dass sich die Vorstellung der Erbsünde, wie sie Augustinus gelehrt hatte, durchsetzte. Die Unterscheidung von leiblicher und göttlicher Welt führt Augustinus in seiner Betrachtung über den Gottesstaat (De civitate dei) zu einer Begründung der politischen Trennung von Kirche und Staat.
Boethius
Boethius (ca. 480 – 524), entstammte einer vornehmen römischen Familie und hatte eine klassische Bildung erhalten. Er konnte noch die griechischen Texte Platons und Aristoteles im Original lesen und war selbst politisch aktiv. Das von ihm geschriebene Fragment einer Aristoteleskommentierung war für lange Zeit die einzige Quelle zu Aristoteles im westlichen Mittelalter, in dem die Kenntnis des Griechischen weitgehend verloren gegangen war. Auf diesen Text gründet sich die frühe scholastische Diskussion zur Logik und Begriffsanalyse. Boethius hat auch das in einem Proklos-Kommentar zu Aristoteles aufgeworfene Universalienproblem ausführlich diskutiert und damit der Scholastik ein weiteres wesentliches Thema gegeben. Als Kanzler unter Theoderich von diesem wegen seines Eintretens für eine Verständigung mit Byzanz zum Tode verurteilt, schrieb er in den Monaten bis zu seiner Hinrichtung sein Hauptwerk, den "Trost der Philosophie" (Consolatio philosophiae). Obwohl Christ, suchte er sein Schicksal nicht in der Kontemplation, sondern in der Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen zu verarbeiten. Auch die Theodizeefrage beantwortete er philosophisch:
- Alles in der Natur ist vernünftig. Das Böse, das von dem Menschen in die Welt getragen wird, überwindet man nur durch den Weg zu sich selbst in der Selbsterkenntnis. Die Wahrheit wird sichtbar, wenn man die Affekte (Freude, Hoffnung, Angst und Schmerz) überwindet. Glück besteht nicht in materiellen Gütern, sondern in dem was in uns liegt. Unglück ist nur eine falsche Vorstellung von dem, was Glück ist. Der Mensch strebt immer nach dem Guten. Solange er strebt ist er mit dem Unvollkommenen konfrontiert. Das unvollkommene gibt es aber nur, weil es auch das Vollkommene gibt; sonst könnte man das Unvollkommene nicht als unvollkommen betrachten. Das Vollkommene aber, in dem alles gut ist, ist Gott. Das Vollkommene ist (logisch) früher als das Unvollkommene und damit der Ursprung allen Seins. Ewigkeit ist für Boethius keine immerwährende Zeit, sondern ein zeitloser Zustand.
Dionysius Areopagita
Dionysius Areopagita (ca. 500) ist das Pseudonym eines unbekannten neuplatonischen Autors. Seine Schriften erlangten für die Scholastik große Bedeutung und wurden u.a. viel von Thomas von Aquin zitiert. In seiner Lehre ist das Eine das Göttliche. Dieses ist unteilbar. Wenn wir von Sein, Denken oder Liebe reden, haben wir schon eine Differenzierung vorgenommen. Solche Begriffe sind nur Erscheinungen des Göttlichen (Theophanien), sie beinhalten immer bereits den Aspekt der Vielheit und der Gegensätzlichkeit. Das Gute ist auch nur eine Erscheinung, wenn auch die Vorstellung des höchsten Guten dem Göttlichen vermutlich am nächsten kommt. Alles Sichtbare ist nur ein Gleichnis für das Unsichtbare (im Gegensatz zu Aristoteles für den am Ende alles Substanz ist). Um eine Vereinigung mit dem Einen zu erreichen bedarf es eines dreistufigen Weges:
- Via purgativa = Reinigung von den Affekten und Sinneseinflüssen,
- Via illuminativa = Erleuchtung durch Erkennen der idealen Strukturen in der Vernunft und schließlich
- Via unitiva = Einigung mit dem Einen durch kontemplatives Übersteigen der Ebene der Vernunft.
