Revisionismus

Versuche zur Veränderung allgemein anerkannter Erkenntnisse und Positionen
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. August 2005 um 19:12 Uhr durch St.Krekeler (Diskussion | Beiträge) (Geschichtsrevisionismus bezüglich [[Nationalsozialismus]] und [[Holocaust]]). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Begriff Revisionismus (vom lateinischen: re wieder; videre durchsehen) bezeichnet verschiedene Versuche, eine als allgemein anerkannt geltende historische, politische oder wissenschaftliche Erkenntnis und Position zu verlassen, anders zu bestimmen oder umzudeuten. Meist wird der Begriff von Gegnern solcher "Revision" verwendet, während ihre Befürworter sie als neue Betrachtungsweise verstanden wissen wollen. Der Begriff kann je nach Zusammenhang unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Bedeutungen annehmen.

Sozialdemokratischer Revisionismus

Als Revisionismus bezeichneten führende Theoretiker und Politiker der Sozialdemokratie in Deutschland ab 1899 Positionen innerhalb der SPD, die von deren bis dahin vereinbarten Zielen abwichen und deren Realisierung aufgaben. Hauptvertreter dieser Richtung war Eduard Bernstein, der den praktischen Teil des Erfurter Programms der SPD von 1890 verfasst hatte. Er trat nun mit der These hervor, dass die bisherige Ausrichtung auf Klassenkampf und Abschaffung des Kapitalismus durch die Realität überholt sei. Dieser habe sich als krisenfest und anpassungsfähig erwiesen, so dass die SPD nur im Rahmen der bestehenden Produktionsweise durch Reformen Verbesserungen für die Arbeiter im Sinne einer allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse erreichen könne ("Der Weg ist mir alles, das Ziel ist mir nichts").

Diese Position wurde damals sowohl von der Parteilinken, vertreten u.a. von Rosa Luxemburg, als auch vom marxistischen "Zentrum", vertreten von Karl Kautzky und der Parteiführung unter August Bebel zurückgewiesen. In der Alltagspraxis verfolgte die Mehrheit der SPD jedoch einen Kurs, der heute als Realpolitik bezeichnet wird: Sie versuchte, durch Kompromisse mit der Monarchie Anerkennung bei den Eliten des Kaiserreichs zu finden. Im August 1914 gab sie ihre bis dahin vehement vertretene Ablehnung des Krieges innerhalb weniger Tage auf und trug die Kriegsentscheidung des Reichtags in Form der Zustimmung zu den Kriegskrediten geschlossen und für die ganze Dauer des 1. Weltkriegs mit.

Die Systemopposition wurde also hier tatsächlich "revidiert", auch wenn sie in der Theorie und im Programm noch festgehalten wurde. Das Abweichen vom ursprünglichen Kurs wurde als "moderate", pragmatische und realitätsnahe Herangehensweise mehrheitsfähig, so dass das Festhalten am ursprünglichen Kurs als "extreme", "radikale", unrealistische und unmoderne Minderheitsmeinung erschien.

Dieses Verlassen des Vorkriegskurses begriff die linke Minderheit als "Verrat" des Parteiziels, den aber anfangs nur sehr wenige praktisch bekämpften. Der Flügelstreit in der Partei nahm während des Krieges erst wieder zu, als hohe Kriegsopfer, die russische Februarrevolution, Massenstreiks und der Kriegseintritt der USA die innenpolitische Lage verändert hatten. So kam es 1917 zur Parteispaltung in USPD und MSPD. Im Verlauf der Novemberrevolution spaltete sich die Linke ihrerseits nochmals, indem sich die KPD neu gründete. Diese beanspruchte, als einzige politische Kraft der deutschen Arbeiterbewegung nicht "revisionistisch" zu sein.

Die Kommunisten nutzten den Begriff sodann zur ideologischen Abgrenzung von der Politik der SPD-Regierung unter Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert. "Revisionismus" hieß in der Weimarer Republik für sie brutale Gewalt, seit Wehrminister Gustav Noske mit Hilfe illegaler Milizen (den Freikorps) Arbeiteraufstände und Streiks niederschlagen ließ. Darüberhinaus diente der Begriff der KPdSU zur Abgrenzung von allen Parteien der gescheiterten 2. Internationale und wurde seit etwa 1925 von Stalins Propaganda synonym mit "Sozialfaschismus" verwendet.

Der Vorwurf, die SPD entferne sich von ihren Grundwerten, wurde 1959 erneut vom linken SPD-Flügel aufgegriffen, als die Partei am 15. Nov. 1959 das Godesberger Programm verabschiedete. Mit dieser Revision ihrer Ziele erkannte die Partei nach dem Tod ihres ersten Nachkriegsvorsitzenden Kurt Schumacher die soziale Marktwirtschaft an und vollzog den Schritt von einer Klientel-Partei der Arbeiterschaft zur Volkspartei, die auch für bürgerliche Schichten wählbar sein wollte.

