Die Rote Insel ist ein Viertel (Kiez) im Berliner Stadtteil Schöneberg. Damit gehört die Insel seit der Bezirksreform von 2001 zum VII. Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg.
Das Viertel ist historisch interessant, da es sich in seiner Insellage zwischen verschiedenen Bahngleisen als Schönebergs East End herausgebildet hat - mit entsprechend „roter“ politischer Orientierung seiner Arbeiterbevölkerung und erheblichem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Baugeschichtliche Bedeutung haben die Königin-Luise-Gedächtniskirche von 1912 und ein markanter Gasometer - das Industriedenkmal überragt als architektonisches „Wahrzeichen“ die gesamte Rote Insel.
Lage
N 52°29.03' E 13°21.73' (Gustav-Müller-Platz, Königin-Luise-Gedächtniskirche)
Postleitzahl 10829
Im Stadtbild des heutigen Berlin
Auf dem Stadtplan ist das Viertel am südwestlichen Rand der Innenstadt leicht zu finden: es liegt innerhalb des markanten spitzwinkligen Dreiecks, dessen Seiten von den Gleisen der Wannseebahn, der Ringbahn und der Dresdener Bahn gebildet werden. Die Eckpunkte der annähernd dreieckigen Insel sind damit folgende Bahnhöfe der Berliner S-Bahn: Schöneberg, Papestraße (ab 2006 voraussichtlich Berlin Südkreuz) und Yorckstraße (letzteres eigentlich zwei verschiedene, aber nur ca. 300 Meter voneinander entfernt liegende Bahnhöfe, von denen derjenige mit dem Zusatz Großgörschenstraße an der Wannseebahn liegt).
Im Westen grenzt der Ortskern des alten Schöneberg an die Rote Insel (Kaiser-Wilhelm-Platz und Hauptstraße- die ehemalige Dorfaue). Im Nordosten schließt sich Kreuzberg an, östlich und südöstlich Wohn- und vor allem Gewerbegebiete, die grösstenteils bereits zu Tempelhof gehören.
Der "zentrale" Insel-Kiez
Zwei Strassen durchqueren die Insel als Hauptachsen in west-östlicher Richtung, nämlich die (kleinere) Monumentenstraße und die Kolonnenstraße, die bis etwa in die 1980er Jahre hinein als Haupteinkaufsstraße der Insel fungierte.
Aufgrund historischer Entwicklungen, die für die Insel charakteristisch sind, bilden die Straßenzüge südlich der Kolonnenstraße den eigentlichen Kern des Kiezes. Diese fünf parallel und in Nord-Süd-Richtung angelegten Straßen sind (von West nach Ost) die Cherusker-, Goten-, Leber-, Gustav-Müller- und die Naumannstraße. Diese werden nur von kleineren Straßen gequert, der Leuthener und der Torgauer sowie der nur wenige Meter langen Roßbachstraße.
Schönebergs East End
Der in der nördlichen Dreickspitze gelegene Alte St. Matthäus-Kirchhof verdeutlicht mit seinem sanft zum Berliner Urstromtal, also zum Spree-Tal abfallenden Gelände die geologische Lage der Insel auf der Hochfläche des Teltow. Der Kirchhof liegt als Inselausläufer auf dem Teltowhang, der sich, wie die nebenstehende Karte von 1885 noch gut erkennen lässt, nach Osten im Kreuzberg und in der Hasenheide fortsetzt. Die Bahngleise, die das Inseldreieck bilden, sind auf der historischen Karte bereits fast vollständig eingezeichnet. Das Gebiet der Insel selbst - genau im Schriftzug Alt von Alt-Schöneberg gelegen, ist zu dieser Zeit noch unbebauter märkischer Sand.
In der komplexen Topographie des modernen Berlin ist kaum mehr erkennbar, warum der Kiez genau dort entstand, wo er liegt. Dabei bietet Schöneberg, das während des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung von einer dörflichen Landgemeinde zur selbständigen Stadt erlebte, ein besonders exemplarisches Beispiel für ein in ganz Europa erkennbares Phänomen der Siedlungsgeschichte des Industriezeitalters.