Wie es einen Aufstieg zu dem Einen gibt, so gibt es auch eine dreistufige Hierarchie unter den Autoritäten (Bischöfe, Priester, Diakone) und unter den weltlichen Menschen (Mönche, Gläubige, Büßer). Erst seit Dionysius werden Engel als nicht materiell gedacht.
Scholastik
Die Übergangszeit zwischen Patristik und Scholastik hat kein eigenständiges neues Denken hervorgebracht. Allerdings gab es eine Reihe wichtiger Personen, die an der Tradierung der antiken Bildung maßgeblichen Anteil hatten. Isidor von Sevilla (gest. 636) verfasste eine Enzyklopädie namens Etymologiae. Maximus Confessor (gest. 662) schrieb erklärende Zusätze zu Augustinus und Boethius. Johannes von Damaskus (ca. 675– 750) war in Syrien orthodoxer Dogmatiker und ist inhaltlich eher der Patristik zuzurechen. Der Engländer Alkuin (um 730 – 804) leitete die Hofschule Karls des Großen, wo er nach den Artes liberales lehrte, die er durch Karl den Großen für verbindlich erklären lies. Er wandte sich gegen die Irrlehre des Adoptianismus, der Jesus als von Gott adoptierten Menschen ansah und gilt als einer der Bewahrer der lateinischen Bildung und Mitbegründer der sog. Karolingischen Renaissance. Gleiches gilt für seinen Schüler Hrabanus Maurus (780 – 856), der unter Zugrundelegung des Werkes von Isidor eine eigene Enzyklopädie De universo verfasste. Notker Teutonicus (um 950 – 1022), Leiter der Klosterschule in St. Gallen, gilt als erster Aristoteles–Kommentator des Mittelalters. Er übersetzte u.a. Schriften von Cicero, Boethius und von Martianus Capella dessen Lehrbuch der Artes liberales.
Eine Sonderrolle in dieser Zeit spielte Johannes Scotus Eriugena (um 810 – 877). Dieser war ein irischer Naturphilosoph der u.a. den Text des Dionysius Areopagita aus dem Griechischen übersetzte. Eriugena stand zwar auch in der augustinischen Tradition des Neuplatonismus, setzte aber doch deutlich stärker auf die Vernunft: „Wirkliche Autorität scheint mir nichts anderes zu sein als kraft der Vernunft aufgedeckte Wahrheit.“ Darüber hinaus kann man ihn als ersten eigenständigen Denker nach Augustinus bezeichnen und als den ersten im Mittelalter, der ein philosophisches System entwarf. In seiner Divisione naturae unterschied er
- das, was schafft ohne geschaffen zu sein (Gott als Ursache alles Seienden),
- das, was schafft und geschaffen ist (Ideen),
- das, was geschaffen ist ohne selbst zu schaffen (Wesen in Raum und Zeit), sowie
- das, was weder geschaffen noch schaffend ist (Gott als Ziel alles Seienden), mithin Gott als Anfang und Ende des vergänglichen Menschen und seinen gottgegebenen Ideen.
Dieses Modell entspricht weitgehend der plotinischen Lehre von der Emanation. Eine Prädestination, wie sie der spätere Augustin lehrte, lehnte Eriugena ab.
Im Abendmahlsstreit vertrat Berengar von Tours (gest. 1088) aus der Schule von Chartres die Auffassung, dass Brot und Wein beim Abendmahl nur sinnbildlich zu betrachten seien. Sein Gegner, Lafrank (1005–1089), wollte keine Vernunftgründe hören, sondern nur den Autoritäten folgen, worauf Berengar argumentierte, dass er in der Vernunft nach dem Bilde Gottes geschaffen sei.
