Staatstheorie

interdisziplinäre Ansätze von Philosophie und Politischen Wissenschaften
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Die Staatstheorie behandelt den Begriff des Staates: seine Entstehung, sein "Wesen", seine Formen, Aufgaben und Ziele, sowie die institutionellen, ethischen und juristischen Grenzen seiner Tätigkeit. Als Teilgebiet der Politischen Philosophie und allgemeinen Staatslehre berührt sie direkt oder indirekt verschiedenste Aspekte vieler Einzelwissenschaften, darunter der Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Soziologie oder Volkswirtschaftslehre.

Aus der Staatstheorie gewonnene Erkenntnisse lassen sich z.B. in der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtspolitik nutzen. Demgemäß breitgefächert sind unter den Staatstheoretikern Philosophen, Theologen, Juristen, Politiker, Ökonomen, Soziologen sowie Politikwissenschaftler zu finden.

Überblick

Eine Staatstheorie kann von sehr verschiedenen Ansatzpunkten ausgehen:

  • von historischen und/oder vorhandenen Staatssystemen, die sie beschreibt, legitimiert und/oder kritisiert
  • vom theoretischen Ideal einer politischen Ordnung, etwa einer Staatsutopie
  • von ökonomischen und/oder politisch-sozialen Machtstrukturen
  • von einer Idee der "Sittlichkeit" (Ethik), daraus abgeleitet u.a. die Menschenrechte und die Gewaltenteilung
  • von einer vorgegebenen, sei es "göttlichen", naturgesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Ordnung.

Je nach Zeitepoche und Theorieansatz können die Subjekte bzw. Akteure der Staatstheorie

Diese Subjekte sind zugleich auch Objekte der Staatstheorien, sofern Freiheit und Ordnung im Konstrukt des Staates auf irgendeine Weise miteinander ausgeglichen werden (sollen): z.B. als Machtstaat, Rechtsstaat, "Wohlfahrtsstaat" oder "klassenlose Gesellschaft". Die Abgrenzung und Zuordnung verschiedener Staatsaufgaben und Staatsgewalten - z.B. Legislative, Exekutive und Judikative - ist ebenso Gegenstand der theoretischen Reflexion wie der mögliche und wirkliche "Interessenausgleich" verschiedener Gruppen, die im Staat zusammengefasst existieren.

Historisch gesehen kann man verschiedene Staatstheorien epochal verschiedenen Gesellschaftsformen zuordnen und sie daraus ableiten. Sie reagierten je nach Epoche auf unterschiedliche Bedürfnisse und partikulare oder allgemeine Interessen bestimmter Gruppen. Eine Möglichkeit, ihre Vielfalt begrifflich zu ordnen, ist die Frage nach dem ihnen zugrunde liegenden "Menschenbild": Wo der Mensch als prinzipiell "gut" gedacht wird, da liegt eine auf möglichst weitgehende demokratische Teilhabe, soziale Gleichheit und Herrschaftsminderung ausgerichtete Staatstheorie nahe. Dort, wo der Mensch als prinzipiell gewalttätig, machtstrebend, "böse" oder wegen seiner prinzipiellen Unbestimmtheit potentiell "gefährlich" gesehen wird, ist die Tendenz der Legitimation einer auf Freiheitsbegrenzung gerichtete Machtausübung staatlicher Autorität zu erkennen.

Auch in ihrer Herangehensweise unterscheiden sich die Ansätze: Eine Rechtstheorie geht z.B. eher normativ und deduktiv vor, während eine soziologische Theorie zuvor die Interessengruppen empirisch analysiert und beschreibt. Diese Ansätze schließen sich aber in den meisten Theorien nicht aus, sondern ergänzen und verbinden sich.

Antike Staatstheorien

Bei den Staatstheorien in der Zeit des antiken Griechenlands ist zu beachten, dass sie sich zunächst nicht auf einen Staat im heutigen Sinne, also Gebietskörperschaften, sondern auf die Personalverbände der Poleis beziehen. Auch dauerhaft Hinzugezogene (sog. Metöken) besaßen in der jeweiligen Polis keine Bürgerrechte und somit kein Wahlrecht. Eine Entwicklung hin zum auf den Monarchen bzw. staatliche Organe wie den Senat ausgerichteten "Staat" (der keineswegs schon dem neuzeitlichen Staat entsprach), war dann im Reich Alexanders des Großen, in den Reichen seiner Nachfolger (Diadochen) sowie im Römischen Reich und im Byzantinischen Reich zu beobachten.

Schon der griechische Historiker und "Vater der Geschichte" Herodot bemerkte in seiner Verfassungsdebatte, dass auf der Masse des Volkes der ganze Staat ruhe (Herodot, 3,80-84).

Platon baute in seinem Werk Politeia den Idealstaat analog zur Seele des Menschen auf. Drei Stände entsprechen drei Seelenteilen: Die Philosophen (Regenten) entsprechen der Vernunft, die Wächter (Verteidigung nach außen und innen) stehen dem Mut gegenüber und der dritte Stand (Bauern und Handwerker) ist das Spiegelbild der Triebe ("Lehr-, Wehr- und Nährstand"). Ein Mensch ist dann glücklich, wenn seine drei Seelenteile im Gleichgewicht und miteinander befreundet sind, ein Staat dann gerecht, wenn die drei Stände im Einklang leben. Als beste Verfassungen bezeichnet er die gemäßigte Aristokratie und die konstitutionelle Monarchie; als zweitbeste die Nomokratie (Herrschaft der Gesetze).

Sein Schüler Aristoteles unterschied in seinem Werk Politik sechs Staatsformen: Monarchie (Alleinherrschaft), Aristokratie (Herrschaft der Besten) und Politie als gute Formen (die das Allgemeinwohl im Auge hätten) sowie deren "entartete" Gegenstücke Tyrannis, Oligarchie und Demokratie (zur Differenzierung zum heutigen Demokratiebegriff häufig auch als Ochlokratie bezeichnet). Aristoteles glaubte an einen Kreislauf dieser Verfassungen: eine gute Staatsform neige zur "Entartung", aus dieser "entarteten Form" gehe dann die nächste gute Form hervor usw. Die Demokratie verstand er als Herrschaft der Armen. Eine solche Herrschaft würde nicht das Wohl der Allgemeinheit, sondern nur das Wohl eines Teils der Bevölkerung (eben der Armen) zum Gegenstand haben. Allerdings lehnte er die Demokratie (in ihrer gemäßigten Form) nicht strikt ab, wie etwa noch sein Lehrer Platon dies tat. Aristoteles plädierte vielmehr für eine Form der Mischverfassung zwischen Demokratie und Oligarchie, die er auch wieder als Politie bezeichnet.

Cicero schließlich adaptierte in seinem Werk De re publica auf der Suche nach der optimalen Staatsverfassung Aristoteles' und Polybios' Einsichten in Bezug auf die römische Republik. Er interpretierte das römische System als adäquate Verwirklichung der Mischverfassung: mit den Konsuln als monarchischem, dem Senat als aristokratischem und der Volksversammlung als demokratischem Element.

Der römische Staat der Kaiserzeit (Prinzipat) beruhte hingegen auf der faktisch unbegrenzten Macht des Monarchen. Diese Entwicklung, hatte sich bereits in den hellenistischen Monarchien abgezeichnet, die ihre Legitimation teilweise aus altorientalischen Quellen speisten. Diese Tendenz wurde dann in der Spätantike noch verstärkt, als die Sakralisierung des Kaisers durch die christliche Heilslehre untermauert wurde. Diese heilsgeschichtliche Dimension des Kaisertums wirkte auch im Byzantinischen Reich sowie im Mittelalter im Heiligen Römischen Reich nach.