Vom alten Schöneberger Ortskern aus wurden um 1900 zwei Wohngebiete erschlossen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: das noble Bayerische Viertel mit seinen weitläufigen Erholungseinrichtungen wie dem angrenzenden Rudolph-Wilde-Park im Westen, im Osten aber, zwischen Bauernhöfen, Fabriken und den "beiden Eisenbahnen (...) mit ihrem ununterbrochenen Getöse und die Luft verpestenden Kohlendunst" das zukünftige Arbeiterviertel Schönebergs.
Das angeführte Zitat beinhaltet den Grund dafür, dass in den aufstrebenden Industriestädten Europas die Wohngebiete der einfachen Leute fast immer "im Osten" zu liegen kamen: in Europa ist die vorherrschende Windrichtung Westen und in den Abgasschwaden und dem Lärm der boomenden Städte siedelte sich vorzugsweise die Bevölkerungsschicht an, die sich nichts Besseres oder Gesünderes leisten konnte. Da diese Tendenz zuerst in England (London, Manchester, Birmingham) erkennbar wurde, spricht man vom East End-Phänomen.
Zur Herkunft des Namens
"Insel"
Die geschilderte Lage des Kiezes - "von Trassen umschlossen" - hat in seiner Entwicklung sowohl in historischer wie soziologischer Hinsicht eine bedeutende Rolle gespielt. Zu Beginn der koordinierten Bebauungsmaßnahmen um 1870-1890 in diesem Teil der damals noch selbständigen Stadt Schöneberg wirkten die bereits im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts angelegten Eisenbahnstrecken unplanmäßig eher als Hindernis für die Erschließung.
Erst in der späten Kaiserzeit zwischen der Jahrhundertwende und dem I. Weltkrieg verbesserte sich die Verkehrsanbindung nach Alt-Schöneberg und Berlin. Das lag zum einen am rasanten Wachstum der Hauptstadt in das Umland hinein, zum anderen daran, dass der nördliche und östliche Teil der Insel intensiv durch das preußische Militär genutzt wurden.
Ingesamt vier Brücken verbinden seit dem frühen 20. Jahrhundert die Insel mit dem Rest der Stadt: Julius-Leber-(früher: Sedan-)Brücke und Langenscheidt-(früher: Siegfrieds-)brücke nach Westen und damit Alt- und Neu-Schöneberg sowie Monumenten- und Kolonnenbrücke nach Osten, also Kreuzberg bzw. Tempelhof.
1901 wurde in Höhe der heutigen Julius-Leber-Brücke unter dem Namen "Schöneberg" ein Bahnhof der Wannseebahn errichtet. Mit der Umbenennung des ehemaligen Bahnhofs "Ebersstraße" (vorher "Maxstraße") in "Schöneberg" erhielt die weiter nördlich gelegene Station den Namen "Colonnenstraße". Sie wurde im II. Weltkrieg zerstört und bis heute nicht wieder aufgebaut; die Wiedereinrichtung eines Bahnhofs "Kolonnenstraße" an der heutigen S1 soll geplant sein.
Ein weiterer Schritt aus der Isolation war die Einrichtung zweier Straßenbahnlinien (23 und 95), die erst in den 1960er Jahren aufgegeben wurden. Die heutigen Buslinien 187 und 104 folgen auf der Insel weitgehend demselben Verlauf wie die ehemaligen Tramlinien.
Ferner gab es östlich der heutigen Naumannstraße an der Dresdener Bahn seit der Kaiserzeit den "Militärbahnhof" (fertiggestellt 1874/75). Dieser hatte für die Bevölkerung der Insel kaum eine direkte Bedeutung. Von historischem Interesse ist er insofern, als von dort im I. Weltkrieg ein Großteil der Truppentransporte aus der Hauptstadt abgingen.
