Die Malerin Paula Modersohn-Becker (* 8. Februar 1876 in Dresden; † 21. November 1907 in Worpswede) war eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus. In den knapp vierzehn Jahren, in denen sie künstlerisch tätig war, schuf sie 750 Gemälde, etwa 1.000 Zeichnungen und 13 Radierungen, die in ihrem expressiven Ausdruck die bedeutendsten Aspekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts vereinen.


Leben
Familie
Paula Becker war das dritte Kind von insgesamt sieben Geschwistern. Ihr Vater Carl Woldemar Becker war Ingenieur von Beruf, ihre Mutter Mathilde entstammte der thüringischen Adelsfamilie von Bültzingslöwen. Ihr Elternhaus wird von ihren Biographen als liberal-bürgerlich eingestuft. Aus den Briefen, die Carl Woldemar Becker an seine Tochter richtete, weiß man, dass Paula Beckers Vater sowohl Paris als auch London kannte und neben Russisch auch Französisch und Englisch sprach. Auch die mütterliche Familie war ähnlich weltoffen. Mathilde von Bültzingshofens Vater war im Ausland Kommandeur eines Truppenkontingents gewesen, einige ihre Brüder waren nach Indonesien, Neuseeland und Australien ausgewandert.
Kunst, Literatur und Musik spielten bei der Erziehung der Kinder eine Rolle. Paula Modersohn-Becker wie auch ihre Schwestern erhielten Klavierunterricht. Paulas älteste Schwester, die über eine schöne Singstimme verfügte, durfte Gesangsunterricht nehmen. Bis auf Paula Modersohn-Becker - die ihn als undeutsch empfand - schätzte ihre Familie Richard Wagner; Goethe galt der Familie als der alles überragende Dichter. Wohlhabend war Paula Beckers Familie dagegen nicht.
Die frühen Jahre
Dresden und Bremen
Die ersten zwölf Lebensjahre verbrachte Paula Becker in Dresden-Friedrichstadt. Über diese ersten Jahre ist wenig bekannt. Überliefert ist nur ein schweres Unglück, bei dem die zehnjährige Paula gemeinsam mit den zwei Cousinen Cora und Maidli Parizot beim Spielen in einer Sandgrube verschüttet wurden. Während Paula und Maidli rechtzeitig gerettet werden konnten, erstickte ihre elfjährige Cousine Cora Parizot unter den Sandmassen. Aus Briefen, die Paula Modersohn-Becker Jahre später an Rainer Maria Rilke schrieb, weiß man, dass dieses Erlebnis sie stark prägte. Ihre Biographin Lieselotte von Renken sieht darin sogar die Ursache für die mitunter rücksichtslose Entschiedenheit, mit der Paula Modersohn-Becker ihre künstlerischen Ziele verfolgte.
1888 nahm Carl Woldemar Becker eine städtische Stelle als Baurat in Bremen an. Die Familie zog daher von Dresden nach Bremen um. Das künstlerische Leben war zu dieser Zeit in Bremen sehr rege und über Freundschaften der Mutter bestand zu den künstlerischen Kreisen in Bremen ein enger Kontakt, so dass die Familie Becker daran lebhaft Anteilnahm.
Der erste Kunstunterricht
Im Frühsommer 1892 ging Paula Becker auf Wunsch ihrer Eltern nach England. Eine Halbschwester ihres Vater lebte dort in der Nähe Londons. Paula Becker sollte dort Haushaltsführung und Englisch erlernen. Dank der Unterstützung ihres Onkels erhielt Paula Becker dort auch Kunstunterricht. Nach ersten Skizzenstunden besuchte sie eine private Kunstschule, in der sie täglich von zehn bis sechzehn Uhr im Zeichnen unterrichtet wurde. Dieser Kunstunterricht währte allerdings nur kurze Zeit. Der Aufenthalt in London war von Paula Beckers Eltern ursprünglich für ein Jahr geplant; Paula Becker kehrte jedoch bereits nach einem halben Jahr zurück. Sie hatte zum einen unter Heimweh gelitten und sich unter der autoritären Führung ihrer Tante nicht wohl gefühlt.
