Richard Foerster (Altphilologe)
Richard Foerster (* 2. März 1843 in Görlitz; † 7. August 1922 in Breslau) war ein deutscher Klassischer Philologe und Archäologe.

Foerster war Professor an den Universitäten zu Rostock (1875–1881), Kiel (1881–1890) und Breslau (1890–1922). Er ist in der Philologie besonders als Herausgeber der Werke des spätantiken Rhetorikers Libanios (Leipzig 1903–1927) bekannt. Weitere grundlegende Editionen lieferte er zu den Physiognomikern (Leipzig 1893) und zu Chorikios von Gaza (Leipzig 1929). Im kulturellen Leben Breslaus seiner Zeit spielte er eine bedeutende Rolle.
Leben
Kindheit, Jugend und Studium
Richard Foerster stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater betrieb als Wagenbauer ein mittelständisches Unternehmen in Görlitz. Seinem Sohn ermöglichte er den Besuch der Bürgerschule und des Gymnasiums Augustum (ab 1852).
Nach der Reifeprüfung (Februar 1861) studierte Richard Foerster ab dem Sommersemester 1861 an der Universität Jena. Zu Anfang schwankte er zwischen den Fächern Theologie und Philologie. Er besuchte Vorlesungen und Übungen der Philologen Karl Wilhelm Göttling, Carl Nipperdey und Moriz Schmidt, daneben auch theologische, historische, philosophische, archäologische und sprachwissenschaftliche Veranstaltungen.
Zum Wintersemester 1861/1862 wechselte Foerster an die Universität Breslau, wo er sich ganz auf die Altertumswissenschaft konzentrierte. Deren Vertreter in Breslau hatten sehr unterschiedliche Profile: Friedrich Haase war auf Textkritik und Grammatik ausgerichtet, Martin Hertz behandelte weite Bereich der lateinischen Literatur, Rudolf Westphal war Spezialist für antike Musik, August Rossbach verband Philologie und Archäologie. Von diesen akademischen Lehrern erfuhr Foerster vielfältige Anregung und Prägung. Die Anfänge seiner wissenschaftlichen Arbeit standen unter Haases Einfluss, der Foersters Aufmerksamkeit auf die griechische Syntax lenkte. Am 28. Juni 1866 wurde Foerster mit einer Arbeit über die Kasusattraktion im Griechischen promoviert, die das Ergebnis von vierjährigen Beobachtungen war.
Wanderjahre in Italien (1868–1870)
Nach der Staatsprüfung im November 1866 arbeitete Foerster einige Jahre als Gymnasiallehrer. Er war nach dem Examen Kandidat am Magdalenengymnasium zu Breslau, wo er bereits seit Ostern eine Hilfslehrerstelle vertreten hatte. Im September 1867 wurde er als Oberlehrer angestellt. Er setzte neben seiner Unterrichtstätigkeit seine wissenschaftlichen Studien fort. Er veröffentlichte kleinere Abhandlungen über die Ikonografie der Göttin Hera und habilitierte sich am 23. Oktober 1868 mit einer Fortsetzung seiner Doktordissertation für die Fächer Philologie und Archäologie. Kurz darauf trat er eine zweijährige Reise nach Italien an, für die er bis Ostern 1871 Urlaub nahm. Ermöglicht wurde diese Reise durch das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts, das Foerster für die Jahre 1868/1869 und 1869/1870 erhielt.
In Italien knüpfte Foerster vielfältige Kontakte, aus denen teilweise mehrjährige Freundschaften entstanden. Zu denen, die er in Rom kennenlernte, gehörten der Maler Arthur Blaschnik (1823–1918), der Historiker Ferdinand Gregorovius, die Archäologen Heinrich Brunn, Karl Dilthey, Wilhelm Henzen und Wolfgang Helbig sowie der Berliner Philologe Rudolf Hercher. Foerster nutzte die Jahre in Italien vornehmlich zur Kollation verschiedener lateinischer und griechischer Handschriften. Seine Schwerpunkte setzte er auf Anregung von Hercher auf die Handschriften des spätantiken Rhetorikers Libanios. Außerdem sammelte er auf Rat seines Breslauer Lehrers Rossbach physiognomische Schriften und beschäftigte sich mit den archäologischen Funden.
