Die Kriminalgeschichte des Christentums ist das Hauptwerk des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner. Es beschreibt Verbrechen, die von der katholischen Kirche, ihren Päpsten, ihrem Klerus, wichtigen Theologen und christlichen Herrschern im Verlauf der Geschichte begangen wurden oder begangen worden sein sollen.
Das Werk ist auf zehn Bände konzipiert, von denen bis 2004 bereits acht erschienen sind. Das Gesamtwerk soll von den biblischen Ursprüngen des Christentums bis zur Gegenwart reichen. Nach 16-jähriger Vorarbeit erschien 1986 der erste Band, in dem Entstehung und Aufstieg des Christentums zur römischen Staatsreligion dargestellt werden. Da Deschner darin bewusst provokativ auch einen Großteil konservativer und apologetischer Kirchengeschichtsschreibung angriff, löste das Buch großes Aufsehen und teilweise Abwehr aus. Dabei sind die von ihm zusammengetragenen und ausgiebig belegten Fakten weitgehend unstrittig, deren Auswahl und Interpretationen werden jedoch vielfach kritisiert.
Der Artikel bietet zunächst eine Inhaltsangabe des Werkes und stellt dann seine Verdienste wie auch die wichtigsten Kritikpunkte daran an Beispielen zusammen.
Band 1, Die Frühzeit
Von den Ursprüngen bis zum Tod des hl. Augustinus (420)
Der erste Band beginnt mit dem Auftakt im Alten Testament. Die Landnahme von Moses und Josua, die vielen Todesstrafen, die Gräuel Davids, die beginnende Priesterherrschaft und deren Geldgier. Schon in neutestamentlicher Zeit beginne der Kampf gegen das Judentum, und früh beginne die Verteufelung von Christen durch Christen und der Angriff auf das Heidentum. Deschner analysiert die Christenverfolgungen im Spiegel der Schauermärchen kirchlicher Geschichtsschreibung. Mit Kaiser Konstantin I. verschärfe sich der Kampf gegen Juden, "Irrgläubige" und Heiden. Im letzten Teil beschreibt er die Kirchenlehrer Athanasius, Ambrosius und Augustinus, der den "heiligen Krieg" sanktioniert habe.
Band 2, Die Spätantike
Von den katholischen "Kinderkaisern" bis zur Ausrottung der arianischen Wandalen und Ostgoten unter Justinian I.
Deschner schreibt, die "Zustände wie im alten Rom" seien charakteristisch für die Zustände der römischen Kirche. Die spätantiken Grausamkeiten christlicher Hirten würden bis heute von Kirchengeschichtlern vielfach beschönigt und verschwiegen.
Band 3, Die Alte Kirche
Fälschung, Verdummung, Ausbeutung, Vernichtung
Anders als in den anderen Bänden, die chronologisch vorgehen, geht Deschner hier nach so genannten Verbrechensschwerpunkten vor, die er in folgenden Bereichen identifiziert:
- Das christliche Fälschungswesen
- Der Wunder- und Reliquienschwindel
- Die Wallfahrtswirtschaft
- Die Verdummung und der Ruin der antiken Bildung
- Die christliche Büchervernichtung und die Vernichtung des Heidentums
- Die Erhaltung und Festigung der Sklaverei
- Die doppelzüngige Soziallehre und die tatsächliche Sozialpolitik der Großkirche
Band 4, Frühmittelalter
Von König Chlodwig I. bis zum Tode Karls des Großen
Im Frühmittelalters kommt es zur Abspaltung von Byzanz, der Krieg gegen den Islam beginnt, und die Päpste in Rom werden zu mächtigen Herrschern. Deschner hält Papst Gregor I. für einen Mann der doppelten Moral, der immer wieder Buße und den nahenden Weltuntergang predigt, selber aber die Ausbreitung seiner Macht um jeden Preis betreibe, wozu er Kerker, Folter, Geiselnahme und Plünderungen empfehle, aber auch mit Bestechungen umzugehen wisse. Die "Konstantinische Schenkung" nennt Deschner die größte Urkundenfälschung der Weltgeschichte. Am Ende des Bandes werden Karl dem Großen opportunistische Beziehungen zu den Päpsten, seine überaus blutige "Schwertmission" bei den Sachsen und seine Zerstörung des Langobarden- und des Awarenreiches vorgeworfen.