Lehrerinnenseminar
Vor allem auf Grund des Einwirkens ihres pflichtbewussten Vaters besuchte Paula Becker ab 1893 in Bremen ein Lehrerinnenseminar. Sie folgte damit ihrer ältesten Schwester, die ebenfalls dieses Lehrerinnenseminar besucht hatte. Während dieser Zeit erhielt Paula Becker privaten Malunterricht - ein Entgegenkommen des Vaters, denn Paula Becker hatte die Ausbildung zur Lehrerin nur ungern begonnen.
Der Malunterricht, den Paula Becker erhielt, fand bei dem Maler Bernhard Wiegandt statt. Bei ihm hatte sie das erste Mal die Gelegenheit, nach einem lebenden Modell arbeiten zu können. Aus dieser Zeit stammen eine Reihe von Porträts ihrer Geschwister. Auch das erste Selbstporträt entstand im Jahre 1893. Im September 1895 bestand Paula Becker das Lehrerinnenexamen mit einem guten Abschluß.
Im Frühjahr 1893 sah Paula Becker das erste Mal Bilder des Worpsweder Künstlerkreises. Otto Modersohn, Fritz Mackensen, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler stellten in der Kunsthalle Bremen ihre Gemälde aus. Paula Becker war zwar angetan, aber eine besondere Begeisterung ist ihren Tagebucheinträgen nicht zu entnehmen. Besonders gut gefiel ihr allerdings ein Bild ihres späteren Mannes Otto Modersohn - ihr gefielen die eigenartigen Farben und die Art und Weise, mit der er die Stimmung in der Heide einfing.
Kunstunterricht in Berlin
Der Familie ihrer Mutter verdankte Paula Becker es, dass sie im Frühjahr 1896 nach Berlin fahren konnte, um dort an einem sechswöchigen Kurs an der Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen teilzunehmen. Diese Malschule war sehr angesehen; elf Jahre zuvor hatte Käthe Kollwitz an dieser Schule ihre Ausbildung begonnen. Der Zutritt zu einer Kunstakademie war Paula Becker als Frau dagegen verwehrt.
Nach dem Abschluss des sechswöchigen Kurses konnte Paula Becker ihren Unterricht an der Schule fortsetzen. Offenbar war es ihrer Mutter gelungen, eine Schulgeldermässigung zu erreichen. Um die Kosten für den Malunterricht zu decken, nahm Mathilde Becker eine Pensionärin in ihr Haus auf. Mathilde Beckers Bruder, Wulf von Bültzingslöwen und seine Frau Cora hatten sich außerdem bereit erklärt, Paula bei sich wohnen zu lassen und für ihren täglichen Unterhalt aufzukommen.
In der Ausbildung dominierte der Zeichenunterricht, bei dem nach lebenden Modellen gearbeitet wurde. Erst wer das Zeichnen sicher beherrschte, wurde zu den Malklassen zugelassen. Aus dieser Zeit existieren noch eine Reihe von Aktzeichnungen von Paula Becker, bei denen das Lineare stark bestont wurde und die deutliche Hell-Dunkel-Kontraste aufweisen. 1897 wurde sie zu der ersten Malklasse zugelassen. Ihre Lehrerin war Jeanne Bauck, eine Künstlerin über die heute völlig unbekannt ist. Paula Becker war jedoch von ihr begeistert. Jeanne Bauck hatte eine Zeitlang in Paris gelebt und offenbar durch ihren Einfluss entstand bei Paula Becker der Wunsch, in dieser Stadt selbst eine Zeitlang zu leben.
Während ihrer Berliner Zeit verbrachte Paula Becker viel Zeit in Museen. Besonders häufig hielt sie sich im Kaiser-Friedrich-Museum auf und bewunderte ähnlich wie die Nazarener fast siebzig Jahre zuvor vor allem die Künstler der deutschen und italienischen Renaissance. Zu den Malern, die sie besonders schätzte zählte Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Hans Holbein, Tizian, Botticelli und Leonardo da Vinci. Sie bevorzugte Maler, die eine Tendenz zur großen, klaren Form hatten und bei denen das Linear-konstruktive besonders betont wurde.