Privatdozent in Breslau (1870–1875)
Nach Aufenthalten in Florenz, Mailand, Venedig, Modena, Neapel, Pompeji und Griechenland kehrte Foerster im Frühjahr 1870 nach Breslau zurück. Hier heiratete er Angelika Lübbert, die Schwester des Altphilologen Eduard Lübbert.
Seinen Lebensunterhalt verdiente Foerster weiterhin als Gymnasiallehrer. Daneben hielt er als Privatdozent philologische und archäologische Vorlesungen und Übungen ab. Sein erstes Kolleg las er im Wintersemester 1870/1871 „Über die Altertümer von Pompeji“. Zur Auswertung seiner Forschungsergebnisse gewährte ihm die Schulbehörde im Winter 1872/1873 einen halbjährigen Urlaub.
Foersters Vorlesungen und Übungen behandelten eine große Bandbreite von Themen: Griechische und lateinische Literatur, Sprachwissenschaft, Gerichtswesen, Wandmalerei, Topografie und Architektur. Am 21. Oktober 1873 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Diese Stelle wurde für ihn neu geschaffen und zwei Jahre später im Etat verankert.
Professor in Rostock (1875–1881)
Bereits zum 1. Oktober 1875 verließ Foerster Breslau, um als ordentlicher Professor an die Universität Rostock zu wechseln. Hier wirkte er als Kollege der hochbetagten Professoren Ludwig Bachmann und Franz Volkmar Fritzsche. Die schlechte Ausstattung der Seminarbibliothek, der geringe Etat des philologischen Seminars und die schwierige Zusammenarbeit mit Bachmann und Fritzsche erschwerten seine Tätigkeit. Seine Forschungsarbeit setzte er unverändert fort. Mit Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften reiste er 1880 nach Spanien, Frankreich und England, wo er zahlreiche Handschriften des Libanios und des Geschichtsschreibers Chorikios von Gaza kollationierte. Kurz darauf nahm er einen Ruf an die Universität Kiel an, wo er Nachfolger seines Schwiegervaters Lübbert werden sollte.
Professor in Kiel (1881–1890)
Ostern 1881 ging Foerster als ordentlicher Professor der Klassischen Philologie und der Eloquenz an die Universität Kiel. Dort waren die Studenten zahlreicher als in Rostock und die Universitätsbibliothek besser ausgestattet, so dass Foerster eine fruchtbare Lehrtätigkeit entfalten konnte. Während seine Kieler Kollegen Peter Wilhelm Forchhammer und Friedrich Blass hauptsächlich gräzistische Lehrveranstaltungen anboten, konzentrierte sich Foerster auf die Latinistik. Im akademischen Jahr 1886/1887 bekleidete er das Rektorat der Universität. In seiner Rektoratsrede Die klassische Philologie der Gegenwart nahm er eine Standortbestimmung und methodische Bestandsaufnahme seines Faches auf. Das Ideal des Altertumsforschers sah er in der Anbindung eigenständiger Forschungsarbeit an die Geschichte des Faches und in der Synthese von neuen und alten Erkenntnissen.
Trotz der günstigen Arbeitsbedingungen in Kiel ergriff Foerster gern die Gelegenheit, an seine alma mater Breslau zurückzukehren. Dort war im August 1889 nach dem Tod Wilhelm Studemunds ein Lehrstuhl freigeworden. Der zuständige Ministerialdirektor Friedrich Althoff zog sofort Erkundigungen nach einem möglichen Nachfolger bei seinem Berater Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff ein. In einem Brief vom 22. August 1889 empfahl Wilamowitz Richard Foerster. Entscheidend war für ihn die Tatsache, „daß er schon in Breslau [als Privatdozent und Extraordinarius, 1870–1875] lehrerfolg gehabt hat, in Rostock sehr gut gewirkt (er hat die doctorschande dort vertilgt) und in Kiel allein wirkung hat.“[1]
Im November 1889 legte die Philosophische Fakultät der Universität Breslau eine Berufungsliste vor, auf der neben Richard Foerster noch der Marburger Professor Theodor Birt genannt war. Auf eine Anfrage von Althoff zu dieser Liste empfahl Wilamowitz in einem Brief vom 25. November erneut Foerster.[2] Dieser erhielt schließlich am 19. Dezember 1889 den Ruf und nahm ihn mit Wirkung zum 1. April 1890 an.