"rot"
Die folgende Anekdote trägt zwar Züge eines Großstadtmythos, aber sie erklärt auf zutreffende Weise, warum die Insel mit dem Attribut "rot" belegt wurde:
- "Als im Jahre 1878 - die SPD war zu dieser Zeit durch das 'Sozialistengesetz' verboten - Kaiser Wilhelm I. nach zwei Attentaten von einer mehrmonatigen Kur nach Berlin zurückkam und die Stadt im Hurra-Patriotismus und einem schwarz-weiß-roten Fahnenmeer versank, hatte der Schöneberger Bierverleger Bäcker aus der Sedanstraße* die rote Fahne aus dem Fenster gehängt. Für diese unerhörte Tat wurde er des Landes verwiesen. Das 'Sedanviertel' wurde von da an die 'Rote Insel' genannt."
- *bis 1937 Name der heutigen Leberstraße
- (zit. nach Gisela Wenzel, "Die Rote Insel", 1983)
Bereits zur Zeit ihrer Entstehung in der Kaiserzeit war die Insel ein Wohngebiet der "kleinen Leute". Nach der Abschaffung des Sozialistengesetzes (1890) konnte die SPD in diesem Teil Schönebergs ungewöhnlich hohe Stimmenanteile erzielen, was im Lichte des damals in Preußen geltenden Dreiklassenwahlrechts besonders aussagekräftig ist.
Die Bevölkerung der Insel musste im Gefolge der Inflation nach dem I. Weltkrieg einen weiteren spürbaren sozialen Abstieg hinnehmen. In den Jahren der Weimarer Republik gab es hier deshalb einen hohen Anteil von Wählern "roter" Parteien wie der SPD, USPD und KPD.
Bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches von 1920, in dessen Verlauf sich dramatische Ereignisse um das alte Schöneberger Rathaus am Kaiser-Wilhelm-Platz abspielten, kam der "linken" Bevölkerung der Roten Insel eine wichtige Rolle zu. Eine Gedenktafel am Standort des Alten Rathauses erinnert heute an die Opfer.
Im selben Jahr 1920 wurde die Insel, wie ganz Schöneberg, nach Groß-Berlin eingemeindet. Im Vergleich zu den großen Arbeitervierteln der Hauptstadt wie dem "Roten Wedding", Neukölln oder Friedrichshain nahm sich das vergleichsweise betuchte und immer noch vorstädtisch geprägte Schöneberg freilich eher bescheiden aus. Dennoch wagte sich bis zum Ende der Weimarer Republik die SA nur überfallartig und in schwer bewaffneten, großen Trupps auf das von Sympathisanten linker Parteien dominierte Gebiet der Insel.
Julius Leber (1891-1945), einer der führenden politischen Köpfe der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, arbeitete während der Kriegsjahre unter Tarnung in einer Kohlenhandlung an der Kreuzung Torgauer-/Ecke Gotenstraße. Die ehemalige Sedanstraße und -brücke sind heute nach Leber benannt.
Seit Beginn der 1980er Jahre hat sich das Wahlverhalten der "Inselbewohner" insofern verändert, als dass die Grünen im Kiez Wahlanteile von oft weit über 20% erzielen.
Andere Benennungen des Viertels
Die Sedanstraße war in der auf die Reichsgründung 1871 folgenden Boomperiode die erste Straße auf der Insel, die planmäßig erschlossen, angelegt, bebaut und besiedelt wurde. Aufgrund dieses "Primats" sprach man bis etwa zum II. Weltkrieg vom Sedanviertel. Die Sedanstraße wurde auf Weisung der NSDAP 1937 in Franz-Kopp-Straße umbenannt - nach einem SA-Mann, der am 30. März 1933 auf der Roten Insel erschossen worden war.
Bei dieser Umbenennung blieb es naturgemäß nur für die wenigen Jahre bis 1945, und darüberhinaus erklärt auch die oben geschilderte vorherrschende politische Grundeinstellung der "Rotinsulaner", warum niemals von einem "Koppkiez" oder etwas Vergleichbarem die Rede war.
