Großer Sprung nach vorn

Kampagnen-Titel von Mao Zedong
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Großer Sprung nach vorn (chinesisch 大躍進 / 大跃进, Pinyin dà yuè jìn) war der Name für eine von 1958 bis 1961 laufende Massenkampagne, die den zweiten Fünfjahresplan (1958–1962) der Volksrepublik China ablösen und übertreffen sollte. Mit Hilfe dieser Kampagne sollten die drei großen Unterschiede Land und Stadt, Kopf und Hand sowie Industrie und Landwirtschaft eingeebnet und dadurch die Übergangsperiode zum Kommunismus deutlich verkürzt werden. Die Kampagne des Großen Sprungs begann nach dem ersten Fünfjahresplan von 1953 bis 1957, sie sollte von 1958 bis 1963 laufen. 1961 wurde die Kampagne nach ihrem offensichtlichen Scheitern abgebrochen.[1][2]

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Propagandaplakat für den „Großen Sprung nach vorn“

Der große Sprung nach vorn fiel in einen Zeitraum, der von erheblichen politischen Spannungen zwischen China und der Sowjetunion gekennzeichnet war, und bedeutete innenpolitisch das Ende der Hundert-Blumen-Bewegung. Er war die wesentliche Ursache für die schwerwiegende Hungersnot, die in China von 1959 bis 1961 herrschte. Es gab in diesen Jahren in China zwar schwere Überschwemmungen und Dürren, die wesentlichen Ursachen der Hungersnot waren jedoch eine wirtschaftliche Fehlsteuerung. Bedingt durch die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Zusatzbelastung der Bauern durch Arbeiten für Infrastrukturprojekte und eine Binnenmigration der Landbevölkerung in die Städte sanken die landwirtschaftlichen Erträge während der Kampagne deutlich. Gleichzeitig wurden die vom Staat als Steuer und für den Export erwarteten Getreideabgaben stark heraufgesetzt[3] und mit brutalen Zwangsmaßnahmen durchgesetzt. Die Zahl der Opfer dieser Hungersnot wird auf 15 bis 45 Millionen Menschen geschätzt. Zudem war der Geburtenausfall ein epochaler demographischer Einschnitt.

Die von Mao Zedong und der chinesischen politischen Führung zentral verantwortete Katastrophe mit mehreren Dutzend Millionen Toten behandelte die kommunistische Partei Chinas 1960 und 1962 in mehreren Parteikonferenzen. In der Folge wurde Maos führende Rolle gegenüber weniger radikalen Parteiführern wie Liu Shaoqi and Deng Xiaoping reduziert, was indirekt zur Kulturrevolution 1966 führte. Letztendlich trugen die aus diesem Fehlschlag gezogenen Konsequenzen mit zum nachmaligen wirtschaftlichen Aufschwung Chinas und der nach wie vor dominierenden Stellung der Kommunistischen Partei Chinas bei.

Vorgeschichte

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Ausrufung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949
 
Mao und Stalin im Jahr 1949

Nachdem Mao Zedong am 1. Oktober 1949 die Chinesische Volksrepublik ausgerufen hatte, orientierte sich die KPCh wirtschaftlich und politisch zunächst weitgehend an der Sowjetunion und setzte ein stalinistisches, an der Schwerindustrie orientiertes Entwicklungsmodell um. Zeitgleich mit der Beendigung des Koreakriegs wurde im Jahr 1953 nach sowjetischem Muster der erste Fünfjahresplan verabschiedet. In der Sowjetunion vorherrschende Lehrmeinungen dominierten auch die chinesische Agrarforschung: Der führende sowjetische Agronom Trofim Lyssenko vertrat die Ansicht, dass erworbene Eigenschaften vererbt würden und negierte die Existenz von Genen als unsozialistisch und deshalb falsch. Diese Lehrmeinung wurde auch für chinesische Agronomen bindend. Versuchsfelder zur Erforschung der Vererbung bei Weizen wurden untergepflügt, der angesehene Botaniker Hu Xiansu wurde wegen seiner Kritik an der Lehre Lysenkos im Jahr 1955 politisch scharf attackiert. Erst als in den späten 1950er Jahren auch in der Sowjetunion eine vorsichtige Distanzierung zu Lysenkos Lehrmeinung einsetzte, war es chinesischen Wissenschaftlern möglich, sich wieder mit den Ideen von Gregor Mendel und Thomas Hunt Morgan auseinanderzusetzen.[4]

Mao gelangte zunehmend zu der Ansicht, dass die Landreformen in den ersten Jahren der Volksrepublik China eine neue besitzende Klasse geschaffen hatte. Parteikader sollten daher die ländlichen Haushalte überzeugen, sich zu Kollektiven zusammenschließen. Mao vertrat dabei die Ansicht, dass größere Produktionsheiten automatisch zu einer höheren Mechanisierung und damit zu höheren Erträgen führen würde.[5] Liu Shaoqi dagegen vertrat die Ansicht, dass erst wenn China über eine ausreichende Zahl an Landmaschinen verfüge eine Kollektivierung im größeren Stil sinnvoll sei, es setzte sich jedoch Mao durch.[6] Die erste landwirtschaftliche Kollektivierungswelle begann im Jahr 1953 und sah die Zusammenschlüsse einzelner Haushalte vor. Die zweite Phase begann 1954 und wurde später die „niedrige Kollektivierung“ genannt, sie bezog sich auf die Gemeindeebene. Der Beitritt war zu Beginn noch freiwillig, aber für die etwas Wohlhabenderen unter der ländlichen Bevölkerung, die von den Landreformen profitiert hatten, war der Zusammenschluss wirtschaftlich wenig reizvoll. Als Landwirten, die sich Kollektiven angeschlossen hatten, im Jahr 1955 kurzzeitig die Chance hatten, aus den Kollektiven wieder auszutreten, war die Parteiführung in Peking überrascht, wie groß die Zahl war, die diese Gelegenheit nutzten.[7] Für Mao war dies der Anlass, den Zwang zur Kollektivierung zu erhöhen:[8]

„Einige unserer Kameraden trippeln daher wie Frauen mit Lotosfüßen und beschweren sich ständig, ihr geht zu schnell“

erklärte er in einer Rede im July 1955. Im Frühjahr 1956 waren 92 Prozent der ländlichen Haushalte Kollektiven angeschlossen, während es zu Beginn des Jahres 1955 noch nur 14 Prozent waren.[9]

Während der „niedrigen Kollektivierung“ mussten die Bauern eine bestimmte Menge Getreide an die Regierung verkaufen, der darüber hinaus erwirtschaftete Rest konnte auf dem freien Markt verkauft werden. Ungefähr 5 % der landwirtschaftlichen Fläche stand den Bauern zur freien Verfügung. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der landwirtschaftlichen Produktion kam von diesen Flächen.[10] Der Staat übernahm aber zunehmend das Getreidemonopol und verschärfte darüber hinaus im Laufe die Bedingungen der Kollektivierung. Bauern wurden nicht mehr für die Güter entschädigt, die sie in die Kollektiven einbrachten, sondern nur noch für die Arbeit bezahlt, die sie leisteten. Es kam zu einer Binnenmigration, bei der Millionen das Land verließen und in die Städte zogen.[11]

Auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 kritisierte Chruschtschow in einer „Geheimrede“ am 25. Februar den Personenkult um Stalin und die damit verbundenen Verbrechen. Die sowjetische Führung leitete in der Folge die sogenannte Entstalinisierung ein, eine grundlegende Wende in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Mao sah sich durch Chruschtschows Rede in seiner eigene Autorität angegriffen, da Kritik an Stalin auch eine Kritik an ihm zulässig machte. Tatsächlich wurde auf dem 8. Parteikongress der KPCh in Peking das Prinzip einer kollektiven Führung betont und Personenkult abgelehnt.[12] Auch das maoistische Prinzip der „stürmischen Massenbewegungen“ wurde auf diesem Parteikongress kritisiert. In Abkehr von Maos Strategie sollte die Umgestaltung der chinesischen Gesellschaft und Wirtschaft nunmehr langsamer verlaufen.[13] Zhou Enlai, Bo Yibo, Chén Yún und andere setzten sich für eine behutsamere Entwicklung sowie kleinere landwirtschaftliche Kollektive ein und wollten einen begrenzten freien Markt zulassen.[14][15]

 
Umzug während der Anti-Rechts Kampagne

In einer Rede vor einer Gruppe von Parteiführern im Mai 1956 forderte Mao erstmals, nicht allein der Partei das Meinungsmonopol zu überlassen, sondern es auch der breiten Bevölkerung zu ermöglichen, Vorteile und Missstände des Systems aufzuzeigen. Am 27. Februar 1957 folgte auf einer Staatskonferenz mit 1800 kommunistischen und nichtkommunistischen Delegierten eine weitere Ansprache Maos Zur Frage der richtigen Behandlung von Widersprüchen im Volk. Diese Rede wurde nicht im Wortlaut veröffentlicht, aber gegen Ende April 1957 wurde in den chinesischen Medien deutlich gemacht, dass konstruktive kritische Äußerungen erwünscht seien. Die Kritik, die sich in der sogenannten Hundert-Blumen-Bewegung im Frühjahr 1957 erhob, wies auf eine weitgehende Unzufriedenheit in der Bevölkerung hin und ging über eine konstruktive intellektuell-akademische Systemdiskussion weit hinaus. Die Hundert-Blumen-Bewegung wurde im Juni 1957 von Mao abrupt beendet und Deng Xiaoping damit beauftragt, in einer sogenannten Anti-Rechts-Kampagne den Kampf gegen Feinde des Staates aufzunehmen. Diese Kampagne führte dazu, dass in den folgenden Monaten mehr als eine halbe Millionen Personen, die sich in den Wochen zuvor kritisch geäußert hatten, zu Arbeitslager verurteilt wurden.[16] Dabei handelte es sich zu einem großen Teil um Wissenschaftler.[17] Als Rechtsabweichler wurden dabei auch eine Reihe zuvor einflussreicher Parteimitglieder verurteilt.[18] Es ist strittig, ob das abrupte Ende der Hundert-Blumen-Bewegung eine Reaktion auf die unvermutet deutliche Kritik war oder ob die Aufforderung zu Kritik ein gezieltes Manöver Maos war, um Kritiker mundtot zu machen.[19] Die Anprangerungen von Menschen durch die Anti-Rechts-Bewegung, die sich in den nächsten Jahren mit unterschiedlicher Intensität fortsetzte, schuf jedoch eine Atmosphäre, in der nur wenige es wagten, Maßnahmen während des Großen Sprung nach vorne zu kritisieren.[20]

Mit Unterstützung von Liu Shaoqi, dem Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses, rief Mao im Herbst 1957 zu einer neuen Wirtschaftskampagne, dem Großen Sprung nach vorn, auf und traf vor dem Hintergrund der laufenden Anti-Rechts-Kampagne auf wenig Widerstand innerhalb der KPCh.[21] Auch außenpolitisch fand Mao die von ihm gewünschte Anerkennung. Während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution stand Mao neben Chruschtschow auf der Tribüne, um den Vorbeimarsch der sowjetischen Armee abzunehmen. Als Chruschtschow wenige Tage später vor einem internationalen Publikum verkündete, die Sowjetunion werde in fünfzehn Jahren das Produktionsniveau der USA überholt haben, antwortete Mao, dass China im selben Zeitraum das Produktionsniveau Großbritanniens, damals noch eine bedeutende Industriemacht, erreicht haben werde.[22][23]

