Rinderpest

ausgerottete Tierseuche
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Die Rinderpest ist eine anzeigepflichtige Tierseuche, die Rinder, andere Wiederkäuer und weitere Paarhufer wie Flusspferde und einige asiatische Hausschweinrassen befallen kann.[1] Die Virusinfektion führt bei erkrankten Tieren zunächst zu hochgradigen Entzündungen der Schleimhäute im Kopfbereich, gefolgt von einem schweren Durchfall, der in 80 bis 90 % der Fälle tödlich verlaufen kann.

Rinderpest-Ausbruch in Südafrika, 1896

Die schweren Verluste durch die Rinderpest waren Anlass für die Gründung der ersten tierärztlichen Ausbildungsstätten. Dank seuchenhygienischer Maßnahmen trat die Krankheit in Deutschland zuletzt 1881 auf, der letzte Ausbruch in Europa war 1954 in Italien. Die letzten Ausbrüche waren in Afrika zu verzeichnen. Am 15. Oktober 2010 teilte der Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) mit, dass die Rinderpest ausgerottet werden konnte.[2] Dies ist nach den Pocken das zweite Mal in der Geschichte, dass es gelungen ist, eine Infektionskrankheit zu tilgen.[3]

Geschichte

 
Niederländische Darstellung der Rinderpest aus dem 18. Jahrhundert

Die Viruserkrankung wurde schon vor 3000 Jahren in einem Papyrus beschrieben und stammt ursprünglich aus Asien. Sie wurde während der Völkerwanderungen 376 bis 386 von den Hunnen und später wieder von den Mongolen nach Europa eingeschleppt. Sie führten zu ihrer Versorgung asiatische graue Steppenrinder mit sich, die wenig anfällig für die Rinderpestviren waren und diese über Monate ausschieden.[4] Der Krankheit fielen in Europa zwischen 1740 und 1760 etwa 200 Millionen Rinder zum Opfer, was zu einem nahezu vollständigen Verlust der europäischen Rinderbestände führte (zum Vergleich: 1993 gab es in der ganzen EG nur etwa 85 Millionen Rinder). 1712 verfasste Bernardino Ramazzini von der Universität Padua die älteste überlieferte präzise Beschreibung der Erkrankung, auf deren Grundlage der päpstliche Leibmedikus Giovanni Maria Lancisi Bekämpfungsmaßnahmen entwickelte.[4] Die Bedrohung durch die Rinderpest war der Anlass, 1762 in Lyon die erste Ausbildungsstätte für Veterinärmediziner zu gründen.[5]

 
Bernardino Ramazzini (1633–1714)

1887 brachte die italienische Armee die Seuche mit indischen Rindern nach Äthiopien, von wo aus sich eine Panzootie über ganz Afrika ausbreitete. 80–90 % aller Rinder starben im subsaharischen Afrika an der Seuche, darüber hinaus gab es große Verluste bei Antilopen, Giraffen und Büffeln.[1] In der Folge vermehrte sich in dem aufkommenden Buschwerk die Tsetsefliege und infizierte die Bevölkerung mit der Schlafkrankheit. Ein Drittel aller Äthiopier und zwei Drittel der tansanischen Massai starben an den Folgen der Hungersnöte, in den Nachbarländern starben ebenfalls Millionen Menschen.[6] Während die Rinderpest um 1900 im südlichen Afrika wieder zum Erliegen kam, gab es nördlich des Äquators bis in die jüngste Zeit immer wieder Ausbrüche.[1]

Die letzten großen Ausbrüche in Europa traten 1913 während des zweiten Balkankrieges in Bulgarien und 1920 in Belgien auf. Dem belgischen Ausbruch fielen aufgrund aufwändiger seuchenhygienischer Maßnahmen aber nur noch 2000 Rinder zum Opfer. Er war auf eine Herde infizierter Zebus zurückzuführen, die auf dem Weg von Indien nach Brasilien in der Hafenstadt Antwerpen erkrankt waren. Unter dem Eindruck dieses Seuchenausbruchs gründete der Völkerbund das Office International des Epizooties (OIE), das als Weltorganisation für Tiergesundheit bis heute besteht.[5]

Noch in den 1980er Jahren kam es in Nigeria zu Ausbrüchen. 1993 war der Erreger noch in Somalia, Äthiopien, Jemen und Pakistan weit verbreitet. Im Nahen Osten gab es bis in die 1990er Jahre immer wieder Ausbrüche durch aus Nordafrika und vom indischen Subkontinent importierte Rinder. In der Türkei kam es im September 1991 zu einem schweren Seuchenzug mit 2700 gestorbenen Rindern. Durch 12.000 Schlachtungen und die Impfung von 12,5 Millionen Rindern konnte die Epizootie aber nach vier Monaten wieder eingedämmt werden.[1]