Die 1945 erfolgte und bis heute gültige Umbenennung in Leberstraße hatte für die Bezeichnung des Kiezes keine Auswirkungen.
Heute wird in bestimmten Zusammenhängen wie in politisch eher konservativen Kontexten lieber von der Schöneberger Insel gesprochen. Die Insel wird ferner in Zusammenhängen "entfärbt", in denen ausgesprochene Objektivität oder Neutralität suggeriert werden soll. An dieser Sprachregelung wird dann wiederum kritisiert oder belächelt, dass es sich um eine Form der "Schere im Kopf" handele - denn der Name Rote Insel ist ja in der Geschichte und Tradition der Gegend begründet und sagt zunächst nichts weiter über die politischen Anschauungen dessen aus, der die Bezeichnung verwendet.
Die Bezeichnungen Insel und Inselkiez entspringen demgegenüber wohl eher einem für die Berliner Mentalität recht typischen Hang zur knappen Formulierung.
Architektur
Der Gasometer
Das markanteste Bauwerk der Roten Insel und ihr architektonisches Wahrzeichen ist der Riesengasometer, der ursprünglich über 50 Meter hoch war und in gefülltem Zustand 160.000 Kubikmeter Gas enthielt. Die Englische Gasanstalt wurde 1910 errichtet, die zum Teil in englischem Besitz befindliche Betreibergesellschaft (Imperial International Continental Gas Association) aber schon 1916 enteignet. Im I. Weltkrieg wollte man dies potentiell "kriegswichtige" Unternehmen in ausschließlich deutschem Besitz wissen.
Bis zu seiner Stillegung 1993 war der Gasometer den Rotinsulanern eher ein Dorn im Auge, was teilweise verständlich ist, da die riesige Anlage den Bewohnern "Luft und Sonne verdrängte". Zu katastrophalen Explosionen ist es- entgegen vielen Befürchtungen- in der Betriebszeit des Gasometers nie gekommen. Inwieweit es für Menschen und Umwelt Spätfolgen gibt, die direkt auf die giftigen Abfallprodukte der Gasaufbereitung (z.B. Toluol) zurückzuführen sind, ist derzeit nicht bekannt.
Der Gasometer wurde nach seiner Stillegung unter Denkmalschutz gestellt, da er ein bedeutendes Stück Industriekultur repräsentiert. Heutzutage markiert die kilometerweit sichtbare Stahlkonstruktion deutlich die Lage der Roten Insel im Berliner Häusermeer. Pläne für eine kulturelle Nutzung gibt es seit geraumer Zeit, doch ist deren Umsetzung infolge der schlechten Haushaltslage der deutschen Hauptstadt in näherer Zukunft unwahrscheinlich.
Bahnhof Berlin Papestraße
siehe Hauptartikel Bahnhof Berlin Papestraße
Mit dem Bahnhof Berlin Papestraße soll 2006 einer der größten hauptstädtischen S- und Fernbahnhöfe in Betrieb genommen werden. Zu diesem Zeitpunkt soll eine Umbenennung in Berlin Südkreuz stattfinden. Ob sich Spekulationen über gravierende Veränderungen in der Lebenswelt der Roten Insel durch den Bahnhof bewahrheiten, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar.
Kirchen und öffentliche Gebäude
Die beiden wichtigsten Kirchen der Roten Insel sind
- St. Elisabeth (katholisch, 1911 geweiht)
- Königin-Luise-Gedächtniskirche (evangelisch, 1912)
Wie im kaiserzeitlichen Berlin üblich, wurde der evangelischen Kirchengemeinde ein vergleichsweise repräsentativer Platz für den Bau einer freistehenden Kirche zuerkannt, in diesem Fall der Gustav-Müller-Platz. Die in Berlin eher seltene Bauform der "Saalkirche" und die markante Kuppel des Baus geben dem Platz bis heute sein Gepräge.
