Rekommunalisierung
Mit Rekommunalisierung werden Prozesse bezeichnet, in denen Aufgaben und Vermögen, die vormals durch Privatisierung aus der kommunalen Verwaltung ausgegliedert wurden, wieder in Organisationsformen des öffentlichen Rechts zurückgeführt werden.
Gründe
Entscheidungen über Privatisierungen und Rekommunalisierungen fallen in den politischen Gremien der betroffenen Kommunen. In diese Entscheidungsprozesse fließen daher die politischen Erwägungen der handelnden Personen und Erwartungen in die Reaktion der Bevölkerung ein.
Da einer Rekommunalisierung stets eine Auslagerung vorausgeht, beeinflussen auch die individuellen Werte und Erfahrungen mit beiden Organisationsformen den Willensbildungsprozess erheblich. Sofern im Rahmen von politischen Diskussionen überzeugende Sachargumente für oder gegen Rekommunalisierungen erschöpft sind, tritt regelmäßig die polemische und vereinfachende Zuspitzung auf die Frage "Mehr oder weniger Staat?" in den Vordergrund. Sachpolitische Erwägungen spielen in dieser Phase des politischen Willensbildungsprozesses keine Rolle mehr.
Enttäuschte Erwartungen
In den 1980er und 1990er Jahren wurden zahlreiche kommunale Einrichtungen, Betriebe und Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen privatisiert. Bei vielen Privatisierungen wurden die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Es setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Privatwirtschaft nicht zwangsläufig besser oder kostengünstiger arbeitet als Betriebe in öffentlicher Hand. Die ausgegliederten Bereiche lassen sich durch die Politik häufig nicht wie gewünscht steuern. Kommunale Daseinsvorsorge und regionale Arbeitsplatzpolitik lassen sich in profitorientierten Unternehmen kaum als vorrangige Ziele durchsetzen. Bei einer Auslagerung verbleiben in höherem Umfang als erwartet Aufgaben und Kosten bei der Kommune. Nach erfolgter Privatisierung fehlen Möglichkeiten zur Quersubventionierung defizitärer kommunaler Aufgaben (Klassische Beispiele: ÖPNV und Bäderbetriebe).
Vor dem Hintergrund enttäuschter Erwartungen kommentierte der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Verkauf der Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall mit den Worten "..ein staatliches Monopol sei "durch ein Quasi-Monopol" auf privater Seite ersetzt worden".[1]
Öffentliche Meinung
In mehreren Umfragen hat die Bevölkerung der Erledigung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen deutlich Vorrang vor privatwirtschaftlichen Betrieben gegeben. Im kommunalen Bereich rechnet der Deutsche Städte- und Gemeindebund mangels verkaufbarer kommunaler Vermögensmassen nicht mehr mit einer Verkaufswelle staatlicher Vermögenswerte, mit der Finanzkrise sei zudem das Misstrauen in der Bevölkerung gegen Privatisierungen gestiegen [2] .
EuGH-Urteile, Vergaberecht
Oft werden von Kommunen Aufträge ausschreibungsfrei an ihre eigenen Gesellschaften vergeben. Die Anforderungen an diese In-House-Vergaben wurden durch die Rechtsprechung des EuGH konkretisiert. Der EuGH setzt für die Inhouse-Fähigkeit ein hohes Maß an Einflussnahme durch die Kommune voraus. Dies ist bei zivilrechtlich organsierten (GmbH, AG) und hundertprozentigen Eigengesellschaften regelmäßig der Fall, da die Kommune einen Einfluss "wie über eine eigene Dienststelle" ausüben kann. Aufträge an gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen in jedem Fall der Ausschreibungspflicht, [3] da bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen diese "Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle" nicht ohne weiteres gegeben ist, wenn zulasten der privaten Teilhaber keine weiteren gesellschaftsvertraglichen Einflussmöglichkeiten zugunsten der Kommune vereinbart sind.
