Die Römische Mythologie beschäftigt sich mit den Vorstellungen der antiken römischen Mythographen über die Welt der Götter und Heroen. Die ursprüngliche römische Bauernreligion wurde vornehmlich von Personifikationen der Natur und von Naturereignissen beherrscht (z. B. Tellus = Erde, Ops = Ernte, Ceres = Feldfrüchte usw.). Erst ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. begannen die Römer unter dem vermittelnden Einfluss der Etrusker die Götterwelt der Griechen zu importieren. So entsprechen etliche Gestalten des römischen Götterhimmels denen der griechischen Mythologie, doch ist die römische Mythologie nicht so stark wie die griechische mit Göttern und Heroen bevölkert. Die Gleichsetzung fremder Götter mit eigenen, die so genannte Interpretatio Romana, wurde zum besonderen Charakteristikum des römischen Umgangs mit fremden Kulten und Religionen.
Götterhimmel
Der römische Götterhimmel mit Sitz im Gebirge des Olymp war recht umfangreich und beinhaltete neben den Göttern auch noch Geisterwesen und Personifikationen. Hierzu traten noch zahlreiche Gottheiten, welche in den Provinzen verehrt wurden oder deren Verehrung über die Provinzen in das Römische Reich gelangte.
Götter aßen sehr gerne Augäpfel. Die Römer befürchteten sehr, dass man einen Gott vergessen könnte. So verehrten sie die Novensiles, was der Historiker Cincius Alimentus zu folgender Erklärung veranlasste:
„Die Römer pflegten den Götterglauben der unterworfenen Städte teils privat in den Familien zu verbreiten, teils zum Staatskult zu erheben. Damit nicht einer der Götter aufgrund der Zahl oder, weil er unbekannt wäre, übergangen würde, wurden sie kurzerhand alle zusammengefasst und mit dem einen und gleichen Namen ‚Novensiles‘ bezeichnet“
Andere römische Historiker widersprachen dieser Herleitung von dem Wort „novus“ und legten das Wort „novem“ ihrer Erklärung zu Grunde: Es habe sich um neun Götter oder neun Musen gehandelt.[1] Als Rom gegründet wurde (21. April 753 v. Chr.)[2], waren die Götter nur göttliche Erscheinungen, ohne Gesichter, ohne Form aber trotzdem mächtig. Die Idee von Göttern als menschliche Wesen kam erst später mit dem Einfluss der Etrusker und der Griechen, welche Götter in menschlichen Formen hatten.
Die meisten Götter sind mindestens so alt wie die Stadt Rom selbst, doch die Römer haben die Götter nur von den Griechen übernommen und ihnen römische Namen gegeben.
Die Römer selbst unterteilten die Götter in große und kleinere Gottheiten, was auf ihre jeweilige Wichtigkeit und den Umfang der Verehrung hinweist.
Die zwölf Götter
Besonders verehrt wurden die zwölf Götter (lat. Dei Consentes). Zu ihren Ehren gab es auf dem Forum Romanum einen gemeinsamen Tempel, die Porticus Deorum Consentium. Die Etrusker verehrten eine Zwölfzahl von obersten Göttern, identifiziert wurden die römischen Götter aber mit den olympischen Göttern der Griechen. Man bezeichnet die ursprünglichen Götter heute als Dei ingentes und deren Nachkommen Dei novensiles.
