Lars von Trier (* 30. April 1956 in Kopenhagen als Lars Holbæk Trier) ist ein dänischer Filmregisseur. Er gilt als einer der markantesten und umstrittensten europäischen Filmemacher der Gegenwart.

Leben
Lars Holbæk Trier, später Lars von Trier, ist das einzige Kind von Inger Trier und Ulf Trier, einem dänischen Juden, der während des zweiten Weltkriegs nach Schweden geflohen war. Seine Eltern, die beide Beamte waren, sich politisch für den Kommunismus einsetzten und einer Gemeinschaft von Nudisten angehörten, waren beide nicht religiös und erzogen ihn antiautoritär. Von Trier beklagte später, er habe nicht viel Aufmerksamkeit und Zuneigung erfahren.[1] In seiner Kindheit litt er unter verschiedenen Phobien, die sich besonders anhand eines Kontrollzwangs zeigten. Sein Drang, alles zu ordnen und zu kontrollieren, brachte eine frühe Faszination für das Filmemachen mit sich, und er begann mit einer Super-8-Kamera, die ihm seine Mutter schenkte, seine ersten Drehversuche. Mit zwölf Jahren besuchte er ein Tagesheilungszentrum, welches er später als eine „Irrenanstalt“ bezeichnete. Im selben Alter spielte er in einer dänischen Kinderfernsehserie mit.
Lars von Trier wuchs in dem Glauben auf, dass Ulf Trier sein leiblicher Vater sei. Seine Mutter gestand ihm jedoch kurz vor ihrem Tod 1989, dass sein leiblicher Vater ihr ehemaliger Arbeitgeber Fritz Michael Hartmann sei, der von einer deutschen Familie abstammte. Diese Nachricht löste schwere Identitätskonflikte in Lars von Trier aus.[2] In den Neunzigern konvertierte er zum Katholizismus.
Karriere
Nach Beendigung der Schule begann von Trier 1976 ein Studium der Filmwissenschaften an der Universität Kopenhagen. Von 1979 bis 1982 absolvierte er die Dänische Filmhochschule und legte sich das Attribut „von“ zu seinem bestehenden Namen hinzu. Seine Abschlussarbeit Images of a Relief (1982), welche sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beschäftigt, wurde auf dem Münchner Filmfestival als bester Film des Jahres ausgezeichnet.
Er drehte unzählige Werbespots und debütierte dann 1984 als Kinoregisseur mit dem Krimi Element of Crime, dem ersten Teil seiner Europatrilogie, die sich mit der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, Überbleibseln archaischer Gesellschaftsformen und dem Verfall Europas auseinandersetzt. Element of Crime gewann bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes den Prix Vulcain de l’artiste technicien und bedeutete den nationalen und internationalen Durchbruch für von Trier. Die weiteren Teile der Trilogie waren 1987 Epidemic, der ebenfalls Wettbewerbsfilm in Cannes war, und Europa (1991), der dort ebenfalls mit dem Prix Vulcain de l’artiste technicien ausgezeichnet wurde und einen Sonderpreis der Jury sowie den Preis für den besten künstlerischen Beitrag erhielt.
Im selben Jahr startete von Trier zusammen mit Niels Vorsel das Filmprojekt Dimensions, die Langzeit-Verfilmung einer polizeilichen Intrige, die auf jährlich drei Minuten Drehzeit beschränkt sein sollte und die (unter anderem mit dem Schauspieler Udo Kier), an verschieden Drehorten in Europa gedreht und im Jahr 2024 fertiggestellt werden sollte. Der Schauspieler Eddie Constantine starb 1993. Nach Angaben der Zeitung Die Welt hat von Trier das Projekt zwischenzeitlich aufgegeben, da er mit anderen Projekten ausgelastet und die von ihm ausgesuchte Nachfolgerin für die Regie Katrin Cartlidge ebenfalls zwischenzeitlich verstorben ist.[3]
1992 gründete von Trier zusammen mit dem Produzenten Peter Aalbæk Jensen die unkonventionelle Filmproduktionsfirma Zentropa, die heute die erfolgreichste und größte Produktionsstätte für Filme in Dänemark darstellt und mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet wurde.