Worpswede und Paris
Umzug nach Worpswede
Anlässlich der Silberhochzeit der Eltern unternahm die Familie Becker im Sommer 1897 einen Ausflug in das kleine, vor den Toren gelegene Dorf Worpswede unternommen. Paula Becker war von der Landschaft un ihrem Farbenspiel, der Einsamkeit des Ortes und der dort angesiedelten Künstlerkolonie tief beeindruckt. Vor Beginn des Herbstsemesters 1897 fuhr sie erneut mit einer Freundin dorthin, um dort zu wandern und die Maler aufzusuchen. Als sie im Januar 1898 600 Mark erbte und ihre kinderlosen Verwandten Arthur und Grete Becker ihr eine auf drei Jahre befristete jährliche Rente von 600 Mark aussetze, damit sie ihre Ausbildung fortsetzen konnte, beschloss sie unterstützt von ihren Eltern, nach Worpswede zu gehen. Ursprünglich war nur ein kurzer Ferienaufenthalt angedacht. Mathilde Becker plante, dass ihre Tochter ein paar Wochen bei Fritz Mackensen Mal- und Zeichenunterricht genießen und dann im Herbst ein Au-Pair-Stelle in Paris annehmen sollte. Dem Einfluss des Vaters war es zu verdanken, dass Mackensen sich tatsächlich dazu bereit fand, die Tochter bei ihren Malstudien zu unterstützen. Als Paula Becker jedoch im September 1898 nach Worpswede ging, war offenbar bereits ein längerer Aufenthalt geplant.
Die Worpsweder Künstlerkolonie
Die Künstler, die sich in Worpswede seit 1889 angesiedelt hatten, verstanden sich von den an den Kunstakademien unabhängig. Die meisten waren Schüler der seit Wilhelm von Schadow berühmten Kunstakademie Düsseldorf gewesen, standen jedoch wie viele Künstlergemeinschaften des 19. Jahrhunderts der akademischen Kunstausbildung und ihrer Ateliermalerei kritisch gegenüber. Durch den Ruckzüg in dieses kleine Dorf wollten sie sich ähnlich wie die von Théodore Rousseau gegründete Schule von Barbizon um ein neues Naturverständnis in ihrer Malerei bemühen. Ziel war eine schlichte, unverfälschte Malerei in freier Natur und eine Verherrlichung der als ursprünglich und unverdorben empfundenen Bauernschaft.
Eine enge Freundschaft knüpfte sie mit Clara Westhoff, die Bildhauerin werden wollte und bei Mackensen Modellier- und Zeichenunterricht nahm. Nachdem das Verhältnis zwischen Paula Becker und den Worpsweder Künstlern anfangs sehr zurückhaltend war, intensivierte sich ab März 1899 auch der Kontakt zu dem Ehepaar Modersohn sowie zu Heinrich Vogeler, unter dessen Anleitung sie im Sommer 1899 einige Radierungen schuf. Das disziplinierte und farbarme grafische Arbeiten mit Druckplatte und Radiernadel lag ihr jedoch nicht sonderlich.
Den Kunstunterricht bei Fritz Mackensen empfand Paula Becker anfangs sehr hilfreich, aber schon Ende 1898 hatte sich bei ihr das Gefühl ein, dass er nicht der rechte Lehrer für sie sei. Mit ihrer zur Vereinfachung von Form und Farbe tendierenden Kunst fand sie nicht nur in Worpswede keine künstlerischen Anregungen. Die vernichtende Kritik, die sie gegen Ende 1899 über ihre erste Ausstellungsbeteiligung erhielt, hatte ihr auch deutlich gemacht, dass sie sich mit ihrer Malerei außerhalb der allgemeinen deutschen Kunstszene stand. In der Weser-Zeitung stand am 20. Dezember 1899 über ihre zwei ausgestellten Bilder:
- Für die Arbeiten...reicht der Wörterschatz einer reinlichen Sprache nicht aus und bei einer unreinlichen wollen wir keine Anleihe machen. Hätte eine solche Leistungsfähigkeit auf musikalischem oder mimischem Gebiet die Frechheit gehabt, sich in den Konzertsaal oder auf die Bühne zu wagen, es würde alsbald ein Sturm von Zischen und Pfeifen dem groben Unfug ein Ende gemacht haben....