1994 lancierten OIE und FAO eine globale Initiative zur Ausrottung der Rinderpest, bestehend aus flächendeckenden Impfkampagnen, Keulungen und Monitoring der Rinder- und Wildtierpopulationen in den Enzootiegebieten. Die EU beteiligte sich mit dem PARC-Programm (Pan African Rinderpest Campaign). In Indien trat der letzte Fall 1995 auf, in Pakistan 2000; danach galt Asien als frei von Rinderpest. Der letzte Ausbruch beim Hausrind trat 2001 in Kenia auf; bei Wildtieren verschwanden die letzten Naturherde im Grenzgebiet zwischen Somalia, Äthiopien und Kenia im Jahr 2007. Der Erreger existiert allerdings noch in einer Reihe von Forschungslabors. Die OIE will bis Mitte 2011 eine Liste vorlegen, in welchen Staaten das Virus noch für Forschungszwecke aufbewahrt wird.[3] OIE und FAO werden die Krankheit voraussichtlich im Juni 2011 in einer gemeinsamen Erklärung formell für ausgerottet erklären.[7]

Erreger

 
Rinderpestvirus unter dem Elektronenmikroskop

Das Rinderpestvirus ist ein Erreger aus der Gattung der Morbilliviren und befällt bevorzugt Epithelzellen und Lymphozyten. Es ist eng verwandt mit dem Masern- und dem Hundestaupevirus und wird als Vorgängervirus des Masernvirus angesehen.[8] Der Erreger kann bis zu fünf Monaten im Heu, Stroh oder in der Erde überleben, wird in Dung oder Stallanlagen aber durch Fäulnisprozesse innerhalb von 24 Stunden inaktiviert.

Epizootiologie

Ein bis zwei Tage vor den ersten Symptomen beginnt die Virusausscheidung durch das Nasensekret. Nach Ausbruch der Krankheit sind während etwa einer Woche alle Sekrete und Exkrete infektiös, danach nimmt die Virusausscheidung aufgrund der einsetzenden spezifischen Immunantwort rapide ab. Die Übertragung erfolgt durch direkten oder engen indirekten Kontakt, wobei das Virus über die Mandeln in den Körper eindringt. Das Virus verfolgt keine Infect and persist-Strategie,[9] infizierte Tiere sterben entweder oder können das Virus durch eine Immunreaktion eliminieren. Allerdings kann die Infektion in Enzootiegebieten auch subklinisch (unterschwellig) verlaufen, so dass klinisch normale Tiere in solchen Gebieten das Virus für einige Zeit ausscheiden können, ohne selbst an Rinderpest zu erkranken.[4]

Pathogenese

Das Virus vermehrt sich nach der Infektion in den Rachenmandeln und verbreitet sich über das lymphatische System im ganzen Körper. Danach dringt es durch die Blutbahn in die Schleimhäute des Atem- und Verdauungstrakts ein und zerstört die Epithelzellen. Diese durch das Virus verursachten Schäden führen zu Erosionen und Nekrosen der Schleimhäute des Mauls, des Verdauungstrakts sowie der oberen Atemwege; es kommt zu Blutungen in den Darm, Schwellungen und Nekrosen des Lymphsystem des Darms und durch die Zerstörung des Epithels auch zu bakteriellen Sekundärinfektionen.[9] Letztere werden auch durch virusbedingten Zerstörung der B- und T-Lymphozyten und damit der Schwächung der Immunabwehr begünstigt.[1]

Klinisches Bild

 
Erosionen der Maulschleimhaut bei Rinderpest
 
Eitrige Konjunktivitis durch Rinderpest

Die Inkubationszeit beträgt 3 bis 15 Tage.