Theologische Staatstheorien

Von einer verfolgten Minderheit zur einzigen Staatsreligion geworden, nahm das Christentum großen Einfluss auf europäische Staatstheorien. Kirchliche Theologen nahmen stets auf verschiedene Traditionen Bezug, die die Bibel ihnen anbot.

Bibel

Während das frühe Israel ein loser Stämmebund ohne übergeordnete staatliche Strukturen war, wurden später Elemente der antiken Gottkönigsideologie übernommen. Der Wunsch des Gottesvolks nach einem König wird als "Abfall" von Gott gesehen (1. Sam. 8, 7), gleichwohl verdankt der König sein Amt göttlicher Erwählung (1. Sam. 9, 17). Er löste die unmittelbare Theokratie ab und wurde zum Heilsmittler: So wie Gott seine erbliche Dynastie bestätigt, so garantiert der König als Schutzherr des Tempelkults (d.h. der Religionsausübung) das Heil des Volkes (2. Sam. 7, 13f). Hierher stammt der Gedanke des "Gottgnadentums" der Monarchie, der in Europa seit Karl dem Großen die dominante Legitimationsform darstellte.

Zugleich beurteilte die biblische Prophetie einzelne Könige, zunehmend aber auch das Königtum insgesamt kritisch. Könige wurde oft als Götzendiener "verworfen": Außenpolitische Niederlagen galten als Gottes "Gericht" für innenpolitisches Versagen, etwa gegenüber den Armen (z.B. Am. 2). Das Idealbild des zukünftigen messianischen Heilsbringers und gerechten Richters (Jes. 9/11) und die Vision vom Endgericht (Dan. 7, 2-14) drückt die Hoffnung auf ein Ende aller menschlichen Gewaltherrschaft und weltweiten Völkerfrieden aus.

Das Neue Testament verkündet dieses Gericht als schon vorweggenommen. Jesus von Nazareth verkündete das nahe Reich Gottes als Ende aller von Menschen geschaffenen Herrschaftssysteme. Weil dieses Reich alle politische Macht befriste, lehrte er Verzicht auf gewaltsame Auflehnung gegen den Staat, zugleich aber ein grundlegend anderes, herrschaftsfreies Verhalten der Christen untereinander: "Ihr wisst das die Herrscher der Welt ihren Völkern Gewalt antun - so soll es unter Euch nicht sein!" (Mk. 10, 42)

Die Urchristen verkündeten Tod und Auferstehung des Gottessohns als eschatologische Wende: Seine Kreuzigung sei bereits Teil des Endgerichts und habe damit aller staatlicher Gewalt ein Ende gesetzt. Somit sei Christus nunmehr einziger Herr der Welt. Im Glauben an ihn hätten sich alle weltlichen Machthaber bereits seiner unsichtbaren Herrschaft untergeordnet.

Paulus (Römerbrief 13, 1-7) sah weltliche Machthaber als "Diener Gottes", denen man sich "um des Gewissens willen" unterzuordnen habe, da Gott sie zur Wahrung des Rechts eingesetzt habe. Darum ermahnte er die Christen, römische Steuern zu zahlen. Dennoch sah er den Staat nicht per se als Werkzeug Gottes.

Vor dem Hintergrund der Christenverfolgung stellte die Johannesapokalypse die Erwartung des "neuen Jerusalem" (Off. 21), also einer kommenden unmittelbaren Theokratie, gegen die römische Gewaltherrschaft, die als "Tier aus dem Abgrund" (Off. 13) geistig entmachtet werden sollte: Wenn "Gott sein wird Alles in Allem", werde keine irdische Macht mehr nötig sein, um das Zusammenleben zu organisieren.

Katholizismus

Nachdem das Christentum 380 n. Chr. von Kaiser Theodosius I. zur Staatsreligion des römischen Reiches erklärt worden war, entwarf Augustinus in seinem Werk De civitate Dei (um 420) eine kirchliche Staatsheorie. Ihre Grundideen blieben im ganzen Mittelalter vorherrschend. Der "Gottesstaat" (civitas Dei = katholische Kirche) steht im bleibendem Gegensatz zum irdischen Staat (civitas terrena = römischer Machtstaat). Dieser vertritt das Satansreich der von Sünde beherrschten Welt, die "communio malorum" (Gemeinschaft der Bösen). Ihr notwendiges Korrektiv ist die durch göttliche Gnade berufene "communio sanctorum" (Gemeinschaft der Heiligen). Diese Kirche sei ein ideeller "Corpus (Leib) Christi", also ein Abbild der Christusherrschaft. Doch da die Sünde auch in ihr weiterwirkt, ist sie real ein "Corpus mixtum", so wie auch der Staat nicht das Böse in Reinform verkörpert. Die politische Ordnung bedürfe stets kirchlicher Anleitung und Begrenzung, um dem allumfassenden Anspruch des katholischen Glaubens zur Geltung zu verhelfen. Sie solle zum anderen äußeren Frieden schaffen, um die Bedingungen für das Seelenheil aller Bürger zu wahren. Ein Staat, der auch deren geistliches Wohl anstrebe und schütze, werde selbst tendenziell immer mehr ein "Corpus Christianum".

Diese Trennung von Kirche und Staat zielte also auf die abgestufte Realisierung einer christlichen Politik unter kirchlicher Führung. Sie sollte der römischen Staatsideologie den Boden entziehen, die bis dahin den heidnischen Götterglauben zur Aufrechterhaltung des Imperiums benutzte. Sie setzte einen politischen Weltherrschaftsanspruch der Kirche voraus, in dem die spätere Spannung zwischen päpstlichem sacerdotium und kaiserlichem regnum schon angelegt war.

Thomas von Aquin führte den Staat deutlicher als Augustin nicht nur auf den Sündenfall, sondern auf das in der nach wie vor guten Schöpfung auffindbare Naturrecht (lex naturalis) zurück. Dabei formulierte er eine an Aristoteles angelehnte natürliche Theologie: Da der Kosmos auf seinen Schöpfer als erste Ursache (prima causa) hingeordnet sei, könne schon die Vernunft, nicht erst der Glaube das Endziel aller Dinge erkennen. Demnach habe keine innerweltliche Politik ihr letztes Ziel in sich selbst, sondern sei Vorstufe zum transzendenten Ziel der Erlösung (Summa theologica). Aber die Kirche übt in diesem Staatsentwurf keine direkte Weltherrschaft aus, sondern leitet die Politik nur zum Erkennen der ihr eigenen Zwecke an. Dem Staat fällt dabei die Aufgabe des Gemeinwohls (bonum communis) und der Erhaltung des äußeren Friedens zu (De regimine principum). Der übernatürliche Glaube an Christus ergänzt und überhöht die natürliche Vernunfterkenntnis und liefert Richtlinien einer unveränderlichen Heilsordnung (ordo salutis), die aber verschiedene Staatsformen zulassen kann.

Protestantismus

Martin Luther betonte wie Augustin die Unterscheidung der Bereiche von Gott und Welt. Er sah Kirche und Staat als zwei "Regimente" Gottes mit verschiedenen Aufgaben an: Die Kirche predige und teile Sündenvergebung aus ohne weltliche Macht, der Staat wehre dem Bösen, notfalls mit Gewalt. Beide dämmen damit die Herrschaft des Bösen auf Erden ein bis zur Ankunft des Reiches Gottes, sind selbst als Teil der Welt aber auch vom Bösen durchdrungen.