Ziele des Großen Sprungs nach vorn

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Propagandaplakat für die Stahlproduktion. Der Text bedeutet: „Betrachte Stahl als Schlüsselprodukt, Großer Sprung vorwärts auf allen Ebenen“

Der große Sprung sollte Chinas Landwirtschaft und Industrie gleichzeitig voranbringen und die "drei großen Unterschiede" zwischen Land und Stadt, Kopf und Hand sowie Industrie und Landwirtschaft einebnen. Alle typischen Elemente der maoistischen Wirtschaftspolitik wurden, anders als beim bisherigen Fünfjahresplan, wieder eingesetzt. Nach Ansicht Maos lag Chinas Reichtum in der großen Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte. Durch die Substitution von Kapital durch Arbeit war es nach Maos Ansicht möglich, den Rückstand auf die westlichen Industrieländer aufzuholen. Nachdem 1956 und 1957 Maßnahmen zur Begrenzung der Geburtenrate noch Teil der chinesischen Politik waren, wurde während der Anti-Rechts-Kampagnen der anerkannte chinesische Wirtschaftswissenschaftler Ma Yinchu wegen seiner Warnungen vor den Konsequenzen einer zu hohen Bevölkerungszunahme diffamiert und aus seinen Ämtern entlassen. Statt Geburtenkontrolle und Familienplanung propagierten ab 1958 Presse und Rundfunk, dass Chinas Stärke in seiner großen Bevölkerungszahl lag.[24]

Im Gegensatz zu der Sowjetunion wurden neben einer klassischen Schwerindustrie in wenigen Zentren dezentral viele kleine Industriebetriebe mit wenig Kapital und Maschinen auf dem Land aufgebaut, wo ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung standen. [25] Diese Form der Industrieentwicklung wurde unter dem Schlagwort „Auf zwei Füßen gehen“ vorangetrieben.

Als Basis der industriellen Entwicklung galt eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge. Die Kollektivierung der Landwirtschaft sollte erheblich zu dieser Steigerung beitragen und gleichzeitig Arbeitskräfte für Industrie und Infrastrukturentwicklung freisetzen. Bewässerungsprojekte und der Bau von Staudämmen sollte die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen verbessern.[26] Mit dem Beginn des Großen Sprungs wurden 1958 die kleineren Kooperativen in 26.500 "Volkskommunen" zusammengelegt.[27]

Das wichtigste Element der Wirtschaftspolitik Maos war der so genannte „Vorrang der Politik“. Mao war überzeugt davon, dass die Volksmassen alles schaffen könnten, wenn sie nur mit dem richtigen Bewusstsein und Elan zu Werke gingen. Wichtiger als Technik und Kapital sei der Mensch mit dem richtigen revolutionären Bewusstsein. Misserfolge seien nicht Folge von unzulänglicher Technik, fehlendem Kapital oder fehlenden Spezialisten, sondern Misserfolge seien in erster Linie die Folge von unzureichendem Bewusstsein und Wollen. Der subjektive Faktor habe die entscheidende Bedeutung. Ein weiteres Element war der Wunsch Maos nach Autarkie der einzelnen Produktionsgenossenschaften. Alle sollten möglichst alles machen, Spezialisierung war nicht gewünscht. Weit in den Vordergrund schob sich die Vorstellung des „Volkskriegsdenkens“.

Umsetzung 1957 und 1958

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Propagandaplakat zur Kollektivierung

Für den Großen Sprung nach vorn wurde ein neues System der Staatsverwaltung eingeführt. Es wurde als das System der „Zwei Dezentralisierungen, der drei Zentralisierungen und der einen Verantwortung“ bezeichnet. Dies bedeutete: Dezentralisierten Gebrauch der Arbeitskraft und lokaler Investitionen. Zentrale Kontrolle über politische Entscheidungen sowie Planung und Verwaltung der natürlichen Ressourcen. Eine Verantwortung jeder Basiseinheit gegenüber der sie beaufsichtigenden Einheit.

Das Ziel war eine selbstständige Arbeit der unteren Parteiebenen. Die höheren Parteiebenen sollten für die Zielvorgaben und für die Kontrolle zuständig sein. Erfolge wurden an wenigen Kennzifferen wie Tonnen Stahl oder Eisen, Getreide, Weizen und Reis gemessen und eine Erfüllung beziehungsweise Übererfüllung der vorgegebenen Ziele mit Parteitreue gleichgesetzt.[28] Eine Überprüfung der gemeldeten Zahlen erfolgte nicht. Ab 1957 wurde die chinesische Bevölkerung aufgerufen, sich in Massenkampagnen an Wasserbaumaßnahmen zu beteiligen. Dem folgte im Frühjahr und Sommer 1958 Kampagnen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge, während gleichzeitig landesweit 25.000 Volkskommunen eingerichtet wurde und als letzte große Kampagne des Jahres 1958 sollte die Eisen- und Stahlproduktion erhöht werden.

Wirtschaftssteuerung

Bo Yibo führte auf einem Treffen in Nanning im Januar 1958 das Prinzip der doppelten Planung ein. Auf nationaler Ebene wurde ein Ziel von Produktionsdaten festgelegt, die erreicht werden musste. Ein zweiter Plan mit höheren Zahlen nannte die gewünschte Zielerreichung. Dieser zweite Plan wurde an die Provinzen weitergegeben und war von diesen mit allen Mitteln umzusetzen. Von den Provinzen wurde gleichfalls eine Planung erwartet, die den Landkreisen ihre jeweilige Produktion vorgab und die in Summe höher als die von der Zentrale vorgegebenen Zahlen.[29][30] Da die nationalen Ziele auf Parteitreffen in verhältnismäßig kurzen Abständen immer wieder höher gesetzt wurde, führte dies in der Summe zu einer inflationären Zielsetzung bis auf Dorfebene hinab. Widerspruch gegenüber dieser Zielsetzung war auf allen Ebenen mit großem persönlichen Risiko verbunden. Zhou Xhiaozhou, Führer der Provinz Hunan, hatte bereits im November 1957 auf Maos Vorschlag, zwei Reisernten im Jahr anzustreben, darauf hingewiesen, dass die Wetterbedingungen dies nicht erlaubten und war daraufhin von Mao mit Verachtung gestraft worden.[31] Im Frühjahr 1958 drohte ihm Tan Zhenlin, Mitglied des Zentralkomitees, ihn auf Grund der niedrigen Planzahlen als Rechtsabweicher einzustufen, worauf Zhou Xhiaozhou die erwarteten Ernteerträge nach oben anpasste.[32]

Mao hatte in Nanning den Parteimitgliedern außerdem als Direktive vorgegeben, sich auf Provinz-, Stadt-, Landkreis-, Kommunal und sogar auf persönlicher Ebene mit den anderen zu messen. Gute Leistungen wurden mit einer roten Fahne ausgezeichnet, mäßige Ergebnisse dagegen mit einer grauen und wer gegenüber den anderen zurückblieb, erhielt eine weiße Fahne als Strafe.[33] In ganz China löste dies einen Wettbewerb um die Zielerfüllung aus. Sich ein hohes Ziel zu setzen wurde „einen Sputnik abfeuern“ genannt und trug seinen Namen nach dem ersten künstlichen Erdsatellit, der von der Sowjetunion abgefeuert worden war. „Einen Sputnik abzufeuern“, sich „der Partei in ihrem Kampf anzuschließen“ oder für „eine wenige Tage und Nächte hart zu arbeiten“ war eine der Wege, eine rote Flagge zu erhalten. Die Volkskommune in Chayashan, Henan, setzte sich beispielsweise im Februar 1958 zunächst ein Ziel eines Ernteertrags von 4.200 Kilogramm Weizen pro Hektar. Gegen Ende des Jahres hatten sie sich mit 37,5 Tonnen pro Hektar ein Ziel gesetzt, dass unter den damaligen Produktionsbedingungen nicht zu erreichen war.[34]

Wasserbau

Der Begriff „Großer Sprung nach vorn“ wurde im Herbst 1957 erstmals öffentlich im Zusammenhang mit einem Aufruf zum Bau von Staudämmen und Bewässerungsanlagen verwendet.[35] Diese Wasserbaunahmen galten als wesentliche Bedingungen für eine landwirtschaftliche Produktionssteigerung. Bereits im Oktober 1957 waren mehr als 30 Millionen Menschen rekrutiert, die an solchen Maßnahmen teilnahmen. Mehr als 580 Millionen Kubikmeter Stein und Erde wurden bis Ende des Jahres bewegt.[36] In dem Eifer, entsprechend den Parteivorgaben solche Maßnahmen umzusetzen wurde bei vielen der Wasserbaumaßnahmen der Rat von Hydrologen ignoriert und die Arbeiten mangelhaft ausgeführt.

 
Sanmenxia-Talsperre, 2007

Zu den prestigereichen Großprojekten des Großen Sprung nach zählte unter anderem die Sanmenxia-Talsperre am Gelben Fluss, die bereits vor dem Beginn des „Großen Sprungs nach vorn“ mit Hilfe sowjetischer Berater geplant worden war.[37] Das Projekt wurde unter anderem von dem in den USA ausgebildeten Hydrologen Huang Wanli kritisiert, der darauf hinwies, dass der Gelbe Fluss den Stauraum sehr schnell mit Sediment füllen würde. Mao selbst beschuldigte daraufhin in einem im Juni 1957 erschienen Leitartikel der Renmin Ribao Huang Wanli der Parteischädigung, der Förderung einer bourgeoisen Demokratie und Bewunderung fremder Kulturen.[38][39] In ähnlicher Weise wurde der Hydrologe Chen Xing mundtot gemacht, der die Pläne für den Shimantam- und Banqiao-Staudamms als unzureichend kritisierte.[40] Im August 1975 führte ein Kaskadenbruch dieser Staudämme zum schwerwiegendsten Stauanlagenunfall der Menschheitsgeschichte.[41] In der Provinz Gansu wurden im Februar 1958 führende Parteimitglieder als Rechtsabweichler angeklagt und von der Partei ausgeschlossen, weil sie neben anderem Zweifel an der Geschwindigkeit und dem Ausmaß der Wasserbaumaßnahmen geäußert hatten. Sie hatten darauf hingewiesen, dass pro 50.000 Hektar bewässertes Land hunderte von Dorfbewohnern ihr Leben ließen. Der an ihrer Stelle an die Macht gekommene Parteiführer Zhang Zhongliang trieb eine Reihe von Wasserbauprojekte dagegen entschieden voran. In der Provinz Gansu waren zeitweilig mehr als 3,4 Millionen Arbeitskräfte, knapp siebzig Prozent der arbeitenden Bevölkerung an solchen Projekten beteiligt. Zhang Zhongliangs größtes Projekt war die vollständige Umleitung des Tao He, an dem bis zu 160.000 Personen gleichzeitig arbeiteten. Die Arbeiten wurden im Sommer 1961 unterbrochen, nachdem 150 Millionen Yuan dafür ausgegeben und mehr als 600.000 Arbeitstage darauf verwendet wurden. Im Sommer 1962 wurde das Projekt vollständig eingestellt, ohne das durch diese Maßnahmen zusätzliche bewässerte landwirtschaftliche Flächen gewonnen wurden.[42]