Anselm von Canterbury (1033 – 1109) wollte zwar Augustinus nicht widersprechen, unterschied sich aber deutlich von diesem, indem er die Dialektik als Methode auf die christliche Gotteslehre anwandte und damit zeigte, dass diese sich im Wesentlichen als vernunftnotwendig nachweisen ließ. In diesem Sinne führte er auch den berühmten ontologischen Gottesbeweis, in dem rein semantisch gezeigt wird, dass man die Existenz Gottes nicht bestreiten kann, ohne bereits eine Vorstellung von diesem und seiner Vollkommenheit zu haben. Dennoch war der Vorrang der Theologie für ihn unstrittig, so dass er mit Augustinus bekannte: credo ut intelligam ("ich glaube, um zu verstehen").
Petrus Damiani (um 1006 – 1072) war bekannt für seinen Kampf gegen die Sittenlosigkeit der römischen Geistlichkeit. Er war der Schöpfer des Spruchs von der Philosophie als der "Magd der Theologie" (Philosophia ancilla theologiae), mit dem er sich gegen die Scholastiker, also insbesondere Berengar und Anselm, wandte, die über die Vernunft den Glauben erschließen wollten.
Adelard von Bath (um 1090 – 1160) reiste als junger englischer Gelehrter nach Spanien, um die arabischen Wissenschaften kennenzulernen. Zurückgekehrt übersetzte er eine Vielzahl arabischer Schriften und betonte immer wieder die Überlegenheit der arabischen Wissenschaften insbesondere im Bereich der Medizin, Mathematik und Astronomie.
Gilbert von Poitiers (ca. 1080 – 1145), ein Schüler des Bernhard von Chartres war Vertreter des Realismus im Universalienstreit und wurde begriffsgeschichtlich durch die Unterscheidung zwischen Gott und Gottheit sowie von Individualität und Singularität bekannt. Er wurde wegen seiner Hervorhebung der Vernunft von Bernhard von Clairveaux scharf angegriffen.
Johannes Roscelinus von Compiègne (ca. 1050 – 1120) formulierte eine besonders radikale Fassung des Nominalismus, die ihn in Auseinandersetzungen insbesondere mit Wilhelm von Champeaux führte. Roscelinus ging so weit, aus der Annahme, dass die Universalien nichts als Namen sind, zu schließen, dass es auch keine Trinität gäbe, also auch Gott, Jesus und der Heilige Geist als drei Personen aufzufassen seien (Tritheismus). Die Thesen Roscelinus’ wurden verurteilt und er musste widerrufen. Wilhelm von Champeaux (gest. 1121) war entschiedener Realist und setzte sich im Universalienstreit gegen Roscelinus durch. Wilhelm war Gründer des Stiftes Saint-Victor, das in der Folgezeit eine Reihe von der Mystik zuzurechnenden Vertretern hervorbrachte, u.a. Hugo von Sankt Viktor (1097 – 1147), eigentlich Graf Hugo von Blankenburg, wobei dieser andererseits aber auch ein intensives Naturinteresse zeigte. Für Wilhelm lag das Universale ganz im Individuum.