Auslaufende Konzessionen
Die Laufzeit von Konzessionsverträgen ist gesetzlich befristet, beispielsweise dürfen diese gemäß § 46 Energiewirtschaftsgesetz für den Bereich der Strom- und Gasnetze nicht länger als 20 Jahre dauern. Laufen diese Konzessionsverträgen ab, muss neu konzessioniert werden. Vergaberecht findet keine Anwendung, stattdessen gilt der Grundsatz, dass ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren durchzuführen ist. [4] Diese Verfahren sind mit einem gewissen Aufwand und dem Risiko von Konkurrentenklagen verbunden, da bei Verfahrensfehlern Schadenersatzforderungen drohen können.
Infolge des nahezu gleichzeitigen Auslaufens von Konzessionsverträgen für die Aufgaben früherer Stadtwerke bietet sich den Kommunen folgende Handlungsoptionen:
- Rückkauf dieser Betriebe,
- Vollständige Privatisierung,
- Konsensuale Zusammenarbeit mit dem Altonzessionär über gemeinsame Gesellschaften,
- Zusammenarbeit im Wege eine Stadtwerkeverbundes mit Nachbargemeinden oder Nachbarkreisen.
Aus § 46 Energiewirtschaftsgesetz folgt die Verpflichtung des Altkonzessionärs, die Strom- beziehungsweise Gasnetze dem Neukonzessionär zu überlassen. Ob diese Überlassungspflicht eine Eigentumsverschaffung oder lediglich eine Besitzverschaffung (Pacht) zur Folge hat, wird vom Gesetz nicht beantwortet. In der rechtswissenschaftlichen Literatur und auf Ebene der Untergerichte ist dies strittig. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung existiert hierzu nicht.
Positive regionalwirtschaftliche Effekte
Von Rekommunalisierungen wird erwartet, dass sie die regionale Wirtschaft fördern.[5] Bei Privatisierungen besteht hingegen die Gefahr, dass erwirtschaftete Gewinne und Steuern (z.B. Gewerbesteur) aus der Region abfließen. Darüber hinaus spielen in diesem Zusammenhang auch standortpolitische Erwägungen eine Rolle, vor allem das Risiko, ob Unternehmenssitze beziehungsweise -zentralen aus der eigenen Region abwandern. Dies hätte neben genannten fiskalpolitischen Folgen auch den Verlust von wirtschaftlichen Kompetenzen einer Region zur Folge. So waren diese genannten standort- und wirtschaftspolitischen Erwägungen beispielsweise für die Stadt Dresden ausschlaggebend, die Energie-Holding GESO zu rekommunalisieren [6].
Steuern
Steuerlicher Querverbund
Der steuerliche Querverbund erlaubt es auch kommunalen Unternehmen im Rahmen von Konzernstrukturen und Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften steuerliche Vorteile zu nutzen. Dabei werden steuerlich zulässige Gestaltungsspielräume in ähnlicher Weise wie in nicht kommunalen Unternehmen genutzt. Nach Diskussionen über die rechtliche Zulässigkeit diese Konstruktionen, ist der steuerliche Querverbund nunmehr gesetzlich verankert [7]. Schwerpunktmäßig geht es um Verlustverrechnungsmöglichkeiten des steuerlichen Querverbundes für die Finanzierung dauerverlustbehafteter kommunaler Bereiche im Rahmen der Daseinsvorsorge. Durch Verlustverrechnungen wird die Steuerlast des steuerlichen Querverbundes insgesamt gesenkt. D.h. insgesamt zahlt der Verbund weniger, als wenn jedes Unternehmen jeweils für sich betrachtet veranlagt würde. Da Leistungen kommunaler Dauerverlustbetriebe (z.B. Bibliotheken, Pflegeheime, Sportanlagen, Kindergärten usw.) mangels Lukrativität selten von Privaten übernommen werden, kommen in diesem Zusammenhang die Grundsätze der verdeckten Gewinnausschüttung nicht zur Anwendung.
Umsatzsteuer
Kommunale Betriebe und Unternehmen hatten früher unter bestimmten Voraussetzungen eine Befreiung von der Umsatzsteuer (§ 2 Abs. 3 UstG). Dies wurde als vorteilhaft erachtet, weil zum Beispiel Mehrwertsteuerbelastungen an Verbraucher (z.B. bei Abwassergebühren) nicht weitergegeben wurden. Dieses Besteuerungsprivileg wurde vom Bundesfinanzhof erheblich eingeschränkt und gilt nicht mehr, wenn der öffentliche Betrieb als Gesellschaft des Zivilrechts (z.B. GmbH, AG) geführt wird [8].
