Proteste in Saudi-Arabien ab 2011
Im Rahmen der aktuellen Protestwelle in der Arabischen Welt sollte es auch in Saudi-Arabien zu ersten Protesten kommen.

Ursachen
Der Ruf nach politischen Reformen
Es kommt immer wieder zu Forderungen nach politischen Reformen. Die aktuell konkreten Forderungen sehen demnach wie folgt aus: Umwandlung Saudi-Arabiens in eine konstitutio-nelle Monarchie, Eindämmung der Korruption, Abbau der Arbeitslosigkeit sowie eine gerech-tere Verteilung des Wohlstandes. [1].
Der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten
Im Königreich Saudi-Arabien ist der Wahhabismus, eine streng puritanische Richtung innerhalb des sunnitischen Islams, die die schiitischen Glaubensrichtungen als ketzerisch ansehen. Spätestens seit der Zerstörung der schiitischen Sakralorte in Kerbela im Jahre 1802, die mit einem Massaker an der schiitischen Bevölkerung einherging, ist die Beziehung zwischen Schiiten und Wahhabiten sehr stark vorbelastet [2]. Da zudem die Ereignisse der letzten Dekade das hegemoniale Gewicht zwischen Mittelmeer und Persischen Golf zugunsten der Islamischen Republik Iran zu verschieben beginnen, hat Saudi-Arabien außenpolitisch in mehreren arabischen Staaten, wie etwa im Irak und Libanon, sunnitisch-islamistische Gruppierungen finanziell unterstützt, die dazu beitragen, diesen Prozess zu stoppen oder zumindest zu behindern [3].
Schiiten in Saudi-Arabien
Asch-Scharqiyya | |
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Basisdaten | |
Staat | Saudi-Arabien |
Hauptstadt | Dammam |
Fläche | 672.522 km² |
Einwohner | 3.762.225 |
Dichte | 5,6 Einwohner pro km² |
ISO 3166-2 | SA-04 |
Nach offiziellen Angaben sind 10 bis 15 Prozent der Saudis Schiiten. Ob der tatsächliche Anteil der Bevölkerung möglicherweise höher liegt, bleibt unklar. Die meisten saudischen Schiiten leben in der saudischen Provinz Asch-Scharqiyya, was sich mit „Ostprovinz“ übersetzen lässt. Dort sollen sie nach offiziellen Angaben 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen [4]. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass der tatsächliche Anteil der Schiiten an der dortigen Bevölkerung höher liegt. Die in Asch-Scharqiyya lebenden Schiiten gehören zur Gruppe der sogenannten Imamiten, die auch als Zwölfer-Schiiten bekannt sind. Ferner gibt es auch Ismailiten und Zaiditen in Saudi-Arabien, die vor allem im saudisch-jemenitischen Grenzgebiet leben, jedoch selbst innerhalb der saudischen Schiiten eine Minderheit bilden. Als Siedlungsschwerpunkte der saudischen Imamiten können die Oasen von al-Ahsa und Qatif angesehen werden [5].
Die Situation der Schiiten in Saudi-Arabien
Seit der Eroberung Asch-Scharqiyyas durch die Wahhabiten im Jahr 1913 lastet auf den saudischen Schiiten ein massiver Druck. So forderten wahhabitische Gelehrte eine Zwangskonversion der Schiiten zum wahhabitischen Islam. Schiiten, die sich diesem Druck nicht beugen wollen würden, sollten getötet werden. Dabei sind ähnliche Forderungen in Saudi-Arabien bis heute nicht abgeklungen. Wahhabiten sehen die Schiiten als ar-rafida, als Abtrünnige an, die sich in ihrer Verehrung ihrer Imame dem shirk, der Vielgötterei, annähern würden, weshalb sie für radikale Wahhabiten Polytheisten seien. Zudem lehnen sie das Ashura-Fest der Schiiten als unislamisch ab. So kommt es, dass sich die schiitischen Saudis religiösen, politischen und sozioökonomischen Diskriminierungen ausgesetzt sehen. So dürfen sie seit 1913 keine neuen Moscheen bauen, ihre religiösen Feiern nicht abhalten und auch nicht in der irakischen Stadt Nadschaf die schiitisch-imamitische Glaubenslehre studieren. Zudem müssen sie Sondersteuern bezahlen, von denen die wahhabitischen Muslime befreit sind. Da sie zudem nicht in der staatlichen Bürokratie, in der Armee und den Sicherheitskräften arbeiten dürfen, gehören nicht wenige von ihnen der saudischen Unterschicht an. Erst durch den Beginn der Erdölförderung durch ARAMCO sollte sich die ökonomische Situation einiger Imamiten verbessern, sind doch ein Großteil der dortigen Arbeiterschaft imamitische Schiiten. Seit etwa 1985 kriselt die Wirtschaft in Saudi-Arabien regelmäßig. Da die schiitischen Saudis keine staatliche Unterstützung erhalten, sind sie von diesen Krisen besonders hart betroffen. Da wahhabitische und sunnitisch-islamistische Radikale nach wie vor die Schiiten als Polytheisten und Ungläubige ansehen, sind Reformen in Richtung Gleichberechtigung der beiden Konfessionen innerhalb Saudi-Arabiens nahezu unmöglich. Auch die Ismailiten und Zaiditen sind solchen Repressionen ausgesetzt [6].