Petrus Abaelard (1079 – 1142) war sowohl Schüler von Roscelinus als auch von Wilhelm von Champeaux. Er entwickelte im Universalienstreit eine vermittelnde Position, die davon ausgeht, dass Universalien weder vor den Dingen sind (Realismus), noch nach den Dingen als Bezeichnungen gebildet werden (Nominalismus), sondern rein im Verstande als Abstraktion der einzelnen Dingen entstehen, demnach in den Dingen (in rebus) liegen. Diese Position wird auch als Konzeptualismus bezeichnet. Bekannt wurde er vor allem durch seine Weiterentwicklung der scholastischen Methode, seine logischen Schriften und Stellungnahmen zur Ethik (scito te ipsum = Erkenne dich selbst) und Religionsphilosophie. In seiner Schrift Sic et non listete er in Frageform in 158 Kapiteln Widersprüche auf, die sich aus den Texten der Bibel und den Lehrern der Kirchenväter ergaben, um nachzuweisen, dass die Theologie der Hilfe der Vernunft bedarf, um in solchen Zweifelsfragen sinnvollen Aussagen und Entscheidungen zu kommen. Abaelard unterschied zwischen Begriff und dessen Bedeutung, die der Mensch erzeugt. Das Gute lag für ihn allein in der guten Absicht, nicht im Ergebnis, d.h. dem Einhalten formaler Regeln. Er wandte sich gegen die vorherrschende Lehre, dass Gott durch den Kreuzestod dem Teufel die Rechte am Menschen, die dieser aufgrund der Erbsünde erworben hatte, abgekauft habe. Gott war für ihn vielmehr ein Gott der Liebe, der dem Menschen durch sein Opfer die Gnade der Erlösung gewährt. Auch setzte Abaelard sich für eine friedliche Beziehung der Religionen ein. Er schrieb einen Brief über die Geschichte seiner Niederlagen, in dem er auch die berühmte Liebesbeziehung zu seiner Schülerin Heloise und ihre tragische Entwicklung darstellt. Aufgrund seines selbstbewussten, ständig auf Auseinandersetzung ausgerichteten Auftretens und der teilweise deutlich von Augustinus abweichenden Lehren stand Abaelard in ständigem Konflikt zu den orthodoxen Kirchenvertretern seiner Zeit, insbesondere Bernhard von Clairveaux, Wilhelm von Champeaux und seinem ehemaligen Schüler Wilhelm von Saint-Thierry. Abaelard wurde zweimal als Ketzer verurteilt.
Petrus Lombardus (ca. 1100 – 1160) schrieb weit verbreitete sog. Sentenzen, in denen wesentliche Aussagen der Patristik, insbesondere Zitate von Augustinus gesammelt und in einer systematischen Ordnung zusammengestellt waren. Diese Sentenzen wurden für mehrere hundert Jahre zu einem allgemeinen Lehrwerk. Auch Thomas von Aquin schrieb einen Kommentar hierzu und selbst noch Luther hat es kommentiert.
Thierry von Chartres (gest. 1151) war ein Lehrer der sieben freien Künste, der im Rückgriff auf Platons Timaios und die stoische Physik die Schöpfungsgeschichte als einen Naturprozess auslegte. Dahinter stand die Vorstellung, dass Gott zwar die (vier) Elemente geschaffen hat, die Welt aber im übrigen ihren eigenen Weg ging. Die Bedeutung Thierrys liegt vor allem darin, dass Nikolaus Cusanus in hohem Maße auf seine Schriften zurückgegriffen hat.
Wilhelm von Conches (gest. nach 1150) unterschied das Begreifen der Dinge, die unsichtbar sind wie Gott oder die Seelen, von dem Begreifen der sichtbaren Dinge. Auf der einen Seite stand Gott als Macht, Weisheit und Wille, auf der anderen Seite eine atomistische Welt. Auch bei ihm wird ein stark physikalisch geprägtes Weltbild erkennbar, das ebenso von Platon beeinflusst war.
Johannes von Salisbury (1115 – 1180) lernte bei Abaelard, Thierry von Chartres und Wilhelm von Conches. Er vertrat wie Abaelards den Konzeptualismus und war Sekretär von Thomas Becket. In dieser Funktion schrieb er eine frühe Staatstheorie (Policraticus), in der er Sittlichkeit und Tugenden zu den Pflichten der Staatsvertreter erklärte und den Tyrannenmord rechtfertigte. Auch Arnold von Brescia war Schüler Abaelards. Als radikaler Denker vertrat er die Ideale des Urchristentums, wandte sich gegen die weltliche Macht des Papstes und trat gegen Hörigkeit und Leibeigenschaft ein.
Alanus ab Insulis (Alain de Lille) entwarf nach dem Vorbild des Euklid eine axiomatische Theologie, in der er von der Einheit des Einen ausgeht.
