Wie liegt die Stadt so wüst (Mauersberger)

Motette von Rudolf Mauersberger
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Wie liegt die Stadt so wüst (RMWV 4/1) ist eine Trauermotette, die vom Kreuzkantor Rudolf Mauersberger nach Texten aus den Klageliedern Jeremias komponiert wurde. Die Motette ist Teil von Mauersbergers Zyklus Dresden, traditionell wird sie vor dem Dresdner Requiem aufgeführt. Sie ist für vier- bis achtstimmigen gemischten Chor a cappella komponiert.

Entstehungsgeschichte

 
Ort der Uraufführung - Zerstörte Kreuzkirche im Jahr 1945

Nach der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg flieht Mauersberger in seinen Heimatort Mauersberg im Erzgebirge. Hier liest er am Karfreitag die Klagelieder Jeremias, deren Text wie sehr gut zu den zurückliegenden Ergeignissen passt. Mauersberger wählt aus den fünf Kapiteln die ausdrucksstärksten Sätze aus. Innerhalb von vier Tagen komponiert er die Motette. Am 4. August 1945 mit der ersten Vesper des Dresdner Kreuzchores wurde sie uraufgeführt.

Textauswahl

Text:

Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war.
Alle ihre Tore stehen öde.
Wie liegen die Steine des Heiligtums
vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe
in meine Gebeine gesandt und es lassen walten.

Ist das die Stadt, von der man sagt,
sie sei die allerschönste, der sich
das ganze Land freuet.

Sie hätte nicht gedacht,
daß es ihr zuletzt so gehen würde;
sie ist ja zu greulich heruntergestoßen
und hat dazu niemand, der sie tröstet.

Darum ist unser Herz betrübt
und unsere Augen sind finster geworden:
Warum willst du unser so gar vergessen
und uns lebenslang so gar verlassen!

Bringe uns, Herr, wieder zu dir,
daß wir wieder heimkommen!
Erneue unsere Tage wie vor alters.
Herr, siehe an mein Elend!

Mauersberger orientierte sich beim Textaufbau der Motette nicht am Aufbau der Klagelieder. In den Klagelieder 1, 2 und 4 wird über die Zerstörung Jerusalems geklagt, in den Liedern 3 und 5 wird ein Schuldeingeständnis an Gott gerichtet und um die Wende des Unheils gebeten. Mauersberger übernimmt bei seiner Textzusammenstellung nicht das Sündenbekenntnis und die Bejahung des Gottesurteils. Er lässt das Annehmen des Gerichtsurteils Gottes[1] außer acht und schildert das Elend um das Gericht Gottes. Das Gottesurteil wird nicht bejaht, sondern es wird nicht verstanden - das Warum wird betont. Mauersberger zieht die Möglichkeit der Eigenschuld nicht in Betracht, das Sündenbekenntnis ist in seiner Textauswahl nicht zu finden. Es wird lediglich die Bitte nach Erbarmen formuliert. Die Bindung an Gott ist trotz des Unheils eng und soll verstärkt werden. Mit der Textzeile Bringe uns wieder zu dir wird die augenblickliche Gottlosigkeit dargestellt, aus der nur Gott herausführen kann. Die Art wie Mauersberger die Texte anordnete, ist seiner Verfassung nach der Bombardierung Dresdens geschuldet und vollkommen verständlich.[2] Es war nicht Mauersbergers Absicht, die Klagelieder zu vertonen, sondern durch sie das eigene Leid darzustellen.

Mauersbergers ausgewählte Texte lassen sich in drei Abschnitte teilen. Im ersten Teil werden Elend und Not der Stadt geschildert. Die viermalige Frage Warum eröffnet den zweiten Teil, in der die Fassungslosigkeit und die Bitte um Erbarmen geschildert werden. Im dritten Teil ab Ach Herr erflehen die Menschen Gottes Anteilnahme am Elend.