Die Krankheit beginnt bei Rindern und Büffeln mit einem Prodromalstadium, das durch hohes Fieber (bis 42 °C), Appetitlosigkeit und allgemeine Schwäche gekennzeichnet ist. Ein bis zwei Tage später zeigen die befallenen Tiere Anschwellungen der Schleimhäute sowie Augen- und Nasenausfluss. Innerhalb von zwei bis drei Tagen kommt es zu Erosionen der Schleimhaut im Maulbereich, die sich durch Fibrinabsonderung schnell zu käsigen Plaques („Pseudomembranen“) vergrößern. Der Augen- und Nasenausfluss wird wegen Sekundärinfektionen schleimig-eitrig (mukopurulent) bis eitrig; das Flotzmaul erscheint trocken und schrundig. In diesem Stadium tritt wegen der Schädigung der Darmschleimhaut durch das Virus nun auch starker, wässrig-schleimig-blutiger Durchfall auf. Die Tiere haben starke Bauchschmerzen, Durst und Atemprobleme und sterben in der Regel nach vier bis sieben Tagen an Austrocknung.[9] Bei perakuten Verläufen können Todesfälle bereits nach 2–3 Tagen ohne Schleimhautveränderungen auftreten.[1]

Bei Schafen und Ziegen können akute und subakute, aber auch latente Verläufe auftreten. Die Symptome ähneln denen bei Rindern, die Krankheit verläuft aber meistens schneller und oft auch ohne Erosionen der Maulschleimhaut. Bei akuten Infektionen stehen Atemwegsprobleme im Vordergrund (Nasenausfluss und Lungenentzündungen mit Husten). Sie enden entweder nach etwa einer Woche tödlich oder die Tiere erholen sich binnen zwei Wochen. Subakute Verläufe sind bei Schafen und Ziegen am häufigsten und sind durch Fieberschübe ohne sonstige Symptome gekennzeichnet.[1]

Erkrankungen von Hausschweinen treten nur bei asiatischen Schweinerassen auf. Sie ähneln denen bei Rindern. Akute Verläufe sind durch Schleimhauterosionen, blutigen Durchfall und Nasenausfluss, Erbrechen und Aborte gekennzeichnet. Subakute Infektionen mit Fieber, Appetitlosigkeit und vorübergehenden Hautreaktionen können ebenfalls auftreten.[1]

Überlebt ein Tier die Infektion, bleibt es lebenslang gegen Rinderpest immun. Die Rekonvaleszenz geschieht nur langsam und kann durch Sekundärinfektionen und die durch das Virus verursachte Immunschwäche kompliziert werden. In den Enzootiegebieten ist die Morbidität und Letalität gering, bei einer Epizootie in einem Rinderbestand, der bisher keinen Kontakt mit dem Virus hatte, können dagegen alle Tiere erkranken und bis zu 90 % sterben.[9] So war die Mortalität in Asien niedrig, in Afrika, wo die Rinderpest zwischen 1889 und 1896 grassierte, dagegen hoch, weil sich unter den dort lebenden Rinderrassen kaum genetisch fixierte Abwehrmechanismen hatten herausbilden können.

Pathologie

Pathologisch-anatomisch fallen vor allem Krusten und Erosionen der Maulschleimhaut auf, die sich bis in die Speiseröhre erstrecken können. Die Vormägen sind selten betroffen, gelegentlich zeigen sich Erosionen im Bereich der Pansenpfeiler. Der Pylorus des Labmagens zeigt häufig blutige Erosionen und nekrotische Herde. Der Dünndarm kann ebenfalls solche Veränderungen zeigen, aber meist geringer ausgeprägt. Die Peyer-Platten sind geschwollen und zeigen Blutungen und Nekroseherde. Am Dickdarm sind die Veränderungen am stärksten, hier finden sich streifenförmige Veränderungen, die durch stark erweiterte und blutgefüllte Kapillaren in der Lamina propria der Schleimhautfalten entstehen („Zebrastreifen“), sowie blutende Schleimhauterosionen. Die Leber kann Stauungserscheinungen zeigen. In der Gallen- und Harnblase finden sich häufig Blutungen. Die Lymphknoten der Bauchhöhle sind geschwollen und ödematös. Die Nasenmuscheln sind geschwollen, weisen Petechien und teilweise Erosionen auf. Die Lungen sind bei Rindern häufig unverändert, bei Schafen und Ziegen findet sich dagegen häufig eine Bronchopneumonie.[1]

Diagnose

In Enzootiegebieten sind die klinischen Erscheinungen für eine Verdachtsdiagnose normalerweise ausreichend; ebenso während Ausbrüchen in normalerweise nicht betroffenen Populationen, sofern das Virus in diesen nachgewiesen werden konnte. Der indirekte Nachweis einer Rinderpest-Infektion geschieht durch den Nachweis spezifischer Antikörper in befallenen Tieren mittels ELISA, der auch als Schnelltest verfügbar ist. Proben sollen bevorzugt vor dem Einsetzen von Durchfall entnommen werden. Geeignete Gewebe sind Blut, Lymphgewebe, Milz und Darm, die bei 4°C oder auf Eis ins Labor transportiert werden sollen.[9] Eine PCR kann zum direkten Virusnachweis und zur genauen Genomanalyse durchgeführt werden und erlaubt auch Rückschlüsse auf die Herkunft des Erregers. Weitere Möglichkeiten sind der elektronenmikroskopische Nachweis des Erregers, Immunfluoreszenztest, Immunhistochemie (Peroxidase), Agar-Gel-Immunodiffusion, Immunelektrophorese und passive Hämagglutination.[1] Die Rinderpest gehört zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen, die endgültige Diagnose wird durch den Amtstierarzt gestellt, der auch entsprechende Schutz- und Bekämpfungsmaßnahmen einleitet.