Professor in Breslau (1890–1922)
In Breslau wirkte Foerster noch mehrere Jahrzehnte und brachte seine größeren Forschungsvorhaben zu Ende. Er lehrte noch einige Jahre lang neben seinen ehemaligen Lehrern Martin Hertz und August Rossbach. In den Jahren 1884/1885 und 1897/1898 wurde er zum Rektor der Universität gewählt. Während seines zweiten Rektorats setzte er die langersehnte Restauration des Universitätsgebäudes durch, die in den folgenden zehn Jahren durchgeführt wurde. 1896 wurde er zum Geheimen Regierungsrat ernannt.
Nach August Rossbachs Tod wurde Foerster 1899 zum Direktor des Archäologischen Museums ernannt. Die nächsten Jahre bemühte er sich um einen Neubau für die Antikensammlung, der jedoch aufgrund von Sparmaßnahmen vom Ministerium nicht genehmigt wurde. Die Unterstützung der Preußischen Akademie ermöglichte Foerster weitere Forschungsreisen nach England und in den Orient, wo er 1896 die Heimatstadt des Libanios erforschte, Antiochia am Orontes. Von 1900 bis zu seinem Tod war er außerdem Vorsitzender der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur, der er seit den 70er Jahren angehörte. Während seiner Zeit als Vorsitzender leitete Foerster die Hundertjahrfeier der Gesellschaft und ermöglichte ihr den Einzug in ein neues, größeres Domizil, das am 27. Oktober 1907 eingeweiht wurde.[3]
An der Universität engagierte sich Foerster auch nach seinen Rektoraten in der akademischen Selbstverwaltung. Noch 1917, im Alter von 74 Jahren, wurde er zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt. Neben den Verpflichtungen dieses Amtes musste er mit seinem Kollegen Wilhelm Kroll während des Ersten Weltkriegs doppelt so viele Lehrveranstaltungen wie vorher bieten, weil die Professoren Alfred Gercke und Konrat Ziegler an der Front waren.
Am 1. April 1920 ließ sich Foerster aus gesundheitlichen Gründen emeritieren. Auch im Ruhestand hielt er noch einzelne Vorlesungen, die letzte im Sommersemester 1922 über Amor und Psyche, sein Lieblingsthema in der Lehre. Er starb am 7. August 1922 im Alter von 79 Jahren nach längerer Krankheit.
Leistungen
Richard Foerster war einer der letzten Altertumswissenschaftler, die Archäologie und Philologie zugleich betrieben. Er realisierte diese Verbindung, indem er philologische und kunsthistorische Methoden auf archäologische Quellen anwandte und die Ergebnisse archäologischer Forschung in seine philologische Arbeit einbezog. Dabei verfolgte er die Rezeption antiker Kunst, Kunsttheorie und Literatur bis in die Renaissance und die Neuzeit.
Als Archäologe war Foerster über die Grenzen Schlesiens hinaus bekannt. Er war ordentliches Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts und wirkliches Mitglied der Archäologischen Gesellschaft in Odessa.
Philologie: Editionsprojekte
Foersters Lebensaufgabe bestand in der Auswertung seiner handschriftlichen Studien. Er setzte dabei den Schwerpunkt auf drei Autoren, von denen kritische Editionen bis dahin fehlten. Obwohl diese Arbeiten mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahmen, konnte Foerster sie fast vollständig abschließen.
Libanios-Edition
Die Schriften des Rhetorikers Libanios (4. Jahrhundert n. Chr.) stellen eine wichtige Quelle zur Entwicklung der Rhetorik in der Spätantike dar. Noch wichtiger aber wurden zu dieser Zeit die Briefe angesehen, die von Libanios in großer Zahl überliefert waren.
Von allen Teilen seines Werkes (Reden, rhetorische Schriften, Briefe) lagen seit dem 16. Jahrhundert mehrere Editionen vor, die jedoch alle nicht wissenschaftlichen Ansprüchen genügten. Die letzte Ausgabe der Briefe stammte von Johann Christoph Wolf (Amsterdam 1738), die letzte Ausgabe der Reden und rhetorischen Schriften von Johann Jacob Reiske (Altenburg 1784–1797). Zu Reiske veröffentlichte Foerster auch einen biografischen Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie: „Johann Jacob Reiske, ausgezeichneter Philolog“[4], außerdem gab er seinen Briefwechsel mit bedeutenden Zeitgenossen heraus (Leipzig 1897–1917).