Musikalische Umsetzung

Das Werk ist in f-Moll komponiert und steht im 3/4-Takt. Die Motette lässt sich in zwölf Abschnitte gliedern, bei denen jeder Vers in harmonischen Zusammenhang gestellt und jedes Wort individuell gesetzt scheint.[2]

Takte 1 - 8

Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war (Klgl 1,1 LUT) - Mit einer halben punktierten Note zum Wort Wie eröffnen die Stimmgattungen Alt und Bass das Stück - Alt mit f1 und Bass (oktaviert) mit f und F. Die beiden folgenden Worte liegt die werden auf die gleiche Weise gesungen. Im zweiten Takt setzen zur dritten Zählzeit Sopran und Tenor ein. Sie werden wie Alt und Bass rhythmisch gleich geführt. Die vierstimmige f-Moll-Tonika wird im vierten Takt zum Wort Stadt erreicht (Bass f, Tenor c1, Alt f1 und Sopran as1). Den drei flachen Vokalen i folgt als reiner f-Moll-Akkord im Wort Stadt das offene und dunkle a, so wird die gewaltige Dimension der Stadt dargestellt. Zu wüst setzt Mauersberger einen as-Moll-Akkord. Durch dessen Molltrübung sowie die melismatische Rückung zu f-Moll wirkt der Akkord resignierend. Zum gleichbleibenden Basston f steigen die oberen drei Stimmen von der Oktav- zur Terzlage des f-Moll-Akkords zu den Worten die voll Volks war. Im Melisma in Alt und Tenor wird das war stufenweise abwärts geführt. Grün sieht darin das Ende der Zeit, in der die Stadt gewaltige Dimensionen hatte.[2] Sopran und Bass halten das f zu war. Während des Melismas wird der Tenor von b über as zum ges geführt. Da im ersten Abschnitt ges verherrscht, vermutet Grün, dass Mauersberger die untergegangene Stadt durch die vergangenene phrygische Kirchentonart (auf f als Grundton) herstellen wollte.[2]

Takte 9 - 15

All ihre Tore stehen öde (KlglLUT) - Der Rhythmus in allen Stimmen ist bestimmt durch die Abfolge von Halben und Viertel Noten, bis auf zwei kurzen Melismen ist der Text silbenweise vertont, die an das Wiegen eines Klagenden erinnern. Der vier- bis fünfstimmige Satz geht von f-Moll zur Subdominante b-Moll. Diese steht nach einem über zwei Takte gehenden Melisma auf öde am Ende des Verses. Das Wort öde wird zudem durch Quint- und Quartparallelbewegungen dargestellt.

Takte 16 - 24

Wie liegen die Steine des Heiligtums vorn auf allen Gassen zerstreut (Klgl 2,7 LUT) - Bei allen Stimmen steht f am Beginn des Verses. Bass und Alt tragen ihren Text syllabisch vor und halten das f im nachfolgenden Takt bei den Worten Wie liegen die. Sopran und Tenor steigen in Oktavparallelen stufenweise an und führen zum sechsstimmigen b-Moll-Akkord beim Wort Steine. Vom Wort des leitet ein as-Moll-Übergang zum Wort Heiligtum in Des-Dur. Dieses führt durch einen im Tonumfang ausgeweiteten Melisma über As-Dur, b-Moll, f-Moll und Ges-Dur zu einer Quint-/Quartparallelbewegung bei den Worten vorn auf allen Gassen zerstreut.

Beim Wort Heiligtum wird die Siebenstimmigkeit erreicht, so dass dies auch mit der heiligen Zahl 7 symbolisch dargestellt wird.