Zwar feierten Künstler wie Max Slevogt, Lovis Corinth, Max Liebermann oder Wilhelm Leibl in München und Berlin erste Erfolge; künstlerisch dominierte aber in Deutschland immer noch die Salonmalerei der Gründerzeit. Aufgeschlossener und innovativer war dagegen die Kunstszene in Paris, einen Ort, an den Paula Becker seit ihrem Studienaufenthalt in Berlin reisen wollte.
Der erste Studienaufenthalt in Paris
In der Silvesternacht 1900 brach Paula Modersohn-Becker nach Paris auf. So wie Rom um die Wende ins 19. Jahrhunderts Anziehungspunkt für deutsche Künstler war, war Paris gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum führenden europäischem Kunstzentrum geworden und zahlreiche deutsche Künstler, darunter Emil Nolde, Carl Hofer, Bernhard Hoetger oder Käthe Kollwitz verbrachten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einige Zeit in Paris. Clara Westhoff, die Freundin aus Worpswede befand sich bereits seit Ende 1899 in Paris, weil sie hoffte, Schülerin von Auguste Rodin zu werden.
Finanziell konnte sich Paula Modersohn-Becker diesen Aufenthalt ermöglichen, weil sie nach wie vor die ihr ausgesetzte Rente erhielt. Sie bezog ein kleines Zimmer in dem Ateliergebäude NR. 9 in der Rue Campagne Première, dass sie mit Möbel vom Trödel und Kisten einrichtete. Im Quartier Latin wurde sie Schülerin der privaten Akademie Colarossi und École des Beaux-Arts belegte sie während dieses halbjährigen Aufenthaltes einen Anatomie-Kurs. Und so wie in Berlin besuchte sie erneut sehr intensiv Museen. Allein und gemeinsam mit Clara Westhoff besuchte sie außerdem Ausstellungen und Galerien, um die modernen französischen Maler kennenzulernen. Clara Westhoff hat nach dem Tod ihrer Freundin davon berichtet, wie sie gemeinsam den Kunsthändler Ambroise Vollard aufsuchten und Paula Becker zutiefst beeindruckt war von den Gemälden Paul Cézannes war, der zu dieser Zeit noch ein völlig unbekannter Künstler war. Zwischen Cézannes und Beckers Arbeiten bestand immer ein großer inhaltlicher Zusammenhang. Nach Sicht der Kunsthistorikerin Christa Murken Altrogge kann Paula Becker als erste deutsche Künstlerin gewertet werden, die die Größe und das Richtungsweisende dieses Malers als erste erkannte. In einem mit 21. Oktober 1907 datierten Brief an Clara Westhoff schrieb sie Jahre später, dass Cézannes
- einer von den drei oder vier Malerkräften ist, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter und ein großes Ereignis.
Sicher ist auch, dass Paula Becker während dieses Aufenthaltes in Paris die große Ausstelllung der Nabis-Künstler besucht hat. Diese vom Japanischem Farbholzschnitt beeinflussten Künstler legten Wert auf eine flächenbetonte Malerei, deren Farbe Bedeutungsträger und nicht Mittel zur Wiedergabe von Augenschein sein.
Seit April 1900 fand in Paris die große Jahrhundertausstellung statt. Anlässlich dieser Ausstellung kam das Ehepaar Overbeck und mit ihm Otto Modersohn im Juni nach Paris. Paula Modersohn-Becker kannte den elf Jahre älteren Landschaftsmaler Modersohn aus ihrem ersten Aufenthalt in Worpswede und schätzte ihn sehr. Modersohns gesundheitlich angeschlagene Ehefrau Helene war in Worpswede zurückgeblieben und starb während der kurzen Zeit, die er in Paris verbrachte. Modersohn und mit ihm das Ehepaar Overbeck kehrte überstürzt nach Deutschland zurück.