Die große Herausforderung bei einer Libanios-Edition bestand darin, dass die handschriftliche Überlieferung uneinheitlich und sehr umfangreich war. Es gab keine Handschrift, die den gesamten Text des Libanios enthielt. Die Humanisten des 15. bis 18. Jahrhundert hatten stets nur einzelne Handschriften herangezogen, die ihnen gerade zugänglich waren.
Foerster nahm es als Erster auf sich, möglichst alle bekannten Textzeugen zu konsultieren und aus ihnen die Entwicklung des Libanios-Textes zu seinen Ursprüngen zu verfolgen. Foerster sichtete insgesamt 660 Handschriften. Als Nebenprodukte dieser Tätigkeit entstanden zahlreiche Aufsätze zu textkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Einzelfragen.
Das umfangreichste dieser Pargerga („Nebenprodukte“) war Foersters Untersuchung zur lateinischen Übersetzung der Libanios-Briefe des Humanisten Francesco Zambeccari (Stuttgart 1878). Schon seit ihrem Erscheinen (1504) wurde die Echtheit dieser Sammlung angezweifelt. Foerster fand heraus, dass tatsächlich einige Originalbriefe des Libanios darunter waren. Die meisten Briefe aber wurden von ihm als Fälschung erwiesen, mit der Zambeccari seine Ausgabe zu einer Mustersammlung von Briefen jeder Spielart frisiert hatte.
Nach mehr als 30 Jahren Arbeit ließ Foerster seine Libanios-Ausgabe ab 1903 beim Teubner-Verlag erscheinen. Die Bände 1–4 (1903–1908) enthielten die Orationes, die Bände 5–7 (1909–1913) die Declamationes, Band 8 (1915) die Progymnasmata (rhetorische Fingerübungen) und Inhaltsangaben zu den Reden des Demosthenes. Die Briefe erschienen in Band 10 und 11 (1921–1922). Den Abschluss des Unternehmens erlebte Foerster nicht mehr. Sein Schüler Eberhard Richtsteig veröffentlichte 1923 den Indexband und 1927 den Band 9, der die untergeschobene Schrift Charakteres und die Prolegomena zu den Libanios-Briefen enthält.
Foersters Libanios-Ausgabe ist seit ihrem Erscheinen maßgeblich geblieben und wurde mehrfach nachgedruckt. Trotz mehrerer Einwände im Einzelnen bildet sie die Grundlage für die historische und philologische Beschäftigung mit Libanios und seiner Zeit.[5][6]
Ein wichtiges Pargergon seiner Libanios-Ausgabe war auch die Darstellung von Libanios’ Leben und Werk, die Foerster zusammen mit Karl Münscher für die Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft verfasste. Sie erschien erst nach Foersters Tod (1925)[7] und ist in ihrem monografischem Umfang (65 Spalten) die umfassendste Darstellung ihrer Art. Sie ist bis heute der Ausgangspunkt zur Beschäftigung mit Libanios.
Sammlung der physiognomischen Schriften
Zu einer Sammlung der Scriptores physiognomonici Graeci et Latini wurde Foerster von seinem Breslauer Lehrer Rossbach angeregt. Er begann bereits während seines Italienaufenthalts, verschiedene Handschriften zu kollationieren. Dabei berücksichtigte er die komplexe Überlieferungsgeschichte der verstreuten Schriften und edierte auch lateinische und arabische Übersetzungen der griechischen Fachschriften. Hierbei erhielt er Hilfe vom Orientalisten August Schmölders. Insgesamt sichtete er über 70 Handschriften für sein Unternehmen. Hierbei erhielt er Hilfe von seinem Freund Karl Dziatzko, der 1884 für ihn eine Handschrift in London einsah.
1893 erschien die Sammlung Scriptores physiognomonici Graeci et Latini in zwei umfangreichen Bänden im Teubner-Verlag. Das Vorwort unterzeichnete Foerster am 26. August, dem 70. Geburtstag Rossbachs, dem die Sammlung gewidmet ist.
Mit den Scriptores physiognomonici lag die erste Sammlung der antiken Physiognomiker vor, die nach den Grundsätzen moderner Textkritik entstanden war. Damit war die Grundlage zur Beschäftigung mit der antiken Physiognomik geschaffen. Die Edition wurde in der fachwissenschaftlichen Presse begrüßt und wird bis heute als grundlegend angesehen,[8] auch wenn die Textkonstitution seither im einzelnen angefochten und korrigiert wurde.