Weil die Landesfürsten die Reformation durchführten und die Konfession ihrer Untertanen bestimmten (cuius regio, eius religio), entstand in den protestantischen Ländern eine neue enge Allianz von Thron und Altar. Das konservative Luthertum legitimierte alle Obrigkeit als autoritäre Setzung Gottes (Röm. 13, 1-4) und definierte sie nicht als Abbild der Christusherrschaft, sondern als "Schöpfungsordnung", also naturnotwendige Struktur. So traf eine kritische Begrenzung oder gar Demokratisierung der Staatsmacht stets auf den Widerstand der lutherisch-orthodoxen Landeskirchen. Ihre Theologie legitimierte auch nach der Aufklärung weiterhin Monarchie und Feudalismus, stützte den Klassenstaat und prägte den christlichen "Untertanengehorsam".

Typischer Vertreter dafür war der Staats- und Kirchenrechtler Friedrich Julius Stahl (1802-1861). Seine Philosophie des Rechts (Heidelberg 1830-37) sah Autonomie und Volkssouveränität als Gegensatz zum "christlichen Staat": Nur dieser werde eine göttliche Ordnung anerkennen, die konstitutionelle Monarchie könne dies am ehesten gewährleisten. Diese müsse allerdings das Volk verfassungsgemäß repräsentieren und gewisse Freiheitsrechte garantieren. So versuchte Stahl liberale Ideen aufzugreifen und in seinen Reformkonservatismus einzubinden. Dazu gründete und führte er in der Epoche der Restauration zwischen 1848 - 1858 die Konservative Partei Preußens und bestimmte ihr Programm.

Pietismus und Aufklärung dagegen verlegten das Glaubensbekenntnis in die Privatsphäre. Die christliche Sozialethik beschränkte sich weithin auf "Innere Mission" und Diakonie, wirkte also auch im Bereich liberaler Theologie kaum als kritisches Korrektiv der Staatspolitik.

Karl Barths Römerbriefkommentar 1919 stellt nach dem 1. Weltkrieg heraus, dass Gottes unverfügbares Reich alle Staatsautorität radikal in Frage stelle. Der Staat, den Gott "anordnet" (Röm. 13, 1), sei nie identisch mit Machthabern und Staatssystemen, sondern ihre ständige "Krise", die ihnen jede eigenmächtige Legitimation entziehe. Staatssysteme könnten weder reformiert noch revolutioniert, sondern nur mit dem Tun des Guten konfrontiert werden, das sich der immanenten Logik des Gehorchens und Widerstrebens entzieht. Die von Barth formulierte Barmer Erklärung proklamierte 1934 gegen die lutherische Zwei-Reiche-Lehre die "Königsherrschaft Jesu Christi" über alle Bereiche der Welt. Von da aus bestimmt sie den Staatszweck (These V):"Der Staat hat die Aufgabe, in der noch nicht erlösten Welt unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen." In "Rechtfertigung und Recht" (1938) leitete Barth aus der positiven Beziehung zwischen Rechtfertigung aus Gnade (Christusherrschaft) und Menschenrechten, die den Staat binden, das kirchliche Widerstandsrecht gegen den totalen Staat ab. 1963 ergänzte Barth die Barmer These V mit dem Zusatz: "Der Staat hat die Aufgabe, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach menschlichem Ermessen für Recht und Frieden zu sorgen - notfalls unter Androhung und Ausübung von Gewalt."

Die Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 wollte Lehren aus dem Versagen des Protestantismus gegenüber dem NS-Staat ziehen und erkannte den sozialen und liberalen Rechtsstaat nun auch offiziell an und beschrieb die Funktion des Staates mit dem Ziel, die "Auswirkungen der Fehlsamkeit des Menschen in Grenzen halten." Darüber stellte sie aber fest: "Im Lichte der kommenden Gerechtigkeit Gottes ist jede menschliche Rechts- und Staatsordnung vorläufig und verbesserungsbedürftig."

Islam

Im Islam bilden der Koran und die Politische Philosophie Mohammeds die Grundlage der islamischen Philosophie, die die Untrennbarkeit von Wissenschaft und Religion sowie die Rechtsfindung durch Auslegung des Korans und der Sunna (siehe auch Schari'a) propagiert. Dies führt zu einer stark religiös geprägten Vorstellung des Staates. Eine Trennung von Staat und Religion ist mit dieser monistischen Vorstellung nicht vereinbar.

Siehe auch: Staatsreligion

Staatstheorien der europäischen Neuzeit

Machtstaatstheorien

Niccolò Machiavelli begründete in seinem Werk Il Principe ("Der Fürst") die Idee des Machtstaats aus der Herrschaft der "Starken", die sich empirisch wie ein Naturgesetz in der Geschichte durchsetzt und wesentlich auf der Zustimmung der "Schwachen" beruht: "Ein Fürst braucht nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden seine Mittel immer für ehrenvoll gehalten und von jedem gepriesen werden. Denn der Pöbel ist immer eingenommen vom Augenschein und vom Erfolg, und in der Welt gibt es nur Pöbel; die wenigsten halten stand, wenn sie nicht genügend Rückhalt finden." Daraus leitete Machiavelli den Machterhalt des Herrschenden als notwendige Staatsräson für den Bestand des Staates ab und erhob ihn zur Maxime politischen Handelns überhaupt. Er begründete die Staatsmacht also letztlich nur aus sich selbst heraus.

Jean Bodin führte in seinem Werk Les six livres de la Republique ("Sechs Bücher über den Staat") die Idee der Souveränität ein: Das Gemeinwesen werde durch eine oberste Gewalt und Vernunft gelenkt, eine beständige und unbedingte Gewalt über alle Bürger, mit dem Recht, Gesetze zu geben oder aufzuheben. Der souveräne Staat sei dabei keiner anderen irdischen Instanz gegenüber verantwortlich - er sei jedoch an das göttliche Recht oder Naturrecht gebunden, das in den scholastischen Diskussionen des Mittelalters definiert wurde.

Vertragstheorien verstehen den Staat von einer fiktiven, aber historisch vorausgesetzten Rechtsvereinbarung her. Ausgangspunkt ist die Beschreibung eines Naturzustandes, in dem es noch keinen Staat gab, der aber dessen Notwendigkeit durch historische Erfahrung ergab. Nach griechisch-antiken Vorläufern wie dem Sophismus hatten besonders Johannes Althusius, Hugo Grotius und Thomas Hobbes solche Staatstheorien entworfen. Dabei flossen auch Elemente der Machtstaatstheorien mit ein.

Thomas Hobbes (Leviathan) leitete den Gesellschaftsvertrag aus dem Naturzustand des Krieges aller gegen alle ab (bellum omnium contra omnes). Aus der Sehnsucht nach Ruhe und Frieden hätten die Menschen sich schließlich freiwillig einem einheitlichen Willen unterworfen, um den permanenten Kriegszustand zu beenden. Sie gaben dem Staat das unumschränkte Gewaltmonopol, damit er die Allgemeinheit nach innen und außen vor gewaltsamen Übergriffen schützen könne. Seine Struktur ist nicht rechtlich kodifiziert, sondern autoritär und absolutistisch. Der Fürst als übergeordnete persona civilis verkörpert die Ordnung. Nicht seine unumschränkte Gewaltanwendung bricht den Gesellschaftsvertrag, sondern der Einzelne, der sich gegen ihn auflehnt. Er selbst ist nicht an seine Gesetze gebunden; da der Vertrag auf Unterwerfung beruht, enthält er keinerlei herrschaftsbegrenzende Elemente. Er kann nur dann aufgekündigt werden, wenn der Herrscher die Sicherheit des Volkes nicht mehr gewährleisten kann. Die vorausgesetzte Zustimmung der Individuen legitimiert hier also die absolute Herrschaft eines Souveräns, wie sie zu Hobbes' Zeit üblich war ("L´état c'est moi").