Rückkehr nach Worpswede
Vierzehn Tage nach der überstürzten Abreise von Modersohn und den Overbecks kehrte auch Paula Becker gemeinsam mit Clara Westhoff nach Worpswede zurück. Da die geerbten 600 Mark aufgebraucht und die ihr ausgesetzte Rente abgelaufen war, legte ihr Vater ihr nahe, sie möge sich eine Stelle als Gouvernante suchen. Ihr angegriffener Gesundheitszustand erlaubte das jedoch noch nicht sofort. Sie hatte sich in Paris überarbeitet und gleichzeitig aus Sparsamkeit so spartanisch gelebt, dass ihr der Arzt Ruhe verordnete. In dieser Zeit schrieb Paula Becker jenen Tagebucheintrag, der in ihren Biographien häufig zitiert wird, da er eine Vorahnung ihres frühen Todes anzudeuten scheint:
- ...Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig. Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest...Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar.
Paula Becker korrigierte diese Andeutung Wochen später durch einen anderen Tagebucheintrag mit den Worten Und es dauert doch noch lange. Ich bin gesund und stark und lebe.
Während sie sich physisch von ihrem anstrengenden Parisaufenthalt erholte, leiste ihr Otto Modersohn gelegentlich Gesellschaft. Die Beziehung zu ihm intensivierte sich und am 12. September 1900, knapp drei Monate nach dem Tod von Helene Modersohn, verlobten sich die beiden.
In die Verlobungszeit fällt auch die Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke. Er hatte sich 1898 mit Heinrich Vogeler während dessen Florenz-Aufenthaltes angefreundet und kam nun als Gast Vogeler zu Besuch in Worpswede. Bei Modersohn kehrte in der selben Zeit Carl Hauptmann, der Bruder von Gerhard Hauptmann ein. Abends traf man sich regelmäßig auf dem Barkenhof, den das Ehepaar Vogeler bewohnte. Clara Westhoff und Paula Becker erschienen Rilke wie Schwestern. In seinen Tagebüchern nannte er die beiden Freundinnen die blonde Malerin und die Dunkle, um die immer Handlung, Bewegung und Erzählung war. Beiden Frauen war er eng verbunden. Während er in Clara Westhoff - die er wenig später heiratete - jedoch sehr stark auch die Künstlerin sah, erlebte er Paula Becker vor allem als ernste Freundin und widmete ihr ein Gedicht, das später in seinem Buch der Bilder erscheinen sollte:
- Du blasses Kind, an jedem Abend soll
- der Sänger dunkel stehn vor deinen Dingen
In seiner Monographie über die Worpsweder Maler erwähnt Rilke Paula Modersohn-Becker jedoch nicht und bei Rodin führte er sie kurz darauf als Ehefrau eines berühmten Malers ein. Die Malerin Paula Modersohn-Becker, die im Urteil heutiger Kunsthistoriker das Werk ihres Mannes heute weit überstrahlt, nahm Rilke erst kurz vor ihrem Tod als Künstlerin wahr.
Heirat mit Oskar Modersohn
Am 25. Mai 1901 heirateten Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker. Paula Modersohn-Becker hatte auf Druck ihrer Eltern zuvor sogar noch einen Kochkurs in Berlin begonnen, den sie jedoch frühzeitig wieder abbrach. Ihre in einem Brief angegebene Begründung charakterisiert nicht nur Paula Modersohn-Becker Person, sondern auch ihre kommenden Ehejahre.