Entwicklung
Gegenwärtig prüfen zahlreiche Kommunen, die Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung wieder in die eigene Hand zu nehmen, da zwischen 2011 und 2015 bundesweit etwa 1000 Konzessionsverträge in diesem Bereich auslaufen. Hierbei wird der Trend zu Rekommunalisierung deutlich, insbesondere um verlorengegangenen energiepolitischen Einfluss und einnahmepolitische Handlungsspielräume wiederzugewinnen.[9] Ein Beispiel, um einen Betrieb der Daseinsvorsorge wieder komplett zu rekommunalisieren, sind die Berliner Wasserbetriebe AöR, die seit 1999 teilprivatisiert sind. Am 13. Februar gab es in Berlin einen erfolgreichen Volksentscheid über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB). Befürworter des Volksentscheids sahen darin einen Schritt, die BWB wieder komplett zu verstaatlichen.[10]
Siehe auch
- Das Thema ist eng verknüpft mit dem entgegengesetzten Vorgang Privatisierung. Siehe dort insbesondere die Abschnitte:
*Ziele der Privatisierung (Gründe gegen Rekommunalisierung) *Privatisierung in der Diskussion *Literatur
Einzelnachweise
- ↑ Hamburg: Beust bedauert Verkauf der HEW an Vattenfall. SPIEGEL ONLINE, 12. Juli 2010, abgerufen am 21. November 2010.
- ↑ Privatisierungen: „Kein Tafelsilber, sondern Essbesteck“. 4. August 2010, auf der Webseite des Deutschen Städte und Geeindebundes.
- ↑ EuGH-Urteile erzwingen Rekommunalisierung - oder Komplettverkauf. Wasser in Bürgerhand!, abgerufen am 20. August 2009.
- ↑ In: Taylor Wessing Newsletter aufgerufen am 1. Dezember 2010.
- ↑ Rekommunalisierung als Stabilisator der Wirtschaft. City Innovations Review, abgerufen am 20. August 2009.
- ↑ Pressemitteilung: Stadtrat stimmt dem Kauf der GESO-Energieholding zu. Stadt Dresden, abgerufen am 19. März 2010.
- ↑ Himmelstoß Gerhard und Entsfellner, Martin in: Geschäftsbericht 2008, Steuerlicher Querverbund nun gesetzlich verankert. Abgerufen am 4. Dezember 2010.
- ↑ Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand 23. Juni 2010, auf der Webseite: "Rechtslupe - Nachrichten aus Recht und Steuern"
- ↑ Dr. Christof Schorsch, Jessica Faber: Rekommunalisierung der Energieversorgung – Chancen und Risiken. demo-online.de, 4. Februar 2010, abgerufen am 21. November 2010.
- ↑ Joachim Fahrun, Daniel Müller: Die Wasserkrieger und das blaue Wunder. Volksentscheid. In: Berliner Morgenpost Online. Axel Springer Verlag, 13. Februar 2011, archiviert vom am 13. Februar 2011; abgerufen am 13. Februar 2011.
Weblinks
- Alles muss raus. DIE ZEIT, 22. Juni 2006, abgerufen am 20. August 2009.
- Rekommunalisierung der Abfallwirtschaft statt Privatisierung und interkommunale Kooperation statt Kirchturmdenken: Besser und billiger unter kommunalen Dach! European Public Sector Award, abgerufen am 20. August 2009.
- Privatisierung. ver.di Bildung + Beratung, abgerufen am 20. August 2009.
- Trend zur Rekommunalisierung. LDB Beratungsgesellschaft Berlin, abgerufen am 20. August 2009.
- PPP-Inhouse- und Ausschreibungswettbewerb. EWeRK - Institut, Humboldt-Universität Berlin, abgerufen am 20. August 2009.
- Rechtsprechung des EuGH zum Vergaberecht im Jahr 2005: Auswirkungen auf die Vergabepraxis. Der Senator für Wirtschaft und Häfen Bremen, abgerufen am 20. August 2009.