Es gab keine festgelegte Rangfolge (abgesehen davon, dass Jupiter der oberste Gott und Juno die oberste Göttin war). Livius nennt an einer Stelle folgende Paare männlicher und weiblicher Gottheiten: Jupiter - Juno, Neptun - Minerva, Mars - Venus, Apollo - Diana, Vulcanus - Vesta, Merkur - Ceres.[3] Ennius gibt folgende Reihenfolge: Juno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, Venus, Mars, Merkur, Jupiter, Neptun, Vulcanus, und Apollo.[4] Die folgende Tabelle orientiert sich an Livius:
Römischer Name | Griechischer Name (translit.) | Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Göttern, Funktion, Besonderheiten | Attribute | Bild |
---|---|---|---|---|
Jupiter | Zeus Ζεύς (Zeus) |
Göttervater, zuständig für Blitz, Donner und Luft jüngster Sohn des Saturn und der Ops Bruder von Neptun, Pluto, Juno und Ceres Vater von Minerva, Apollo, Diana, Mars, Venus, Merkur, Bacchus, Hercules etc. Himmelskörper: Planet Jupiter |
Adler, Blitzbündel, Zepter | |
Juno | Hera Ἥρα (Hēra) |
Familien-Göttin, zuständig für Hochzeit, Mutterschaft und Geburt Helferin in den Nöten der Entbindung Mutter von Mars, Vulcanus etc. Schwester und eifersüchtige Gemahlin des Jupiter |
Pfau, Kuckuck, königliche Kopfbinde, Granatapfel | |
Neptun | Poseidon Ποσειδῶν (Poseidōn) |
Gott des Meeres (hier Mittelmeer), der Erdbeben und Pferde älterer Bruder des Jupiter verheiratet mit Amphitrite Vater des Triton bei der Teilung der Welt erhielt Jupiter den Himmel und die Erde, Pluto die Unterwelt und Neptun den Ozean |
Dreizack, Streitwagen, Delfin | |
Minerva | Athene Ἀθηνᾶ (Athēna) |
jungfräuliche Göttin der Weisheit, Schutzherrin der Helden, der Städte, des Ackerbaus, der Künste und Wissenschaften, des Handwerks, des (strategischen) Krieges und des Friedens Tochter des Jupiter und der Metis |
Helm, Schild, Lanze und Eule | |
Mars | Ares Ἄρης (Arēs) |
Gott des zerstörerischen Krieges und der Schlachten Liebhaber der Venus ehelicher Sohn des Jupiter und der Juno Himmelskörper: Planet Mars |
Fackel, Hund und Geier, Schwert, Schild, Helm | |
Venus | Aphrodite Ἀφροδίτη) (Aphroditē) |
Göttin der Liebe und Schönheit Tochter des Jupiter (Adoptiv-) Tochter (von Dione) Gemahlin des Vulcanus Himmelskörper: Planet Venus |
Schwan, Gans, Taube, Muschel, Gürtel, Spiegel, Myrte, Apfel etc. | |
Apollo | Apollon Ἀπόλλων (Apollōn) |
Gott der Poesie, des Lichtes, der Mäuse, der Pest und der Prophetie Musenführer gleichgesetzt mit Phoebus (Sonnengott) Sohn des Jupiter und der Titanin Leto unverheiratet, Vater des Asklepios Zwillingsbruder der Diana Himmelskörper: Sonne |
Saiteninstrument Kithara, Pfeil und Bogen | |
Diana | Artemis Ἄρτεμις (Artemis) |
Jungfräuliche Göttin der Jagd und des Mondes (zusammen mit Luna) Tochter des Jupiter und der Leto Zwillingsschwester des Apollo (Apollo = Sonnengott, Diana = Mondgöttin) nie verheiratet, frei und kinderlos Himmelskörper: Mond |
Pfeil und silberner Bogen, Köcher, Wermutkraut, Hirschkuh, Mondsichel | |
Vulcanus | Hephaistos Ἥφαιστος (Hēphaistos) |
Gott der Vulkane, des Feuers und der Schmiedekunst Sohn der Juno (in Parthenogenese gezeugt) von seiner Mutter vom Olymp geschleudert und lahmt seitdem von Jupiter mit Venus verheiratet, die ihn mit Mars betrog |
Schmiedehammer bzw. -zange, Beil, Pilos (Handwerkerkappe) | |