- Es ist gut, sich aus Verhältnissen zu lösen, die einem die Luft nehmen,
schrieb sie am 8. März 1901 in einem Brief. Nach einer kurzen Hochzeitsreise, bei der das Ehepaar unter anderem bei Gerhart Hauptmann in Agnetendorf zu Gast waren, begann für Paula Modersohn-Becker eine Zeit, bei der sie versuchte, ihre Pflichten als Ehe- und Hausfrau und Stiefmutter der jungen Elsbeth mit ihren künstlerischen Ambitionen zu vereinen. Ihr Atelier war eine kleine Klause auf dem Hof des Bauern Brünje. Modersohn ließ in diese Oberlichter einbauen, damit sie diese nutzen konnte. Ihres Tagesablauf organisierte sie mit Hilfe eines Dienstmädchens; von neun Uhr bis mitttags um eins malte sie in ihrem Atelier, kam dann zum Essen heim und kehrte um drei Uhr wieder in ihr Atelier zurück, wo sie oft bis abends um sieben blieb. Ihrer Stieftochter Elsbeth versuchte sie, eine gute und fürsorgende Mutter zu sein. Sie war das Modell einer Reihe ihrer Kinderbilder. Mädchen im Garten neben Glaskugel, das um 1901/1902 entstand und Kopf eines kleinen Mädchens zeigen ihre junge Stieftochter.
Ihr Mann empfand die ersten drei Jahre ihrer Ehe als sehr glücklich. Aus seinen Tagebucheinträgen weiß man, dass er zutiefst davon überzeugt war, mit einer richtungsweisenden Künstlerin verheiratet zu sein - auch wenn das zu dieser Zeit außer ihm keiner zu realisieren schien. Paula Becker hatte in Modersohn einen sie liebenden Mann gefunden, der ihrer künstlerischen Weiterentwicklung nicht im Wege stand und sie auf ihrem Weg kritisch begleitete. Ein tiefergehendes Verständnis für ihr Werk entwickelte jedoch auch ihr Mann nicht. Befremdlich blieb ihm während ihrer gesamten Ehe, wie sehr sie auf die Anregungen der Künstler in Paris angewiesen war.
Die Heirat hatte Paula Modersohn-Becker von dem Zwang befreit, einen ungeliebtem Beruf nachgehen zu müssen, um für ihren Unterhalt zu sorgen. Während ihres Lebens hat sie lediglich an die mit ihr freundschaftlich verbundenen Rilke und Vogeler jeweils ein Bild verkauft - ohne die Heirat mit Modersohn hätte sie dem Rat ihres Vaters folgen und sich eine Stelle als Gouvernante suchen müssen. Während Modersohn in seinen Tagebüchern festhielt, dass die Ehe schöner verlaufe als er je geglaubt hätte, finden sich in den Tagebucheinträge von Ostern 1902 bei Paula Modersohn-Becker Anzeichen einer kritischeren Haltung:
- Es ist meine Erfahrung, dass die Ehe nicht glücklicher macht. Sie nimmt die Illusion, die vorher das ganze Wesen trug, dass es eine Schwesterseele gäbe. Man fühlt in der Ehe doppelt das Unverstandensein, weil das ganze frühere Leben darauf hinausging, ein Wesen zu finden, das versteht.
Anders als ihr Mann, der die Stille und Zurückgezogenheit von Worpswede brauchte, um sich künstlerisch zu entfalten, brauchte Paula Modersohn-Becker den Kontakt und die Herausforderung
Paris 1903
Im Frühjahr 1903 erbat sich Paula Modersohn-Becker von ihrem Mann, für einen Zeitraum von zwei Monate nach Paris zurückkehren zu können. In Paris verkehrte sie sehr viel mit dem Ehepaar Rilke, auch wenn sie die wachsenden Spannungen zwischen Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff als belastend empfand.
Den überwiegenden Teil ihrer Zeit verbrachte sie im Louvre, um dort nach antiken und ägyptischen Vorbildern zu zeichnen. In ihren Selbstporträts, die danach entstanden, lässt sich nachvollziehen, dass sie sich stark mit den Totenbildern aus dem oberägyptischen Fayum beschäftigte. Gemeinsam mit dem Ehepaar Rilke besuchte sie außerdem erneut Ausstellungen. Belegt ist aus dieser Zeit, dass sie sich intensiver mit Japanischen Farbholzschnitten auseinandersetzte. Rilke ermöglichte ihr außerdem ein Besuch bei dem berühmten französichen Bildhauer Auguste Rodin. Bezeichnend für sein Verständnis von Paula Modersohn-Becker zu der damaligen Zeit ist, dass der Einführungsbrief an Rodin sie als Ehefrau eines berühmten Künstlers beschrieb.