Zu den mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgten Projekten zählte die Errichtung eines Staudamms in der Nähe der unweit von Peking liegenden Ming-Gräber. Soldaten der Volksbefreiungsarmee hatten mit den Arbeiten im Januar 1958 begonnen. Sehr schnell schlossen sich tausende Freiwilliger aus der Hauptstadt an, darunter Studenten, Personen des Kaders und sogar ausländische Diplomaten. Fabriken stellten ein Teil ihrer Arbeitskräfte ab, um an dem Bau mitzuarbeiten. Gearbeitet wurde nur mit Schaufeln, Pickeln, Körben und Tragestangen. Am 25. Mai 1958 beteiligte Mao sich persönlich an den Arbeiten an. Fotos davon erschienen in den nächsten Tagen in jeder der chinesischen Zeitungen.[43] Mikhail Klochko, einer der sowjetischen Experten, der freiwillig an dem Dammbau mitarbeitete, nannte in späteren Erinnerungen an diesen Einsatz die Arbeiten desorganisiert und vertrat die Ansicht, dass einige wenige hundert Männer mit Baggern und Lastwagen mehr bewerkstelligt hätten, als die tausende von Personen, die über Wochen vor Ort versorgt werden mussten.[44] Der Staudamm wurde in der Eile, ein für den Großen Sprung nach vorne geeignetes Projekt umzusetzen, an einer ungeeigneten Stelle errichtet. Bereits vor der Eröffnung trat Wasser auf, der Damm wurde zunächst mit Hilfe polnischer Experten repariert und wenige Jahre später aufgegeben.[45]

Prägend für die Forcierung der Volkskommunen war ein Bewässerungsprojekt in dem ariden Landkreis Xushui, rund 100 Kilometer südlich von Peking. Der lokale Parteiführer Zhang Guozhang hatte bereits Mitte 1957 in dem Landkreis, in dem rund 300.000 Menschen lebten, 100.000 Menschen dazu verpflichtet, an einem großen Bewässerungsprojekt mitzuarbeiten. Die Bauern waren militärähnlich in Brigaden, Kompanien und Züge eingeteilt, lebten fernab von ihren Dörfen in Barracken und erhielten ihr Essen in Gemeinschaftskantinen. Jede Brigade war für sieben Hektar Land verantwortlich, das in zwei Jahren einen Ertrag von 50 Tonnen abwerfen sollte. Auf Maos Anregungen erschienen bis zum 1. Juli 1958 in zwei großen chinesischen Zeitungen Artikel über die Erfolge in Xushui, die überwiegend auf die gewählte, militärähnliche Organisationsform zurückgeführt wurde.[46]

Einführung der Volkskommunen

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Chinesisches Propagandabild. Es zeigt eine Melone, die größer ist als ein Mensch

1954 umfasste eine durchschnittliche landwirtschaftliche Produktionseinheit noch 22 Haushalte, 1957 waren es 176. Die Aufgaben der Kollektive waren dabei sehr beschränkt, sie ähnelten westlichen Genossenschaften. Die erste Volkskommune wurde im April 1958 im Kreis Suipingder Provinz Henan eingerichtet. Im August 1958, nachdem Mao während einer Reise durch die Provinzen die Vorzüge einer solchen Organisationsform gepriesen hatte,[47] wurde die Errichtung von Volkskommunen auf dem Land beschlossen und innerhalb von einem Monat durchgeführt. Die Kommunen sollten, anders als die bisherigen Kollektive, für alles zuständig sein. Mao pries sie als Mittel, Frauen von den Lasten des Haushalts zu befreien. Die Betreuung von Kindern und Alten sollte gemeinschaftlich erfolgen, die Versorgung mit Essen kommunale Großküchen übernehmen. Etwa 25.000 Kommunen mit je etwa 5.000 Haushalten wurden bis Ende des Jahres 1958 eingerichtet. Einer durchschnittlichen Volkskommune gehörten damit zwischen 20.000 und 30.000 Menschen an. Es gab jedoch auch Volkskommunen mit über 100.000 Mitgliedern.[48] Der Beitritt war zwingend, abgesehen von den Häusern ging jeglicher Besitz in die Kommunen über. Da die Bezahlung unabhängig von eingebrachtem Land, Tierbestand oder Geräten war, reagierten viele Bauern auf den Kollektivierungszwang mit einem Schlachten ihres Viehbestands.[49] Ralph A. Thaxton Jr. beschrieb diese Volkskommunen als eine Form der Apartheid. Es wurde kaum möglich, diese Kommunen zu verlassen und wer sich intern dagegen wandte, lief Gefahr als Schädling denunziert zu werden und damit bestraft und von der Versorgung ausgeschlossen zu werden.[50] Löhne wurden abgeschafft. Mitglieder einer Produktionseinheit erhielten statt dessen Arbeitspunkte, die sich aus der durchschnittlichen Leistung des Teams, der ausgeführten Arbeit, dem Alter und dem Geschlecht errechneten. Am Ende eines Jahres wurde das Nettoeinkommen jedes Teams zunächst entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen aufgeteilt. Ein dann eventuell noch verbleibender Rest wurde nach den erzielten Arbeitspunkten verteilt. Da selten ein solcher Überschuss bestand, waren Arbeitspunkte immer weniger wert. In Jiangning entsprach der durchschnittliche Verdienst eines Arbeiters 1957 1,05 Yuan. Ein Jahr später war er nur noch 0,28 Yuan und 1959 0,16 Yuan wert. Frank Dikötter nennt das Beispiel eines Arbeiters, der 1958 4,50 Yuan verdiente, was dem Gegenwert einer Hose entsprach.[51] Die gemeinschaftliche Verpflegung durch die kommunalen Großküchen gab den Kadern auf Grund ihrer Verfügungsgewalt über die Lebensmittel ein Instrument in die Hand gegen die Bauern in die Hand. Eine Kürzung oder gar vollständige Streichung der Essensrationen war in vielen Regionen die übliche Strache für Personen, die nicht mitarbeiteten, zu wenig arbeiteten, zu spät kamen, ihren Führern nicht gehorchten, private Versorgung organisierte oder Getreide stahl.[52]

Die Einführung der Volkskommunen hatte vorrangig zum Ziel, die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern. Eine Reihe der Maßnahmen wie beispielsweise dichteres Pflanzen, tieferes Pflügen sowie spezifische Düngemethoden, die in diesen Kollektiven durchgeführt wurden, hatten jedoch nicht den gewünschten Effekt sondern führten zu einem Rückgang der Ernteerträge oder waren eine Verschwendung von Ressourcen.[53]

Landwirtschaft

Düngermangel galt als Ursache für geringe Erträge und der Zwang zu höheren Erträge ließ die Volkskommunen auf eine Vielzahl von zum Teil fragwürdigen Düngemitteln zurückgreifen. Verwendet wurde unter anderem Algen, Ruß, der aus Schornsteinen gekratzt wurde aber auch menschliche und tierische Fäkalien, die häufig von Strafkolonnen in langen Reihen aufs Feld getragen wurden. Eine Vielzahl von Gebäuden, deren Wände aus Lehm und Stroh bestanden, wurden abgerissen und zerkleinert, um sie auf den Feldern auszubringen. Große Medienaufmerksamkeit erhielt die Leiterin einer Frauenvereinigung in Macheng, die aus ihrem Haus auszog, um dessen Mauern als Dünger zu Verfügung zu stellen. Zwei Tage später waren 300 Häuser, fünfzig Rinder- und hunderte von Hühnerställen abgerissen, um als Dünger zu dienen. Bis Ende des Jahres waren mehr als 50.000 Gebäude zerstört.[54] Tiefes Pflügen galt als weitere revolutionäre Methode, die Ernteerträge zu erhöhen. Ohne Zugmaschinen war tiefes Pflügen jedoch nur mit hohem Arbeitsaufwand zu erreichen und da das Pflügen häufig ohne Rücksicht auf den jeweiligen Bearbeitungshorizont des Bodens erfolgte, führten Pflugtiefen von sechzig Zentimeter und mehr regelmäßig zu einer Verletzung der Bodenstruktur und einem entsprechenden Rückgang der Bodenfruchtbarkeit.[55] Die Volkskommunen wurden außerdem angewiesen, dichter zu säen oder die Pflanzen enger zu setzen, um die Erträge zu steigern. Auf einem Mu, etwa 667 Quadratmeter, wurden in Hebei beispielsweise 20.000 Süßkartoffel- oder 12.000 Maispflanzen gesetzt.[56] Mao selbst versicherte, dass Pflanzen der selben Art nicht miteinander um Licht und Nährstoffe konkurrieren würden.[57] Von dem Historiker Frank Dikötter interviewte Zeitzeugen wiesen regelmäßig darauf hin, dass ihnen bewusst war, dass diese Maßnahmen zu schlechteren Erträgen führen würden, aber aus Furcht, bestraft oder gar als Rechtsabweichler verurteilt zu werden, sich nicht zu widersetzen wagten.[58] Judith Shapiro vertritt dagegen die Ansicht, dass einige der lokalen Parteivertreter und Bauern bereit waren, den Ausführungen ihres Parteivorsitzenden zu glauben, weil sie tatsächlich erhofften, ihre zum Teil sehr harten Lebensbedingungen zu verbessern.[59] Sie nennt aber auch das Beispiel einer landwirtschaftlichen Forschungsanstalt, die unter dem Druck spektakuläre Erträge erzielen zu müssen, die Pflanzen mehrerer Reisfelder auf ein „Sputnik“-Feld umsetzten, um so die gewünschten 10.000 Jin pro Mu vorweisen zu können.[60] In einem anderen Landkreis wurde dem Vize-Parteisekretär, der daran zweifelte, dass auf einem Mu Land Erträge von 10.000 Jin (etwa 5.000 Kilo) Reis erzielt werden könnten, mangelnder Glaube an seine kommunistische Partei vorgeworfen, zu öffentlicher Selbstbeschuldigung gezwungen und zu Arbeitslager verurteilt.[61]

Die an die Zentralregierung 1958 gemeldeten Zahlen ließen für Baumwolle, Reis, Weizen und Erdnüsse hohe Ernten erwarten. So ging die Zentralregierung von einer Ernte von 525 Million Tonnen Getreide aus, nachdem noch 1957 die Ernte noch 195 Millionen Tonnen betragen hatte.[27] Als Chruschtschow im August 1958 in Peking zu Besuch war, sprach Mao unter anderem über den Erfolg des Großen Sprungs nach vorn. Man habe so viel Reis, dass man nicht wisse, das man damit tuen solle. Auch Liu Shaoqi berichtete Chruschtschew während eines Treffens, dass nicht mehr Mangel an Nahrung ihre Sorge sei, sondern die Frage, was man mit solch einem Getreideüberschuss anfangen sollte.[62] Die offizielle Statistik korrigierte diese Getreideernte 1959 nachträglich auf 250 beziehungsweise und erst 1979 auf 200 Millionen Tonnen. 1960 wurden den offiziellen Zahlen zufolge nur noch 143.5 Millionen Tonnen geerntet.[27]