Arabische und jüdische Philosophie
Al Farabi (870 – 950) übersetzte griechische Texte, arbeitete mit der aristotelischen Logik, setzte sich mit Mathematik und Musik auseinander und verwendete sowohl Platon als auch Aristoteles für seine Philosophie. Das von Avicenna (980 – 1037) (al Kindi) verfasste als medizinisches Grundlagenwerk das Buch der Genesung, das über Jahrhunderte sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Welt als Lehrbuch zugrunde gelegt wurde. Dieses enthielt auch Teile zur Logik, zur Mathematik und zur Metaphysik, die neuplatonsiche Züge aufweist. Hätte man in der Scholastik seine Position wahrgenommen, so hätte der Universalienstreit schnell an Bedeutung verloren. Für Avicenna lagen die Universalien vor den Dingen im göttlichen Verstand, in den Dingen als Form der Gegenstände der Natur sowie hinter den Dingen in den abstrakten Begriffen der Menschen. Für Avicenna entfaltet sich die Welt aus dem Göttlichen, das das Eine, das Vollkommene und das Gute ist.
Bei Gabirol (1020 – 1068) ist der göttliche Wille die Quelle des Lebens. Das von Gott Geschaffene ist Materie, auch das Geistige. Das Ersterzeugte ist Gottes Wille, der zwischen Gott und der Welt vermittelt. Averroes (1126 - 1198) (Ibn Roschd) verfasste umfangreiche Kommentare zur Aristoteles, so dass ihn Thomas von Aquin ohne Zusatz nur "Der Kommentator" nannte. Die Einzelseele ist zwar sterblich, aber der Geist der Menschen als Gesamtheit ist unsterblich. Die Religion erklärt der großen Masse die Welt in Bildern und symbolisch. Die Philosophie steht hierzu nicht in Widerspruch, muss aber die Welt aus der Vernunft heraus erklären. Der jüdische Denker Maimonides (1135 – 1204) wollte Zweifelnde durch die Vernunft wieder zum Glauben zurückführen. Auch für Maimonides hat die Religion Vorrang vor der Vernunft, wie sie vor allem durch Aristoteles begründet wird. Jedoch sind biblische Texte, die der Vernunft widersprechen, allegorisch auszulegen. Auch in der Ethik lehnte er sich weitgehend an Aristoteles an. Levi ben Gerson (1288 – 1344) verbreitete die Lehren des Averroes und vertrat wie dieser das Aufgehen der individuellen Seele in der Weltseele.
Robert Großeteste (1170 – 1253) war der Lehrer von Roger Bacon und hatte ein relativ großes Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen. Alexander von Hales (1170 – 1245) war Aristoteliker und hat als erster ein äußerst umfangreiches Werk formalisierter, nach der scholastischen Methode aufgebauter Qaestiones geschrieben. Johannes Bonaventura (1221 – 1274) legte im Vergleich zu seinem Lehrer Alexander von Hales ein deutlich stärkeres Gewicht auf die Erleuchtung durch Gott.
Albertus Magnus (1200 – 1280) hatte seinen Beinamen aufgrund seines ungeheuer breiten und umfangreichen Wissens, vor allem auch in den Naturwissenschaften. Er verarbeitete als einer der ersten die neu übersetzten Werke des Aristoteles und betrieb intensive Naturforschung. Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften sah er eher als eigenständige Disziplinen, die jeweils auch fachspezifisch bearbeitet werden sollten. Demgemäß gilt es naturwissenschaftliche und theologische Erkenntnisse zu unterscheiden. Er war der Lehrer von Thomas von Aquin und schuf für dessen Arbeit die Grundlagen.
Thomas von Aquin (1225 – 1274) gilt gemeinhin als der bedeutendste Philosoph des Mittelalters und schuf ein sehr umfangreiches Werk. Auch für Thomas blieb die Theologie die erste Wissenschaft, der die Philosophie untergeordnet war. Es gilt jedoch als großer Verdienst von Thomas, Fragen der Wissenschaft mit der Theologie in Einklang gebracht zu haben.