Die katholische Gemeinde der Insel war zur Zeit der Weihe von St. Elisabeth für Berlin verhältnismäßig groß - mit über 5000 Gläubigen stellte sie annähernd 20% der Bevölkerung, was wiederum dafür spricht, daß im Kiez viele Zuwanderer aus anderen Teilen Preußens und des Deutschen Reiches lebten. Dennoch ist St. Elisabeth recht unscheinbar in die nördliche Häuserzeile der Kolonnenstraße eingezwängt.
Auf der Insel gibt es zwei historische, kleine und schöne Friedhöfe, den Zwölf-Apostel- und den berühmteren Alten St. Matthäus-Kirchhof. Beide gehören nicht zu einer Insel-Gemeinde, der letztere nicht einmal zu einer aus Schöneberg: St. Matthäus befindet sich im südlichen Tiergarten (dem ehemaligen "Geheimratsviertel"). Ihren Begräbnisplatz hatte die Gemeinde jedoch an der Großgörschenstraße. Hier liegen die Gräber solcher großbürgerlichen Berühmheiten wie Jacob und Wilhelm Grimm, Rudolf Virchow und Max Bruch.
Als die Bevölkerung der Insel zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf knapp 30 000 Menschen angewachsen war, begannen der preußische Staat und die Stadt Schöneberg, die dortige Infrastruktur auszubauen. Auf einem Gelände an der Kolonnenstraße wurden ab 1892 die IV. und V. Gemeindeschule errichtet. Auf dem straßenseitigen Teil desselben Grundstücks entstand 1908 die Fichte-Realschule und eine zehnklassige Höhere Mädchenschule. Diese beiden Gebäude sind noch erhalten und beherbergen heute die Robert-Blum-Oberschule.
Viele öffentliche Bauten der Kaiserzeit auf der Insel standen im Zusammenhang mit der hier stationierten Garnison des 1. Preußischen Eisenbahnbataillons. Neben der eigentlichen Kaserne an der Fiscalischen Straße (1920-36 Immelmann-, heute Kesselsdorfstraße) gab es zahlreiche der militärischen Infrastruktur dienende Zweckbauten. Diese wurden im Laufe der Jahre mehr und mehr abgerissen oder stark umgebaut.
Selbst die heute rein "zivil" genutzten Wohnhäuser der nördlichen Insel, etwa an der Czeminski-, Brunhild- und Hohenfriedbergstraße, waren vielfach von der Armee in Beschlag genommen. Hier gab es nicht nur die Büros verschiedenster militärischer Dienststellen. Auch die Wohnungen wurden zur Unterbringung von Armeeangehörigen genutzt, da die staatlich verordneten Einquartierungen bei den Hausbesitzern der südlichen Insel äußerst unbeliebt waren.
Die kaiserzeitliche Wohnbebauung
Diese macht den Großteil der Bauten auf der Insel aus und unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen innerstädtischen Berliner Ortsteilen. Es handelt sich in der Regel um höchstens fünfstöckige Gebäude, in denen außer Wohnungen auch kleine Läden und Gewerbebetriebe untergebracht waren. Die heute noch weitgehend vorhandene Bausubstanz wurde in drei Phasen errichtet:
- 1882-1895
- 1898-1907
- 1912-1918
Auf der Insel fügten sich einige Umstände glücklich, die es ermöglichten, das spezielle Flair des Kiezes bis auf den heutigen Tag zu bewahren. Zunächst sah der Bebauungsplan der Insel (festgesetzt in den Jahren 1884 und 1892/93) relativ kleine Parzellen vor. Das hatte zur Folge, dass die Häuser höchstens zwei Quergebäude und ein Hinterhaus haben: die als Folge des Hobrechtplans (1862) entstandenen prekären Wohnverhältnisse der Mietskasernen anderer Berliner Arbeiterviertel mit vielen aufeinanderfolgenden Hinterhöfen ohne Licht und Luft entwickelten sich hier nicht.