Vesta | Hestia Ἑστία (Hestia) |
Göttin des Herdfeuers und der Familieneintracht unverheiratete Jungfrau trat zurück, nachdem Bacchus in den Kreis aufgenommen wurde Vesta ist ein Kind von Uranos und Terra. Sie hatte 5 Geschwister |
Palladion | |
Merkur | Hermes Ἑρμής (Hērmēs) |
Gott der Diebe, des Handels und der Reisenden. Götterbote Sohn des Jupiter und der Nymphe Maia Vater des Pan, des Daphnis, des Hermaphroditos, des Abderos und des Autolykos Himmelskörper: Planet Merkur |
Petasos oder Flügelhelm, Hermesstab, Flügelschuhe | |
Ceres | Demeter Δήμητρα (Dēmētra) |
Erdgöttin, Muttergöttin, Fruchtbarkeitsgöttin dreifaltige Göttin in verschiedenen Manifestationen: Jungfrau, Mutter oder Alte Frau unverheiratete Schwester und Geliebte des Jupiter in der Kunst eng verbunden mit ihrer Tochter Proserpina und deren Gatten Pluto |
goldener Ährenkranz, Fackel, Korb mit Pfirsichen oder Blumen, Labrys (Doppelaxt) |
Weitere römische Götter
- Acca Larentia – Amme von Romulus und Remus
- Aeolus – Gott der Winde, gr. Aiolos
- Aesculapius – Gott der Heilkunst, gr. Asklepios
- Alemonia – Sie soll das ungeborene Kind nähren, dass es voll entwickelt geboren werden kann.
- Amor – Gott der Liebe, gr. Eros
- Anna Perenna – Göttin des Frühlings und des jungen Jahrs
- Aurora – Göttin der Morgenröte, gr. Eos
- Bona Dea – Göttin der Fruchtbarkeit, Heilung, Jungfräulichkeit und Frauen
- Cardea – Göttin der Gesundheit, der Schwellen, der Türscharniere und der Türgriffe
- Carmenta, Nicostrata – Göttin der Weissagung und der Geburt
- Carna – Göttin des Herzens und der inneren Organe
- Consus – Gott der eingebrachten Ernte
- Dea Dia – Göttin des Wachstums
- Epona - Göttin der Pferde
- Faunus – Gott der Wälder und Weiden, gr. Pan
- Feronia – Frühlings- und Erdgöttin
- Flora – Göttin der Blumen und Blüten
- Fons – Gott der Quellen, Brunnen und fließenden Gewässer
- Fortuna – Göttin des Glücks und des Zufalls, gr. Tyche
- Furien – die Rachegöttinen oder griechisch Erinyen
- Furrina – Göttin der Diebe
- Hercules – Heil- und Orakelgott, Beschirmer der Sportstätten
- Ianus – zweigesichtiger Gott des Anfangs und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Türen und der Tore
- Laverna – Schutzgöttin der Diebe und Betrüger
- Levana – Schutzgöttin der Neugeborenen
- Luna – Göttin des Mondes, gr. Selene
- Maia – Mutter des Hermes, gr. Maia
- Mutunus Tutunus – Gott der Hochzeitsfeier
- Ops – Gattin des Saturnus, Mutter von Jupiter, gr. Rhea
- Pales – Göttin der Weide und der Hirten
- Picus – Gott der Felder und Wälder, Sohn des Saturnus
- Pluto – Gott des Reichtums und Herrscher der Unterwelt, gr. Hades
- Pomona – Göttin des Obstsegens
- Portunus – Gott der Häfen
- Proserpina – Göttin der Erneuerung und Herrscherin der Unterwelt
- Quirinus – Gott der Quelle
- Robigus – Gottheit der Getreidekrankheiten wie Getreiderost
- Saturn – Gott des Ackerbaus (Vater Jupiters), gr. Kronos
- Silvanus – Gott der Hirten und Wälder
- Sol – Sonnengott, gr. Helios
- Tellus – Gottheit der mütterlichen Erde, gr. Gäa
- Veiovis – „Anti-Jupiter“, Jupiter der Unterwelt, Gott der Sühne und der entlaufenden Verbrecher oder der Heilung
- Vertumnus – Gott des Wandels und der Veränderung
- Volturnus – Gott des Wassers und der Flüsse