Berühmt ist seine Wahrheitsdefinition der adaequatio rei et intellecto, d.h. der Übereinstimmung von Gegenstand und Verstand. Die natürliche Erkenntnis sah er als grundsätzlich auch maßgeblich für die Theologie an. Nur wo die Offenbarungslehren wie z.B. die Dreieinigkeit, die Sakramente, das jüngste Gericht oder die Jungfrauengeburt über die Erkennbarkeit für die Vernunft hinausgehen, sind diese maßgeblich.
Auf Thomas ist es zurückzuführen, das die gesamte Logik, die Ethik und die Psychologie des Aristoteles als mit den Lehren der Kirche vereinbar angesehen werden können. Insbesondere die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz ist für sein System wesentlich. Einzeldinge entstehen dadurch, dass die Materie durch die Form bestimmt wird. Die Grundformen Raum und Zeit haften untrennbar an der Materie. Die höchste Form ist Gott als Verursacher (causa effizienz) und als Endzweck (causa finalis) der Welt.
In der Ethik ergänzte Thomas die vier klassischen Kardinaltugenden durch die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Das höchste Gut ist die unmittelbare Anschauung Gottes. Höhepunkt seiner Arbeiten ist sein systematisches Werk der Summa theologica. Die am Anfang dieser Schrift stehenden fünf Gottesbeweise fasste er als Nachweis auf, dass man den Glauben auch aus der Vernunft heraus begründen kann, nicht aber als Beweise im strengen Sinn. Von Papst Leo XIII. wurde sein Werk 1879 zur verbindlichen christlichen Philosophie für die katholische Kirche erklärt, was auch heute noch gilt (s.a. Neuthomismus). In der Philosophie werden seine Kommentare zu Aristoteles noch heute als bedeutsam angesehen.
Als Averroisten forderten Siger von Brabant (gest. 1284) und Boethius von Dacien (gest. 1286) die Lehren des Aristoteles ohne Einfluss der Offenbarungslehren unterrichten zu können. Gerade in Hinblick auf die Frage der Sterblichkeit der Seele weichen sie von der offiziellen Kirchenlehre ab und werden daher auch von Thomas scharf kritisiert.
Roger Bacon (1214 – 1294) war naturwissenschaftlich gebildet und verwendete sein Privatvermögen für Experimente. Mit der praktischen Forschung stand er im Gegensatz zur üblichen Haltung der Scholastiker, die Erkenntnis allein aus der Vernunft schöpfen wollten. Bacon wendete sich vor allem gegen Vorurteile, Gewohnheit und Mangel an Selbstkritik. Erkenntnis allein aus Vernunft ist nicht möglich. Hierzu bedarf es vor allem auch der Erfahrung. Man kann ihn aufgrund dieser Haltung als einen der Urväter des britischen Empirismus ansehen.
Petrus Hispanus (1226 – 1277) schrieb ein Kompendium der Logik, Aegidius von Rom (1243 – 1316) verfasste gegen die radikalen Aristoteliker einen Katalog von 95 Irrlehren. Heinrich von Gent (1217 – 1293) wehrte sich gegen den Intellektualismus des Thomas und forderte, zu Augustinus zurückzukehren und den Primat des Willens anzuerkennen.
Johannes Duns Scotus (1266 – 1308) gilt als der große Gegenpol zu Thomas von Aquin. Als scharfer Logiker und Mathematiker wendete er sich gegen die zu große Verknüpfung von Vernunft und Glauben. Der Wille hat einen Vorrang vor der Vernunft. Deshalb ist die intellektuelle Verbrämung des Glaubens abzulehnen. Das ursprüngliche Denken ist verworren und unklar. Der Mensch ist durch die Triebe und die Gefühle der Lust und Unlust bestimmt. Erst der Wille ist in der Lage, diese zu überwinden. Das Gute wird durch den Willen bestimmt und steht höher als das Wahre. Wenn der Wille auf Gott gerichtet ist, erreicht er das Gute in der Liebe.