Kunsthistoriker vermuten gelegentlich, dass sie während dieser Zeit auch Gemälde von Paul Gauguin gesehen hat, obwohl in ihren Tagebüchern nichts dazu vermerkt ist. Die Stilleben, die nach ihrer Rückkehr nach Worpswede entstehen und bei denen Gegenstände als farbige Teilflächen dargestellt sind, die dem Bildganzen untergeordnet sind, zeigen eine Wesensverwandschaft zu dessen Gemälden.
Worpswede 1903 bis 1905
Bereits im März 1903 kehrte sie wieder nach Worpswede zu ihrem Mann und ihrem Stiefkind zurück. Sie brachte aus Paris zahllose künstlerische Anregungen mit und der Aufenthalt dort hatte ihr auch ihre Verbundenheit zu ihrem Mann und ihrer Stieftochter deutlich gemacht. Unter den etwa 130 Gemälden, die bis Ende 1904 entstanden, befinden sich neben Stilleben auch viele Porträts von Säuglingen und Kleinkindern, die sie anders als zuvor ohne ihre Mütter darstellt. Sie selber wünschte sich ein Kind und bedauerte zu dem Zeitpunkt sehr, dass es ihr bis jetzt verweigert blieb. Die künstlerische Entwicklung, die Paula Modersohn-Becker damit jedoch einschlug, blieb ihrem Mann unverständlich:
- [sie falle] nun in den Fehler, alles lieber eckig, häßlich, bizarr, hölzern zu machen. Die Farbe famos - aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins ... Zwei Köpfe, vier Hände auf kleinster Fläche, unter dem tut sie es nicht und dazu Kinder. Rat kann man ihr schwer erteilen, wie meistens (Renken, S. 88)
hielt Otto Modersohn in seinem Tagebuch am 26. September 1903 fest.
Kinderbilder, wie das 1904 entstandene Kind auf rotgewürfeltem Kissen zeigen, wie sie die Anregungen der Nabis-Künstler verarbeitete. Diese verbanden Farbflächen mit weißen Stegen, um darüber teppichähnliche Wirkungen zu erzielen. Modersohn-Becker verwendet setzt ihr Modell in einem rotgestreiften Kleidchen dagegen auf ein rot-weiß-gewürfteltes Kissen, das eine quadratische Fläche um das Kind bildet und damit ihrem Gemälde Geschlossenheit verleiht. Ungewöhnlich ist der Detailgrad, mit der Modersohn-Becker hier das Gesicht malt. Auf anderen Kinderbildern aus der selben Zeit setzt sie eine Vereinfachung von Form und Farbe erheblich radikaler um und reduziert das Gesicht auf das notwendige.
Paris 1905
Bereits im Jahre 1903, nach ihrem letzten kurzen Aufenthalt in Paris, hatte Paula Modersohn-Becker angekündigt, dass sie immer wieder für eine Zeitlang dahin zurückkehren wollte. Modersohn, der sich als deutscher Maler empfand und die französische Kunst ablehnte, die jetzt zunehmend auch in deutschen Ausstellungen und Galerien zu sehen war, war dieser Wunsch weitgehend unverständlich. Paula Modersohn-Becker setzte sich mit ihrem Wunsch jedoch durch. Am 14. Februar 1905 reiste sie erneut nach Paris, um dort einige Zeit dort gemeinsam mit ihrer Schwester Herma Becker zu verbringen. Ihren Mann drängte sie wiederholt, sich ihnen doch anzuschließen. Sie belegte erneut Kurse im Zeichnen an privaten Akademien, wurde sich aber zunehmend bewusst, dass sie mittlerweile eine eigene malerische Sprache entwickelt hatte. Erneut suchte sie einige Künstler des Nabiskreises auf, darunter Maurice Denise.