Der Hobrechtplan hatte zwar eine Bebauung der nördlichen Insel mit großen Mietskasernen vorgesehen, doch bewirkten der Ausbau der Gleisanlagen und der Widerstand des Schöneberger Ortsvorstands, dass es dazu nicht kam.
Wären die gigantomanischen Planungen von Adolf Hitler und Albert Speer für die Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt Germania auch nur im Ansatz realisiert worden, so wäre die Insel vermutlich als einer der ersten Berliner Kieze komplett dem Abriß anheim gefallen.
Auch von den Folgen der alliierten Luftangriffe während des Bombenkriegs, die Berlin 1944 und 1945 besonders hart trafen, blieb die Insel weitgehend verschont [1]. Die kaiserzeitliche Bausubstanz ist größtenteils intakt erhalten - wenn man von einigen "Bausünden" der 1960er bis 80er Jahre absieht.
Schließlich bewirkte das Engagement der Bevölkerung in den 1970er und 80er Jahren, daß die so genannte "Kahlschlagsanierung", die den Kiez womöglich dem Konzept der "autogerechten Stadt" geopfert hätte, der Insel erspart blieb.
Persönlichkeiten
- Mit Sicherheit die berühmteste Tochter der Roten Insel ist Marlene Dietrich (1901-1992), die im Haus Leberstraße 65 geboren wurde. Sie ist eine allgegenwärtige Figur im Lokalkolorit des Kiezes: das reicht von Wandgemälden bis zu einem Restaurant, das nach einem ihrer populärsten Filme benannt ist.
- Der expressionistische Schriftsteller Paul Zech (1881-1946) lebte von 1925-1933 im Haus Naumannstraße (bis 1929 Königsweg) 78.
- Der erwähnte Widerstandskämpfer Julius Leber (1891-1945) gab der Leberstraße den Namen
- Der CDU-Politiker und zweite Bundestagspräsident, Hermann Ehlers (1904-1954) wurde in der Gotenstraße 6 geboren.
- Willi Stoph (1914-1999), SED-Politiker und unter anderem langjähriger Vorsitzender des Ministerrats der DDR, verlebte seine Kindheit und Jugend ebenfalls auf der Roten Insel- auch seine Eltern wohnten in der Sedanstraße (Leberstraße).
- Friedrich Naumann (1860-1919), liberaler Politiker und Theologe der Kaiserzeit, nach dem heute die der FDP nahestehende Stiftung benannt ist, wohnte von 1901-1906 in der Hohenfriedbergstraße 11 und von 1906-1919 am Königsweg 4 (heute Naumannstraße 24)
- Hildegard Knef (1925-2002) verbrachte einen großen Teil ihrer Kindheit (sie war Halbwaisin) bei ihren Großeltern auf der Insel.
Trivia
- Rote Insel heißt auch das Haus in der Mansteinstraße 10/10a. Es wurde während des so genannten West-Berliner "Häuserkampfs" am 7. Januar 1981 als erstes Haus in Schöneberg besetzt. Da es einige Meter westlich des S-Bahnhofs Großgörschenstraße steht, befindet es sich allerdings strenggenommen außerhalb des Kiezes, auf dessen linke Tradition sich das Hausprojekt bis heute so prononciert bezieht.
- Ein anderer mit dem Industriezeitalter eng verbundener Ort heisst ebenfalls Rote Insel, namlich der US-Bundesstaat Rhode Island (ursprünglich niederländisch: roode eiland).
Literatur
- Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), Die Rote Insel Berlin-Schöneberg. Bruchstücke zu einer Stadtgeschichte. Dirk Nishen Verlag Berlin 1987 ISBN 3-88940-131-7
- Helmut Winz, Es war in Schöneberg. Aus 700 Jahren Schöneberger Geschichte. Berlin 1964
- Ulf Mailänder/Ulrich Zander Das kleine West-Berlin Lexikon. Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin 2003 ISBN 3-89602-518-X
Weblinks
Die Rote Insel im Stadtplan von 1932