Chorikios von Gaza
Bei seiner Beschäftigung mit Textkritik und Stil des Libanios geriet Foerster an den spätantiken Rhetorikers Chorikios von Gaza. Die Rhetorenschule in Gaza orientierte sich am attizistischen Stil des Libanios und wurde ihrerseits zu einem Stilvorbild der byzantinischen Zeit.
Foerster gab die Reden und Fragmente des Chorikios nach und nach in Zeitschriften und Vorlesungsverzeichnissen heraus und regte auch mehrere seiner Studenten an, in ihrer Doktorarbeit Chorikios zu behandeln. Auch eine kritische Gesamtausgabe stellte er fertig, veröffentlichte sie aber nicht, weil die abschließenden Arbeiten an der Libanios-Edition Vorrang hatten.
Die Chorikios-Ausgabe erschien schließlich postum (Choricii Gazaei opera, Leipzig 1929), herausgegeben von Eberhard Richtsteig. Sie ersetzte die unvollständige Ausgabe von Jean-François Boissonade (1846) und ist bis heute maßgeblich.
Antikenrezeption: Julian, Zweite Sophistik (Apuleius und Lukian)
Zur Beschäftigung mit der Antikenrezeption kam Foerster einerseits von seinem Interesse an der Kunstgeschichte, andererseits von seinen Editionsprojekten. Besonderes Interesse widmete er dem Kaiser Julian, dem Zeitgenossen des Libanios, der sich als letzter Kaiser vom Christentum abgewandt hatte und eine Restauration der paganen Religion plante. Foerster untersuchte die Bedeutung des Kaisers Julian in seiner Zeit und verfolgte seine Rezeption in der europäischen Literatur von der Spätantike bis zur Wende des 19. und 20. Jahrhunderts.
Als erster Philologe beschäftigte sich Foerster mit der Rezeption der Vertreter der Zweiten Sophistik in der Renaissance, namentlich mit Apuleius von Madaura und Lukian von Samosata, deren rhetorische, narrative und satirische Schriften die Literatur und Kunst des 15. bis 16. Jahrhunderts stark beeinflusst hatten. Foerster untersuchte diesen Einfluss bei Gianfrancesco Poggio Bracciolini, Erasmus von Rotterdam, Willibald Pirckheimer, Ulrich von Hutten und François Rabelais.
Archäologie
Seine archäologischen Forschungen verband Foerster mit philologischen Methoden. Er behandelte besonders ästhetische und motivgeschichtliche Fragen zu verschiedenen antiken Bau- und Bilddenkmälern, die er stets aus eigener Anschauung (Autopsie) beschrieb. Seine Einzeluntersuchungen beschäftigten sich beispielsweise mit der Villa Farnese, mit dem Raub der Persephone, Amor und Psyche, der Laokoon-Gruppe und mit dem Zeustempel in Olympia. Als Leiter des Archäologischen Museums in Breslau sorgte er für die Anschaffung von Abgüssen wichtiger Bildwerke, deren wissenschaftliche Beschreibung er selbst vornahm.
Topographie von Antiochia am Orontes
Im Zusammenhang mit seiner Lebensarbeit (Libanios) steht Foersters umfangreiche topographische Studie zur Stadt Antiochia am Orontes, der Heimatstadt des Libanios, die Foerster 1896 besuchte und erforschte. Zur Deutung des archäologischen Befunds zog Foerster zahlreiche inschriftliche und literarische Quellen heran. Dabei rekonstruierte er auch technische Einzelheiten wie die örtliche Regulierung des Orontes. Sein Vorbild bei dieser Methode war der Altertumswissenschaftler Karl Otfried Müller (1797–1840), zu dessen 100. Geburtstag die Untersuchung erschien. Müller, einer der führenden Archäologen seiner Zeit, stammte wie Foerster aus Schlesien und entsprach ihm auch in der Verbindung von philologischer und archäologischer Arbeit.
Mythenforschung
Besonders in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Foerster mit der griechischen Mythologie. Wie viele andere Forscher seiner Zeit sah er im Mythos eine Spiegelung der griechischen Frühgeschichte. Gleichzeitig bezog er die vergleichende Mythenforschung ein, die den Mythos auf Naturerscheinungen zurückführt. Als Programmschrift verfasste er 1876 den Aufsatz Über Mythenforschung[9], in dem er für eine Synthese der historischen und der vergleichenden Mythenforschung eintrat und gegen eine Überbewertung der vergleichenden Mythenforschung polemisierte. Das Ziel der Mythenforschung sah er darin, Ursprung, Herkunft, Entwicklung und Bedeutung eines Mythos festzustellen.
