Die Rote Insel ist ein Viertel (Kiez) im Berliner Stadtteil Schöneberg. Damit gehört die Insel seit der Bezirksreform von 2001 also zum VII. Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg.
Lage
N 52°29.03' E 13°21.73' (Gustav-Müller-Platz, Königin-Luise-Gedächtniskirche)
Postleitzahl 10829
Auf dem Stadtplan ist das Viertel am südwestlichen Rand der Innenstadt leicht zu finden: es liegt innerhalb des markanten spitzwinkligen Dreiecks, dessen Seiten von den Gleisen der Wannseebahn, der Ringbahn und der Dresdener Bahn gebildet werden. Die Eckpunkte der annähernd dreieckigen Insel sind damit folgende Bahnhöfe der Berliner S-Bahn: Schöneberg, Papestraße (ab 2006 voraussichtlich Berlin Südkreuz) und Yorckstraße (letzteres eigentlich zwei verschiedene, aber nur ca. 300 Meter voneinander entfernt liegende Bahnhöfe, von denen derjenige mit dem Zusatz Großgörschenstraße an der Wannseebahn liegt).
Im Westen grenzt der Ortskern des alten Schöneberg an die Rote Insel (Kaiser-Wilhelm-Platz und Hauptstraße- die ehemalige Dorfaue). Im Nordosten schließt sich Kreuzberg an, östlich und südöstlich Wohn- und vor allem Gewerbegebiete, die grösstenteils bereits zu Tempelhof gehören.
Zwei Strassen durchqueren die Insel als Hauptachsen ist west-östlicher Richtung, nämlich die (kleinere) Monumentenstraße und die Kolonnenstraße, die bis etwa in die 1980er Jahre hinein als Haupteinkaufsstraße der Insel fungierte.
Aufgrund bestimmter historischer Entwicklungen, die für die Insel charakteristisch sind, bilden die Straßenzüge südlich der Kolonnenstraße den eigentlichen Kern des Kiezes. Diese fünf, parallell und in Nord-Süd-Richtung angelegten Straßen sind (von West nach Ost) die Cherusker-, Goten-, Leber-, Gustav-Müller- und die Naumannstraße. Diese werden nur von kleineren Straßen gequert, der Leuthener und der Torgauer sowie der nur wenige Meter langen Roßbachstraße.
Zur Herkunft des Namens
"Insel"
Die bereits geschilderte Lage des Kiezes- "von Trassen umschlossen"- hat in dessen Entwicklung, sowohl historisch wie soziologisch gesehen, eine bedeutende Rolle gespielt. Zu Beginn der planmäßigen Bebauungsmaßnahmen in diesem Teil der damals noch selbständigen Stadt Schöneberg (etwa 1870-90) wirkten die bereits im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts angelegten Eisenbahnstrecken überraschenderweise nämlich eher als Hindernis für die Erschließung.
Erst in der späten Kaiserzeit, also etwa zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg, verbesserte sich die Verkehrsanbindung nach Alt-Schöneberg und Berlin. Das lag zum einen am rasanten Wachstum der Hauptstadt in das Umland hinein, aber auch daran, dass der nördliche und östliche Teil der Insel intensiv durch das preussische Militär genutzt wurden.
Ingesamt vier Brücken verbinden seit dem frühen 20. Jahrhundert die Insel mit dem Rest der Stadt: Julius-Leber-(früher: Sedan-)Brücke und Langenscheidt-(früher: Siegfrieds-)brücke nach Westen und damit Alt- und Neu-Schöneberg sowie Monumenten- und Kolonnenbrücke nach Osten, also Kreuzberg bzw. Tempelhof.
1901 wurde in Höhe der heutigen Julius-Leber-Brücke unter dem Namen "Schöneberg" ein Bahnhof der Wannseebahn errichtet. Mit der Umbenennung des ehemaligen Bahnhofs "Maxstraße" in "Schöneberg" erhielt die weiter nördlich gelegene Station den Namen "Colonnenstraße". Sie wurde im II. Weltkrieg zerstört und bis heute nicht wieder aufgebaut; die Wiedereinrichtung eines Bahnhofs "Kolonnenstraße" an der heutigen S1 soll aber geplant sein.
Ein weiterer Schritt aus der Isolation war die Einrichtung einer Straßenbahnlinie, die erst in den 1960er Jahren aufgegeben wurde. Die heutige Buslinie 187 folgt allerdings auf der Insel weitgehend demselben Verlauf wie die ehemalige Tramlinie.