John Lockes Vertragstheorie dagegen war aufklärerisch liberal geprägt. Der Naturzustand, den er beschrieb, war durch Freiheit und Gleichheit gekennzeichnet. Dennoch führte die Regellosigkeit auch zu Instabilität. Die geringe Sicherheit des Lebens, der Freiheit und des Eigentums im Naturzustand sei der Grund der Einigung auf ein Gewaltmonopol gewesen. Diese Staatsgewalt sei jedoch - anders als bei Hobbes - geteilt in Exekutive und Judikative, um dem Machtmissbrauch entgegenzuwirken. Lockes Gewaltenteilungslehre fehlte noch die selbstständige Legislative; er prägte jedoch in diesem Zusammenhang den Begriff der checks and balances, der von den Autoren der Federalist Papers aufgegriffen wurde. Bei Montesquieu findet man dann eine entfaltete Lehre von der Gewaltenteilung, in der die Legislative die entscheidende Rolle erhält.

Jean-Jacques Rousseau vertrat demgegenüber eine radikaldemokratische Staatstheorie, die nicht das Bestehende rechtfertigen, sondern dem menschlichen Wesen gemäß sein will. Sie setzte auf die Identität von Herrschenden und Beherrschten. Wie Locke sah er den Naturzustand durch Freiheit und Gleichheit gekennzeichnet. Ihr Verlust erfolgte nicht freiwillig, sondern durch äußere Einflüsse, und mündete in das Zwischenstadium der Vergesellschaftung. Der künftige Gesellschaftsvertrag soll nun die unwiederbringliche natürliche Freiheit auf einer höheren Stufe als gesellschaftliche Freiheit wiederherstellen. Er soll also die menschlichen Grundeigenschaften nicht begrenzen und aufgeben, sondern als "Grundrechte" bewahren und verteidigen. Darum fragte Rousseau: "Wie findet man eine Gesellschaftsform, die jedes Glied verteidigt und schützt und in der jeder Einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie bisher?" (Contrat social II, 15). Damit ist das Grundproblem der Demokratie formuliert: Die Autonomie des Einzelnen wird nicht als Gegensatz und potentielle Bedrohung der Staatssouveränität betrachtet, sondern als ihre unaufhebbare Voraussetzung. Ihr Schutz ist somit die wesentliche Staatsaufgabe. Wie aber können freie Individuen eine allgemeingültige Ordnung herstellen? Die Lösung erblickte Rousseau in der Volkssouveränität: Nur als souverän entscheidende Gesamtheit könne jeder Bürger (citoyen) seine Freiheit bewahren, also nur durch politisch gleichberechtigte Partizipation an allen Entscheidungen. Der Gemeinwille kann nicht delegiert werden, sondern müsse von möglichst vielen, tendenziell allen Bürgern getragen werden, um allgemeingültig sein zu können. Der rechtmäßige Staat könne nur auf dem Gesamtbeschluss aller Bürger beruhen. Da dieser real so gut wie nie erreichbar sei, führte Rousseau das Mehrheitsprinzip als Annäherung an das Staatsideal ein. Nach Vertragsschluss verbleibe die Souveränität beim Volk. Sie könne nicht auf Repräsentanten oder Institutionen übertragen werden. Die Bürger sollen ihren Willen nicht an die Allgemeinheit abtreten, sondern ihn möglichst weitgehend einbringen.

Wie bei unbegrenzter Freiheit des Einzelnen eine soziale Ordnung erreichbar ist, konnte Rosseau nicht beantworten. Denn sie erfordert eine "objektivierte" Wertordnung, die nicht vom wechselhaften Abstimmungsverhalten der Mehrheiten abhängt. Eine solche freiwillige Selbstbegrenzung auf Dauer enthielte jedoch einen Widerspruch zur Volkssouveränität, nämlich ihre partielle Aufhebung. Die Vertragstheorie konnte also nicht zureichend den Übergang von der Freiheit des Einzelnen zum Gesellschaftsvertrag und dessen Dauerhaftigkeit begründen.

Nach einer vorübergehenden Abkehr von der Vertragstheorie im 19. Jh. erlebte diese im 20. Jh. durch John Rawls' Werk "A Theory of Justice" eine Renaissance. Rawls führte in seiner Gesellschaftsvertragstheorie des egalitären Liberalismus den fiktiven Schleier des Nichtwissens ein. Dieser verhindere, dass die Individuen bei Vertragsschluss (bei dem sie ja festlegen, wie die Gerechtigkeit der Gesellschaft, in der sie fortan leben, aussehen soll) ihre spätere gesellschaftliche Stellung und ihre natürlichen Begabungen oder Fähigkeiten kennen. Diese Objektivität schließe utilitaristisches Handeln der einzelnen Individuen bei Vertragsschlus aus und führe somit zu einer gerechten Übereinkunft.

Idealistische Staatstheorien

In den idealistischen Staatstheorien wurde der Staat wie in den Vertragstheorien als Konsens autonomer Individuen betrachtet. Vorausgesetzt wurde ihre "Sittlichkeit", die eine Unterscheidung zwischen "gut" und "böse" ermögliche. Die aufgeklärte Ethik appellierte daher nicht nur an formale Entscheidungsfreiheit, sondern an die inhaltliche Einsicht in die Notwendigkeit eines vernünftigen, das Allgemeinwohl erstrebenden Verhaltens.

Immanuel Kant verband dabei liberale und demokratische Ideen. Der Staat sei gerechtfertigt, wenn jedes Individuum sich durch seine theoretische Zustimmungsmöglichkeit als Miturheber von Recht und Staat fühlen könne: "Der Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d.h. des Volkes als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen" (Rechtslehre §47). Die Reflexion auf den "guten Willen" des Einzelnen zeige diesem den Staat als Produkt seines eigenen Willens auf und ziele auf Übereinstimmung der Gesamtheit des Volkes. Der Staat solle das gemeinschaftliche Zusammenleben der Menschen so gut wie nur möglich organisieren, damit jeder die Tätigkeit auszuüben vermöge, die er am besten kann: Sein Zweck ist der Ausgleich von Freiheit und Ordnung, Einzel- und Allgemeininteressen, zu denen die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten gehört.

Warum die einmal getroffene (fiktive) Zustimmung zum Staat jedoch nicht revidierbar sein soll, blieb auch bei Kant offen. Hier folgerte z.B. Johann Gottlieb Fichte, dass der Einzelne kraft seiner Entscheidungsfreiheit den Staatsvertrag jederzeit wieder kündigen und aus dem Gemeinwesen austreten könne, so dass dann gegenseitige Rechte und Pflichten entfielen. Damit ist eine freie Wahl verschiedener Staatsformen ebenso denkbar wie der Zerfall des Grundkonsenses über eine gemeinsame Ordnung, also "Anarchie" und Rückfall in den "Krieg aller gegen alle". Hier ist das Problem der gesellschaftlichen Organisationsform und der Institutionen, die den Rechten und Pflichten der Bürger Rückhalt und Kontinuität verleihen, berührt.