Band 5, 9. und 10. Jahrhundert
Von Ludwig dem Frommen bis zum Tod Ottos III.
Im hier dargestellten 9. und 10. Jahrhundert kommt es laut Deschner zu einer innigen Verfilzung weltlicher und kirchlicher Macht. Geistliche Fürstentümer entstehen, es blüht der Kriegsdienst des hohen Klerus. Unter den Ottonen ist die Kirche im Heiligen Römischen Reich völlig militarisiert; Bistümer und Abteien gebieten über ein bedeutendes militärisches Potenzial. Auch Päpste ziehen in den Krieg: 849 Leo IV., 877 Johannes VIII., 915 Johannes X.. Päpste exkommunizieren sich gegenseitig, einige werden in den Kerker geworfen, erwürgt, verstümmelt, vergiftet. Sergius III. lässt gleich zwei umbringen. Pseudoisidor.
Band 6, 11. und 12. Jahrhundert
Von Kaiser Heinrich II. dem "Heiligen" bis zum Ende des Dritten Kreuzzugs
Dieser Band behandelt Kaiser Heinrich II. den Heiligen, der, mit Heiden verbündet, drei Kriege gegen das katholische Polen führt, das folgenschwere Pontifikat von Gregor VII., einem "aggressiven Satan", der im Investiturstreit zum Sieg des Heiligen Stuhls über den Kaiserthron führt (Canossa), das Schisma mit der Ostkirche, den Ersten Kreuzzug mit dem Massaker aller Einwohner von Jerusalem sowie den Zweiten und Dritten Kreuzzug.
Band 7, 13. und 14. Jahrhundert
Von Kaiser Heinrich VI. zu Kaiser Ludwig IV. dem Bayern
Deschner schreibt über den Staufer-Kaiser Heinrich VI., der die Weltherrschaft auch ohne päpstlichen Segen wollte, und über den mächtigsten Papst der Geschichte, Innozenz III.. In die beschriebene Zeit fallen Kreuzzüge in alle Himmelsrichtungen, darunter der Vierte Kreuzzug, der Kreuzzug Friedrichs II., die Kreuzzüge Ludwigs IX. nach Ägypten und Tunis, der groteske Kinderkreuzzug, die Kreuzzüge von Christen gegen Christen, die Sizilianische Vesper, die Vernichtung der Templer, die Ausrottung der "Heiden" im Nordosten, das christliche Judenmorden und nicht zuletzt die totalitäre Inquisition, die jegliche Regung freiheitlicher Geister unterdrücken sollte.
Band 8, 15. und 16. Jahrhundert
Vom Exil der Päpste in Avignon bis zum Augsburger Religionsfrieden.
Deschner berschreibt die beginnende Hexenverfolgung, die Renaissance-Päpste, den Kampf gegen die innerchristliche Opposition (Wycliff, Hus, Luther) und christliches Wirken in der Neuen Welt.
Diskussion
Rezensionen in deutschen Medien
Deschner hatte in der Historikerzunft schon vor dem Erscheinen des 1. Bandes seiner Kriminalgeschichte die Außenseiterrolle eines "Einzelkämpfers" inne: Demgemäß waren die Reaktionen konträr und polarisiert.
Jean Améry urteilte in der ZEIT über den ersten Band:
- Vieles imponiert an diesem Werk, vor allem, daß Deschner mit einer Akribie ohnegleichen geforscht hat und nicht müde wird (und hierbei auch seinen Leser niemals ermüdet), historische Fakten - häufig dem Nichttheologen - unbekannter Art auszubreiten, und daß er seiner populär geschriebenen Arbeit das Gewicht ernsthafter Wissenschaftlichkeit verleiht.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung dagegen schrieb zum neu erschienenen sechsten Band:
- Was Karlheinz Deschner [...] bietet, ist einerseits eine phantasiearme Kompilation des konventionellen Tatsachenwissens über das elfte und zwölfte Jahrhundert, andererseits das einsinnige Pamphlet eines Atheisten, der nicht einmal den Toten ihren Glauben gönnt. ... Der Verfasser trug seinen manischen Haß aufs Christentum an den Stoff heran und las nur das heraus, was sich ihm fügte.