Eisen- und Stahlproduktion

 
Minihochöfen, mit denen in den ländlichen Regionen Chinas Stahl produziert werden sollte

In der Sowjetunion war die Schwerindustrie zu Lasten der ländlichen Gebiete entwickelt worden. Bemüht, einen anderen und schnelleren Entwicklungspfad als die Sowjetunion einzuschlagen, wollte Mao kleine Industrien in den ländlichen Regionen entwickeln. Damit war die Hoffnung verbunden, das gesamte Land schneller industriell zu entwickeln ohne auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen zu sein. Sie ging einher mit einer zunehmenden Ablehnung eines als bourgeois eingestuften Expertenwissens. In Yunnan spottete beispielsweise der Parteiführer Xie Fuzhi offen über die sowjetischen Experten mit ihren geologischen Untersuchungen und Messungen: Bei der Errichtung von Staudämmen und Wasserspeichern vertraute man statt dessen zunehmend auf das intuitive Wissen und den Erfindungsreichtum der ländlichen Massen.[63] Das galt auch für die Eisen- und Stahlproduktion. Die Menge an Eisen und Stahl, die ein Land produzierte, galt in den 1950er Jahren insbesondere in den sozialistischen Ländern als Indikator für den Entwicklungsgrad, den ein Land erreicht hatte.[64] Die Volksrepublik China hatte im Jahr 1957 5,35 Millionen Tonnen Stahl produziert. Im Februar 1958 wurde das Jahresziel für 1958 auf 6,2 Millionen Tonnen festgelegt und im Mai auf 8,5 Tonnen angehoben. In einer Rede am 18. Mai auf dem 8. Parteikongress hielt Mao fest:[65]

„Mit elf Millionen Stahl im nächsten Jahr und 17 Millionen Stahl im Jahr danach werden wir die Welt erschüttern. Wenn wir 40 Millionen Tonnen in fünf Jahren erreichen können, werden wir Großbritannien bereits in sieben eingeholt haben. Und weitere acht Jahre später werden wir mit den USA gleichgezogen sein.“

Das Jahresproduktionsmengen wurden jedoch bereits früher angehoben: Im Juni 1958 legte Mao das Ziel auf 10,7 Millionen fest und im September wurde die Jahresproduktion auf 12 Millionen Tonnen Stahl erhöht.[66] Mao kam zu der Überzeugung, dass bis zum Ende der 1960er Jahre China ein Produktionsniveau an Stahl erreicht haben werde, das dem der Sowjetunion entspräche und im Jahre 1975 sollte China eine Jahresproduktion von 700 Millionen Stahl ausweisen können.[67] Unterstützung für diese ehrgeizigen Zielvorgaben fand Mao bei einer Reihe regionaler Parteiführer wie beispielsweise Tao Zhu, Xie Fuzhi, Wu Zhipu oder Li Jingquan, die alle außergewöhnliche Steigerungen in der Stahlproduktion zusicherten.[68]

Schlüssel zu der Steigerung sollten kleine Hochöfen sein, die im ganzen Land errichtet werden sollten. Sie wurden aus Sand, Steinen, Tonerde und Ziegeln errichtet und hatten typischerweise eine Höhe von drei bis vier Meter. Beschickt wurden die Hochöfen von oben, die zur Reduktion des Erzes nötige Luft wurde über traditionelle, häufig handbetriebene Zylindergebläse eingebracht. Vergleichbare Hochöfen waren bereits im 19. Jahrhundert in China gebräuchlich.[69][70] Der Höhepunkt der Kampagne fiel in den Spätsommer 1958, verantwortlich war Chen Yun, der am 21. August 1958 Maos Anweisung weitergab, dass ein Unterschreiten der vorgegebenen Produktionsmenge nicht hingenommen werde. Denjenigen, die ihre Zielvorgaben nicht einhielten, drohten Strafen die von einer Verwarnung bis zum Ausschluss aus der Partei reichten.[71] Die Vorgaben durch die Zentrale führte zu einer Reihe lokaler Massenkampagnen. In Yunnan hatte Xie Fuzhi zunächst eine 14 Tage währende Kampagne ausgerufen, in der alle verfügbaren Arbeitskräfte 14 Tage lang in der Stahlproduktion arbeiten sollten. Nachdem Bo Yibo am Nationalfeiertag den Oktober zum Monat der Stahlproduktion erklärte, rief Xie Fuzhi eine besondere Woche der Eisen- und Stahlproduktion aus, bei der die Zahl der beteiligten Arbeitskräfte von 3 auf vier Millionen stieg.[72] Bo Yibo verkündete derweil, dass landesweit 40 Millionen Menschen an 500.000 Hochöfen arbeiteten.[73]

 
Hochöfen des Großen Sprungs nach vorn

Dorfbewohner hatten wenig Möglichkeiten, sich diesen Kampagnen zu entziehen. Wer nicht direkt an den Hochöfen arbeitete, schaffte Holz herbei oder suchte nach Kohle. Kleine Gruppen von Parteikader zogen von Haushalt zu Haushalt, um Alteisen zu sammeln. In einigen Regionen gaben sich die Kader zufrieden, wenn ein Haushalt einen Topf oder eine Pfanne abgaben. In anderen Regionen wurden jedoch alles verfügbare Material inklusive landwirtschaftlicher Arbeitsgeräte eingesammelt. Auf Grund der Einführung der Volkskommunen standen den Kadern erstmals eine Miliz zur Verfügung, um Maßnahmen gegebenenfalls mit Gewalt durchzusetzen. In Macheng war es beispielsweise Miliz, die Dorfbewohner zur Arbeit an den Hochöfen verpflichtete. Die Versorgung durch die Großkantinen gab den Kadern ein weiteres Druckmittel, um die Mitarbeit der Bevölkerung zu erzwingen. Frauen, die in Macheng beispielsweise nachts in ihre Häuser zurückkehrten, um sich um ihre Kinder zu kümmern, wurden von der Versorgung durch die Kantinen ausgeschlossen.[74] Die Parteiführung konnte letztlich die Erfüllung ihres Zieles verkünden, ein großer Teil der Produktion war jedoch unbrauchbare Schlacke. Eisenbarren aus der ländlichen Produktion sammelten sich überall, weil sie zu klein und zu brüchig waren, um in modernen Stahlwerken weiterverarbeitet zu werden. Nach einem Bericht des chinesischen Ministeriums für Hüttenindustrie war in einigen Provinzen das produzierte Roheisen zu weniger als einem Drittel für die Weiterverarbeitung geeignet.[75] Die Kosten einer Tonne Roheisen, die in den einfachen Hochöfen produziert wurden, war außerdem doppelt so hoch wie das eines modernen Hochofens. Der Verlust aus der Massenkampagne zur Steigerung der Eisen- und Stahlproduktion wurde später vom Staatlichen Amt für Statistik auf fünf Milliarden Yuan geschätzt.[76] [77] Judith Shapiro schätzt, dass jeder sechste Chinese im Laufe des Jahres 1958 direkt oder indirekt an dieser Kampagne beteiligt war.[78] Da viele unerfahren in den Arbeiten war, die sie ausführen mussten, kam es zu zahlreichen Unfällen. Menschen kollabierten auf Grund der Hitze an den Hochöfen, verletzten sich während der Holzbeschaffung oder während der Kohleförderung. Zu den Kosten der Kampagne gehören in den Regionen, in denen keine Kohle zur Verfügung stand, auch eine verstärkte Abholzung der Wälder, die als Brennstoff während dieser Kampagne verfeuert wurden.[79] Dies führte zu Erosion, einer weiteren Sedimentation der Flüsse, einer zunehmenden Desertifikation und Änderung des Mikroklimas mit der Folge, dass die Fläche, die landwirtschaftlich nutzbar war, weiter zurückging.[80]

Es mangelte an Infrastruktur wie Maschinen, Telefone, Gebäuden und einer funktionierenden Verwaltung dieser neuen Großbetriebe. Gleichzeitig wurden 30 bis 40% der vorhandenen Häuser in China zerstört. Damit wurde nach Frank Dikötter in summa die Zerstörungen der Bombenkriegsführung des Zweiten Weltkrieges übertroffen.[81] Besonders leistungshemmend wirkte sich die Praxis der einen Egalisierung und der zwei Ausgleiche aus. Die Egalisierung bedeutete leistungsunabhängige Entlohnung innerhalb eines Dorfes. Die zwei Ausgleiche bedeuteten, dass wohlhabenderen Dörfern ihre Überschussprodukte genommen und auf die ärmeren Dörfer verteilt wurden.

Die Hungerkatastrophe 1959–1961

In China waren Hungersnöte ein jahrtausendealtes, ständiges Problem. In den 2000 Jahren von 108 v. Chr. bis 1911 werden in der chinesischen Geschichtsschreibung 1828 Hungersnöte aufgelistet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt China als das „Land der Hungersnöte“. Allerdings zeigten sich gegenüber der Großen Dürre mit knapp einem Dutzend Millionen Toten um 1879 und einer ähnlichen Wetterlage um 1921 mit vergleichsweise wenigen 500.000 Toten bereits einige Verbesserungen.[82] Die Hungersnöte waren jedoch nur die Spitze allgemeiner tiefer Armut. Richard H. Tawney schrieb:

„In einigen Gebieten ist die Situation der ländlichen Bevölkerung wie die eines Menschen, der ständig bis zum Hals im Wasser steht, so dass selbst eine sehr kleine Welle ihn unter Wasser drückt. Die Verluste an Menschenleben bei den großen Hungersnöten sind weniger bedeutend als das Licht, das sie auf die Lebensbedingungen selbst in normalen Zeiten in wesentlichen Gebieten Chinas werfen.“[83]

Verlauf

Datei:1950s 大家都來打麻雀.jpg
Propagandaplakat für die Krieg gegen die Spatzen

Bereits im Jahr 1958 kam es in einzelnen Regionen zu Unterversorgung. In diesem Jahr war das Wetter noch günstig. Allerdings machten sich die Auswirkung der Kollektivierung und der Verschiebung von Arbeitskräften in die Industrieprojekte bereits negativ bemerkbar. In einigen Regionen konnte die Ernte nicht mehr komplett eingeholt werden. Schwierigkeiten bereitete eine Heuschreckenplage, die sich aufgrund einer landesweiten Kampagne zur Schädlingsbekämpfung, die anfangs auch die eigentlich nützlichen Spatzen umfasste, ungehindert ausbreitete. Die Erntezahlen wurden deutlich übertrieben. Auch nach dem Einsetzen der Dürre 1959 blieb China ein Nettoexporteur von Getreide. Ausländische Hilfe, die etwa von Japan angeboten wurde, wurde lange abgelehnt. Im Ausland wurde das Ausmaß der Hungersnot angesichts der weiter stattfindenden Exporte nicht bekannt und anfangs nicht wahrgenommen.[84]

1959 und 1960 kam es zu einer landesweiten Dürre und zusätzlich zu einem gewaltigen Hochwasser des Gelben Fluss im östlichen China.[85] welches etwa 2 Millionen Menschenleben forderte.[86] Wichtige Regenfälle Chinas werden durch großräumig ablaufende Meereströmungen beeinflusst. In den Jahren um 1960 gab es Abweichungen durch den El-Niño-Effekt, die sich auch in Afrika und Südamerika bemerkbar machten. Die Meteorologen sprechen von der El Niño-Southern Oscillation (ENSO). Auch in den Jahren 1981 bis 1983[87] und 1997 bis 1998 gab es solche ENSO-Dürren, die allerdings ohne Nahrungsengpässe überbrückt werden konnten.