Staatskommunistischer Revisionismus

Infolge des 20. Parteitag der KPdSU 1956, auf dem Chrustschow eine "Entstalinisierung" der Sowjetunion versprach, kam es zum Bruch mit der Volksrepublik China. Deren Führer Mao Tsetung bezeichnete die sowjetische Staatsideologie nun ebenfalls als "Revisionismus", die sich von den ursprünglichen Zielen von Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin und Stalin abgewandt habe. Er wendete also die bis dahin gültige Grenzlinie zu allen sozialdemokratischen und reformistischen Ansätzen gegen die sowjetische Machtzentrale selbst. Diese verstand ihre bedingte Abwendung von Stalin jedoch als Rückkehr zu den "wahren" kommunistischen Zielvorstellungen Lenins, der eine Demokratisierung nach erfolgreicher Sozialisierung der Produktionsverhältnisse in Russland in Aussicht gestellt hatte.

Zu dieser Demokratisierung kam es jedoch damals nicht; dies wurde mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im selben Jahr offenkundig. Daraufhin übernahmen Teile der deutschen "Neuen Linken" die chinesische Sprachregelung. Rudi Dutschke etwa bezeichnete den Staatskommunismus stets als "Revisionismus", wobei er wiederum das chinesische System in diese Kritik einschloss. Für ihn waren diese "real existierenden" Systeme kein Sozialismus und Kommunismus, auch nicht auf dem Weg dorthin oder seine spätere "Entartung", sondern verhinderten diesen strukturell ebenso wie der westliche "Spätkapitalismus" und "Imperialismus".

Geschichtsrevisionismus bezüglich Nationalsozialismus und Holocaust

Mit "Revisionismus" bezeichnet man seit dem Historikerstreit von 1986 das Bestreben, die von Staat und etablierter historischer Wissenschaft festgestellten Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, zu verharmlosen und in andere Zusammenhänge einzuordnen.

Ziel des Geschichtsrevisionismus ist die direkte oder indirekte Holocaustleugnung und Verschiebung der deutschen Kriegsschuld am 2. Weltkrieg auf außerdeutsche Ursachen. Meist werden Relativieren und Leugnen des Holocaust in diesem Begriff zusammengefasst.

Zu den direkten Holocaustleugnern gehören u.a. Ernst Zündel in Kanada, Fred A. Leuchter in USA, David Irving in Großbritannien und der Diplom-Chemiker Germar Rudolf, ehemals Doktorand des Stuttgarter Max-Planck-Instituts. Als Zentralen des Revisionismus gelten das Institute for Historical Review in Kalifornien, USA, sowie das Institut Vrij Historisch Onderzoek (VHO , "Freie Historische Untersuchung") in Antwerpen, Belgien.

Ursprünglich selbst Anhänger des Holocaustleugners Robert Faurisson, führte der Pharmazeut Jean-Claude Pressac Untersuchungen in Auschwitz durch, um revisionistische Behauptungen zu untermauern. Mit korrekten wissenschaftlichen Methoden kam er jedoch zu einer bis dahin unerreicht exakten Erklärung der Vergasungstechnik, die die "Auschwitzlüge" vollständig widerlegte. Er legte seinen Revisionismus dabei ab. Seine Erkenntnisse werden jedoch teilweise in die "Beweisführung" von Holocaustleugnern eingebaut und umgedeutet, so dass er diese wiederum zu stützen scheint.

Seriöse etablierte Historiker weigern sich bis heute oft, überhaupt auf die Behauptungen der Revisionisten zu reagieren. Man will ihre Thesen nicht mit Gegenschriften als Teil eines "wissenschaftlichen Diskurses" hoffähig machen und sich nicht auf die Verhöhnung der Holocaustopfer einlassen. In letzter Zeit haben sich jedoch auch Holocaustexperten wie Wolfgang Benz der gezielten Widerlegung von Holocaustleugnern gewidmet, um deren Thesen nicht für den Laien unwidersprochen stehen zu lassen.

Zu den indirekten Holocaustleugnern muss seit 1986 auch Ernst Nolte gezählt werden, der die Vernichtungslager der Nationalsozialisten als Reaktion auf die Arbeitslager Stalins und den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 als Abwehrmaßnahme Adolf Hitlers deuten will. Er bestreitet damit die alleinige deutsche Kriegsschuld und relativiert so auch die deutschen NS-Verbrechen, indem er sie als zufällige Folge des von außen aufgenötigten Krieges umdeutet. Auch bewertete er die Bereitschaft des Vorsitzenden der "Jewish Agency" Chaim Weizman, an der Seite Englands gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen, als Kriegserklärung der Juden an das Deutsche Reich und stellte die mit Kriegsbeginn eskalierende Judenverfolgung des NS-Regimes als "Gegenmaßnahme" dar. Dieser Revisionismus findet weit über rechtsextreme Gruppen hinaus in der sogenannten "Neuen Rechten" Zustimmung.

Dort sehen Historiker wie Alexander Ruoff einen "Diskurs des völkischen Nationalismus, in dem nicht Auschwitz selbst, sondern die Bedeutung dieses Verbrechens für die Bildung einer selbstbewussten Nation geleugnet wird." Ruoff analysierte dazu die Wochenzeitung Junge Freiheit und stellte fest: "Mit dem Konzept der Hegemoniepolitik unternimmt die Neue Rechte den Versuch, gesellschaftliche Akzeptanz für eine völkische Fassung nationaler Selbstvergewisserung zu erreichen, die zum einen auf parteiförmige Organisationsformen wie zum anderen auf die Leugnung der Vernichtung der europäischen Juden verzichtet."

