Otto Riese

deutscher Jurist und Richter am Europäischen Gerichtshof
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Otto Riese (* 27. Oktober 1894 in Frankfurt am Main; † 4. Juni 1977 in Pully bei Lausanne) war ein deutscher Jurist, Richter und Hochschullehrer. Er war Senatspräsident des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe und der erste Richter aus Deutschland am Europäischen Gerichtshof.

Familie

Otto Riese wurde geboren als Sohn des als Baumeister und Ingenieur von Eisenbahnlinien in Afrika und Asien bekanntgewordenen geheimen Baurats Johann August Otto Riese, welcher unter anderem die Bauleitung für die Bagdadbahn innehatte und der Karoline Elise geb. Euler. Er war unverheiratet.

Leben und berufliche Laufbahn

Studium und frühe Jahre

Riese besuchte das Goethe-Gymnasium in Frankfurt am Main und studierte ab 1913 bis zum Ersten Weltkrieg drei Semester Rechtswissenschaften an der Universität Lausanne. Während seines Studiums in Lausanne wurde er Mitglied der Société d’Étudiants Germania Lausanne. Riese nahm als Freiwilliger an den Kämpfen im Westen teil und war zuletzt Leutnant der Reserve und Abteilungsadjutant im Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 21.

Nach dem Krieg setzte er sein Studium an der Universität Leipzig und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt fort. Anschließend verfasste er seine Dissertationsarbeit unter dem Titel „Die rechtliche Konstruktion der nach den Sozialisierungsgesetzen zu bildenden Syndikate“ und wurde 1921 an der Universität Frankfurt zum Doktor der Rechte promoviert. 1923 schloss er sein Studium mit dem zweiten juristischen Staatsexamen ab und war anschließend Assessor am Landgericht Frankfurt am Main.

Von 1924 bis 1925 war er Volontär am Bankhaus M.M.Warburg & CO in Hamburg. Anschließend wechselte er ins Reichsministerium der Justiz, wo er von 1925 bis 1928 tätig war. Dort war mit Fragen des allgemeinen Völkerrechts, der internationalen Rechtsvergleichung und des Luftrechts befaßt.

Seit 1926 war zudem Mitglied des Internationalen Ausschusses der Luftrechtssachverständigen.

1928 studierte er kurzzeitig englisches Recht in London und wurde Ende 1928 als Oberregierungsrat in das Reichsjustizministerium berufen. Riese spezialisierte sich im Bereich des Internationalen Privatrechts vor allem auf das Luftfahrtrecht und nahm von 1924 bis 1938 als Fachmann ersten Ranges an diplomatischen Konferenzen zur Vereinheitlichung des Luftprivatrechts in Paris, Warschau, Rom und Brüssel teil.

In den Jahren 1929 bis 1930 unternahm Riese ausgedehnte Studienreisen nach Indien, Siam, Niederländisch-Indien, China und Japan und war 1933 Berichterstatter (Rapporteur) der Internationalen Diplomatischen Konferenz für Luftprivatrecht in Rom und war Mitglied des Comité International Technique d’Experts Juridiques Aériens in Paris und des Luftrechtsausschusses der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht.

1934 erfolgte seine Ernennung zum Ministerialrat im Reichsjustizministerium.

Laufbahn als Professor

Im Jahre 1932 wurde Riese als Lehrbeauftragter für Deutsches Bürgerliches und Zivilprozessrecht an die Université de Lausanne berufen. 1935 wurde er in Lausanne zum außerordentlichen Professor für deutsches Recht ernannt. Nachdem er 1935 seine Professur in Lausanne erhalten hatte, schied er offiziell aus dem Verband des Reichsjustizministeriums aus.

1949 wurde er schließlich zum ordentlichen Professor für deutsches Recht, Recht der deutschen Wertpapiere, Luftfahrt- und Verkehrsrecht und Rechtsvergleichung ernannt. Ab 1950 übte er zugleich des Amt des Dekans der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne aus und war ab 1951 noch als Honorarprofessor an der Universität Lausanne tätig.

Seit 1956 nahm Professor Riese als deutscher Delegierter und Delegationsleiter auch fortgesetzt an den Konferenzen der "International Civil Aviation Organization" (ICAO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen und ihres Rechtsausschusses teil. Hierüber berichtete er nach Einstellung der juristischen Fachzeitschrift „Archiv für Luftrecht“ im Jahre 1943 in verschiedenen deutschen Völkerrechtsperiodika und seit 1952 regelmäßig in der neu erscheinenden juristischen Fachzeitschrift „Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen“ (die heutige Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht (ZLW)). Darüber hinaus untersuchte er die Rechtsentwicklung des Luftfahrtrechts in mehreren luftrechtlichen Monographien.