1960 herrschte im Norden Chinas eine schwere Dürre. „Zum ersten Mal seit Menschengedenken konnten die Menschen durch den Gelben Fluss hindurchwaten.“[88] Vor diesen Dürren hatte es 1959 starke Überschwemmungen durch den Gelben Fluss gegeben, bei denen weite Teile von Hunan überschwemmt wurden.[77] Daher werden die Jahre 1959 bis 1961 offiziell als „die drei bitteren Jahre der Dürren und Überschwemmungen“ dargestellt. Die offiziellen Zahlen sind in der Tabelle 1 angegeben. An ihnen lassen sich zwar Wetterprobleme, aber kein entscheidender Anteil des Wetters an der Hungersnot ablesen.

Im Jahr 1959 sank die Getreideproduktion erstmals seit der Gründung der Volksrepublik China, und zwar um 13 % gegenüber dem Jahr 1958 auf 170 Mio. Tonnen. Da die als Agrarsteuer abzuliefernde Menge an Getreide schon weit vor der Ernte festgelegt war, wurde dieser Produktionsrückgang nicht berücksichtigt. Der Staat zog von der Ernte 64 Mio. Tonnen (im Vorjahr waren es erst 52 Mio. Tonnen), also über 37 % der Ernte, als Agrarsteuer ein. Darüber hinaus schwankte der abzuliefernde Ernteanteil von Gebiet zu Gebiet erheblich. Die Hungersnot verschlimmerte sich lokal massiv.

Die Ernteausfälle machten sich insbesondere im ländlichen Bereich bemerkbar. Die Regionen, in denen Maos Reformen besonders radikal durchgeführt wurden, nämlich Anhui, Gansu und Henan, litten unverhältnismäßig mehr. Sichuan, eigentlich Chinas Kornkammer hatte aufgrund des örtlichen radikalen Parteiführers Li Jinquan besonders zu leiden. In einigen Bereichen kam es zu Kannibalismus.[89]

Erst im Januar 1961 wurden im Rahmen des Neunten Plenums des Achten Zentralkomitees die gröbsten Fehler korrigiert. Die Getreideexporte wurden gestoppt und Getreide aus Kanada und Australien halfen zumindest in den Küstenregionen die gröbste Not zu lindern.

Hintergrund

Im China der 1950er Jahre war bereits das normale Ernährungsniveau am Rande der Unterernährung. Nach der in Amerika angewandten Harris-Benedict-Formel braucht ein körperlich schwer arbeitender Mann mit 55kg Körpergewicht 2587 Kalorien täglich, um sein Gewicht zu halten. In China lag die durchschnittliche Versorgung pro Kopf im Jahr 1957 bei 2100 Kalorien und fiel im Jahr 1960 auf 1500 Kalorien täglich. Für das reine Überleben ohne körperliche Anstrengung sind 800 Kalorien nötig.[90]

Die folgende Tabelle zeigt von Hungersnöten betroffene Menschen in den 1950er und 1960er Jahren. Bereits vor der Hungerskatastrophe von 1959 bis 1961 waren jährlich 20 bis 40 Mio. Menschen von Hunger betroffen.

Von Hungersnöten betroffene Menschen
in Mio.[91]
1954 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1963
24,4 20,1 41,3 19,8 97,7 129,8 218,1 70,8


Die meisten Todesopfer der Hungersnot gab es im Winter 1959/60. Nach dem problematischen Jahr 1959 ist die Hungersnot also sehr schnell angewachsen. In dieser Hinsicht unterschied sich diese Hungersnot von den meisten Hungersnöten, bei denen die Sterblichkeit langsam anwächst.[92] Im Frühjahr 1960 wurden Arbeiter, die vom Land in die Städte versetzt worden waren, zur Unterstützung der ländlichen Bevölkerung wieder aufs Land zurückberufen und die Armee verteilte Getreide in ländlichen Gebieten. Es gab 1960 noch einmal einen Rückgang der Produktion von 170 Mio. Tonnen (1959) auf 148 Mio. Tonnen. Im Jahr 1961 verbesserte sich die Situation der Landbevölkerung trotz der schlechten Ernte des Jahres 1960 wieder.

Die frühere Professorin an der Pekinger Universität Yue Daiyun, die während der Rechtsabweichlerkampagne angeklagt und aufs Land geschickt wurde, beschreibt die Situation im Dorf Chaitrang, indem sie leben musste, folgendermaßen: „In diesen Monaten litten fast alle Bewohner des Fleckens infolge der Unterernährung an Hungerödemen. Wir ernährten uns von Kernen der heruntergefallenen Aprikosen, zerstießen Maiskolben zu Pulver und buken heiße Brötchen daraus. Wir sammelten Aprikosenblätter, trockneten sie, vermischten sie mit pulverisierter Ulmenrinde und kochten Brei daraus. Alle litten unter schwerer Verstopfung. Es war ein ziemliches Problem, in den frostklirrenden Wintermonaten auf die Latrine zu gehen, wo man sich plagen musste, den Darm in Bewegung zu setzen.“

Auch nachdem Auswüchse der Kulturrevolution beseitigt waren, blieb die massive Schwächung durch die dauernde Mangelernährung ein bedeutendes Problem.

Der zeitliche Verlauf der Hungersnot lässt sich aus den offiziellen Sterberaten der Jahre 1956 bis 1963 ablesen, auch wenn die absoluten Zahlen nach Ansicht vieler Experten etwas zu tief liegen. Die zusätzliche Sterberate der Bevölkerung, verglichen mit 1956 bis 1957 und 1962 bis 1963, war demnach: 1958 0,14 %, 1959 0,4 %, 1960 1,48 % und 1961 0,36 %. Es starben also fast zwei Drittel der Opfer der Hungersnot im Jahr 1960, wobei die Zahl der Opfer von Provinz zu Provinz stark variierte (siehe Tabelle 2).

Ursachen

Für die Hungersnot gab es verschiedene Ursachen. Ein wesentlicher Grund war die durchgreifende Kollektivierung der Landwirtsschaft, die fast alle Lebensbereiche (z.B. Gemeinschaftskantinen) umfasste. Ein weiterer Grund war die Überlastung der Bauern durch die geforderte Arbeit an Hinterhofhochöfen und für Infrastrukturprojekte.

Des Weiteren lagem dem Großen Sprung nach vorn weit überzogene Erfolgsmeldungen zur Getreideproduktion zugrunde, die nicht hinterfragt worden. So wurde der realen Getreiderekordernte des Jahres 1958 ein Wachstum gegenüber 1957 von 92 Prozent angeheftet. Die Planer wiesen deshalb Getreideflächen dem Anbau anderer Feldfrüchte zu. Wegen der zu positiven Meldungen über die Ernährungssituation 1958 wurden 40 Mio. Bauern von der Landwirtschaft in die Industrie vermittelt (siehe Tabelle 1). Diese Freistellung der Bauern wurde erst 1960 wieder rückgängig gemacht. [93] Der Rückgang der Getreideproduktion reicht als Erklärung für die Hungersnot nicht aus. Wie aus Tabelle 1 in Anhang ersichtlich, war die Produktion von Getreide im Jahr 1959 vergleichbar mit den Jahren 1962 bis 1964, als die Hungersnot vorbei war. Es traten beim Großen Sprung Fehler bei der Verteilung der Lebensmittel auf und die Abgaben wurden aufgrund maßlos überzogener Erwartungen an die Ernte des Jahres 1959 auf ein unetrgägliches Maß gesteigert. Bereits die Ernte des Jahres 1958 wurde auf 375 Millionen metrische Tonnen eingeschätzt, real waren es aber nur 200 Mio. Tonnen. Daraus wurde eine erwartete Ertragsmenge von 525 Mio. Tonnen für das Jahr 1959 abgeleitet. Die reale Ernte lag aber bei nur 195 Mio. Tonnen.

Was das Hantieren mit solchen Fanstasiezahlen für die einfachen Bauern bedeuten konnte, wird aus dem Bezirk Guangshan aus der Provinz Henan berichtet: „Die Kader meldeten eine Ernte von 239.280 Tonnen obwohl es in Wirklichkeit nur 88.392 Tonnen waren. Daraus leiteten die Kader eine Abgabemenge von 75.500 Tonnen ab. Als die Bauern nur 62.500 Tonnen, also fast die gesamte Ernte, ablieferten, starteten die Kader eine brutale Kampagne gegen das angebliche Verstecken von Getreide.“ ([94])Aufgrund ähnlicher Enteignungspraxis wird aus dem Bezirk Fengyang in der Provinz Anhui von 21 Dörfern berichtet, in denen alle Einwohner verhungerten.[95][96]

Die Überbesteuerung der Bauern konnte durch den Aufbau der kommunalen Kantinen auch zunächst unbemerkt erfolgen, um anschließend umso überraschender aufzutreten. Zeitzeugen berichteten von gutem Essen in den kommunalen Kantinen, wie es nach guten Ernten üblich war, aber im Winter 1959 ging das Essen plötzlich aus. Die Menschen starben in großer Zahl.[97]

Im Jahr 1958 wurde der Agrarsteuer-Slogan „Erst das Zentrum, dann die Provinz. Erst externe Zusagen, dann die inländischen“ ausgegeben. Die verschiedenen Provinzen handelten aber unterschiedlich. Die Provinzen Sichuan und Henan setzten hohe Abgabequoten durch und verschlechterten damit die eigene Lebensmittelversorgung stark. Beide Provinzen hatten eine hohe Opferzahl in der Hungersnot. Provinzen wie Guangdong oder Jilin reduzierten erfolgreich ihre Abgabeverpflichtungen von Getreide und hatten bedeutend weniger Opfer zu beklagen.