Als ihr Mann nach Paris kam, kam er in Begleitung des Ehepaars Vogeler, obwohl ihm seine Frau angedeutet hatte, dass sie gerne mit ihm Paris alleine erleben wollte. Gemeinsam besuchte man erneut Kunstausstellungen, innerhalb der kleinen Gruppe kam es jedoch zu Spannungen. Otto Modersohn reagierte mit Eifersucht auf die Art und Weise, mit der seine Frau das Leben in Paris genoss und die französische Kunst bewunderte.
- Er bildete sich ein, ich bliebe am liebsten in Paris und hielte von Worpswede nichts
hält Paula Modersohn-Becker in ihrem Tagebuch am 21. April 1905 fest.
Während Kunsthistoriker nur vermuten können, dass Paula Modersohn-Becker während ihres zweiten Besuchs neben Gemälden von Paul Cezanne auch Bilder von Paul Gauguin sah, ist dies für den dritten Besuch durch Tagebuchnotizen ihres Mannes eindeutig belegt. Nach ihrer Rückkehr nach Worpswede begann sie sich intensiv mit diesem Künstler auseinanderzusetzten und ließ sich unter anderem von einer ihrer Schwester Aufsätze über diesen Maler zusenden.
Rückkehr nach Worpswede - Sommer 1905 bis Februar 1906
Der dritte Aufenthalt in Paris hatte Paula Modersohn-Becker angeregt, sich mehr dem Stilleben zuzuwenden. Vor 1905 sind nur zehn Stilleben in ihrem Werk nachweisbar, von 1905 bis 1907 sind es annähernd fünfzig. In diesen führte sie die abgebildeten Gegenstände immer Stärker auf ihre Grundformen zurück - Kreis, Ellipse und Trapez.
Daneben entstanden zahlreiche weitere Kinderporträts, darunter Bilder wie Bauernmädchen auf einem Stuhl sitzend, auf dem auf alle differenzierenden Linien und Formen verzichtet ist oder Blasendes Mädchen im Birkenwald das ihre Biographin Lieselotte von Renken für die schönste Fassung ihrer immer neuen Versuche hält, die Einheit von Kind und Natur in einfacher Zeichensprache auszudrücken. Ein in strenger Profilsicht dargestelltes Mädchen, das auf einem Tuterohr bläst, schreitet weitausschreitend vor einem engen Gitter herbstlich gefärbter Bäume.
Das letzte Jahr
1907 kehrt Paula Modersohn-Becker zu ihrem Mann nach Worpswede zurück. Am 2. November war die Geburt ihrer Tochter Mathilde, doch am 20. November stirbt Paula Modersohn-Becker nach der Geburt ihres ersten Kindes an einer Embolie.
Werke
- 1905 "Stilleben mit Blattpflanze", Privatbesitz
- 1906 "Selbstbildnis mit Bernsteinkette", Kunstmuseum Basel
- 1907 "Sitzender Mädchenakt mit Blumen", Von der Heydt-Museum, Wuppertal
Institutionen
- 1978 begründete ihre Tochter Tille (1907-1998) die Paula Modersohn-Becker-Stiftung.
Literatur
- Paula Modersohn-Becker, Sophie Dorothee Gallwitz: Eine Künstlerin: Paula Becker-Modersohn. Briefe und Tagebuchblätter. Kestner-Gesellschaft, Hannover 1917
- Marina Bohlmann-Modersohn: Paula Modersohn-Becker. Eine Biographie mit Briefen. 3. Auflage. Knaus, Berlin 1997, ISBN 3-8135-2594-5
- Christa Murken-Altrogge; Paula Modersohn-Becker, DuMont Buchverlag Köln, 1991, ISBN 3-7701-2677-7
Weblinks
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Personendaten | |
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NAME | Modersohn-Becker, Paula |
KURZBESCHREIBUNG | Malerin (Expressionismus) |
GEBURTSDATUM | 8. Februar 1876 |
GEBURTSORT | Dresden |
STERBEDATUM | 21. November 1907 |
STERBEORT | Worpswede |