Als Differenzialdiagnosen kommen BVD/MD, Küstenfieber, Maul- und Klauenseuche, Infektiöse Bovine Rhinotracheitis, Vesikulärstomatitis und Bösartiges Katarrhalfieber in Frage.[9] Bei Schafen und Ziegen muss auch die Pest der kleinen Wiederkäuer in Betracht gezogen werden.

Behandlung und Vorbeugung

Die Rinderpest kann nur symptomatisch behandelt werden, was nur bei wertvollen Tieren sinnvoll sein kann. Gegen den Flüssigkeitsverlust werden Infusionen eingesetzt, die Sekundärinfektionen können mit Antibiotika behandelt werden. Vorbeugend ist eine Schutzimpfung möglich, bei der allen über einjährigen Rindern und domestizierten Wasserbüffeln ein Lebendimpfstoff verabreicht wird. Die einmalige Impfung hinterlässt eine sehr lange Immunität von über elf Jahren, die maternale Immunität (Immunität durch Antikörper der Mutter) bei Kälbern von geimpften oder durch Infektion immunisierten Tieren dauert 6 bis 11 Monate.[9]

Der erste breit eingesetzte Impfstoff wurde in den 1960er Jahren vom Briten Walter Plowright entwickelt.[10] In den 1980er Jahren kam ein Impfstoff aus abgeschwächten Viren zum Einsatz, der hitzestabil und damit für tropische Länder besonders gut geeignet war. Allerdings kann im Antikörper-Test nachträglich nicht mehr zwischen infizierten und geimpften Tieren unterschieden werden, weshalb Massenimpfungen heute nicht mehr durchgeführt werden.[3] Bei einem erneuten Ausbruch der Rinderpest bestünde die Bekämpfungsstrategie aus der Keulung erkrankter und exponierter Tiere, strikter Quarantäne, Desinfektionsmaßnahmen und eventuell punktuellen Impfkampagnen.[9]

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Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j J. Anderson (Hrsg.): Manual on the diagnosis of rinderpest. Food & Agriculture Org. 2. Aufl. 1996, ISBN 9789251038147
  2. D. Normile: Rinderpest, deadly for cattle, joins smallpox as a vanquished disease. In: Science (New York, N.Y.) Band 330, Nummer 6003, Oktober 2010, S. 435, ISSN 1095-9203. doi:10.1126/science.330.6003.435. PMID 20966223.
  3. a b c N. Gilbert: Cattle disease faces total wipeout. In: Nature Band 462, Nummer 7274, Dezember 2009, S. 709, ISSN 1476-4687. doi:10.1038/462709a. PMID 20010659.
  4. a b c Peter Roeder, Karl Rich: The global effort to eradicate rinderpest. Intl Food Policy Res Inst 2009.
  5. a b Geschichte der OIE auf der OIE-Webseite (abgerufen am 7. Februar 2011)
  6. Endspiel für den Killervirus in Der Spiegel vom 12. Juli 2001, S. 130/131
  7. Anonym: Rinderpest eradication: official declaration moves closer. In: The Veterinary record Band 167, Nummer 17, Oktober 2010, S. 633, ISSN 0042-4900. doi:10.1136/vr.c5899. PMID 21257453.
  8. Furuse Y, Suzuki A, Oshitani H. Origin of measles virus: divergence from rinderpest virus between the 11th and 12th centuries. Virol J. 2010 Mar 4;7:52. PMID 20202190
  9. a b c d e f g h Rinderpest. In: The Merck Veterinary Manual, 9. Auflage, Whitehouse Station, NJ, USA, 2005, ISBN 0-911910-50-6, S. 619 f.
  10. D. Robertshaw: Credit to Plowright for rinderpest eradication. In: Science (New York, N.Y.) Band 330, Nummer 6010, Dezember 2010, S. 1477, ISSN 1095-9203. doi:10.1126/science.330.6010.1477-a. PMID 21148375.