Journalisten, eine aufgeklärte politische Öffentlichkeit oder unabhängige Gruppierungen, die auf eigene Faust die Lage hätten untersuchen können, gab es in China nicht. Die Katastrophe lief daher zunächst ohne die Aufmerksamkeit des Auslandes ab. Auch innerhalb Chinas war zwar bekannt, dass es eine Hungersnot gab, doch die Ausmaße und die wesentlichen Gründe der Ernährungskatastrophe blieben im Dunkeln. Dies galt anfangs auch für die politische Führung, der aus den Weiten Chinas hauptsächlich Erfolge gemeldet wurden. Vorlage:"-en

Der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen gründet seine These vom Ausbleiben von Hungersnot in funktionierenden Demokratien mit auf deren Öffentlichkeit und einen nachhaltigen Informationsaustausch zwischen Regierung und Regierten. Wie Amartya Sen ferner beobachtet, ist Hunger ein Problem der Nahrungsmittelverteilung und der Armut betroffener Bevölkerungsschichten, nicht unbedingt ein absoluter Mangel an Nahrung. Sen führt hinsichtlich der Situation in China Ralph Milibands intensive Beschäftigung mit politischen Strukturen im Realsozialismus [98] an. Miliband hatte unter anderem Maos Selbstkritik von 1962 in der Nachbetrachtung des Großen Sprungs betrachtet, bei der selbst Mao den Mangel an (parteiinterner) Demokratie und Öffentlichkeit als wesentlichen Mangel apostrophiert hatte. [99]

Zahl der Opfer

Die Anzahl der Toten in der Hungerkatastrophe von 1959 bis 1961 wird auf 15 bis 45[100] Mio. Menschen geschätzt.[101] Es gibt auch Schätzungen, die höher oder niedriger liegen.[77] Die Zahlen sind sehr unsicher, da es in den 1950er Jahren noch keine exakte Volkszählung, sondern nur Schätzungen gab, in die politische Vorgaben mit einflossen. Die im Jahr 1953 bei der Schätzung festgestellte Bevölkerungsgröße von 595 Millionen lag um 100 Millionen über dem zuvor angenommenen Wert.[102] Man kann also aufgrund der Volkszählungen nicht feststellen, wie viele Menschen nach der Hungersnot wirklich „fehlten“. Schätzungen über die Opferzahl basieren deshalb auf den von der Regierung Ende der 1970er Jahre veröffentlichten Sterberaten der verschiedenen Provinzen. Gemäß diesen Zahlen gab es von 1958 bis 1961 ungefähr 16 Mio. zusätzliche Todesfälle. Es wird allgemein angenommen, dass diese Zahlen zwar nicht manipuliert sind, sie gelten aber bei vielen Wissenschaftler als unvollständig und deshalb als zu niedrig. Die offiziellen Sterberaten sind in Tabelle 2 aufgelistet.[97]

Nach dem kanadischen Genozidforscher Adam Jones waren die Sterbezahlen in Tibet am höchsten. Demnach starb zwischen 1959 und 1962 einer von fünf Tibetern.[103]

Reaktionen im Ausland

In den USA wurde eine mögliche Reaktion einschließlich der Lieferung von Nahrungsmitteln erst 1961 diskutiert.[104] Dann war man sich allerdings bewusst, das die Hungerkatastrophe in Ausmaß angenommen hatte, welches erhebliche politische Folgen zeitigen sollte.[104] Die Regierung unter John F. Kennedy begann sich nach dem Rückzug der russischen Fachleute erst langsam von alten Feindbildern und der engen Bindung an Taiwan zu lösen.[104] 1959 hatte man die chinesische Industrialisierung noch als Zeichen für eine kommende Aufrüstung gesehen. 1961 scheiterten einige Initiativen zu Nahrungsmittelverkäufen an die Volksrepublik etwa unter der Vermittlung des burmesischen Premiers U Nu. U Nu fiel kurz vor Abschluß einem Putsch zum Opfer, ein geplantes Großgeschäft einer Getreidehandelsfirma aus Seattle wurde von US-Stellen untersagt.[104]

Ein Besuch François Mitterrands in China 1961 trug mit zur Anerkennung Chinas durch Frankreich im Jahre 1964 bei, die deutlich vor der durch die Bundesrepublik erfolgte. [105] Mao bestritt dabei Berichte über eine Hungersnot ausdrücklich. [106] Frankreich wurde aufgrund der Konflikte um die NATO zu einem Vorreiter einer differenzierteren chinesischen Europapolitik, die in der Theorie der drei Welten zum Ausdruck kam.

Im April 1962 flohen etwa 140.000 Menschen aus der Volksrepublik nach Hongkong, die Hungerkatastrophe wurde damit auch der Weltöffentlichkeit bekannt.[104] Dabei hatten die festlandschinesischen Behörden zeitweilig die Grenzen geöffnet.[104] Die britischen Behörden der Kronkolonie wandten sich unter anderem an die Amerikaner und schlugen mögliche Nahrungsmittelverkäufe vor. Spenden wurden abgelehnt, insbesondere weil man davon ausging, daß dies weder in der amerikanischen Öffentlichkeit angekommen noch die chinesisch amerikanischen Beziehungen verbessert hätte.[104] Die amerikanische Regierung wurde durch das Konsulat in Hongkong detailliert über die Veränderungen auf dem chinesischen Festland informiert und hatte 1962 über im Gefolge des Tibetaufstand 1959 vom CIA ausgebildete Tibeter Zugriff auf geheime Dokumente der PLA erhalten.[104] Die politische Szene in Washington nahm die Veränderungen erst mit dem Beginn der Kulturrevolution breiter zur Kenntnis, was unter Nixon zur Ping-Pong-Diplomatie führte. [107]

Ähnlich war auch die Reaktion in Westdeutschland, wo zwar erst in den 1970er Jahren intensive politische Beziehungen mit der VR China aufgenommen wurden, wirtschaftlich aber immer ein intensiver Austausch stattfand.

Die DDR hatte 1960 noch die Einführung der Volkskommunen begrüßt, die mit der eigenen weiteren Kollektivierung und der Einführung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften parallel lief. Als chinesische Aussteller 1960 auf der Landwirtschaftsaustellung in Markkleeberg allerdings das chinesische Konzept der Gemeinschaftsernährung propagierten, kam es zu einigen diplomatischen Auseinandersetzungen, von denen sich die beiderseitigen Beziehungen, die immer im Schatten der mit Westdeutschland standen, nie wieder erholen sollten. Man beeilte sich auf Seiten der DDR mitzuteilen, daß die Einführung von zentralen Kantinen bei den LPG der DDR nicht vorgesehen sei und verwehrte sich gegen die Verteilung von Broschüren mit dem Titel "Es lebe der Leninismus" durch die chinesischen Genossen.[108]

Insbesondere die frühen 1980er Jahren brachten eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zum Großen Sprung hervor. Maurice Meisner bezeichnete die Ablösung Maos durch Shaoqui im Gefolge des Großen Sprungs als den Moment des Thermidor in der chinesischen Revolution. [109] Bekannt wurde ein Beitrag von Judith Banister in China Quarterly [110] mit dem sich die Zahl von 30 Millionen Todesopfern in der US Presse einzupendeln begann. Wim F. Wertheim kritisierte dies als übertrieben.[111] Jung Chang argumenierte in Mao: The Unknown Story, daß Mao mit großen Opferzahlen rechnete und diese auch offen und bewusst in Kauf genommen hätte.[112] Auf Basis dieser Daten bezeichnete R.J. Rummel das Massensterben im Zusammenhang mit dem Großen Sprung als "Demozid".[113] Steven Rosefielde beschrieb die Ursache als eine Kombination aus Terror und Verhungernlassen, in dem Sinne eher Totschlag oder gar Mord als eine unvermittelt auftretende Hungersnot."[114] Eine vom Historiker Frank Dikötter durchgeführte und 2010 veröffentlichte Studie ermittelte u. a. auf Grundlage chinesischer Archivbestände die Gesamtzahl von 45 Millionen Hungertoten.[100]

Mùbēi (Grabstein), eine 2008 herausgegebene, weithin anerkannte Studie des langjährigen KPCh Parteimitglieds und Xinhua Mitarbeiters Yang Jisheng zur Hungersnot während des Großen Sprungs schätzte die Zahl der Toten auf 36 Millionen. Die Verantwortung dafür wurde größtenteils der politischen Führung zugeschrieben.[115][116] Dabei war den lokalen Parteiführern die Planerfüllung wichtiger als das Leben der Bauern, Mao selbst war vor allem bestrebt, ausstehende Schulden an die Sowjetunion zu begleichen.[117] Der ehemalige Hongkonger Journalist Jasper Becker bezichtigte Mao in einem 1998 erschienenen Buch persönlich, unter anderem Hungernden staatliche Nahrungsmittelvorräte vorenthalten zu haben, weil er Bauern unterstellte, Getreide zu unterschlagen und heimlich zu horten.[95]

Ergebnisse

Die Kampagne des Großen Sprungs nach vorn wurde mit großen Ankündigungen im Jahr 1958 begonnen und nach schweren Rückschlägen und der schlimmen Hungersnot im Jahr 1962 stillschweigend wieder beendet. So wurden die Großkommunen in Verwaltungseinheiten umgewandelt. Die verbliebenen Produktionseinheiten, mit stark reduziertem Zuständigkeitsbereich, hatten nur noch eine Größe von durchschnittlich 41 Haushalten, verglichen mit den Kommunen ab 1958 mit durchschnittlich 2675 Haushalten. Den Mitglieder wurden wieder privat bewirtschaftetete Landanteile und eine flexible Vermarktung zugestanden.[118] Die Überbelastung der Bauern wurde reduziert. Die Ernährung der Bevölkerung durch eine stabile Landwirtschaft rückte wieder in den Vordergrund. Von 1961 bis 1966 wurde jedes Jahr Getreide importiert. Dafür wurden Einschnitte bei der Industrie in Kauf genommen.

Die Tragödie der Hungersnot während des Großen Sprungs nach vorn zeigte der Parteiführung, dass Störungen in der Landwirtschaft ein großes Risiko darstellten konnten. Politische Fehler an der Spitze und dogmatische Funktionäre in der Region konnten eine landesweite Tragödie auslösen. Der alte Parteipatriarch Deng Xiaoping hatte aus seinen Fehlern beim Großen Sprung nach vorn gelernt. Er beschrieb seine Sorge vor Fehlentwicklungen in China folgendermaßen: „In China kann eine Million Tote eine kleine Zahl sein.“[119] und er beschrieb die Vorgehensweise bei der Öffnung Chinas zwanzig Jahre später: „Wir überqueren den Fluss, indem wir die Steine im Wasser suchen, auf die wir auftreten können.“ Die Zeit der großen Sprünge war vorbei.[120]

Tabellen

Tabelle 1
Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Getreideernte, der abzuliefernden Menge an Getreide als Agrarsteuer, die den Bauern verbliebene Getreidemenge (pro Person), die Anzahl der Bauern, die zum Getreideanbau verwendete Fläche und den Anteil der von Unwetter betroffenen Fläche. Von Unwetter betroffene Fläche heißt hier eine Ertragsreduktion von mindestens 30%.

