Polarkoordinaten

Kreiskoordinatensystem
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In der Mathematik und Geodäsie versteht man unter einem Polarkoordinatensystem (auch: Kreiskoordinatensystem) ein zweidimensionales Koordinatensystem, in dem jeder Punkt auf einer Ebene durch einen Winkel und einen Abstand definiert werden kann. In dem vertrauteren kartesischen oder rechtshändigen Koordinatensystem finden sich derartige Beziehungen in Form trigonometrischer Formulierungen.

Ein Polargitter verschiedener Winkel mit Grad-Angaben

Mathematisch ist das Polarkoordinatensystem hilfreich, wenn sich das Verhältnis zwischen zwei Punkten leichter durch Winkel und Abstände beschreiben lässt, als dies mit X- und Y-Koordinaten der Fall wäre. Auf einer allgemeineren Betrachtungsebene stellen Winkel und Abstand hier jeweils eine Generalisierte Koordinate dar. In der Geodäsie sind Polarkoordinaten die häufigste Methode zur Einmessung von Punkten (Polarmethode). In der Funknavigation wird das Prinzip oft als „Rho-Theta“ (für Distanz- und Richtungsmessung) bezeichnet.

In einem zweidimensionalen Koordinatensystem kann jeder Punkt durch zwei Polarkoordinaten beschrieben werden – die Radialkoordinate und die Winkelkoordinate. Die Radialkoordinate (üblicherweise angegeben mit ) bezeichnet den Abstand, den dieser Punkt von einem zentralen Punkt besitzt. Letzterer wird als Pol bezeichnet (gleichbedeutend mit dem Ursprung im Kartesischen System). Die Winkelkoordinate (auch als Polarwinkel oder Azimutwinkel bezeichnet und in der Regel mit θ oder angegeben) gibt den mathematisch positiven oder linksdrehenden, also gegen den Uhrzeigersinn gedrehten Winkel an, den der Punkt von der 0°-Geraden oder Polarachse ausgehend einnimmt (Äquivalent zu der positiven X-Achse in der Kartesischen Koordinatenebene).[1]

Geschichte

Die Begriffe Winkel und Radius wurden bereits von den Menschen des Altertums im ersten Jahrtausend vor Christus verwendet. Der griechische Astronom Hipparchos (190–120 v. Chr.) erstellte eine Tafel von trigonometrischen Sehnenfunktionen, um die Länge der Sehne für die einzelnen Winkel zu finden. Mit Hilfe dieser Grundlage war es ihm möglich, die Polarkoordinaten zu nutzen, um damit die Position bestimmter Sterne festlegen zu können. Sein Werk umfasste jedoch nur einen Teil des Koordinatensystems.[2]

In seiner Abhandlung Über Spiralen beschreibt Archimedes eine Spirallinie mit einer Funktion, deren Radius sich abhängig von seinem Winkel ändert. Die Arbeit des Griechen umfasste jedoch noch kein volles Koordinatensystem.

Es gibt verschiedene Beschreibungen, um das Polarkoordinatensystem als Teil eines formalen Koordinatensystems zu definieren. Die gesamte Historie zu diesem Thema wird in dem Buch Origin of Polar Coordinates (Ursprung der Polarkoordinaten) des Harvard-Professors Julian Coolidge zusammengefasst und erläutert.[3] Demnach führten Grégoire de Saint-Vincent und Bonaventura Cavalieri diese Konzeption unabhängig voneinander in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein. Saint-Vincent schrieb im Jahre 1625 auf privater Basis über dieses Thema und veröffentlichte seine Arbeit 1647, während Cavalieri seine Ausarbeitung 1635 veröffentlichte, wobei eine korrigierte Fassung 1653 erschien. Cavalieri benutzte Polarkoordinaten anfangs, um ein Problem in Bezug auf die Fläche der Archimedischen Spirale zu lösen. Etwas später verwendete Blaise Pascal Polarkoordinaten, um die Länge von parabolischen Winkeln zu berechnen.

In dem Werk Method of Fluxions (Fluxionsmethode) (geschrieben 1671, veröffentlicht 1736) betrachtet Sir Isaac Newton die Transformation zwischen Polarkoordinaten, auf die er sich als "Seventh Manner;For Spirals", (Siebte Methode; Für Spiralen) bezog, und neun anderen Koordinatensystemen.[4]

Es folgte Jacob Bernoulli, der in der Fachzeitschrift Acta Eruditorum (1691) ein System verwendete, das aus einer Geraden und einem Punkt auf dieser Geraden bestand, die er Polarachse bzw. Pol nannte. Die Koordinaten wurden darin durch den Abstand von dem Pol und dem Winkel zu der Polarachse festgelegt. Bernoullis Arbeit reichte bis zu der Formulierung des Krümmungskreises von Kurven, die er durch die genannten Koordinaten ausdrückte.