Seiner eigenen Forderung nach der Heranziehung aller möglichen Quellen zur Mythenforschung kam Foerster selbst nicht nach. Er konzentrierte sich auf bildliche und textliche Darstellungen eines Mythos und berücksichtigte weder die Methoden der Volkskunde (Wilhelm Mannhardt) noch die der Religionswissenschaft (Hermann Usener). Stattdessen verfolgte Foerster die Rezeption eines Mythos von den antiken Schriften über das Mittelalter bis in die Neuzeit und leistete so wichtige Studien zur Rezeptionsgeschichte antiker Mythen. Beispiele sind seine Arbeiten zum Raub der Persephone und zum Laokoon-Stoff, die vom Kunsthistoriker Matthias Winner als „bahnbrechend“ bezeichnet wurden.[10]
Kunstgeschichte
Foersters Interesse an kunsthistorischen Fragen speiste sich aus seinen Reisen, besonders aus seinem ersten Italienaufenthalt. Auch hier konzentrierte er sich auf mythische Stoffe und Motive. Einen Schwerpunkt bildete die Laokoon-Gruppe im Vatikanischen Museum, über die Foerster von 1889 bis 1914 mehrere Aufsätze schrieb. Anders als die meisten Forscher seiner Zeit, nach denen die Laokoon-Gruppe ein Erzeugnis des 1. Jahrhunderts n. Chr. war, datierte sie Foerster in des 2. Jahrhundert v. Chr. Später wich er davon ab und rückte die Gruppe in das 1. Jahrhundert v. Chr. Während die Frage der Datierung unentschieden blieb, setzte Foerster in motivischer Hinsicht ein Zeichen, indem er nach dem Fund des rechten Arms des Laokoon für dessen Echtheit und damit gegen die bis dahin übliche Ergänzung der Skulptur eintrat.
Weitere Arbeiten Foersters betrafen die Rezeption des Märchens „Amor und Psyche“ und der Philostratischen Bildbeschreibungen (Imagines). Deren Rezeption untersuchte er bei den Malern Raffael, Tizian und Francisco de Goya sowie bei den Schriftstellern Karl Philipp Moritz und Johann Wolfgang von Goethe.
Bedeutung
Richard Foerster war zu seiner Zeit für das kulturelle Leben in Schlesien von großer Bedeutung. Überregionale Bekanntheit erlangte er nur in Fachkreisen durch seine Forschungsarbeit. Sein Sohn Otfrid Foerster (1873–1941) vollbrachte als Neurologe und Neurochirurg bedeutende Forschungsleistungen und wurde darüber hinaus als Arzt Lenins vor dessen Tod (1924) weltweit bekannt. Eine derartige Prominenz erlangte Richard Foerster nicht. Gleichwohl hat er durch seine editorischen Verdienste einen festen Platz in der Geschichte der Klassischen Philologie.
Foerster hatte keine wissenschaftliche Schule, wohl aber Schüler. Die meisten waren nach dem Studium an schlesischen Gymnasien tätig. Während seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit betreute Foerster Dutzende Dissertationen (die erste von August Schultz bereits 1874 in Breslau).
Seine Wissenschaftsauffassung legte Foerster in seiner Kieler Rektoratsrede vom 5. Mai 1886 öffentlich dar. Das Ideal des Altertumswissenschaftlers sah er in der Verbindung von eigener Forschung und Wissenschaftsorganisation: „[…] jeder besonnene Forscher kann und der akademische Lehrer soll den Blick wenigstens auf das Ganze gerichtet halten, soll ausserdem dass er Mehrer des Reichs der Wissenschaft ist, auch ein getreuer Haushalter des von seinen Vorfahren und Genossen erworbenen Besitztumes derselben sein – nicht blos im Interesse seiner eigenen Arbeiten, welchen die Weite des Blicks gewiss nur zu Gute kommen wird, sondern auch im Interesse seiner Schüler, um sie vor einseitigem Studiengang zu bewahren und ihnen das für sie geeignete Arbeitsfeld anzuweisen.“[11]
Mit diesem Ideal fand Foerster Nachfolger in den Philologen Wilhelm Kroll (1869–1939) und Konrat Ziegler (1884–1974), die beide bei ihm studiert und später als Professoren neben ihm gewirkt haben. Sie verwirklichten Foersters Vorstellungen als Herausgeber der monumentalen Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft (1893–1978), die Kroll seit 1906 und Ziegler seit 1946 betreute.