Takte 25 - 30

Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und es lassen walten (Klgl 1,13 LUT) - In dem fünf- bis siebenstimmigen Vers wird der erste Höhepunkt des Werks erreicht. Das Erzähltempo wird Vierteln über Achtel bis zu Sechzehntelfiguren gesteigert, dadurch klingt der Text wie geprochen. Dies bewirkt einen Bruch mit dem liedhaften der vorhergehenden Takte. Beim Wort Höhe wird der Spitzenton der gesamten Komposition erreicht. Der Sopran 1 singt b2, darüberhinaus besteht der Chorsatz erneut aus sieben Stimmen, was die Göttlichkeit zahlensymbolisch darstellen soll. An das Gefälle im Chorgefüge bei den Worten aus der Höhe in meine Gebeine gesandt schließt sich zum dritten Mal im Werk bei den Worten und es lassen walten eine Quint-/Quartparallelbewegung wie bei den Takten 21 bis 24 an.

Takte 31 - 45

Ist das die Stadt, von der man sagt, sie sei die allerschönste, der sich das ganze Land freuet (Klgl 2,15 LUT) - Der fünfte Vers beginnt verhalten, nur einzelne tragen in pianissimo die vier Takte des Vorsatz Ist das die Stadt, von der man sagt vor. Der Gesamtchor singt in pianissimo piano sie sei die allerschönste, im Klang wird dabei die Makellosigkeit und Lieblichkeit der zerstörten Stadt nachgezeichnet. Nach einem Auftakt von drei Viertelnoten, syllabisch in allen Stimmen, zu sie sei die, folgt ein siebenstimmiger Des-Dur-Akkord. Dieser bestimmt auch die folgendne neun Takte bis zum Versendee. Auch hier stehen Des-Dur und Siebenstimmigkeit für die Heiligkeit und unterstreichen den fast heiligen, unsterblich schönen Nimbus dieser Stadt.[2] Im Tonumfang weitausholenden Melismen unterstützen dieses Bild, und zeichnen es weich und farbig, wodurch es sich vom restlichen Werk, das eher herb gehalten ist, herausgehoben wird. Im Nachsatz der sich das ganze Land freuet geht der Satz zurück zur Vierstimmigkeit und das schwärmerische verliert sich in Nüchternheit und Realität.

Takte 46 - 49

Sie hätte nicht gedacht, dass es ihr zuletzt so gehe würde (Klgl 1,9 LUT)

Takte 50 - 58

Sie ist ja zu greulich heruntergestoßen und hat dazu niemand, der tröstet (Klgl 1,9 LUT)

Takte 59 - 67

Darum ist unser Herz betrübt und unsere Augen sind finster geworden (Klgl 5,17 LUT)

Takte 68 - 85

Warum willst du unser so gar vergessen und uns lebenslang so gar verlassen (Klgl 5,20 LUT)

Takte 86 - 97

Bringe uns Herr, wieder zu dir, dass wir wieder heimkommen, dass wir wieder heimkommen (Klgl 5,21 LUT)

Takte 98 - 107

Erneue unsere Tage wie von alters (Klgl 5,21 LUT)

Takte 108 - 126

Ach Herr, siehe an mein Elend! (Klgl 1,9 LUT)

Literatur

  • Matthias Herrmann: Rudolf Mauersberger Werkverzeichnis. 2. Auflage. Sächsische Landesbibliothek, Dresden 1991.
  • Matthias Grün: Rudolf Mauersberger Studien zu Leben und Werk. 1. Auflage. Gustav Bosse Verlag, Regensburg 1986, ISBN 3 7649-2319-9(?!).
  • Matthias Herrmann: Kreuzkantor zu Dresden Rudolf Mauersberger. 1. Auflage. Mauersberger Museum, 2004, ISBN 3-00-015131-1.

Einzelnachweis

  1. Claus Westermann. Calwer Bibelkunde. Altes Testament, Apokryphen, Neues Testament. Calwer Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-7668-3714-1
  2. a b c d e Matthias Grün: Rudolf Mauersberger Studien zu Leben und Werk. 1. Auflage. Gustav Bosse Verlag, Regensburg 1986, ISBN 3 7649-2319-9(?!).

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