Der heute gebräuchliche Begriff Polarkoordinaten wurde von Gregorio Fontana schließlich eingeführt und in italienischen Schriften des 18. Jahrhunderts verwendet. Im folgenden übernahm George Peacock im Jahre 1816 diese Bezeichnung in die englische Sprache, als er die Arbeit von Sylvestre Lacroix Differential and Integral Calculus (Differential und Integralberechnung) in seine Sprache übersetzte.[5][6]

Alexis-Claude Clairaut hingegen war der erste, der über Polarkoordinaten in drei Dimensionen nachdachte, deren Entwicklung jedoch erst dem schweizer Mathematiker Leonhard Euler gelang.[3]

Ebene Polarkoordinaten: Kreiskoordinaten

Die Polarkoordinaten eines Punktes in der euklidischen Ebene werden in Bezug auf einen Koordinatenursprung (einen Punkt der Ebene) und eine Richtung (einen im Koordinatenursprung beginnenden Strahl) angegeben.

 

Ebene Polarkoordinaten und ihre Transformation in kartesische Koordinaten

Die Koordinate r, eine Länge, wird als Radius, die Winkelkoordinate   als Azimut bezeichnet.

Umrechnung zwischen Polarkoordinaten und kartesischen Koordinaten

Umrechnung von Polarkoordinaten in kartesische Koordinaten

Wenn man ein kartesisches Koordinatensystem mit gleichem Ursprung wie das Polarkoordinatensystem sowie der x-Achse in der Richtung   wählt, wie in der oberen linken Abbildung dargestellt, so ergibt sich für die kartesischen Koordinaten   und   eines Punktes:

 
 

Umrechnung von kartesischen Koordinaten in Polarkoordinaten

Die Umrechnung von kartesischen Koordinaten in Polarkoordinaten ist etwas schwieriger. Zunächst kann der Radius r mit dem Satz des Pythagoras wie folgt berechnet werden:

 

Bei der Bestimmung des Winkels φ müssen zwei Besonderheiten der Polarkoordinaten berücksichtigt werden:

  1. Für r = 0 ist der Winkel φ nicht eindeutig bestimmt, sondern könnte jeden beliebigen reellen Wert annehmen. Zum Zwecke einer eindeutigen Darstellung wird er jedoch häufig mit 0 definiert. Die nachfolgenden Formeln sind deshalb zur Vereinfachung der Darstellung unter der Voraussetzung r ≠ 0 angegeben.
  2. Für r ≠ 0 ist der Winkel φ nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 2π bestimmt, da die Winkel φ und φ + k·2π (für k aus  ) den gleichen Punkt beschreiben. Zum Zwecke einer eindeutigen Darstellung muss der Winkel φ daher auf ein Intervall der Länge 2π beschränkt werden. Üblicherweise werden dazu je nach Anwendungsgebiet die Intervalle (−π, π] oder [0, 2π) gewählt.
Berechnung des Winkels im Intervall (−π, π]

Mit Hilfe des Arkustangens kann φ wie folgt im Intervall (−π, π] bestimmt werden:

 

Einige Programmiersprachen bieten eine bivariate Arkustangens-Funktion atan2(y,x) an, welche die dargestellten Fallunterscheidungen intern berücksichtigt und den korrekten Wert für φ für beliebige Werte von x und y berechnet.

Mit Hilfe des Arkuskosinus kommt man mit nur zwei Fallunterscheidungen aus:

 

Durch Verwendung der Signum-Funktion kann man eine explizite Fallunterscheidung in der Formel vermeiden:

 

Durch Ausnutzen der Tatsache, dass in einem Kreis ein Mittelpunktswinkel stets doppelt so groß ist wie der zugehörige Umfangswinkel, kann das Argument auch mit Hilfe der Arkustangens-Funktion mit weniger Fallunterscheidungen berechnet werden:

 
Berechnung des Winkels im Intervall [0, 2π)

Die Berechnung des Winkels φ' im Intervall [0, 2π) kann im Prinzip so durchgeführt werden, dass der Winkel zunächst wie vorstehend beschrieben im Intervall (−π, π] berechnet wird und dann um 2π vergrößert wird, falls er negativ ist:

 

Durch Abwandlung der ersten obenstehenden Formel kann φ' wie folgt direkt im Intervall [0, 2π) bestimmt werden:

 

Die Formel mit dem Arkuskosinus kommt auch in diesem Fall mit nur zwei Fallunterscheidungen aus:

 

Funktionaldeterminante

Aus den Umrechnungsformeln von Polarkoordinaten in kartesische Koordinaten erhält man für die Funktionaldeterminante als Determinante der Jacobi-Matrix:

 

Flächenelement

Mit der Funktionaldeterminante ergibt sich für das Flächenelement in Polarkoordinaten:

 

Linienelement

Aus den obigen Transformationsgleichungen

 
 

folgen

 
 

Für das kartesische Linienelement gilt

 

wofür in Polarkoordinaten folgt

 

Geschwindigkeit und Beschleunigung in Polarkoordinaten

Hierzu zerlegt man die Bewegung in eine radiale und eine dazu senkrechte »transversale« Komponente. Für den Geschwindigkeitsvektor   gilt

 

mit den Einheitsvektoren   und  .

