Langzeitpotenzierung

an Synapsen von Nervenzellen beobachtetes Phänomen
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Die Langzeit-Potenzierung (eng: long-term potentiation, LTP), beschreibt einen zellulären Mechanismus, der für die synaptische Plastizität verantwortlich ist und erstmals mit der Hebb'schen Lernregel durch Donald Hebb 1949 postuliert wurde.

LTP und Lernen

Aus der Sicht unseres Gehirns betrachtet, besteht für erlernte Fähigkeiten ein morphologisches Korrelat in Form eines Netzwerkes synaptischer Verbindungen. Ensteht beispielsweise im Assoziationskortex die Idee, ein Wort auszusprechen, so wird dies spezielle Netzwerk aktiviert und entsendet ein charakteristisches Muster von Aktionspotenzialen. Über weitere Verschaltungen ergibt sich daraus eine hoch differenzierte, in Zeit und Kraft kontrollierte Kontraktion verschiedener Muskelgruppen - das Aussprechen des Wortes. Um neue Wörter oder Fähigkeiten zu erlernen oder zu verbessern werden durch Aktivierung und Training ständig neue Verschaltungen angelegt und alte, nicht mehr verwendete Verschaltungen aufgehoben. Diese Umbauprozesse bezeichnet man als synaptische Plastizität. Auf Ebene der Neurone ist Lernen also nichts anderes als die aktivitätsabhängigen Veränderungen von Verschaltungsmustern und Funktionsabläufen. Um diese aktivitätsabhängigen Veränderungen (Lernen) zu realisieren besitzen Neurone verschiedene Mechanismen, die mehr oder weniger stark in verschiedenen Neuroen der einzelnen Kortex-Areale ausgebildet sein können:

  • Presynaptische Verstärkung (presynptic enhanceement = facilitation)
  • Posttetanische Potenzierung
  • Synaptische Depression
  • sowie Langzeit-Potenzierung (LTP)

Wobei dem letztgenannten Stichwort die größte Bedeutung zukommt. LTP beschreibt einen Mechanismus, wie synaptische Verbindungen durch kooperative, gleichzeitige Aktivität zweier Neurone verstärkt werden können.

LTP in der Entwicklung des Nervensystems

Während der Embryonalentwicklung werden wesentlich mehr neuronale Verschaltungen angelegt, als letztendlich bis zum erwachsenen Menschen überleben werden. Ungefähr ein Drittel aller Neurone geht wärend der Entwicklung zu Grunde. Diese Redundanz ist sinnvoll, da zwischen den Neuronen eine Art Wettkampf entsteht, den nur die Nervenzellen überleben, die Verbindungen zu den richtigen Zielen im Gehirn aufbauen (zum Beispiel müssen Axone vom primären motorischen Kortex zu Motorneuronen im Rückenmark projezieren). Fehlgeleitete Neurone sterben ab. Dies geschieht durch spezielle Chemokine. Weiterhin überleben von den richtig geleiteten Neuronen nur diejenigen, die die stabilsten synaptischen Verbindungen besitzen. Stabile Verbindungen werden dabei gestärkt, dies geschieht durch LTP, während schwache Verbindungen entkoppelt werden, dies geschieht durch Langzeit-Depression (LTD)

Zellulärer Mechanismus

In vielen Bereichen des Gehirns, u.a. im Kortex, der Amygdala, dem Kleinhirn (Cerebellum) und im Hippocampus kommen glutamaterge Synapsen vor, die einige besondere Merkmale aufweisen. Wichtigstes Merkmal ist das Vorhandensein von AMPA-Rezeptoren sowie N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren (NMDA-Rezeptor). Letzterer hebt sich von den anderen ionotropen Glutamat-Rezeptoren dadurch ab, dass er zum einen eine sehr große Leitfähigkeit für Calcium-Ionen aufweist, zum anderen bei hyperpolarisierter Membran von außen durch ein Magnesium-Ion verschlossen ist. Bei der LTP kommt es zu folgenden Ereignissen an der Synapse:

  1. Erregung der postsynaptischen Membran durch Glutamat führt zu dessen Depolarisation durch die AMPA, es entsteht ein Erregendes Postsynaptisches Potenzial (EPSP).
  2. Nur hochfrequente wiederholte Depolarisation (25-200Hz) oder gleichzeitige Depolarisation durch mehrere konvergierende, koinzidierende Synapsen führt zur Ladungsabstoßung des Mg-Ions auf dem NMDA-Rezeptor und zu dessen Öffnung. Dies bewirkt einen Calcium-Influx in die Postsynapse und zu erhöhter intrazellulärer Ca-Konzentration.
  3. Calcium aktiviert die Proteinkinase C sowie Ca/Calmodulin-abhänige Kinasen (ohne CaMKII keine LTP).
    1. Dies führt zu verstärktem Einbau von AMPA- und Kainat-Rezeptoren (beide Glutamatrezeptoren) und auf diesem Wege zur Sensitivierung der postsynaptischen Membran für Glutamat, und
    2. zur Expression von NO-Synthase, dem Enzym, das aus Arginin Sticksoffmonoxid (NO) freisetzt.
  4. NO diffundiert leicht durch die Zellmembranen und erregt retrograd die präsynaptische Membran. Folge ist eine verstärkte Glutamatausschüttung und eine stärkere Aktivierung der sensitivierten Postsynapse.

Interessantes zu LTP

Auf diesem Weg entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf (feed-forward-loop). Da diese Verstärkung sehr lange anhalten kann bezeichnet man sie als LTP. Aus lerntheoretischer Sicht sind folgende Punkte interessant:

  • NMDA-Rezeptoren sind Koinzidenz-Rezeptoren, das bedeutet, LTP entsteht verstärkt bei synchronisiertem Feuern mehrerer Neurone. Zum Beispiel im Schlaf beobachtet man eine starke Synchronisation von Nervenzellverbänden. Der Papez-Kreis ist eine Verkettung von Neuronen, die an der Einspeicherung von Informationen beteiligt sein soll.
  • NMDA-Neurone werden durch Das Aufsteigende Retikuläre Aktivierende System (ARAS) modifiziert. Die Transmitter Noradrenalin (aus dem Locus coeruleus), Serotonin (aus den Raphekernen), Acetylcholin (aus dem Ncl. basalis von Meynert) und Dopamin (aus der Substantia nigra vermitteln über die Stimulation ihrer Rezeptoren das Verschließen von Kalium-Kanälen und bewirken eine Hyperpolarisation. Hyperpolarisierte Zellen reagieren Empfindlicher auf die Glutamat-Reizung. Aufmerksamkeit spielt somit eine große Rolle bei Lernprozessen.
  • Eine schwache Aktivierung der NMDA-Synapsen führt nur zu einem leichten Anstieg der Ca-Konzentration intrazellulär. Dies bewirkt genau das Gegenteil der LTP, nämlich die Langzeit-Depression (LTD).

Literatur

  • Neuroscience Including Sylvius, Purves et al., 3. Auflage 2004, Sinauer Verlag, ISBN 0878937250
  • Blair HT, Schafe GE, Bauer EP, Rodrigues SM, and LeDoux JE. Synaptic plasticity in the lateral amygdala: a cellular hypothesis of fear conditioning. Learn Mem 8: 229–242, 2001.[Free Full Text]