Electro (Sammelbezeichnung)
Electro, regional abhängig auch als Elektro verbreitet, ist zum einen eine Sammelbezeichnung verschiedener Musikstile, die sich zu großen Teilen aus der Electronic Body Music heraus entwickelt haben. Überschneidungen dieser Richtungen untereinander, sowie der starke Einfluss des Techno der 1990er Jahre, waren zum anderen die Grundlage für die Herausbildung eines eigenständigen Stils mit gleichem Namen.
Dieser Stil, der anschließend näher erläutert wird, ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Electro (Techno) bzw. Electro Funk, deren Entstehung primär auf afro-amerikanische Wurzeln zurückgeht.
Bedeutsame Genres
Die permanente Entwicklung moderner – und vor allem erschwinglicher – Instrumente bildete Ende der 1980er Jahre das Fundament für eine Reihe innovativer Strömungen in der elektronischen Musik, die durch ihre Vielfalt kaum greifbar erschienen. Etliche Kompositionen wurden im Vergleich zu vorher weitaus brutaler arrangiert, was nicht zuletzt vom Einsatz eines Stimmverzerrers herrührt, der den Gesang der Vokalisten stark verfremdete. Bedeutende, zum Teil nicht mehr existente Genres, welche im Europa der frühen 1990er Jahre aus diesen Entwicklungen ihren Ausgangspunkt nahmen, sind der Dark Electro, der Hardcore Electro sowie der Electro-Industrial. Demgegenüber traten wiederum Einflüsse aus dem Synth Pop-Umfeld zum Vorschein, welche sich vor allem bei Projekten wie And One bemerkbar machten.
Dark Electro
Dark Electro, seltener auch Dark Techno, ist ein auf der Grundlage der Electronic Body Music und unter Einfluss internationaler Elektronik/Industrial-Größen wie Skinny Puppy oder The Klinik entstandener Musikstil, dessen klangliche Schwerpunkte auf tanzbaren Rhythmen, düsteren, partiell mehrschichtigen Flächensounds und elektronisch verzerrtem Sprechgesang liegen. Das Herunterschrauben der Vocoder-Stimmen bzw. der Einsatz von Krächz- und Grunz-Gesang (Mortal Constraint, Seven Trees, Trial) lassen Ähnlichkeiten zum simultan aufkommenden Black Metal-Revival deutlich werden - eine jedoch eher zufällige Gemeinsamkeit.
Als Hauptvertreter galten yelworC aus München, die bereits kurze Zeit nach ihrem 1992er Debut-Album „Brainstorming“ einen Split vollzogen. Projektinterne Differenzen brachten die langjährige Kooperation zum Erliegen. Aus der Trennung ging u.a. das Projekt amGod hervor, mit welchem Dominik van Reich aka Oliver Büttner den für yelworC typischen Sound konsequent fortführte. Der große Erfolg des 1994 veröffentlichten Albums „Half Rotten And Decayed“ blieb jedoch aus. Auch dem im selben Jahr erschienenen Longplayer „The Legend Of Deformation“ des Lörracher Projekts Mortal Constraint ereilte dasselbe Schicksal. Negative Kritiken zeigten zusätzlich, dass die Zeit für diesen Stil nicht reif war. So wurden die Alben von yelworC und Trial wiederholt von der Presse schlecht gemacht, die eigentlichen qualitativen Werte komplett übersehen. Erst ab Mitte und Ende der 1990er Jahre ernteten neue, vorwiegend Gothic-beeinflusste Acts wie Terminal Choice oder Hocico den Ruhm für die Arbeit, die ganz andere Projekte vor ihnen geleistet hatten.
Hardcore Electro
Hardcore Electro gilt als reine Entwicklung aus der Electronic Body Music. Charakteristisch für den Stil waren überwiegend digital erzeugte Klänge im Zusammenspiel mit kraftvoll stampfenden, dennoch tanzbaren Rhythmusstrukturen. Gelegentlich nutzte man Gitarren-Loops (Klute, Psychopomps), Sprech- bzw. Schrei-Gesang wurden durch einen Vocoder elektronisch stark verfremdet. Hardcore Electro war - wie der Name schon andeutet - hauptsächlich durch Härte gekennzeichnet, die düstere Atmosphäre des Dark Electro erreichte er bei weitem nicht. Wenig später lockerten sich allerdings die Grenzen beider Richtungen.
Verwendung fand der Stilbegriff in den frühen 1990er Jahren vor allem für die Musik von LeÆther Strip, nachdem sich Mastermind Claus Larsen mit dem zweiten Album „Science For The Satanic Citizen“ von seinen EBM-Wurzeln löste und in weitaus brachialere Gefilde abdriftete. Trotz mehrmaliger Erwähnung in Szene-Magazinen wie Glasnost, Subline oder New Life konnte sich die Bezeichnung nicht flächendeckend etablieren.