Für die Beschleunigung   gilt

 

Räumliche Polarkoordinaten: Zylinderkoordinaten und Kugelkoordinaten

Zylinderkoordinaten

Zylinderkoordinaten oder zylindrische Koordinaten sind im wesentlichen ebene Polarkoordinaten, die um eine dritte Koordinate ergänzt sind. Diese dritte Koordinate beschreibt die Höhe eines Punktes senkrecht über (oder unter) der Ebene des Polarkoordinatensystems und wird im Allgemeinen mit z bezeichnet. Die Koordinate   beschreibt jetzt nicht mehr den Abstand eines Punktes vom Koordinatenursprung, sondern von der z-Achse.

 

Umrechnung zwischen Zylinderkoordinaten und kartesischen Koordinaten

Wenn man ein kartesisches Koordinatensystem so ausrichtet, dass die z-Achsen zusammenfallen und die x-Achse in Richtung   zeigt, dann ergeben sich die folgenden Umrechnungsformeln:

 
 
 

Für die Umrechnung von kartesischen Koordinaten in Zylinderkoordinaten ergeben sich für   und   die gleichen Formeln wie bei den Polarkoordinaten.

Funktionaldeterminante

Die Hinzunahme der geradlinigen Koordinaten z hat keinen Einfluss auf die Funktionaldeterminante:

 

Folglich ergibt sich für das Volumenelement dV:

 

Das entspricht auch der Quadratwurzel des Betrags der Determinante des metrischen Tensors, mit dessen Hilfe die Koordinatentransformation berechnet werden kann (siehe dazu Laplace-Beltrami-Operator).

 
 

Vektoranalysis

Die folgenden Darstellungen des Nabla-Operators können in der gegebenen Form direkt auf skalare oder vektorwertige Felder in Zylinderkoordinaten angewendet werden. Man verfährt hierbei analog zur Vektoranalysis in kartesischen Koordinaten.

Die Darstellung des Gradienten überträgt sich wie folgt von kartesischen in Zylinderkoordinaten:

 

Bei der Divergenz kommen noch weitere Terme hinzu welche sich aus den Ableitungen der von  ,   und   abhängigen Einheitsvektoren ergeben:

 
 

Kugelkoordinaten

Siehe Hauptartikel: Kugelkoordinaten

Kugelkoordinaten sind im Wesentlichen ebene Polarkoordinaten, die um eine dritte Koordinate ergänzt sind, und zwar in der gleichen Art und Weise, nämlich indem man einen Winkel   für die dritte Achse spezifiziert. Diese dritte Koordinate beschreibt den Winkel zwischen dem Vektor   zum Punkt P und der z-Achse.   ist genau dann null, wenn P in der z-Achse liegt.

 

n-dimensionale Polarkoordinaten

Es lässt sich auch eine Verallgemeinerung der Polarkoordinaten für einen n-dimensionalen Raum mit kartesischen Koordinaten   für   angeben. Dazu führt man für jede neue Dimension einen weiteren Winkel   ein, der den Winkel zwischen dem Vektor   und der Koordinate   angibt.

Umrechnung in kartesische Koordinaten

Eine Umrechnungsvorschrift von diesen Koordinaten in kartesische Koordinaten wäre dann:

 

Wie man nachweisen kann, gehen diese Polarkoordinaten für den Fall n=2 in die gewöhnlichen Polarkoordinaten und für n=3 in die Kugelkoordinaten über.[7]

Funktionaldeterminante

Die Funktionaldeterminante der Transformation von Polarkoordinaten in kartesische Koordinaten beträgt:[7]

 

Damit beträgt das n-dimensionale Volumenelement:

 

Einzelnachweise

  1. Richard G. Brown: Advanced Mathematics: Precalculus with Discrete Mathematics and Data Analysis. Hrsg.: Andrew M. Gleason. McDougal Littell, Evanston IL 1997, ISBN 0-395-77114-5.
  2. Michael Friendly: Milestones in the History of Thematic Cartography, Statistical Graphics, and Data Visualization. Abgerufen am 10. September 2006.
  3. a b Julian Coolidge: The Origin of Polar Coordinates. In: American Mathematical Monthly. Nr. 59, 1952, S. 78–85 (www-history.mcs.st-and.ac.uk).
  4. C. B. Boyer: Newton as an Originator of Polar Coordinates. In: American Mathematical Monthly. Nr. 56, 1949, S. 73–78.
  5. Jeff Miller: Earliest Known Uses of Some of the Words of Mathematics. Abgerufen am 30. August 2009.
  6. David Eugene Smith: History of Mathematics. Band 2. Ginn and Co., Boston 1925, S. 324.
  7. a b Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis III. Birkhäuser 2008, ISBN 978-3-7643-8883-6, S. 205 (eingeschränkte Online-Kopie in der Google-Buchsuche-USA)

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