Dietrich von Freiberg (um 1250 – 1320) erforschte neben anderem das Prinzip des Regenbogens. Dante Allighieri (1265 – 1321) war stark durch den Thomismus geprägt, zeigte aber schon den Weg zur Renaissance, in dem er ein von der Kirche unabhängiges Staatskonzept entwarf.
Wilhelm von Ockham (um 1280 – 1347) hat wesentliche Beiträge zur formalen Logik und zur Sprachphilosophie geleistet. Das nach ihm benannte „Ockhamsche Rasiermesser“ ist ein Ökonomieprinzip ("Frustra fit per plura quod potest fieri per pauciora" = Es ist umsonst, etwas durch mehreres zu machen, was durch weniger gemacht werden kann). Das dahinter stehende Verständnis ist das, dass Theorien nur ein Modell sind, die die Wirklichkeit so einfach wie möglich erklären können, weil sie die Natur in ihrer Komplexität vermutlich (sowieso) nicht erfassen können. Im Universalienstreit war Ockham Nominalist, wobei die Begriffe nicht Abbilder der Dinge sind, sondern nur Zeichen. Für Ockham waren weder das Dasein Gottes noch dessen Eigenschaften aus der Vernunft heraus beweisbar. Das Unbeweisbare zu glauben ist jedoch ein verdienstlicher Willensakt. Selbsterkenntnis hat die höchste Gewissheit. Ockham trat für eine Trennung von Kirche und Staat ein. Beides sind legitime Autoritäten. Letzterer habe die Aufgabe, das Gemeinwohl zu fördern. Mit dieser Auffassung kam er in Konflikt mit dem Papst und musste bei Ludwig IV. von Bayern in München Schutz vor Verfolgung suchen.
Raimundus Lullus (1232 – 1316) war ein vielgereister Weltenbummler, den man als Averroisten einstufen kann. Er erfand eine Schablone mit sieben konzentrischen Kreisen, auf der er Begriffskombinationen ablesen konnte, die nach seiner Aussage entsprechende Wahrheiten aufzeigen konnten. Albert von Sachsen (1316 – 1390), erster Rektor der Wiener Universität und später Bischof von Halberstadt, Nikolaus von Oresme (ca. 1330 – 1382) beschäftigte sich mit einer Reihe von naturwissenschaftlichen Fragen, setzte dabei mathematische Konzepte ein und fand dabei auch sachliche Fehler bei Aristoteles. Er vertrat die Auffassung, dass auch neue Betrachtungsweisen zulässig seien und hielt sogar ein heliozentrisches Weltbild für möglich. Marsilius von Inghen (ca, 1335 – 1396) war Mitbegründer der Universität von Heidelberg. Nikolaus von Autrecourt (gest. nach 1330), Johannes Buridan (ca. 1300 – 1358) war Rektor der Pariser Universität und befasste sich mit Fragen der Willensfreiheit. Berühmt ist sein Beispiel eines Esels, der genau in der Mitte zwischen zwei Heuhaufen steht, sich nicht entscheiden kann zu welchem er geht und darüber verhungert. Pierre d’Ailly (1350 – 1420) gilt als philosophischer Skeptiker, der das Primat des Willens lehrte. Wahrnehmung ist nur der äußere Bezug zur Natur, die von Gott verändert werden kann.
Nikolaus von Kues (1401 – 1464) kann sowohl als Philosoph des ausgehenden Mittelalters, als auch schon als Vertreter der Renaissance angesehen werden. Nach umfänglichen Studien übernahm er eine Reihe kirchenpolitischer Aufgaben. Daneben befasste er sich intensiv mit naturwissenschaftlichen und mathematischen Fragen und entwickelte ein aus heutiger Sicht bereits sehr modernes Weltbild. Die Erde stand für ihn nicht im Mittelpunkt des Universums und das Weltall sah er als unendlich an. Gott war für ihn mit Vernunft nicht fassbar. Entsprechend können Religionen immer nur einen Teil der Wahrheit von Gott verkünden. Das Begreifen des Nichtbegreifens führte ihn zu der Auffassung, dass alles Gegensätzliche in Gott zusammenfällt (Coincidentia oppositorum).
Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153) ist vor allem bekannt durch seinen Kampf gegen sog. Häretiker wie Abaelard, Gilbert de la Poirée oder Wilhelm von Conches. Wissen um des Wissens Willen ist heidnisch. Die eigentliche Tugend des Christen ist die Demut.
Hildegard von Bingen (1098 – 1179) war als Frau die Teilnahme am universitären Diskurs ihrer Zeit versperrt. Sie schrieb zu einer Vielzahl von auch kritischen Fragen des täglichen und des christlichen Lebens allgemeine Lebensregeln und auch eine Reihe medizinischer Texte. Almarich von Bène (gest. 1206) verbreitete pantheistische Auffassungen, nach denen Gott in allen Kreaturen lebt, so dass seine Anhänger systematisch verfolgt wurden. Joachim von Fiore (1135 – 1202) entwarf eine geschichtsphilosophische Betrachtung der Bibel, indem er das Alte Testament mit Gott, das neue Testament mit Jesus und die Zeit bis zum jüngsten Gericht mit dem Heiligen Geist gleichsetzte. Dabei erwartete er das jüngste Gericht aufgrund von Berechnungen aus der Bibel im Jahre 1260.
Das herausragende Thema von Meister Eckhart (um 1260 – 1328) ist das Einswerden des Innersten mit Gott. Als Dominikaner stand er in der Nachfolge von Thomas und war als Lehrer in Paris und Köln durchaus ein Vertreter der klassischen Philosophie und Theologie. Für ihn war aber Vernunft ohne Kontemplation nicht vollendet. Nur durch die Verinnerlichung des Wortes findet die menschliche Seele zu dem unbegreiflichen und unaussprechlichen göttlichen Urgrund der Dinge, der sich in der ganzen Natur manifestiert. Hierdurch wird Gott in unserer Seele geboren, die eins wird mit Gott. Schüler und Nachfolger Eckharts sind Heinrich Seuse (1295 – 1366) und Johann Tauler (1300 – 1361).
Weblinks
- „Mittelalter“, in: Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie (1902)
- Logik und Philosophie des Mittelalters im PhilLex
- Umfangreiche Linkliste zur Philosophie des Mittelalters
- Kommentierte Literaturliste von Prof. Josef Rauscher
- P.V. Spade, Medieval Philosophy
- John Kilcullen, Teaching Materials on Medieval Philosophy
Literatur
- Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. 2. Aufl. Reclam, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-018103-8
- Georg Scherer: Philosophie des Mittelalters. Metzler, Stuttgart u.a. 1993, ISBN 3-476-10271-8
- Richard Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. 2. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 1998, ISBN 3-17-015529-6
- Loris Sturlese: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (748 - 1280). Beck, München 1993, ISBN 3-406-37749-1
- Kurt Flasch: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. 3. Aufl. WBG, Darmstadt 1994, ISBN 3-534-04570-X
- Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Teil 1: Altertum und Mittelalter. 14. Aufl. Herder, Freiburg i.Br. 1991, ISBN 3-451-22408-9
- Frederick Copleston: A history of philosophy. Vol.2: Medieval philosophy. Continuum, London u.a. 2003, ISBN 0-8264-6896-9
- Frederick Copleston: A history of philosophy. Vol.3: Late Medieval and Renaissance philosophy. Continuum, London u.a. 2003, ISBN 0-8264-6897-7
- Peter Schulthess, Ruedi Imbach: Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Ein Handbuch mit einem bio-bibliographischen Repertorium. Artemis & Winkler, Düsseldorf u.a. 2000, ISBN 3-7608-1218-X
- Friedrich Ueberweg, Bernhard Geyer: Die patristische und scholastische Philosophie. 11. Aufl. (Nachdr.) WBG, Darmstadt 1967.