Die TV-Miniserie Hospital der Geister von 1994 spielt im größten dänischen Krankenhaus Rigshospitalet. Die Serie wurde 1997 mit einer zweiten Staffel fortgesetzt und sollte noch weitergeführt werden. Einige der Schauspieler, unter ihnen auch der schwedische Hauptdarsteller Ernst-Hugo Järegård, sind jedoch inzwischen verstorben.
Von Trier war Mitbegründer des Manifests Dogma 95, mit dem ein neuer Realismus im Film erreicht werden sollte. Ziel war es, wieder die Geschichte selbst in den Vordergrund zu stellen und auf technische Effekte zu verzichten. Sein Film Idioten war der zweite Film nach Thomas Vinterbergs Das Fest, der nach diesen Dogma-Prinzipien gedreht wurde.
Für das Musical-Melodram Dancer in the Dark mit der isländischen Künstlerin Björk in der Hauptrolle erhielt von Trier 2000 die Goldene Palme in Cannes.
Mit seinem Werk Dogville begann von Trier eine filmische USA-Trilogie, die ebenda bei einigen Kritikern bereits deshalb auf Vorbehalte stößt, weil der Regisseur aufgrund seiner Flugangst selbst nie dort gewesen ist. Den Vorwurf kommentierte von Trier in Anspielung auf den Film Casablanca, dass die Amerikaner auch nicht in Marokko gewesen seien. Vor allem störten die Kritiker sich an der aus ihrer Sicht einseitigen Darstellung der Dorfgemeinschaft in Dogville.
Von Trier gab 2004 bekannt, dass er sich trotz zweijähriger Vorbereitung nicht in der Lage sehe, den Ring des Nibelungen wie geplant für die Richard-Wagner-Festspiele 2006 in Bayreuth zu inszenieren, da die Inszenierung des vierteiligen Opern-Zyklus von ca. 16 Stunden Spieldauer seine Kräfte übersteigen würde.
Wenig bekannt ist, dass von Trier an der dänischen Firma Innocent Pictures beteiligt ist, die es sich zum Ziel gesetzt hat, hochwertige Erotik-Filme zu produzieren.[4]
Von Trier wurde 2004 mit dem Konrad-Wolf-Preis und 2008 mit dem Bremer Filmpreis ausgezeichnet. Ebenfalls 2008 wurde die Dogma-Bewegung um von Trier, Vinterberg, Levring und Kragh-Jacobsen mit dem Europäischen Filmpreis in der Kategorie Beste europäische Leistung im Weltkino bedacht.[5]
2008 drehte von Trier in Nordrhein-Westfalen den Horror-Thriller Antichrist mit Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg in den Hauptrollen.[6] Der Film erhielt 2009 eine Einladung in den Wettbewerb der 62. Internationalen Filmfestspiele von Cannes und brachte von Trier eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis und den dänischen Robert in den Kategorien Regie und Drehbuch ein.
Im Sommer 2010 dreht von Trier den Spielfilm Melancholia unter anderem mit John Hurt, Kiefer Sutherland und Udo Kier.[7] Sein neuestes Werk erzählt von zwei Schwestern (Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg) und ihren Familien, die alle von einem die Erde treffenden Planeten bedroht werden. Melancholia, der 2011 fertiggestellt wurde, brachte von Trier seine neunte Einladung in den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes ein.