Territorialer Revisionismus

Schließlich bezeichnet Revisionismus in der Geschichte der Politik das Bestreben, bestimmte, häufig in der Folge von Kriegen zu vertraglichem Recht gewordene, Fakten rückgängig zu machen. Hauptsächlich sucht der Revisionismus, bestimmte, zum Territorium eines anderen Landes gehörende, Gebiete als legitimen und ursprünglich eigenen Besitz darzustellen, und deren (Rück)-Erwerb zu erreichen.

  • Mit der Annexion von Elsass-Lothringen 1870/71 bewirkte Deutschland französischen Revisionismus.
  • Die mit dem Ausgang des Ersten Weltkrieges verbundenen Gebietsabtretungen an die Slowakei und Rumänien schürten ungarischen Revisionismus.
  • Das revisionistische Tun der Nationalsozialisten unter Hitler gegen den Versailler Vertrag fand in Deutschland 1933 und davor breiteste Zustimmung.
  • Nach 1945 wurde die Oder-Neiße-Linie, die im Zuge des Potsdamer Abkommens durch die Sieger als polnische Westgrenze festgelegt wurde, von der Bundesrepublik Deutschland lange Jahre nicht anerkannt. Insbesondere die Vertriebenenverbände wollten die Oder-Neiße-Linie auch nach 1970 nicht als deutsche Ostgrenze akzeptieren. Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 wurde die Oder-Neiße-Linie jedoch vom deutschen Bundestag als deutsch-polnische Ostgrenze akzeptiert. Mittlerweile vertritt nur noch eine kleine Minderheit in Deutschland öffentlich ihre revisionistischen Standpunkte. Die folkloristisch anmutenden Vertriebenenverbände haben sich angepaßt und in die Parteien integriert, so dass ihre Anliegen sich mittlerweile reduziert haben auf persönliche Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht, was definitionsgemäß nicht als Revisionismus bezeichnet werden braucht.


Revisionismus im Kontext des Israelisch-Arabischen Konflikts

Während die sozialdemokratische Diskussion den Revisionismus-Begriff als pragmatische und realistische Politik tendenziell positiv besetzte, gewann er im Zusammenhang des Zionismus eine umgekehrte Bedeutung: Hier wurde er für einen starren ideologischen Fundamentalismus verwendet, der sein Programm ohne Rücksicht auf veränderte Umstände intolerant und gewaltbereit durchzusetzen versucht. So lehnte die 1925 gegründete militante Revisionistische Zionistische Allianz in Palästina jegliche Zusammenarbeit sowohl mit der britischen Mandatsregierung als auch mit den benachbarten Arabern radikal ab.

Aber auch wissenschaftliche Angriffe auf eine starre fundamentalistische Geschichtsdeutung wurden als Revisionismus bezeichnet: So galten Mitte der 1990er israelische Historiker wie Benny Morris oder Ilan Pappe in Israel als Revisionisten, weil sie - unabhängig voneinander - die Vertreibung der arabischen Bevölkerung kurz vor der Gründung Israels 1948 untersuchten und die Zerstörung von 418 arabischen Dörfern im heutigen Staatsgebiet Israels belegten. Diese Fakten werden von einigen israelischen Hardlinern bis heute abgestritten oder verharmlost. Die Arbeiten erregten auch international Aufsehen, da die Quellenlage bis dahin kaum erschlossen und das Geschichtsbild auf beiden Seiten propagandistisch gefärbt war.

Siehe : Israelischer Historikerstreit

Revisionismus in US-amerikanischen "Historikerstreits"

Einen wieder ganz anderen Sinn erhielt der Begriff in einem Historikerstreit in den USA über die Rolle der USA im Ersten Weltkrieg: Hier revidierten US-Historiker mit ihren Forschungsergebnissen das bis dahin gültige, einseitig-positive interessengeleitete Geschichtsbild, wonach die USA maßgeblich zum Kriegsende beigetragen und mit dem Völkerbund Europa Friedenschancen eröffnet hätten. Dieser Internationalismus Woodrow Wilsons wurde nun zum Teil als "Fortsetzung des Imperialismus mit anderen Mitteln" begriffen, während bisher gerade der Rückzug der USA aus den Verhandlungen von Versailles als Isolationismus mit negativen Folgen kritisiert wurde.

Literatur

  • Kritisches: Shermer, Michael and Alex Grobman. Denying History : Who Says the Holocaust Never Happened and Why Do They Say It?(University of California Press, 2000).
  • Shermer, Michael. Why People Believe Weird Things: Pseudoscience, Superstition, and Other Confusions of Our Time, chs. 13 and 14¥ (W H Freeman & Co.: 1997).
  • Markus Tiedemann (2000) In Auschwitz wurde niemand vergast 60 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt
  • Alexander Ruoff: Verbiegen, Verdrängen, Beschweigen. ISBN 3-89771-406-X