Hans Wollschläger sagte im Deutschlandfunk:
- Das geht der gesamten Vertuschungs-Historiographie mitten ins Gesicht... und die saturierte und glattrasierte Unberührtheit, mit der auf Kathedern von Katastrophen geredet wird, steht unter und hinter ihm gar nicht mehr gut da... Vielleicht ist seine 'Kriminalgeschichte', als ein einziges gewaltiges Pamphlet mit mehrfacher Zielrichtung, nicht das Ideal selbst, zu dem die Geschichtsschreibung gelangen muß; ganz fraglos aber ist es der ideale Anstoß auf dem Weg zu ihm hin.
Fachkritik
Dies fand erwartungsgemäß Widerspruch bei einigen Historikern, die den ersten drei Bänden von Deschners Kriminalgeschichte Anfang Oktober 1992 ein dreitägiges Symposium widmeten. Hans Reinhard Seeliger lud dazu 22 Spezialisten für Kirchengeschichte, Patrologie, alte Geschichte und zahlreiche weitere Fachgebiete in die katholische Akademie in Schwerte ein. Das Treffen stand unter dem Motto Kriminalisierung des Christentums? Karlheinz Deschners Kirchengeschichte auf dem Prüfstand.
Deschner selbst war auch dazu eingeladen worden, lehnte die Teilnahme jedoch ab: Er habe sich zu den grundsätzlichen Fragen seines Werkes im Vorwort des ersten Bandes bereits genügend geäußert. Er erwartete also keinen offenen gegenseitigen Austausch.
Die Referate des Symposiums erschienen 1993 als Anthologie mit dem Titel Kriminalisierung des Christentums? (ca. 300 Seiten).
(...Inhalt folgt)
Deschners Replik
Deschner entschied sich, da es ihm als unmöglich erschien, eine kritische Analyse des rund dreihundert Seiten umfassenden Buches zu unternehmen, einen Beitrag daraus exemplarisch herauszugreifen und einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Er wählte für diese Replik den Beitrag von Maria Radnóti-Alföldi mit dem Titel Kaiser Konstantin: ein Großer der Geschichte? aus. Im Band 5 seiner Kriminalgeschichte veröffentlichte er die Replik unter dem polemischen Titel: "Wes Brot ich ess" oder "vor jeder Form von Macht auf dem Bauch". Er konfrontierte hier die Ausführungen der Kritikerin im einzelnen mit historischen Belegen, Richtigstellungen ihrer Zitate und wies ihre teilweise subtilen Unterstellungen zurück. So behauptete Frau Alföldi auf Seite 154 z.B. Deschner zitiere regelmäßig "aus dem Zusammenhang gerissen" (Was natürlich für jeden Zitierenden gilt) und er böte "Zitate aus antiker und moderner (Fach)Literatur meist verstümmelt". Belege hierfür lieferte sie allerdings nicht. Im Ergebnis gestand Deschner der Kritikerin lediglich einen "Treffer" zu: meine Verwechslung der Lateranbasilika mit der Basilika am Forum Romanum. Triumph!
Deschner bestreitet also die sachliche Richtigkeit der meisten Einwände und sieht sie von kirchlicher oder machtpolitischer Abhängigkeit diktiert. Andererseits bezieht er sich in seinem Werk laufend auf kirchenhistorische Vorarbeiten anderer, um seine Thesen zu belegen.
Die Intention seiner kritischen Kirchengeschichte hat Deschner nie verleugnet: Er schreibe als Feind des Christentums und wolle zu seinem Verschwinden beitragen. Manche Kritiker sehen in dieser Motivation ein Hindernis für wissenschaftlich brauchbare Forschungsergebnisse. Auch manche christliche Laien, die große Teile von Deschners Kirchenkritik teilen, diese begrüßen und die Verbrechen der Kirche nicht verteidigen wollen, sehen darin eine einseitige Fixierung, die seiner eigentlichen Intention - nämlich die gläubigen Christen zum kritischen Nachdenken über ihre Religion und die Kirche anzuregen - eher hinderlich sei.
Literatur
- Hans Reinhard Seeliger (Hrsg.): Kriminalisierung des Christentums?. Freiburg-Basel-Wien, Herder Verlag: 1993. ISBN 3451232227
Weblinks
- www.deschner.info - Homepage des Autors mit Übersicht über das Werk