Kontroversen
Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai 2011 sorgte von Trier für Empörung, als er bei einer Pressekonferenz Verständnis für Hitler und Bewunderung für Albert Speer ausdrückte und äußerte, nicht sonderlich viel für Juden übrig zu haben, da Israel einem auf die Nerven gehe. Er entschuldigte sich später für die Aussagen und erklärte, er sei von Journalisten provoziert worden.[8]
Filmografie (Auswahl)
- 1977: The Orchid Gardener (Orchidégartneren)
- 1979: Menthe – la bienheureuse (Kurzfilm)
- 1980: Nocturne
- 1981: Den sidste detalje
- 1982: Relief
- 1982: Bilder der Befreiung (Befrielses billeder)
- 1984: Element of Crime (Forbrydelsens element) (Europa I)
- 1987: Epidemic (Europa II)
- 1988: Medea
- 1991: Europa (Europa III)
- 1994: Hospital der Geister (Riget I)
- 1996: Breaking the Waves (Golden Heart I)
- 1997: Hospital der Geister (Riget II)
- 1998: Idioten (Idioterne) (Golden Heart II)
- 2000: Dancer in the Dark (Golden Heart III)
- 2003: Dogville (USA I)
- 2003: The Five Obstructions
- 2005: Manderlay (USA II)
- 2005: Dear Wendy (nur Drehbuch)
- 2006: The Boss of It All (Direktøren for det hele)
- 2007: Chacun son Cinéma - Jedem sein Kino (Segment: Occupations)
- 2009: Antichrist
als Erik Nietzsche
- 2007: De unge år: Erik Nietzsche sagaen del 1
Einzelnachweise
- ↑ "I am an American woman", Interview mit Lars Trier, erschienen in Die Zeit am 10. November 2005
- ↑ "I am an American woman", Interview mit Lars Trier, erschienen in Die Zeit am 10. November 2005
- ↑ (hgr): Lars von Trier gibt Langzeitprojekt auf in Die Welt, 28. November 2005, Online-Ressource, abgerufen am 8. Januar 2007.
- ↑ http://www.innocentpictures.com/aboutus_index.php?la=en Website von Innocent Pictures
- ↑ vgl. Europäischer Filmpreis für Judi Dench bei fr-online.de, 11. September 2008
- ↑ http://www.filmstarts.de/nachrichten/130938-Lars-von-Trier-Dreht-%84Antichrist%93-in-Deutschland.html Information auf filmstarts.de.
- ↑ Lars von Trier verpflichtet John Hurt für "Melancholia" bei www.cinefacts.de, 19. Mai 2010
- ↑ „Okay, ich bin ein Nazi“, Spiegel Online vom 18. Mai 2011
Literatur
- Georg Tiefenbach: Drama und Regie. Lars von Triers Breaking the Waves, Dancer in the Dark, Dogville. Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, ISBN 978-3-8260-4096-2.
- Antje Flemming: Lars von Trier. Goldene Herzen, geschundene Körper. Bertz + Fischer, Berlin 2010, ISBN 978-3-86505-310-7.
- Achim Forst: Breaking the Dreams. Das Kino des Lars von Trier. Schüren, Marburg 1998, ISBN 3-89472-309-2
- Jana Hallberg, Alexander Wewerka: Dogma 95. Zwischen Kontrolle und Chaos. Alexander Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-89581-047-9
- Lothar van Laak: Medien und Medialität des Epischen in Literatur und Film des 20. Jahrhunderts: Bertolt Brecht - Uwe Johnson - Lars von Trier. Wilhelm Fink, München 2009, ISBN 978-3-7705-4811-8
- Charles Martig: Kino der Irritation. Lars von Triers theologische und ästhetische Herausforderung. Schüren, Marburg 2008, ISBN 978-3-89472-532-7.
- Marion Müller: Vexierbilder. Die Filmwelten des Lars von Trier. Gardez! Verlag, St. Augustin 2002, ISBN 3-89796-070-2
Weblinks
- Literatur von und über Lars von Trier im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Vorlage:IMDb Name
- Zentropa Productions
- Ware Filme – Lars von Triers „Epidemic“ und seine „Europa-Trilogie“
Personendaten | |
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NAME | Trier, Lars von |
ALTERNATIVNAMEN | Trier, Lars Holbæk |
KURZBESCHREIBUNG | dänischer Filmregisseur |
GEBURTSDATUM | 30. April 1956 |
GEBURTSORT | Kopenhagen |