Hegel knüpfte an Plato und Aristoteles an, indem er die sittliche Existenz des Menschen nur im Staat als verwirklicht ansieht. Er würdigte den Idealismus Rousseaus und Kants, die die Freiheit des Einzelnen und damit den Geist zur Grundlage allen Rechts und Gestaltung des Zusammenlebens gemacht hätten, zeigte in seiner Rechtsphilosophie aber den Schwachpunkt der Vertragstheorie: Sie habe den Staat nur aus der Summe der Einzelinteressen abgeleitet, in denen jeder Bürger "sich selbst Zweck" sei. Der Staat sei für ihn nur aus der Not und dem abstrakten Verstand geboren, damit aber der Beliebigkeit und tendenziell der Zerstörung anheim gegeben. Dagegen müsse der Staat als identisch mit der "absoluten Autorität und Majestät" begriffen werden: als Verkörperung eines objektiven Willens, der "das an sich in seinem Begriffe Vernünftige ist, ob es vom Einzelnen erkannt und in seinem Belieben gewollt werde oder nicht...".

Damit wollte Hegel die individuelle Freiheit nicht erneut in einem Absolutismus aufheben: Der Staat ist für ihn keine Naturgegebenheit, sondern ein geistiges Freiheitsideal, das sich tendenziell in der Welt realisiert. Er suchte eine Synthese zwischen geordneter Polis, die das Einzelleben umfasst und bestimmt (Antike) und persönlicher Entfaltung, die durch den unendlichen Wert des Individuums begründet ist (Christentum). Dieses Ideal fand er im (preußischen) Staat realisiert: "Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, dass die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich [...] haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen [...] übergehen [...] und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind, so dass weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen und Wollen gelte und vollbracht werde, noch dass die Individuen bloß für das Letztere als Privatpersonen leben, und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen und dieses Zwecks bewusste Wirksamkeit haben."

Der Wohlfahrtsstaat

Diese Theorie gibt dem Staat die Aufgabe, umfassende soziale Fürsorge für seine Bürger und auch eine gewisse Egalisierung ihres Lebensstandards zu leisten. Sie war eng mit dem Aufkommen der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert verbunden, die große Menschenmassen aus ihren traditionellen Bindungen löste. Dies erzwang nach einer Verschärfung der sozialen Gegensätze eine minimale staatliche Absicherung ihrer Lebensrisiken und ein allgemeines Steuersystem. Damit wurden dem einzelnen Bürger Zwangspflichten zum Erreichen des Allgemeinwohls auferlegt.

Der Begriff "Wohlfahrtsstaat" entstand in Preußen zur Zeit Wilhelms des Großen: Dies war eher ein Polizeistaat als ein Sozialstaat im heutigen Sinn. Ein zentraler Verwaltungsapparat sicherte die Versorgung der Bevölkerung, die quasi "Staatseigentum" war. Die Polizei durfte nach § 10 II 17 ALR in alle Bereiche der Verwaltung eingreifen, um die öffentliche Ordnung zu wahren. Damit übernahm die Exekutive weitgehende Kontrolle über das Volk. Erst das Kreuzbergurteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Juni 1882 beschränkte ihre Befugnisse und leitete damit das Ende des absolutistisch geprägten Wohlfahrtstaats ein. Zugleich schufen Otto von Bismarcks Sozialgesetze die Voraussetzung einer allmählichen Integration der oppositionellen Arbeiterbewegung in das Kaiserreich.

Der Liberalismus wies früh auf die Gefahren dieses Staatsmodells hin: Die Institutionalisierung und Bürokratisierung der Hilfeleistungen führe zwangsläufig zu Unfreiheit, entmündige den Menschen und gebe der Staatsverwaltung zuviel Macht. Sie verfestige wechselseitige Anspruchs- und Erfüllungshaltungen bei Hilfsempfängern und Gesetzgebern, schwäche damit ihre Verantwortung für die Gesamtgesellschaft und höhle so die Demokratie aus. Oft wurden direkte Entwicklungslinien von der "Wohlfahrtsdiktatur" zum totalitären Faschismus oder Stalinismus postuliert.

Dem wurde schon vor 1900 das wirtschaftsliberale Ideal eines "schlanken" "Nachtwächterstaates" gegenübergestellt, der nur noch für die innere und äußere Sicherheit zuständig ist und den freien Markt nicht durch Wirtschafts- oder Sozialpolitik beeinflusst (Laissez-faire).

Sozialistische Staatstheorien

Der Sozialismus strebt die Vergesellschaftung bzw. Verstaatlichung der Produktionsmittel an, um so das kapitalistische Wirtschaftssystem zu überwinden. Welche Rolle der Staat dabei spielen kann und soll, wird in den verschiedenen sozialistischen Richtungen sehr verschieden beantwortet.

Karl Marx betrachtete den real existierenden Staat als Ausdruck von Klassenherrschaft. Erst nach erfolgreicher internationaler Revolution der Arbeiterklasse sei ein Staat denkbar, der dem Allgemeinwohl diene. Dieser sei dann nicht mehr Herrschaftsform, sondern werde mit der durch allseitige produktive Entfaltung selbstverwalteten Gesellschaftsform identisch. Im Kommunismus sei dann eine staaten- und klassenlose Gesellschaft erreicht (Siehe Marxismus).

Lenin entwarf zum einen eine Theorie der Revolution "von den schwächsten Gliedern" des Kapitalismus aus, verbunden mit dem Konzept einer Kaderpartei. Zum anderen brachte er den Begriff der Diktatur des Proletariats in die sozialistische Debatte ein. Die Revolution erfolge durch Übernahme der Staatsmacht seitens der von den Arbeiterräten getragenen proletarischen Elite: Der Aufbau des Sozialismus werde dann durch eine zentrale Verwaltung und Planung aller gesellschaftlichen Bedürfnisse ermöglicht. Lenins Vorbild war dabei der preußische Beamtenstaat (Siehe Leninismus).

Unter Stalin wurden Versatzstücke der Theorien von Marx und Lenin zu einem "Marxismus-Leninismus" zusammengeschweißt, der als Staatsideologie zur Legitimation einer zentralistischen Ein-Parteien-Diktatur mit bürokratisch-faschistischen Zügen wurde und eine autoritäre Führungsrolle der Sowjetunion in der kommunistischen Bewegung begründen sollte.

Das Kernstück dieser Staatstheorie war die Gleichsetzung von Proletariat (Volk) mit Einheitspartei und Staat, so dass die Gewaltenteilung durch eine zentrale Lenkung aller Gesellschaftsbereiche von oben nach unten aufgehoben werde. Dabei wurde die Marxsche Erwartung, dass der Staat im Kommunismus "abstirbt", in ihr Gegenteil, nämlich die Verewigung der autoritären Staatsgewalt verkehrt.

Trotzki, Organisator der Oktoberrevolution, Begründer und Führer der Roten Armee im sowjetischen Bürgerkrieg, hatte Stalins Diktatur seine Theorie der permanenten Revolution entgegen gestellt. Er versuchte, die nationale Begrenzung und Erstarrung des Kommunismus mit der Fortsetzung der Weltrevolution in entwickelten Industriestaaten wie auch vom Weltmarkt abhängigen Ländern der "Peripherie" zu überwinden. Dabei erhielten die Ideen der Arbeiterselbstverwaltung und des Internationalismus wieder einen höheren Stellenwert.