Ferner gab es östlich der heutigen Naumannstraße an der Dresdener Bahn seit der Kaiserzeit den "Militärbahnhof" (fertiggestellt 1874/75). Dieser hatte natürlich für die Bevölkerung der Insel keine direkte Bedeutung. Von historischem Interesse ist er insofern, als von dort im I. Weltkrieg ein Großteil der Truppentransporte aus der Hauptstadt abgingen.
"rot"
Die folgende Anekdote trägt zwar wahrscheinlich Züge eines Großstadtmythos, aber sie erklärt auf im Kern zutreffende Weise, warum die Insel mit dem Attribut "rot" belegt wurde:
- "Als im Jahre 1878- die SPD war zu dieser Zeit durch das 'Sozialistengesetz' verboten- Kaiser Wilhelm I. nach zwei Attentaten von einer mehrmonatigen Kur nach Berlin zurückkam und die Stadt im Hurra-Patriotismus und einem schwarz-weiß-roten Fahnenmeer versank, hatte der Schöneberger Bierverleger Bäcker aus der Sedanstraße* die rote Fahne aus dem Fenster gehängt. Für diese unerhörte Tat wurde er des Landes verwiesen. Das 'Sedanviertel' wurde von da an die 'Rote Insel' genannt."
- *bis 1937 Name der heutigen Leberstraße
- (zit. nach Gisela Wenzel, "Die Rote Insel", 1983)
Bereits zur Zeit ihrer Entstehung in der Kaiserzeit war die Insel ein Wohngebiet der "kleinen Leute". Nach der Abschaffung des Sozialistengesetzes (1890) konnte die SPD in diesem Teil Schönebergs ungewöhnlich hohe Stimmenanteile erzielen, was im Lichte des damals in Preußen geltenden Dreiklassenwahlrechts besonders aussagekräftig ist.
Die Bevölkerung der Insel musste im Gefolge der Inflation nach dem I. Weltkrieg einen weiteren spürbaren sozialen Abstieg hinnehmen. In den Jahren der Weimarer Republik gab es hier deshalb einen hohen Anteil von Wählern "roter" Parteien wie der SPD, USPD und KPD.
Bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches von 1920, in dessen Verlauf sich dramatische Ereignisse um das alte Schöneberger Rathaus am Kaiser-Wilhelm-Platz abspielten, kam der "linken" Bevölkerung der Roten Insel eine wichtige Rolle zu. Eine Gedenktafel am Standort des Alten Rathauses erinnert heute an die Opfer.
Im selben Jahr 1920 wurde die Insel, wie ganz Schöneberg, nach Groß-Berlin eingemeindet. Im Vergleich zu den großen Arbeitervierteln der Hauptstadt wie dem "Roten Wedding", Neukölln oder Friedrichshain nahm sich das vergleichsweise betuchte und immer noch vorstädtisch geprägte Schöneberg freilich eher bescheiden aus. Dennoch wagte sich bis zum Ende der Weimarer Republik die SA nur überfallartig und in schwer bewaffneten, großen Trupps auf das von Sympathisanten linker Parteien dominierte Gebiet der Insel.
Julius Leber (1891-1945), einer der führenden politischen Köpfe der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, arbeitete während der Kriegsjahre unter Tarnung in einer Kohlenhandlung an der Kreuzung Torgauer-/Ecke Gotenstraße. Die ehemalige Sedanstraße und -brücke sind heute nach Leber benannt.
Seit Beginn der 1980er Jahre hat sich das Wahlverhalten der "Inselbewohner" insofern verändert, als dass die Grünen im Kiez Wahlanteile von oft weit über 20% erzielen. An der Bezeichnung des Viertels hat sich jedoch vorerst nichts geändert, was auch daran liegen mag, dass der Terminus Grüne Insel bereits anderweitig besetzt ist.
Andere Benennungen des Viertels
Die Sedanstraße war in der auf die Reichsgründung 1871 folgenden Boomperiode die erste Straße auf der Insel, die planmäßig erschlossen, angelegt, bebaut und besiedelt wurde. Aufgrund dieses "Primats" sprach man bis etwa zum II. Weltkrieg (wie bereits erwähnt) vom Sedanviertel. Die Sedanstraße wurde auf Weisung der NSDAP 1937 in Franz-Kopp-Straße umbenannt. Franz Kopp war der Name eines SA-Mannes, der in der von den Nationalsozialisten so genannten "Kampfzeit" bei einer Schlägerei auf der Insel umgekommen war.
Bei dieser Umbenennung blieb es natürlich nur für die wenigen Jahre bis 1945, und darüberhinaus erklärt auch die oben geschilderte politische Grundeinstellung der "Rotinsulaner", warum niemals von einem "Koppkiez" oder etwas Vergleichbarem die Rede war.