Electro-Industrial
Electro-Industrial ist ein in Belgien entstandener Musikstil, der trotz seiner engen Verbindung zum Post-Industrial (Esplendor Geométrico, Blackhouse) als Nachkomme der Electronic Body Music verstanden wird. Er beruht auf einer Fusion von monotonen, zumeist verrzerrten, sehr maschinell wirkenden Rhythmusstrukturen und Klangsegmenten zeitgemäßer Elektronik - primär Sounds aus der Übergangsphase der EBM zum Hardcore Electro. Die Vocals werden dabei stark verfremdet, meist geschrien oder gesprochen. Generell ist Electro-Industrial klanglich durch Tanzbarkeit und puren Minimalismus gekennzeichnet, Texte werden oft sparsam eingesetzt oder dienen - durch ein mehrfaches Wiederholen einzelner Textzeilen - lediglich der Untermalung. Dirk Ivens (Dive) äußerte sich dazu wie folgt:
„...mit Dive möchte ich zu den Anfängen der Elektronik-Musik zurückkehren, zu einer Zeit, wo es noch keine Sampler gab. Es ist harte Musik, sehr rhythmisch mit einem starken Beat. Mit Dive möchte ich maximale Musik mit einem Minimum an Equipment realisieren. Es soll ehrliche, direkte Musik sein.“ [Quelle: Glasnost Magazin Nr. 26, 1991] |
Bekanntester Vertreter war in den 1990er Jahren neben Dive (ehemals The Klinik) unter anderem auch Suicide Commando, bevor beide Projekte andere Wege gingen und neuere Acts wie Pierrepoint, Stin Scatzor oder Infact den Stil fortführten. In den USA assoziiert man mit der Bezeichnung Electro-Industrial zudem die Musik von Skinny Puppy oder Front Line Assembly, da sich dort das Verständnis für Industrial von dem der Europäer stark unterscheidet.
Electro als eigenständiger Stil
Zunächst wurde "Electro" ab Anfang der 1990er Jahre als zusammenfassender Begriff gebraucht. Das musikalische Spektrum von Projekten wie Abscess, Calva Y Nada, Evils Toy, Forma Tadre, Haujobb, In Strict Confidence oder Velvet Acid Christ ließ sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Dieser Zeitabschnitt gilt häufig als Umorientierungsphase, aus diesem Grund aber auch als vielseitige Periode nach dem Ableben der EBM-Ära.
Einige Jahre später kristallisierte sich schrittweise ein vorherrschender Stil heraus, vorrangig geprägt durch Acts wie Funker Vogt, Suicide Commando, Hocico oder Wumpscut, welche partiell aus dem Hardcore Electro bzw. Electro-Industrial-Umfeld stammen.
Was den Electro von den zuvor genannten Richtungen abhebt, ist vor allem der starke technische Einfluss des Techno der 1990er Jahre bzw. eine Verwandschaft mit demselben. Typische Merkmale sind ein meist durch Vocoder oder Harmonizer verfremdeter Sprech-Gesang, Hooklines, Hi-Hats und schnelle, tanzbare Rhythmen, überwiegend im 4/4-Takt. Komplexe Rhythmusmuster gibt es kaum, häufig erfolgt der Einsatz einer geradlinigen Bassdrum. Electro wird hauptsächlich für die Tanzfläche konzipiert, wobei atmosphärische Flächensounds oftmals in den Hintergrund treten. Allerdings findet man selten klare Strukturen und der melodische Teil ist im Allgemeinen immer noch stark verzerrt. Das Gesamtbild wirkt oft euphorisch aggressiv statt bedrohlich, dafür aber dicht und kraftvoll arrangiert.
Wenn sich auch inzwischen ein vorherrschender Stil entwickelt hat, so existiert derzeit noch immer ein ähnlich breites Spektrum, dessen untypische Verteter den Stil Electro allerdings nicht dominieren. So wird z.B. für Velvet Acid Christ gelegentlich der Begriff Splatter Industrial benutzt. In anderen Sub-Genres werden weniger verzerrte, dem Techno noch nähere Elemente verwendet, so wie z.B. in Hocicos Seitenprojekt Dulce Liquido.
Plattenfirmen
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Anmerkung zum Begriff
In den 1980er Jahren nutzte man generell zur Zusammenfassung verschiedenartiger elektronischer Musikstile die Bezeichnung Techno. So sollte bereits 1983 ein Kraftwerk-Album namens „Techno Pop“ erscheinen (drei Jahre später neu aufgenommen und als „Electric Café“ veröffentlicht), es folgten Compilations wie „Technopolis“ oder „Electronic Techno Music“, Plattenfirmen wie Techno Drome International wurden ins Leben gerufen.
Als mit Acid House, Detroit Techno oder New Beat der Grundstein für den Techno der 1990er Jahre gelegt wurde, ahnte man noch nichts von dem Boom, den dieser bald erleben sollte. Es wurde zu dieser Zeit schlicht zwischen Techno und Tekno differenziert, was jedoch nicht den erwünschten Erfolg brachte. Bereits 1992 bürgerte sich der Begriff Electro ein und setzte sich allmählich als Sammelbezeichnung durch.
Musikprojekte aus dem Electro-Umfeld versuchen, sich selbst oft als sehr kreativ zu umschreiben. Nicht selten nutzen sie zusätzliche Begriffe wie Industrial oder Noise. In den meisten Fällen hat die Musik allerdings wenig mit den Stilen zu tun, von denen diese Bezeichnungen entlehnt wurden (vgl. Industrial und Noise). Andererseits haben aber auch die wenigsten Künstler ein Problem damit, als Electro klassifiziert zu werden.
Deutsche Kultur
Die Electro-Szene in Deutschland ist im Wesentlichen aus der EBM- und Synth Pop-Kultur hervorgegangen und existiert heute im Rahmen der Schwarzen Szene. Das martialische Erscheinungsbild der EBM-Szene wurde nur teilweise übernommen, es gibt partiell Überschneidungen mit der Gothic-Kultur. Auch die Techno-Szene stellt einen sichtbaren Einflussfaktor dar. So kombinieren einige Anhänger die verschiedenen Kleidungsstile, andere wiederum halten sich an die urpsrünglichen Kulturen oder zeigen sich ganz unauffällig.
Dagegen findet man beispielsweise in Nordamerika häufig verschiedene, an den Cyberpunk angelehnte Industrial- bzw. Industrial-Goth Jugendkulturen vor, die den mitteleuropäischen Ländern eher fremd sind.
Häufige Kleidungsstücke
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Veröffentlichungen mit Schlüsselqualitäten
Dark Electro | Hardcore Electro |
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Electro-Industrial | Elektro |
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