Mao Zedong hatte ähnlich wie Lenin eine erfolgreiche Revolutionstheorie entworfen und praktiziert, für die das "Landproletariat" - die Bauern - eine zentrale Rolle spielten. Der Maoismus berief sich dabei auf Marx, Engels, ausdrücklich aber auch auf Lenin und Stalin. Die bürokratisch-feudalistische Ein-Parteien-Dikatur war dort trotz interner Flügelkämpfe, ökonomischer Liberalisierung und Annäherung an den Kapitalismus noch rigider als in der früheren Sowjetunion.

Dagegen galt die Staatsgründung des Vielvölkerstaats Jugoslawien unter Tito neben dem Eurokommunismus als eine von der Sowjetunion unabhängige Form des Sozialismus, die westliche Grundfreiheiten und staatliche Lenkung der Ökonomie sinnvoll zu vereinen versuchte.

Ein ganz anderer Ansatz ist der Reformismus. In der Sozialdemokratie vereinten sich von Beginn an verschiedene Grundströmungen: eine eher marxistische, vertreten durch August Bebel und Wilhelm Liebknecht, und eine eher gewerkschaftlich-reformistische, vertreten durch Ferdinand Lassalle. Während das Programm weiterhin auf revolutionäre Überwindung von Klassenherrschaft zielte, setzte sich in Deutschland praktisch das reformistische Konzept von Eduard Bernstein durch: Die sozialen Probleme sollten durch demokratische Reformen im Rahmen der bestehenden Klassengesellschaft gelöst werden. Das Ziel der revolutionären Überwindung von Klassenherrschaft wurde aufgegeben. Dies schloss aber weiterhin die teilweise Verstaatlichung der Produktionsmittel im Rahmen einer liberalen Demokratie ein.

Erst 1959 verzichtete das Godesberger Programm der SPD auch offiziell auf viele der alten marxistischen Forderungen, um aus der Klassenpartei eine parlamentarisch erfolgreiche Volkspartei zu machen. Damit wurde ein allgemeines Bekenntnis zur Marktwirtschaft abgelegt und somit das private Eigentum an Produktionsmitteln akzeptiert. Weitere Forderungen des Programms sind der Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft und die freie Entfaltung des Menschen (siehe auch: Sozialstaat).

Eine Außenseiterrolle innerhalb der deutschen Sozialdemokratie nahmen seit 1914 die führenden Vertreter des Spartakusbundes ein: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Sie bewahrten einerseits die Karl Marx verpflichtete internationalistische Ausrichtung: Eine Sozialrevolution könne nur auf der Basis von wirksamer praktischer Solidarität aller Arbeiterparteien Erfolg haben, Staatstheorien und Staatsgrenzen seien dafür eher hinderlich. Andererseits ging ihr Impetus damit weit über die bloß parlamentarische Realisierung von sozialer Gerechtigkeit hinaus, so dass sie als Heroen der kommunistischen Weltrevolution galten. Dass sie den aufkommenden Stalinismus auf das Schärfste abgelehnt und bekämpft hätten, kann aber trotz ihres frühen Todes angenommen werden. So hat Rosa Luxemburg in ihrem posthum veröffentlichten Werk "Die russische Revolution" Lenins Revolution zwar begrüßt, seine Tendenz zur Ein-Parteien-Diktatur unter Ausschluss der Arbeiterselbstverwaltung und Meinungsvielfalt aber scharf kritisiert. Eine Staatstheorie im engeren Sinne wurde hier nicht entworfen. Aber die ökonomische Arbeiterselbstverwaltung sollte sich politisch in Form einer Räterepublik (Basisdemokratie) abbilden, so dass die "Diktatur" des Proletariats vor zentralistischer Erstarrung und reformistischem Zielverlust geschützt wird (Siehe Spartakismus).

In Abgrenzung vom Stalinismus haben westeuropäische Marxisten versucht, einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus zu favorisieren und auch die Zentralisierung der Ökonomie nach erfolgter Regierungsübernahme abgelehnt: z.B. Antonio Gramsci, Louis Althusser.

Anarchistische Staatstheorie

Die Bezeichnung "Staatstheorie" erscheint im ersten Moment paradox, da der Anarchismus ja eine Staatskritik ist. Jedoch kann auch auch diese Ablehnung des Staates eine staatstheoretische Dimension haben. Jegliche Autorität im Allgemeinen und staatliche Herrschaft im Besonderen sollen aufgehoben werden. Freiheit, Autonomie (Anarchie ist nicht mit Anomie gleichzusetzen) und Selbstverwaltung der Individuen stehen im Mittelpunkt, die Ausübung von Zwang wird abgelehnt.

Gegenwärtige staatstheoretische Debatte

Bezugspunkt für die gegenwärtige staatstheoretische Debatten sind insbesondere die Staatslehren der Weimarer Republik, namentlich von Hans Kelsen, Carl Schmitt, Hermann Heller und Rudolf Smend. Alle bildeten Schulen oder Denkrichtungen, die bis heute das Staatsdenken dominieren und auch in die heutige Staatsdiskussion zurückwirken. Prägenden Einfluss auf die Weimarer Staatsdiskussion, die mit einem sog. "Methodenstreit" einherging, hatte wiederrum die "Allgemeine Staatslehre" (1900) von Georg Jellinek. In ihr entwickelt Jellinek seine Drei-Elemente-Lehre, nach der zur Anerkennung eines Staates als Völkerrechtssubjekt die drei Merkmale "Staatsgebiet", "Staatsvolk" und "Staatsgewalt" erforderlich sind (siehe Völkerrecht). Zudem spaltete Jellinek die Staatslehre in eine Allgemeine Soziallehre und eine Allgemeine Staatslehre.

Staatstheorien der Weimarer Republik: Der juristische und der "soziologische" Staatsbegriff

Für den Neukantianianer Hans Kelsen und seine "Reine Rechtslehre" war der Staat etwas rein Juristisches, also normativ Geltendes. Er sei nicht irgendeine Realität oder ein Gedachtes neben oder außer der Rechtsordnung, sondern nichts als eben diese Rechtsordnung selbst. Der Staat ist somit also weder Urheber noch Quelle der Rechtsordnung. Solche Vorstellungen waren für Kelsen "Personifikationen" und "Hypostatisierungen". Für ihn war der Staat vielmehr ein System von Zurechnungen auf einen letzten Zurechnungspunkt und eine letzte Grundnorm. Der Staat ist für diese rein juristische Betrachtung also identisch mit seiner Verfassung, er bleibt von allem Soziologischen "rein".