Chinas Getreideernte [121]
Jahr Getreideernte Abgelieferte Getreidemenge
als Agrarsteuer
Verbleibende Getreidemenge
pro Landbewohner
Arbeiter in der
Landwirtschaft
Zum Getreideanbau
verwendete Fläche
Verwendete Kunstdünger Von Unwetter
betroffene Fläche
in Mio. To in Mio. To in kg/Person in Mio. Mio. Hektar in Mio. To in %
1952 164 33 270 173 124 0.08 2.9
1953 167 47 257 177 127 0.12 4.9
1954 170 51 265 182 129 0.16 8.5
1955 184 48 278 186 130 0.24 5.2
1956 193 40 306 185 136 0.33 8.2
1957 195 46 295 193 134 0.37 9.5
1958 200 52 286 155 128 0.55 5.2
1959 170 64 223 163 116 0.54 9.7
1960 143 47 212 170 122 0.66 15.3
1961 148 37 229 197 121 0.45 18.6
1962 160 32 241 213 122 0.63 11.9
1963 170 37 245 220 121 1.0 14.3
1964 188 40 270 228 122 1.3 8.8
1965 195 39 271 234 120 1.9 7.8
1966 214 41 287 243 121 2.3 6.7
1967 218 41 287 252 119 2.4 ?
1968 209 40 265 261 116 2.7 ?
1969 211 38 266 271 118 3.1 ?
1970 240 46 289 278 119 3.4 2.3
1971 250 44 298 284 121 3.8 5.1
1972 241 39 286 283 121 4.3 11.6
1973 265 48 303 289 121 4.8 5.1
1974 275 47 307 292 121 5.4 4.4
1975 285 53 315 295 121 6.0 6.7
1976 286 49 317 294 121 6.8 7.6
1977 283 48 313 293 120 7.6 10.2

Tabelle 2
Die folgende Tabelle zeigt für die einzelnen chinesischen Provinzen die Sterberaten von 1954 bis 1966 sowie die Teilnahme der Bevölkerung am beim Großen Sprung nach vorn propagierten gemeinsamen Kantinenessen. Ein hoher Anteil von Kantinenessen ist mit einer hohen Opferzahl bei der Hungersnot korreliert. Der Zusammenhang zwischen rigoroser Durchsetzung der Vorgaben des Großen Sprungs nach vorn und hoher Opferzahl bei der Hungersnot wird darüber deutlich. Zudem waren die Kantinen wenig effizient und trugen zur Verschwendung von Nahrungsmitteln bei.[27]


Sterberaten in den Provinzen
und Teilnahme am gemeinsamen Kantinenessen[121]
Sterberaten in den Provinzen
von 1956 bis 1963 (in 0,1%)
Provinz Teilnahme an
Kantinenessen
in %
Durchschnitt
1956–1957
1958 1959 1960 1961 Durchschnitt
1962–1963
Anhui 90.5 11.7 12.3 16.7 68.6 8.1 8.1
Fujian 67.2 8.2 7.5 7.9 15.3 11.9 7.9
Gansu 47.7 11.1 21.1 17.4 41.3 11.5 9.4
Guangdong 77.6 9.8 9.2 11.1 15.2 10.8 8.5
Guangxi 91.0 12.5 11.7 17.5 29.5 19.5 10.2
Guizhou 92.6 8.2 13.7 16.2 45.4 17.7 9.9
Hebei 74.4 11.3 10.9 12.3 15.8 13.6 10.2
Heilongjiang 26.5 10.3 9.2 12.8 10.6 11.1 8.6
Henan 97.8 12.9 12.7 14.1 39.6 10.2 8.7
Hubei 68.2 10.2 9.6 14.5 21.2 9.1 9.3
Hunan 97.6 11.0 11.7 13.0 29.4 17.5 10.3
Innere Mongolei 16.7 9.2 7.9 11.0 9.4 8.8 8.8
Jiangsu 56.0 11.7 9.4 14.6 18.4 13.4 9.7
Jiangxi 61.0 12.0 11.3 13.0 16.1 11.5 10.4
Jilin 29.4 8.3 9.1 13.4 10.1 12.0 9.7
Liaoning 23.0 8.0 6.6 11.8 11.5 17.5 8.2
Ningxia 52.9 10.9 15.0 15.8 13.9 10.7 9.4
Qinghai 29.9 9.9 13.0 16.6 40.7 11.7 6.9
Shaanxi 60.8 12.2 11.7 12.8 14.2 12.2 11.4
Shandong 35.5 12.1 12.8 18.2 23.6 18.4 12.1
Shanxi 70.6 10.1 11.0 12.7 12.3 8.8 10.0
Sichuan 96.7 11.3 25.2 47.0 54.0 29.4 13.7
Yunnan 96.5 15.8 21.6 18.0 26.3 11.8 12.5
Zhejiang 81.6 9.4 9.2 10.8 11.9 9.8 8.3
China insgesamt 11.1 12.0 14.6 25.4 14.2 10.0

Tabelle 3
Die nächste Tabelle zeigt die Sterberaten in den Provinzen 1960 und die Getreideproduktion pro Person im Jahr 1959.

Sterberaten in den Provinzen 1960
und Getreideproduktion pro Person[121]
Provinz Todesrate 1960
(in 0,1%)
Getreideernte 1959
in kg/Person
Shanghai 6,9 107,02
Peking 9,14 82,01
Neimeng 9.40 412,16
Jilin 10,13 401,07
Tianjin 10,34 91,42
Heilongjiang 10,52 505,95
Shanxi 11,21 244,48
Liaoning 11,50 235,91
Zhejiang 11,88 382,06
Shan'xi 11,27 251,99
Ningxia 13,90 303,70
Guangdong 15,24 242,70
Xinjiang 15,67 304,35
Hebei 15,80 195,12
Jiangxi 16,06 314,36
Jiangshu 18,41 231,42
Fujian 20,70 259,23
Hubei 21,21 241,07
Shandong 23,6 195,24
Yunnan 26,26 265,26
Hunan 29,42 300,32
Guangxi 29,46 246,98
Henan 39,56 195,72
Qinghai 40,73 200,49
Gansu 41,32 223,95
Guizhou 52,33 242,67
Anhui 68,58 204,55
Hainan N/A N/A
Tibet N/A N/A
Sichuan N/A N/A

Korrektur und Neuausrichtung

Bald auf den Großen Sprung nach vorn wurden die Neuerungen des Großen Sprungs Schritt für Schritt modifiziert und zurückgenommen. Im Dezember 1958 wurden zunächst die Sauhuavorgaben entfernt, dies war die Militarisierung der Organisation und die Kollektivierung des täglichen Lebens. Im März 1959 wurde in die Organisation der Volkskommune um die Untereinheiten Produktionsbrigade und Produktionsmannschaft erweitert. Die Grundverrechnungsfunktionen wurden von der Volkskommune zur Produktionsbrigade heruntergestuft. Im April 1959 wurden Leistungsprämien in der Industrie und die Privatzelle in der Landwirtschaft wieder eingeführt.

 
Peng Dehuai

1959 kam es zu einem Richtungsstreit innerhalb der Kommunistischen Partei. Verteidigungsminister Peng Dehuai, der bereits im Dezember 1958 die Auswüchse der Großen Sprungs nach vorn kritisiert hatte, schrieb im Juli 1959 einen berühmt gewordenen Brief an Mao. Peng hielt Mao die Fehler der aktuellen Politik, Übergewicht der Investitionen, gefälschte Jubelmeldungen, Verteilung nach Bedürfnis und anderes vor. Mao musste auf der Lushankonferenz vor der Partei Fehler eingestehen. "Die hauptsächliche Verantwortung für die Jahre 1958 und 1959 liegt bei mir...Auf mich geht die Erfindung der breit angelegten Stahlschlacht zurück... Wir schickten damals unglücklicherweise 90 Millionen Menschen in den Kampf." Im Gegenzug forderte Mao am 23. Juli 1959 die Partei zu einer Entscheidung für oder gegen ihn auf. Am 16. August wurde die Gruppe um General Peng als „Gegenpartei“ verurteilt, und am 17. September 1959 wurde General Peng entlassen und durch Lin Biao ersetzt.[77][122] Die Existenz Pengs, eines Kampfgefährtens Maos seit den 20er Jahren, wurde von Mao über die Jahre vollständig zerrüttet. Während der Kulturrevolution wurde Peng von Roten Garden öffentlich verspottet und misshandelt, er starb 1974 in der Haft.

Im Januar 1961 wurden die Grundverrechnungsfunktionen sowie die Eigentümerschaft an Boden, Gerät und Vieh von der Produktionsbrigade auf die Produktionsmannschaft heruntergestuft. Die Volkskommune war nur noch für Aufgaben zuständig, die aufgrund ihrer Größe von den Untereinheiten nicht zu bewältigen waren, z.B. der Betrieb von Ziegeleien oder Bergwerken. Sie wurden auch als administrative Einheiten etabliert. Erst zur Zeit des 9. Plenums (14. Januar bis 18. Januar 1961) hatte die chinesische Wirtschaft die Talsohle erreicht.

Einige Parteiführer wagten offene Kritik an der Parteiführung und forderten eine moderatere Wirtschaftspolitik. Liu Shaoqi führte 1962 bei einer Großversammlung die Katastrophe zu 30% auf natürliche Ursachen und zu 70% auf menschliches Versagen zurück."[123] Die Agrarpolitik wurde in den 1960er Jahren wieder teilweise dekollektiviert. Sie nahm dabei die spätere Industriepolitik Deng Xiaopings vorweg. Meredith Jung-En Woo zufolge war das Regime zunächst unfähig gewesen, das Leben von Millionen von Bauern zu erhalten. Aber als erste praktikable Reformen einsetzten, wandelte sich das Leben von mehreren Hundert Millionen Bauern zum Besseren. Dies fand in bescheidenen Ausmaß bereits in den 1960er Jahren statt und dauerhaft durch Deng Xiaopings weitergehende Reformen nach 1978.[124][125]

Deng und Liu hatten Mao 1957 gegen „Rechtsabweichler“ noch verteidigt. Die Erfahrungen des großen Sprungs führten zu einer Arbeitsteilung. Während Peng Dehuai offen Mao kritisierte, begannen Liu Shaoqi und Deng Xiaoping im Hintergrund eine erfolgreiche Reform der Wirtschaftspolitik. Dabei trat Mao als Staatspräsident zugunsten von Liu zurück, behielt aber seine Rolle als Symbolfigur an der Spitze von Partei- und Armeeführung. Während der Kulturrevolution wurden Liu und Deng erneut kaltgestellt. Nach erheblichen Machtkämpfen erhielt Deng sich auch aufgrund seines langjährigen guten Verhältnis zu Mao wieder eine führende Rolle. Eine dem Großen Sprung vergleichbare Versorgungskrise ist seither in der Volksrepublik China nicht mehr vorgekommen.