Anlass
Für Saudi-Arabien lassen sich drei Konkrete Anlässe ausfindig machen.
- Proteste in der Arabischen Welt
Die Proteste in der Arabischen Welt haben einen nicht unwesentlichen Anteil an den Protesten in Saudi-Arabien.
- Hochwasser in der Provinz Hedschas
Im Januar kam es in Folge sintflutartiger Regenfälle in der saudischen Provinz Hedschas zu Hochwasser. Da man in Saudi-Arabien mit Hochwasser nur äußerst wenige Erfahrungen hat, führte dies zu infrastrukturellen Herausforderungen, die nicht zufrieden stellend gelöst werden konnten [7] [8].
- Proteste in Bahrain
Zumindest bei den Protesten der schiitischen Minderheit muss die Protestbewegung in Bahrain als eine maßgebliche Inspirationsquelle angesehen werden.
Beteiligte
Bislang waren an den Protesten in Saudi-Arabien Angehörige aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen beteiligt.
In der Ostprovinz sind es hauptsächlich Schiiten.
In Riad sind es vor allem Frauen, die ihre Familienangehörige befreit wissen wollen, aber auch sunnitisch-islamistische Gruppierungen.
In Dschidda waren es Teile der Bevölkerung, die vom dortigen Hochwasser betroffen sind.
Chronologischer Verlauf der Ereignisse
- Freitag, der 28. Januar
Nach dem Freitaggebet kommt es zu einer Demonstration in der saudischen Stadt Dschidda, die am Roten Meer liegt. Diese Kundgebung wurde gewaltsam niedergeschlagen, wobei etwa 30 bis 50 Menschen inhaftiert wurden [9] [10].
- Samstag, der 29. Januar
Erstmalig fordert eine saudische Gruppe via Facebook politische Reformen im Königreich Saudi-Arabien. Die konkreten Forderungen sehen demnach wie folgt aus: Umwandlung Saudi-Arabiens in eine konstitutionelle Monarchie, Eindämmung der Korruption, Abbau der Arbeitslosigkeit sowie eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes. Im Internet schließen sich dem 264 Personen an [11].
- Samstag, der 05. Februar
Es kommt zu einer weiteren Demonstration in der saudi-arabischen Hauptstadt ar-Riyad, wobei etwa 40 Frauen vor dem Innenministerium die Freilassung von grundlos ver-hafteten Gefangenen forderten. Die Kundgebung blieb friedlich; dies ist bemerkenswert, da Demonstrationen in Saudi-Arabien allgemein als verboten gelten [12]. Ob ein Zusammenhang zwischen dieser Demonstration und jener in der Hafen-stadt Dschidda besteht, ist unklar.
- Donnerstag, der 17. Februar
Angehörige der schiitischen Minderheit demonstrieren in der Provinz Asch-Scharqiyya nahe der Grenze zu Bahrain. Den Demonstranten ging es dabei vorrangig um eine Verbesserung ihrer Situation, da sie als Schiiten im sunnitischen Saudi-Arabien gesellschaftlich benachteiligt werden. Dies führt auch zu Spekulationen, ob Saudi-Arabien in die Unruhen im Nachbarland Bahrain militärisch eingreift, um dort einen Sturz des sunnitischen Herrscherhauses zu verhindern [13] [14].
- Mittwoch, der 23. Februar
Nachdem der saudi-arabische König Abdullah ibn Abd al-Aziz nach einem Aufenthalt in einem US-amerikanischen Krankenhaus nach Saudi-Arabien zurückgekehrt ist, soll er seiner Bevölkerung 27 Milliarden zur Verbesserung ihrer Lage versprochen haben. Zudem führte er mit dem bahrainischen Herrscher König Hamad ibn Isa Al Chalifa Gespräche, um die dor-tige Situation zu besprechen. Die Opposition kündigt für den 11. März 2011 einen „Tag des Zorns“ an [15].
- Donnerstag, der 3. März
In den Küstenstädten Awwamya und Qatif, die sich in der saudischen Provinz Asch-Scharqiyya befinden, kommt es zu Demonstrationen, die von der schiitischen Minderheit des Landes getragen werden. [16] [17].