Carl Schmitt dagegen interessierte sich für die, wie er es nannte, "soziologische" Frage, wie sich der Staat als "politische Einheit eines Volkes" konstituiere. Die Leistung eines Staates als "maßgebende politische Einheit" war für ihn daher, innerhalb seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen und dadurch eine Situation zu schaffen, in der Rechtsnormen gelten können. Der Staat sei dabei aber grundsätzlich dem "Politischen" nachgeordnet: "Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus". Der Staatsbegriff könne demnach nicht länger die fundamentale Kategorie bilden, denn er leiste nicht mehr, was er leisten soll, nämlich die politische Einheit zu bezeichnen. An diese Stelle trete das Politische, dessen Begriff nicht mehr vom Staatsbegriff her gewonnen werden könne. Durch die Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Staatlichen werde es möglich, beide Begriffe getrennt zu denken. Daraus ergeben sich neue Perspektiven. In der NS-Zeit eröffneten sich für Schmitt etwa jenseits des Staates neuartige "Großräume", die die "Überwindung des alten, zentralen Staatsbegriffs" forderten. Auch weiche das Politische auf nichtstaatliche Akteure aus, z.B. den Partisanen als irregulären, nichtstaatlichen Kombatanten, dessen absolute Feinderklärung mit dem Versuch des klassischen Völkerrechts nicht mehr vereinbar sei, ihn in die Sphäre des öffentlichen Rechts zu integrieren. Dabei blieb Schmitts Staatsbegriff aber letzlich immer noch auf einen von oben und außen kommenden, statischen Staatswillen bezogen, der jedoch durch den Bezug auf die politische Einheit des Volkes auf ein Element von unten verwies und damit potentiell auf die Dynamik der modernen Gesellschaft. Indem die Demokratie den Gegensatz von Staat und Gesellschaft aufhebt, werde der Staat nämlich "Selbstorganisation" der Gesellschaft. Die Gleichung Staatlich = Politisch stimme nicht mehr, weil nun alle bisher nur staatlichen Angelegenheiten gesellschaftlich und alle bisher allein gesellschaftlichen Angelegenheiten staatlich werden. Damit wurde der Staat für Schmitt zwangsläufig zum "totalen Staat", der potentiell jedes Sachgebiet ergreift - auch und insbesondere die Sphäre der Wirtschaft. Damit nimmt Schmitt eine Entwicklungsynamik moderner Gesellschaften in den Blick, die nur noch begrenzt von staatlichen und rechtlichen Instanzen beherrscht wird: "Die Epoche der Staatlichkeit geht zu Ende. [...] Der Staat als das Modell der politischen Einheit, der Staat als Träger [...] des Monopols der politischen Entscheidung [...] wird entthront". Die "soziologische" Frage nach dem Zustandekommen einer "politischen Einheit" führte Schmitt dabei auf das Gebiet des "Politischen" - also der Assoziation und Dissoziation von Menschen - und auf diesem Weg letztlich über den Staat hinaus.

Auch Hermann Heller bezog sich in seiner "Staatslehre" (1934) auf soziologische Momente, wenn er die "Wirklichkeit des Staates" betonte. Für ihn war der Staat eine "in der gesellschaftlichen Wirklichkeit tätige Einheit", die nicht losgelöst von der jeweiligen Wirklichkeit existiert, sondern sich stets aus der sich verändernden Realität formen und rechtfertigen muß. Der Staat als politische Einheit lasse sich nicht mit der "Gesellschaft" identifizieren. Staat sei notwendig "organisierte" Einheit, die durch entsprechende Institutionen ihre Gestalt und Handlungsfähigkeit erhält. Da das Gesetz der Organisation das grundlegendste Bildungsgesetz des Staates sei, ist die Einheit des Staates immer nur als Ergebnis bewußter Einheitsbildung, als als Organisation zu begreifen. Um seine verschiedenen Funktionen erfüllen zu können, bedarf der Staat einer organisatorischen Machtentfaltung. Der Staatswille wird durch staatliche Organe als "Herrschaft" vermittelt, nicht durch beliebig handelnde gesellschaftliche Kräfte. Die ihn permanent gestaltenden Kräfte machen die "Wirklichkeit des Staates" aus. Diese Kräfte, Parteien, Gruppen und Verbände, sind dabei als konkrete Strukturen die Voraussetzung für den demokratischen Prozess. Diese Strukturen sind jedoch wiederrum auf Voraussetzungen angewiesen, nämlich auf eine "politische Wertgemeinschaft" und eine "soziale Homogenität". Ohne ein Mindestmaß sozialer Homogenität sei staatliche Einheitsbildung nicht möglich. Hierin liegt die Grundlage dessen, was Heller erstmals als "sozialen Rechtsstaat" bezeichnete.

Der vierte staatstheoretische Entwurf aus der Gruppe der bedeutenden Weimarer Staatsrechtler ist die Integrationslehre Rudolf Smends. Smend wurde der sog. "Geisteswissenschaftlichen Schule" der Staatstheorie zugerechnet, die sich mit einem soziologischen Staatsbegriff gegen Rechtspositivismus und Formalismus wandte. Smend verstand den Staat als "geistige Realität", dessen "Lebensprozess" auf einem "dynamisch-dialektischen Charakter" beruhe. Dieses dynamische Staatsverständnis spiegelt sich auch darin wieder, dass die staatlichen Organe und Gewalten nicht als Substanzen ruhender Art, sondern als bewegende Kräfte verstanden werden. Der Staat ist nur, weil und sofern er dauerhaft integriert. Er lebt nur in diesem Prozess beständiger Erneuerung, dauernden Neuerlebtwerdens. Er lebt gewissermaßen von einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt. Die Verfassung als die gesetzliche Normierung einzelner Seiten dieses Prozesses stellt die Aufgabe solcher Einheitsbildung. Smend entwickelte 1928 in seinem Hauptwerk "Verfassung und Verfassungsrecht" eine Lehre der Integrationsmöglichkeiten von Bürgern in den Staat. Die wesentliche Leistung des Staates sei es, eben jene Integration herzustellen und aufrecht zu erhalten. Hierbei unterschied Smend drei wesentliche Integrationstypen. Als erste nannte er die "persönliche Integration" eines legitimen Monarchen, der den "geschichtlichen Bestand staatlicher Gemeinschaftswerte" symbolisiere. Den zweiten Typus bezeichnete er als "funktionale Integration", bei dem bestimmte Werte die Herrschaft begründen, nämlich "irrationale, die ihr Legitimität geben", und "rationale, die sie vor allem als Verwaltung rechtfertigen". Als dritten Typus meinte Smend eine Sphäre der "sachlichen Integration" ausmachen zu können, die sich vor allem auf Symbole und Raum als Integrationsfaktoren stützt. Die Fülle des staatlichen Gehalts sei vom Einzelnen nicht mehr fassbar, weshalb sie durch Symbole und auf die Vertretung der Gesamtheit hin ausgerichtete Vorgänge repräsentiert werden müsse. So werde die die Integrationswirkung des Staates intensiv, nicht extensiv erlebbar. Geschichte sei dabei einer der wirkmächtigsten Faktoren staatlicher Integrationsfähigkeit, da sie das Fließende und nicht das Statische verdeutliche. Noch wichtiger sei nur das Staatsgebiet, durch das "der Staat seine wesentlichste Konkretisierung erfährt", so dass es "an erster Stelle unter den sachlichen Integrationsfaktoren" stehe. Zeit und Raum stellen nach Smend demnach zwei der wichtigsten Größen bei der sachlichen Integration dar.

Soziologische Theorie / Machttheorie

Der Staat wird als logische Folge der Ausübung von Macht bzw. Herrschaft gesehen. Nachdem Machiavelli schon im 16. Jh. in seinem Werk Il Principe Herrschaftsformen, -erwerb und -erhalt untersucht hatte, rückt nun Max Webers Herrschaftssoziologie in den Mittelpunkt. Weber begreift die Ausübung von Macht und Herrschaft im Hinblick auf einen subjektiven Handlungssinn. Sein Hauptinteresse galt der Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten, dem Konkurrenzkampf um politische Ämter und dem Handeln politischer Eliten. Für Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, 1922) definiert sich der Staat als diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich mit Erfolg beansprucht. Weber unterscheidet drei Idealtypen von legitimer Herrschaft nach der Art ihres Legitimationsglaubens:

  • rationale bzw. legale Herrschaft kraft gesetzter Ordnung (z. B. Bürokratie),
  • traditionale Herrschaft kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten (z. B. Patriarchat, Feudalismus) und
  • charismatische Herrschaft kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma) (z. B. Propheten), die sich stets in eine rationale oder traditionale Herrschaft versachlicht.