Schriften (Auswahl)
- Francesco Zambeccari und die Briefe des Libanios: Ein Beitrag zur Kritik des Libanios und zur Geschichte der Philologie. Stuttgart 1878
- Scriptores physiognomonici Graeci et Latini. Zwei Bände, Leipzig 1893. Nachdruck Stuttgart 1994
- Johann Jacob Reiske’s Briefe. Leipzig 1897
- Libanii Opera. Zwölf Bände, Leipzig 1903–1927. Nachdruck Hildesheim 1963, Hildesheim 1985, Hildesheim 1998
- Das Erbe der Antike. Festreden, gehalten an der Universität Breslau. Breslau 1911
- Franz Gareis. Görlitz 1913
- Die Universität Breslau einst und jetzt. Vier akademische Reden. Breslau 1919
- Franz Gareis und das Kaiser-Friedrich-Museum in Görlitz. Görlitz 1922
- Choricii Gazaei opera. Leipzig 1929. Nachdruck Stuttgart 1972, Ann Arbor 1998
Literatur
- Würdigungen und Nachrufe
- Alfred Gercke: Goldenes Doktorjubiläum. In: Schlesische Zeitung, Nr. 448 vom 29. Juni 1916
- Wilhelm Kroll: Richard Foerster. In: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Band 97 (1919–1924), S. 1–8
- Wilhelm Kroll: Richard Foerster als Gelehrter. In: Schlesische Zeitung, Nr. 533 vom 12. November 1922
- Paul Maas: Richard Foerster †. In: Byzantinisch-Neugriechische Jahrbücher. Band 3 (1922), S. 417
- Biografische Darstellungen
- Eberhard Richtsteig: Richard Foerster. In: Biographisches Jahrbuch für Altertumskunde. 43. Jahrgang (1923), S. 34–57
- Wolfhart Unte: Richard Foerster (1843–1922). Sein wissenschaftliches Werk in der klassischen Altertumswissenschaft, Kunstgeschichte und Kulturgeschichte Schlesiens. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Band 25 (1984), S. 249–272
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ William M. Calder III, Alexander Košenina: Berufungspolitik innerhalb der Altertumswissenschaft im wilhelminischen Preußen. Frankfurt am Main 1989, S. 48.
- ↑ William M. Calder III, Alexander Košenina: Berufungspolitik innerhalb der Altertumswissenschaft im wilhelminischen Preußen. Frankfurt am Main 1989, S. 52–53.
- ↑ Richard Foerster: Einweihung des Hauses der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Festrede vom 27. Oktober 1907. In: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Band 85 (1907).
- ↑ Band 28 (1889), S. 129–143.
- ↑ Hans-Ulrich Wiemer: Libanios und Julian. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Politik im vierten Jahrhundert n. Chr.. München 1995, S. 9 (Vestigia. Band 46).
- ↑ Auseinandersetzung mit der Echtheitsfrage bei Dietmar Najock: Unechtes und Zweifelhaftes unter den Deklamationen des Libanios – die statistische Evidenz. In: Michael Grünbart (Hrsg.): Theatron. Rhetorische Kultur in Spätantike und Mittelalter. Berlin 2007. ISBN 978-3-11-019476-0, S. 305–356.
- ↑ Band 12,2 (1925), Sp. 2486–2551.
- ↑ I. D. Repath: Notes on the Text of the Scriptores Physiognomonici. In: The Classical Quarterly. New Series. Band 56 (2006), S. 603–606.
- ↑ Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik. Band 113, Heft 12, S. 801–830.
- ↑ Matthias Winner: Zum Nachleben des Laokoon in der Renaissance. In: Jahrbuch der Berliner Museen. Band 16 (1974), S. 83.
- ↑ Rektoratsrede, Kiel 1886, S. 18.
Personendaten | |
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NAME | Foerster, Richard |
ALTERNATIVNAMEN | Foerster, Paul Richard; Förster, Richard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Klassischer Philologe und Archäologe |
GEBURTSDATUM | 2. März 1843 |
GEBURTSORT | Görlitz |
STERBEDATUM | 7. August 1922 |
STERBEORT | Breslau |