- Freitag, der 4. März
Auch in der saudischen Hauptstadt ar-Riyad kommt es nach dem Freitagsgebet zu einer Demonstration, an der sich 50 bis 100 Männer beteiligen. Die Demonstration sei von der saudischen Oppositionsgruppe Islamische Reformbewegung (MIRA), die islamistisch eingestellt ist und in den 1990ziger Jahren von Saad al-Faqih gegründet worden war, getragen und initiiert worden [18].
- Samstag, der 5. März
Die saudische Regierung erlässt ein Demonstrationsverbot. Begründet wurde dies damit, dass die Demonstrationen islamischem Recht widersprechen würden.[19] Dennoch demonstrierte eine Gruppe von 40 Frauen in der Stadt Dammam, die sich ebenfalls in der Ostprovinz Saudi-Arabiens befindet, für die Freilassung ihrer Familienangehörigen. Diese seien an dem Anschlag in Al-Chobar beteiligt gewesen, wo 1996 19 Amerikaner starben; zu konkreten Prozessen sei es dabei jedoch nicht gekommen [20] [21] [22] [23].
Literaturnachweis
- Scholl-Latour, Peter: Zwischen den Fronten. Erlebte Weltgeschichte Propyläen Verlag, München/Berlin 2007, ISBN 3-549-07332-1
- Steinberg, Guido: Saudi-Arabien. Politik Geschichte Religion, München: C.H. Beck 2004, ISBN 3-406-51112-0
Einzelnachweise
- ↑ [1]
- ↑ „Wahha-biten und Schiiten“ wikipedia online, Abruf: 07.03.2011 16:42 Uhr
- ↑ Scholl-Latour, Peter: [„Zwischen den Fronten. Erlebte Weltgeschichte“] Berlin 2007, S.: 169-177
- ↑ Steinberg, Guido: [„Saudi-Arabien. Politik, Geschichte, Religion“] München 2004, S.: 144
- ↑ Steinberg, Guido: [„Saudi-Arabien. Politik, Ge-schichte, Religion“] München 2004, S.: 145
- ↑ Steinberg, Guido: [„Saudi-Arabien. Politik, Geschichte, Religion“] München 2004, S.: 144-148
- ↑ [2]
- ↑ „Dutzende Festnahmen bei Demonstration. Proteste für Verbesserung der Infrastruktur nach schweren Überschwemmungen in Dschidda“ (Stand: 28.01.2011) der standart online, Abruf: 07.03.2011 16:03 Uhr
- ↑ „Hundreds detained in Saudi Arabia over protests“ vom 29.01.11 Teheran Times online, Abruf: 07.03.2011
- ↑ „Dutzende Festnahmen bei Demonstration. Proteste für Verbesserung der Infrastruktur nach schweren Überschwemmungen in Dschidda“ vom 28.01.2011 Abruf: 07.03.2011 18:45 Uhr
- ↑ „Proteste auch in Saudiarabien“ vom 06.02.11 Basler Zeitung online, Abruf: 07.03.2011 19:13 Uhr
- ↑ „Pro-teste auch in Saudiarabien“ vom 06.02.2011 Basler Zeitung online, Abruf: 07.03.2011 19:20 Uhr
- ↑ Berliner Zeitung vom Montag, dem 21.02.2011, S.: 8
- ↑ „Proteste der schiitischen Minderheit. Die Schiiten beklagen, dass ihnen der Zugang zu höheren Stellen im Staatsdienst verwehrt ist“ vom 19.02.11 der standard online Abruf: 07.03.2011 19:26 Uhr
- ↑ „Saudi-Arabien. Wohlta-ten statt Reformen“ vom Februar 2011 faz online, Abruf: 07.03.2011 19:35 Uhr
- ↑ Weitere Proteste in arabischen Ländern erwartet. Schiiten demons-trieren in Saudiarabien. NZZ online, abgerufen am 4. März 2011.
- ↑ Sorge um Libyen und Saudi-Arabien. Öl- und Edelmetalle teurer. ntv online, abgerufen am 4. März 2011.
- ↑ "Proteste in Saudi-Arabien. Das Königreich wird nervös" taz online, Abruf: 07.03.2011 15:08 Uhr
- ↑ Nach kleineren Protestkundgebungen – Saudi-Arabien verhängt Demonstrationsver-bot. tagesschau.de, 5. März 2011, abgerufen am 5. März 2011.
- ↑ "Frauen fordern Freilassun-gen. Saudis ignorieren Demo-Verbot" ntv online, Abruf: 06.03.2011 17:46 Uhr
- ↑ "Saudis demonstrieren trotz Verbots" Kölnische Rundschau online, Abruf: 06.03.2011, 17:48 Uhr
- ↑ "Die arabische Welt de-monstriert erneut" Zeit online, Abruf: 06.03.2011 17:49 Uhr
- ↑ "Proteste in der arabischen Welt reißen nicht ab" T-online, Abruf: 06.03.2011 17:51 Uhr