Geisterwesen
- Genius – persönlicher innerer Geist eines Mannes, der ihm die Zeugungsfähigkeit verleiht
- Laren – Schutzgötter oder Schutzgeister bestimmter Orte und Familien
- Penaten – Schutzgötter der Vorräte
- Manen – Geister der Toten, auch einige Unterweltgeister
- Lemures, Larvae – Geister von Verstorbenen
Personifikationen
- Aeternitas (Ewigkeit)
- Aequitas (Abwägen; im weitesten Sinne Gerechtigkeit)
- Antevorte (Zukunft)
- Clementia - Personifikation der Großmut
- Concordia (Eintracht)
- Dea Tacita (Tod; wörtlich ins Deutsche übersetzt: „verschwiegene Göttin“ – „mors“, Tod, ist weiblich)
- Discordia (Zwietracht)
- Fama (Gerücht)
- Felicitas (Glück)
- Fides (Treue)
- Fortuna (Glücks- und Schicksalsgöttin)
- Honos (Ehre)
- Iustitia (Gerechtigkeit)
- Juventas – Göttin der Jugend
- Libertas (Freiheit)
- Nox (Nacht, gr. Nyx)
- Pax (Frieden)
- Pudicitia (Schamhaftigkeit)
- Roma (Personifikation der Stadt Rom)
- Salus (Wohlergehen)
- Spes (Hoffnung)
- Coelus, Sternbild Caelum (Personifikation des Himmels, gr. Uranos)
- Virtus (Tapferkeit)
- Victoria (Sieg)
Fremde Götter
Kult
Der Kult sah die Opferung von Tieren, Pflanzen und anderen Dingen vor. Hierbei musste der Ritus genau beachtet werden, da jeder Fehler den Zorn der Gottheit hervorrufen würde und nach einem Sühneopfer erneut vollzogen werden musste. Bereits ein Versprecher im Text reichte aus, um Gefahren heraufzubeschwören. Eine wichtige Rolle spielten auch Vorzeichen und Weissagungen. Diese waren teils mit den Opfern verknüpft; so wurde z. B. aus den Organen der geopferten Tiere herausgelesen, ob die Götter ein Vorhaben begünstigten. Auch die Beobachtung des Vogelflugs diente diesem Zweck. An der Spitze der Priester stand der Rex sacrorum, die Pontifices, in welchen die Flamines zusammengefasst waren und die Vestalinnen. Neben den genannten gab es noch zahlreiche Kollegien (Auguren, Haruspices, Quindecimviri, Septemviri) und Kultvereine (Arvalbrüder, Fetialen, Luperci, Salier, Titier, Augustales Claudiales, Augustales Flaviales, Augustales Hadriani, Augustales Antoniani).
Hauskult
Auch der Wohnsitz und das Haus der römischen Familie waren Orte, an denen Riten vollzogen wurden, siehe hierzu Genius loci, Laren und Penaten.
Siehe auch
Literatur
- Hans Beck: Die frühen römischen Historiker. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
- Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius. 2005
- Von Coelius Antipater bis Pomponius Atticus. 2004
- Thomas Blisniewski: Auswahlbibliographie zur antiken Mythologie und ihrem Fortleben. Selbstverlag, Köln, 1993
- Dorothea Coenen u. a.: Griechische und römische Mythologie. Götter, Helden, Ereignisse, Schauplätze. Herder, Freiburg 2006, ISBN 3-451-05218-0.
- Karl Philipp Moritz: Götterlehre. [1791], Insel-Verlag, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-458-34207-9.
- Ludwig Preller: Römische Mythologie. Phaidon-Verlag, Essen, 1997, ISBN 3-88851-220-4.
- Nikolaos Yalouris (Hrsg.): Lexicon iconographicum mythologiae classicae. LIMC, 9 Bände; Artemis-Verlag, München, 1981–1999; ISBN 3-7608-8751-1.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Die frühen römischen Historiker I, S. 146 (Darmstadt 2001
- ↑ Varronische Ära
- ↑ Livius ab urbe condita 22.10
- ↑ Ennius Annalen 62