Forschungsgeschichte

Dem „Großen Sprung nach vorne“ und der daraus hervorgehende Hungernots wurden in der westlichen Welt bis in die 1980er Jahre weder in der akademischen Forschung noch in den Medien größere Aufmerksamkeit geschenkt. Dazu trug auch bei, dass die chinesische Regierung darum bemüht war, die Folgen dieser Kampagne vor der Weltöffentlichkeit geheim zu halten.[126] Erst 1981 bewertete chinesische Regierung mit der „Resolution über einige Fragen der Geschichte der KP Chinas seit 1949“ diese Kampagne negativ. Die 1982 erfolgende Volkszählung machte darüber hinaus die große Zahl der Hungertoten deutlich, klar erkennbar war außerdem der starke Rückgang der Geburtenrate in den Jahren 1959 bis 1961.[127] In der westlichen Welt wurde die Kampagne jedoch vorrangig als Ursprung der Kulturrevolution gewertet. Als eigenständiges Ereignis wurde der „Große Sprung nach vorn“ in der westlichen Welt erst ab den 1990er Jahren eingeordnet, als die Rolle Mao Zedongs zunehmend im Interesse der akademischen Forschung stand.[128]

Literatur

  • Frank Dikötter: Mao's Great Famine: The History of China's Most Devastating Catastrophe, 1958–1962. Bloomsburry, London 2010, ISBN 978-1-4088-1219-8
  • Jonathan Fenby: The Pengiun History of Modern China - The Fall and Rise of a Great Power 1850 - 2009. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-141-02009-9
  • Judith Shapiro: Mao's war against nature - Politics and the Environment in Revolutionary China. Cambridge University Press, Cambridge 2001, ISBN 0-521-87680-0
  • Oskar Weggel: Geschichte Chinas im 20.Jahrhundert. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 3-520-41401-5
  • Felix Wemheuer: Steinnudeln - Ländliche Erinnerungen und staatliche Vergangenheitsbewältigung der Großen Sprung-Hungersnot in der chinesischen Provinz Henan. Europäische Hochschulschriften, Peter Lang GmbH - Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-56279-6

Einzelnachweise

  1. Li, Kwok-sing, A glossary of political terms of the People's Republic of China. 1995. Hong Kong: The Chinese University of Hong Kong. Translated by Mary Lok. Pages 47-48.
  2. Chan, Alfred L.: Mao's crusade: politics and policy implementation in China's great leap forward (= Studies on contemporary China). Oxford University Press, ISBN 978-0-19-924406-5, S. 13 (google.com).
  3. Oskar Weggel: Geschichte Chinas im 20.Jahrhundert. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 3-520-41401-5
  4. Shapiro, S. 26
  5. Fenby, S. 383
  6. Fenby, S. 383 und S. 384
  7. Fenby, S. 384
  8. Fenby, S. 384
  9. Fenby, S. 384
  10. Xin Meng, Nancy Qian, Pierre Yared: The Institutional Causes of China's Great Famine, 1959–1961, Seite 6 [1]
  11. Fenby, S. 384
  12. Dikötter, S. 7
  13. Dikötter, S. 7 und S. 8
  14. Dikötter, S. 8
  15. Shapiro, S. 72
  16. Dikötter, S. 9
  17. Shapiro, S. 21
  18. Dikötter, S. 22
  19. Shapiro, S. 27
  20. Shapiro, S. 27
  21. Dikötter, S. 9
  22. Dikötter, S. 10 bis S. 15
  23. Shapiro, S. 72 und S. 73
  24. Shapiro, S. 34 und S. 35
  25. Meredith Woo-Cumings: The Political Ecology of Famine, S.20 Meredith ADB Institute Research Paper 31, January 2002
  26. Dikötter, S. 27
  27. a b c d Wei Li, Dennis Yao Tang. The Great Leap Forward: Anatomy of a Central Planning Disaster, Universität von Virginia, März,2005
  28. Dikötter, S. 35 bis S. 37
  29. Dikötter, S. 36
  30. Fenby, S. 397 und S. 398
  31. Dikötter, S. 34
  32. Dikötter, S. 35
  33. Dikötter, S. 36
  34. Dikötter, S. 37
  35. Dikötter, S. 26
  36. Dikötter, S. 27
  37. Shapiro,S. 50
  38. Dikötter, S. 26
  39. Shapiro, S. 53
  40. Shapiro, S. 63
  41. Human Rights Watch Report über Staudammbau in China mit einer ausführlichen Wertung des Shimantam- und Banqiao-Staudammbruchs, aufgerufen am 9. Januar 2011
  42. Dikötter, S. 27
  43. Dikötter, S. 29 und S. 30
  44. Dikötter, S. 30
  45. Dikötter, S. 30
  46. Dikötter, S. 48
  47. Dikötter, S. 48
  48. Wembauer, S. 9
  49. Dikötter, S. 49
  50. Ralph A. Thaxton, Jr., Catastrophe and Contention in Rural China: Mao’s Great Leap Forward, Famine and the Origins of Righteous Resistance in Da Fo Village Cambridge: Cambridge University Press, 2008
  51. Dikötter
  52. Wembauer, S. 71
  53. Shapiro, S. 76
  54. Dikötter, S. 38 und S. 39
  55. Dikötter, S. 39
  56. Shapiro, S. 77
  57. Shapiro, S. 77
  58. Dikötter, S. 40
  59. Shapiro, S. 76
  60. Shapiro, S. 77 und 78
  61. Shapiro, S. 79
  62. Dikötter, S. 45
  63. Dikötter, S. 56
  64. Dikötter, S. 57
  65. zitiert nach Shapiro, S. 74
  66. Dikötter, S. 57
  67. Dikötter, S. 58
  68. Dikötter, S. 58
  69. Dikötter, S. 58
  70. Otto Johannsen (im Auftrag des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute): Geschichte des Eisens. 3. Auflage. Verlag Stahleisen mbH, Düsseldorf 1953, S. 22, 23.
  71. Dikötter, S. 58
  72. Dikötter, S. 59
  73. Dikötter, S. 59
  74. Dikötter, S. 60
  75. Dikötter, S. 61
  76. Dikötter, S. 61
  77. a b c d Henry C. Liu: The Great Leap Forward not all bad, in: Asia Times 1. April 2004
  78. Shapiro, S. 81
  79. Shapiro, S. 75
  80. Shapiro, S. 80
  81. Dikötter, Frank. Mao's Great Famine: The History of China's Most Devastating Catastrophe, 1958-62. Walker & Company, 2010 ISBN 0802777686
  82. Walter Mallory: China - Land of Famine Journal of the Royal Institute of International Affairs, Vol.6, No.3 (May, 1927) Seiten 185–187
  83. Meredith Woo-Cumings: The Political Ecology of Famine, S. 5 Meredith ADB Institute Research Paper 31, January 2002
  84. Dikötter, Frank. Mao's Great Famine: The History of China's Most Devastating Catastrophe, 1958-62. Walker & Company, 2010. S 114-115. ISBN 0802777686
  85. The Most Deadly 100 Natural Disasters of the 20th Century
  86. Mao and Lincoln (Part 2): The Great Leap Forward not all bad, Asia Times, 1.4.2004
  87. Die Zeit, Hunger in China, 27. März 1981
  88. Meredith Woo-Cumings: The Political Ecology of Famine, Seite 18 Meredith ADB Institute Research Paper 31, January 2002
  89. Horror of a Hidden Chinese Famine, New York Times
  90. Xin Meng, Nancy Qian, Pierre Yared: The Institutional Causes of China's Great Famine, 1959–1961, Seite 1 [2]
  91. Yonggang Xie, Analysis of Famines Caused by Heavy Floods and Droughts in China Nature and Science, 2004
  92. Xin Meng, Nancy Qian, Pierre Yared: The Institutional Causes of China's Great Famine, 1959–1961, Seiten 8 und 52 [3]
  93. Dennis Tao Yang: China's Agricultural Crisis and Famine of 1959–1961, S. 7 Comparative Economic Studies 2008 Nr.4
  94. Wei Li, Dennis Yao Tang. The Great Leap Forward: Anatomy of a Central Planning Disaster, Seite 5 Universität von Virginia, März,2005
  95. a b Jasper Becker. Hungry Ghosts. Mao's Secret Famine. Holt Paperbacks, 1998. ISBN 0805056688
  96. Richard Bernstein: Horror of a Hidden Chinese Famine, New York Times, 5. Februar 1997
  97. a b Xin Meng, Nancy Qian, Pierre Yared: The Institutional Causes of China's Great Famine, 1959–1961, Seite 8 [4]
  98. Ralph Miliband Marxism and Politics (1977)
  99. The idea of justice, von Amartya Sen, Harvard University Press, 2009
  100. a b Frank Dikötter: Mao’s Great Famine, London/New York 2010. Siehe hierzu Buchankündigung und BBC-Interview, eingesehen am 5. September 2010.
  101. The Ten worst Famines of the 20th Century Reuters AlertNet
  102. Wolfgang Taubmann, Bevölkerungsentwicklung in China Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2007
  103. Adam Jones. Genocide: A Comprehensive Introduction. Routledge; 2 edition (August 1, 2010). ISBN 041548619X p. 96
  104. a b c d e f g h Sean Turner, "Containment and Engagement: U.S. China Policy in the Kennedy and Johnson Administrations", PhD Adelaide 2008
  105. François Mitterrand à la découverte de la “patience” chinoise, Bericht zu den französisch-chineischen Beziehungen auf mitterand.org, von Aurélie Lebelle, 12.9.2007
  106. Mao's Great Famine: the History of China's Most Devastating Catastrophe (1958-62), 20.9.2010 New Statesman von Frank Dikötter
  107. Response to chaos: the United States, the Great Leap Forward, and the Cultural Revolution, 1961-1968, Autor: Kaufman, Victor S., Imprint Publications, The Journal of American-East Asian Relations, ISSN: 1058-3947, 1998
  108. Die DDR und China 1949 bis 1990: Politik, Wirtschaft, Kultur, Werner Meissner, Anja Feege
  109. Marxism and the Chinese experience: issues in contemporary Chinese socialism, Arif Dirlik, Maurice J. Meisner, M.E. Sharpe, 1989, dito Maurice Meisner: Mao's China and After: A History of the People's Republic Since 1949, Free Press, 1986
  110. The Readjustment in the Chinese Economy Population Policy and Trends in China, Judith Banister 1978–83, The China Quarterly (1984), 100: 717-741, DOI: 10.1017/S0305741000024061 Cambridge University Press
  111. Mao and Lincoln (Part 2): The Great Leap Forward not all bad, Asia Times, 1 April 2004 (accessed 3 July 2006)
  112. Jung Chang und Jon Halliday. Mao: The Unknown Story. Jonathan Cape, London, 2005. p 457 ISBN 0224071262
  113. R.J. Rummel: Getting My Reestimate Of Mao’s Democide Out. Abgerufen am 9. April 2007.
  114. Steven Rosefielde, Red Holocaust Routledge, 2009. ISBN 0415777577
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  116. Anne Applebaum. When China Starved. The Washington Post, August 12, 2008
  117. Mark O'Neill. A hunger for the truth: A new book, banned on the mainland, is becoming the definitive account of the Great Famine. South China Morning Post, 6.7.2008.
  118. Meredith Woo-Cumings: The Political Ecology of Famine, Seite 20 Meredith ADB Institute Research Paper 31, January 2002.
  119. Matthias Naß: Chinas großer Sprung rückwärts, in: Die Zeit, 30. Juni 1989
  120. Erning Zhe: Wegbereiter Chinas - Vor zehn Jahren starb Deng Xiaoping Deutsche Welle, 19. Februar 2007
  121. a b c Xin Meng, Nancy Qian, Pierre Yared: The Institutional Causes of China's Great Famine, 1959–1961, Anhang [5]
  122. Meredith Woo-Cumings: The Political Ecology of Famine Meredith ADB Institute Research Paper 31, January 2002
  123. Twentieth Century China: Third Volume, Peking 1994, Seite 430
  124. The Political Ecology of Famine: The North Korean Catastrophe and Its Lessons
  125. Meredith Woo-Cummings, ADB Institute Research Paper 31.1. 2002
  126. Wemheuer, S. 5
  127. Wemheuer, S. 5
  128. Wemheuer, S. 6