Die 1945 erfolgte und bis heute gültige Umbenennung in Leberstraße hatte für die Bezeichnung des Kiezes keine Auswirkungen.
Heutzutage wird in bestimmten Zusammenhängen lieber von der Schöneberger Insel gesprochen. Das kann zum Beispiel- naheliegenderweise- in politisch eher konservativem Kontext vorkommen. Die Insel wird aber auch in Zusammenhängen "entfärbt", wo ausgesprochene Objektivität oder Neutralität suggeriert werden soll. An dieser Sprachregelung wird dann wiederum kritisiert oder belächelt, daß es sich um eine Form der "Schere im Kopf" handele- denn der Name Rote Insel ist ja in der Geschichte und Tradition der Gegend begründet und sagt zunächst nichts weiter über die politischen Anschauungen dessen aus, der die Bezeichnung verwendet.
Die Bezeichnungen Insel und Inselkiez entspringen demgegenüber wohl eher einem für die Berliner Mentalität recht typischen Hang zur knappen Formulierung.
Architektur
Der Gasometer
Das markanteste Bauwerk der Roten Insel und ihr architektonisches Wahrzeichen ist der Riesengasometer, der ursprünglich über 50 Meter hoch war und in gefülltem Zustand 160.000 Kubikmeter Gas enthielt. Die Englische Gasanstalt wurde 1910 errichtet, die zum Teil in englischem Besitz befindliche Betreibergesellschaft (Imperial International Continental Gas Association) aber schon 1916 enteignet. Im I. Weltkrieg wollte man dies potentiell "kriegswichtige" Unternehmen in ausschließlich deutschem Besitz wissen.
Bis zu seiner Stillegung 1993 war der Gasometer den Rotinsulanern eher ein Dorn im Auge, was teilweise verständlich ist, da die riesige Anlage den Bewohnern "Luft und Sonne verdrängte". Dennoch ist es in der Betriebszeit des Gasometers nie zu katastrophalen Explosionen gekommen. Inwieweit es für Menschen und Umwelt Spätfolgen gibt, die direkt auf die giftigen Abfallprodukte der Gasaufbereitung (z.B. Toluol) zurückzuführen sind, ist derzeit nicht bekannt.
Der Gasometer wurde nach seiner Stillegung unter Denkmalschutz gestellt, da er in der Tat ein bedeutendes Stück Industriekultur repräsentiert. Heutzutage markiert die kilomeiterweit sichtbare Stahlkonstruktion deutlich sichtbar die Lage der Roten Insel (die ihren Frieden mit dem Koloß inzwischen längst gemacht zu haben scheinen) im Berliner Häusermeer. Pläne für eine kulturelle Nutzung gibt es seit geraumer Zeit, doch ist deren Umsetzung (infolge der notorisch schlechten Haushaltslage der deutschen Hauptstadt) in absehbarer Zeit unwahrscheinlich.
Bahnhof Berlin Papestraße
siehe Hauptartikel Bahnhof Berlin Papestraße
Mit dem Bahnhof Berlin Papestraße soll 2006 einer der größten hauptstädtischen S- und Fernbahnhöfe in Betrieb genommen werden. Zu diesem Zeitpunkt soll auch eine Umbenennung in Berlin Südkreuz stattfinden. Ob- wie von einigen erhofft, von anderen befürchtet- der neue Bahnhof gravierende Veränderungen in der Lebenswelt der Roten Insel mit sich bringt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorhersagbar.
Kirchen und öffentliche Gebäude
Die beiden wichtigsten Kirchen der Roten Insel sind
- St. Elisabeth (katholisch, 1911 geweiht)
- Königin-Luise-Gedächtniskirche (evangelisch, 1912)
Wie im kaiserzeitlichen Berlin üblich, wurde der evangelischen Kirchengemeinde ein vergleichsweise repräsentativer Platz für den Bau einer freistehenden Kirche zuerkannt, in diesem Fall der Gustav-Müller-Platz. Die in Berlin eher seltene Bauform der "Saalkirche" und die markante Kuppel des Baus geben dem Platz bis heute sein Gepräge.
Die katholische Gemeinde der Insel war zur Zeit der Weihe von St. Elisabeth für Berlin ziemlich groß- mit etwa 5000 Gläubigen stellte sie annähernd 20% der Bevölkerung, was wiederum dafür spricht, daß im Kiez viele Zuwanderer aus anderen Teilen Preußens und des Deutschen Reiches lebten. Dennoch ist St. Elisabeth recht unscheinbar in die nördliche Häuserzeile der Kolonnenstraße eingezwängt.