Siehe auch: Herrschaft.

Niklas Luhmann greift in seinem Werk Legitimation durch Verfahren den Gedanken der Legitimität indizierenden Legalität des Typus der legalen Herrschaft auf.

Habermas bemerkte zur legalen Herrschaft, dass, wenn man für einen wirksamen Legitimitätsglauben einen Wahrheitsbezug voraussetzt, bei ihr das Verfahren der Ordnungssetzung nicht als solches Legitimation erzeugen kann, sondern dass auch das Ordnungssetzungsverfahren selbst unter Legitimationszwang steht. Es müssten daher zusätzlich Argumente für die legitimierende Kraft des Ordnungssetzungsverfahrens angegeben werden, z. B. die in einer Verfassung festgeschriebenen Regeln und Kompetenzen diesbezüglich.

Siehe auch: Diskurstheorie des Rechts.

Lübbe wendet hiergegen wiederum ein, dass zwischen argumentativer Normbegründung und dezisionistischer Normdurchsetzung zu unterscheiden sei. In der parlamentarischen Debatte komme es zu Legitimation durch Abstimmung.

Im Gegensatz zu Weber begreift Foucault die Ausübung von Macht und Herrschaft als subjektlose Strategie. In seiner Machttheorie geht er von einem strategisch-produktiven Machtbegriff aus und setzt Macht und Wissen in Beziehung zueinander.

Neoliberale Theorie

Der Neoliberalismus verbindet die extremen Standpunkte: Der Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen soll minimiert werden; ein regulierendes Eingreifen (Eingriffsverwaltung) zur Sicherstellung funktionierender Märkte wird allerdings als notwendig angesehen. Der Staat ist aus Sicht der Volkswirtschaftslehre dazu geeignet, da er zur Minderung von Marktversagen, z. B. zur Lösung sozialer Dilemmata und zur Beseitigung von Monopolen, fähig ist. Zudem soll der Staat nicht unternehmerisch tätig werden; Staatsbetriebe (insbes. im Bereich der Daseinsvorsorge, wie Trinkwasserversorgung, Telekommunikation, Verkehr oder Energie: Leistungsverwaltung) sollen privatisiert werden.

Die heute in Deutschland gültige repräsentative Demokratie hat etwa Bruno Schmidt-Bleibtreu u.a. in seinem Kommentar zum Grundgesetz definiert:

"Demokratie besteht erstens darin, dass grundsätzlich das Volk selbst die Staatsfunktionen ausübt, wobei allerdings aus praktischen Notwendigkeiten heraus niemals sämtliche Volksangehörigen und nicht einmal alle erwachsenen Angehörigen dieses Volkes die Herrschaft ausüben können, sondern immer nur eine möglichst große Zahl von ihnen, also die Mehrheit.
Zweitens erfolgt diese Herrschaftsausübung der Mehrheit heute meistens nicht unmittelbar, also nicht durch direkte Entscheidung über die Regierungs- und Gesetzgebungsakte im Wege einer Volksabstimmung, sondern sie vollzieht sich regelmäßig [...] durch die Wahl einer Volksvertretung, der sog. Legislative, die ihrerseits wieder regelmäßig durch Wahl die Regierung, die Exekutive, bestellt.
Endlich gehört zum Begriff der Demokratie, dass diese durch Wahlen erfolgende Bestellung der Staatsorgane auf Zeit, wenn nicht sogar auf Abruf, erfolgt sowie dass die Wahlen frei sind und auf Gleichheit des Wahlrechtes für alle erwachsenen Staatsbürger beruhen."

Diese Merkmale nehmen die von den Philosophen der Aufklärung - vor allem John Locke, Montesquieu, Rousseau und Kant - begründete Menschenrechts-, Rechtsstaats- und Demokratietradition auf und verankern sie verfassungsrechtlich:

Das Grundgesetz will Konstruktionsprinzipien der Weimarer Verfassung vermeiden, die der Parlamentarische Rat als Fehlentwicklungen betrachtete. So waren Grundrechte in der Weimarer Verfassung nicht grundsätzlich exemiert, also der Staatsgewalt vorgeordnet, sondern wurden - in Form von Abwehrrechten gegen den Staat - als Gewährung des Staates an die Bürger aufgefasst. Die Grundrechte waren durch eine qualifizierte Mehrheit "unabhängig von der Tragweite", wie der führende Verfassungskommentar formulierte, veränderbar. Zugleich verzichtete die Weimarer Verfassung auf ein unveränderliches Staatsziel, weshalb Kritiker monierten, sie verhalte sich "neutral" zu jeder beliebigen politischen Zielsetzung. Im Grundgesetz wird demgegenüber die "unantastbare" Menschenwürde als positiv qualifizierter Grund und Inhalt der Demokratie aufgefasst, der alle weiteren Grundrechte und Einzelgesetze tragen und durchdringen soll. Darum sind die Grundrechte selbst unabstimmbar und stehen keiner Mehrheitsentscheidung zur Disposition. Die so verstandene "wehrhafte Demokratie" soll nicht beliebige politische Ziele erlauben, sondern Parteien und Staatsorganen absolute Grenzen setzen.

Diese Auffassung von Demokratie hat sich in den meisten westlich orientierten Staaten der Gegenwart - vor allem in Europa und Nordamerika - durchgesetzt. Sie beansprucht eine allgemeine Wertgrundlage, die Menschenrechte, als Basis aller Rechtsstaatlichkeit. In der UN-Charta werden diese darüberhinaus als universale Basis der Völkerbeziehungen proklamiert. Rechtsstaatliche Demokratie gilt nach westlichem Verständnis daher tendenziell als allgemeingültiges Staatsmodell. Sie unterliegt aber schon innerhalb demokratisch verfasster Gesellschaften wie auch zwischen verschiedenen Völkern, Kulturen und Staatsformen ständiger Neubewertung und Neudefinition.

Aktualität und Ausblick

In den heutigen westlichen Staaten finden sich folgende Elemente: Mischverfassung (in Deutschland z. B. mit dem wählenden Volk als demokratischem, den Gewählten als aristokratischem und dem Bundespräsidenten als (hauptsächlich repräsentativ) monarchischem Element), Gewaltmonopol des Staates, Gewaltenteilung und -verschränkung, Trennung von Kirche und Staat, Anerkennung des Menschen als Individuum, Pluralismus, Anerkennung der Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit (Soziale Marktwirtschaft) sowie Staatsleistungen (Daseinsvorsorge). Eine offene Frage ist, wie Nationalstaaten auf die voranschreitende Ausbildung internationaler und globaler Strukturen reagieren werden.

Die praktische Bedeutung der Staatstheorie etwa für deutsche und europäische Politik zeigt sich aktuell z.B.

  • im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um die Entschädigungsansprüche der zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten Alteigentümer sowie der durch die DDR Enteigneten,
  • im Streit um die Europäische Verfassung und Kompetenzabgrenzung zwischen Nationalstaaten und Europäischer Union,
  • in der immer wieder aufflammenden Diskussion um die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene in Deutschland.

Klassische Werke

Weitere Literatur

Siehe auch