Auf der Insel gibt es einige alte, meist kleine und schöne Friedhöfe. Deren berühmtester gehört allerdings zu keiner Insel-Gemeinde, ja nicht einmal zu einer aus Schöneberg: die St. Matthäus-Gemeinde befindet sich eigentlich im Tiergarten, ihren Kirchhof hat sie jedoch an der Großgörschenstraße. Hier liegen die Gräber solcher großbürgerlichen Berühmheiten wie Jacob und Wilhelm Grimm, Rudolf Virchow und Max Bruch.
Sehr viele öffentliche Bauten der Kaiserzeit auf der Insel standen im Zusammenhang mit der hier stationierten Garnisondes 1. Preußischen Eisenbahnbataillons. Neben der eigentlichen Kaserne an der Fiscalischen Straße (heute Kesselsdorfstraße) gab es zahlreiche der militärischen Infrastruktur dienende Zweckbauten. Diese wurden im Laufe der Jahre mehr und mehr abgerissen oder stark umgebaut.
Selbst die heute rein "zivil" genutzten Wohnhäuser der nördlichen Insel, etwa an der Czeminski-, Brunhild- und Hohenfriedbergstraße, waren vielfach von der Armee in Beschlag genommen. Hier gab es nicht nur die Büros verschiedenster militärischer Dienststellen- auch die Wohnungen wurden zur Unterbringung von Armeeangehörigen genutzt, da die staatlich verordneten Einquartierungen bei den Hausbesitzern der südlichen Insel äußerst unbeliebt waren.
Die kaiserzeitliche Wohnbebauung
Diese macht den Großteil der Bauten auf der Insel aus und unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen innerstädtischen Berliner Ortsteilen. Es handelt sich meist um höchstens fünfstöckige Gebäude, in denen außer Wohnungen auch kleine Läden und Gewerbebetriebe untergebracht waren. Die heute noch weitgehend vorhandene Bausubstanz wurde in drei Phasen errichtet:
- 1882-1895
- 1898-1907
- 1912-1918
Auf der Insel fügten sich allerdings einige Umstände glücklich, die es letztendlich ermöglichten, das spezielle Flair des Kiezes bis auf den heutigen Tag zu bewahren. Zunächst sah der Bebauungsplan der Insel (festgesetzt in den Jahren 1884 und 1892/93) relativ kleine Parzellen vor. So kam es, daß die Häuser höchstens zwei Quergebäude und ein Hinterhaus haben: die als Folge des Hobrechtplans (1862) entstandenen prekären Wohnverhältnisse der Mietskasernen anderer Berliner Arbeiterviertel mit vielen aufeinanderfolgenden Hinterhöfen ohne Licht und Luft entwickelten sich hier nicht.
Der Hobrechtplan hatte zwar eine Bebauung der nördlichen Insel mit großen Mietskasernen vorgesehen, doch bewirkten letztlich der Ausbau der Gleisanlagen und der Widerstand des Schöneberger Ortsvorstands, daß es dazu (glücklicherweise) niemals kam.
Von den Folgen der alliierten Luftangriffe während des Bombenkriegs, die Berlin 1944 und 1945 besonders hart trafen, blieb die Insel sehr weitgehend verschont. Die kaiserzeitliche Bausubstanz ist größtenteils intakt erhalten- wenn man von einigen der in West-Berlin wohl unumgänglichen "Bausünden" der 1960er bis 80er Jahre einmal absieht.
Schließlich bewirkte das Engagement der Bevölkerung in den 1970er und 80er Jahren, daß die so genannte "Kahlschlagsanierung", die den Kiez womöglich dem Konzept der "autogerechten Stadt" geopfert hätte, der Insel erspart blieb.
Persönlichkeiten
- Mit Sicherheit die berühmteste Tochter der Roten Insel ist Marlene Dietrich (1901-1992), die im Haus Leberstraße 65 geboren wurde. Sie ist eine allgegenwärtige Figur im Lokalkolorit des Kiezes: das reicht von Wandgemälden bis zu einem Restaurant, das nach einem ihrer populärsten Filme benannt ist.
- Der Schriftsteller Paul Zech lebte von 1925-1933 im Haus Naumannstraße 78.
- Von dem Widerstandskämpfer Julius Leber war bereits weiter oben die Rede.
- Der CDU-Politiker und zweite Bundestagspräsident, Hermann Ehlers (1904-1954) wurde in der Gotenstraße 6 geboren.