Richter am BGH und am EGKS-Gerichtshof

Nach dem Krieg wurde er beim Wiederaufbau einer höchstrichterlichen Instanz für die Bundesrepublik 1951 als Senatspräsident an den Bundesgerichtshof in Karlsruhe berufen.

Im Anschluss arbeitete er vom 4. Dezember 1952 bis zum 6. Oktober 1958 fast 6 Jahre lang als Richter am EGKS-Gerichtshof in Luxemburg, dem Vorläufer des Europäischen Gerichtshofs. Mit seiner Vereidigung am 10. Dezember 1952 war Riese der erste deutsche Richter einer höchstrichterlichen Instanz auf europäischer Ebene.

Seiner Arbeit am EGKS-Gerichtshof folgten vom 7. Oktober 1958 bis zum 6. Februar 1963 über vier weitere Jahre als Richter an dem daraus hervorgegangenen neu gegründeten Europäischen Gerichtshof, dem obersten rechtsprechende Organ der Europäischen Union (EU) mit Sitz in Luxemburg. Damit war er zudem der erste deutsche Richter dieses Gerichtes.

Riese kritisiert die Sprachregelung die französische Sprache als einheitliche und einzige Arbeitssprache des Europäischen Gerichtshofs zu verwenden.[1] Diese Sprachregelung verschaffe den Richtern französischer Muttersprache erhebliche Vorteile gegenüber den anderen Richtern und ermögliche ohne Übersetzungen unmittelbare geheime Beratungen des Richterkollegiums. Anderseits mute sie ihnen auch zu das nicht immer glänzende Französisch ihrer Kollegen anhören zu müssen und auferlege ihnen die „toilette de style“ der Urteilsentwürfe.[2] Riese hat mit seine Äußerungen Kritik erfahren, die aber nicht offen ausgesprochen worden ist.[3]

Späte Jahre in Lausanne

Von 1963 bis 1966 hielt er als Honorarprofessor weiterhin deutsch- und französischsprachige Vorlesungen zu Rechtsvergleichung und deutschem Zivilrecht in Lausanne. 1969 gründete er das Institut für Rechtsvergleichung der Universität Lausanne, das er bis 1972 als Direktor leitete.[4]

Riese veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen zu luftrechtlichen Fragen. Er war ein passionierter Sammler verschiedener japanischer Farbholzschnitte.[5] Seine Sammlung bestehend aus über 179 Blättern ist bis zuletzt 2009 Gegenstand mehrerer Austellungen gewesen. Im Jahre 1961 wurde er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband ausgezeichnet.

Riese war unverheiratet und starb am 4. Juni 1977 im Alter von 82 Jahren in Pully bei Lausanne.

Auszeichnungen und Ehrungen

Einzelnachweise

  1. Hierzu ausführlich: Otto Riese: Das Sprachenproblem in der Praxis des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften in: Vom deutschen zum europäischen Recht - Festschrift für Festschrift für Heinz Dölle. 1963, S. 507-524.
  2. Siehe ebenda.
  3. Hans Joachim Hermann: Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Band 3, Ausgabe 1, Hrsg. vom Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht. S. 60
  4. Pütter, Rohlfs: Otto Riese (1894-1977). In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 606 (Digitalisat).
  5. Pütter, Rohlfs: Otto Riese (1894-1977). In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 606 (Digitalisat).

Veröffentlichungen

  • Über die Methoden der internationalen Vereinheitlichung des Privatrechts. Zeitschrift für Schweizerisches Recht (ZSR) Band 86, HalbBd 1, 1967, S. 1-31
  • Das Sprachenproblem in der Praxis des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften in: Vom deutschen zum europäischen Recht - Festschrift für Festschrift für Heinz Dölle. 1963, S. 507-524.
  • Einheitliche Gerichtsberkeit für vereinheitlichtes Recht? Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (RabelsZ) Band 26, 1961, S. 604-628
  • Das mehrseitige Abkommen über gewerbliche Rechte im nichtplanmäßigen Luftverkehr in Europa. Kirschbaum Verlag, Bielefeld 1959
  • Internationalprivatrechtliche Probleme auf dem Gebiet des Luftrechts. Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht (ZLW) 1958, S. 271
  • Luft- und weltraumrechtliche Gegenwartsfragen. Droste, Düsseldorf 1958
  • Erfahrungen aus der Praxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Deutsche Richterzeitung (DRiZ), 1958, S. 270-274.
  • Luftrecht: das internationale Recht der zivilen Luftfahrt unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen Rechts. Stuttgart 1949
  • Die staatsrechtliche Inkraftsetzung von Staatsverträgen in England. Tauchnitz Verlag, Leipzig 1929
  • Die rechtliche Konstruktion der nach den Sozialisierungsgesetzen zu bildenden Syndikate. Disseration an der Universität Frankfurt. Osterrieth Verlag, Frankfurt a.M. 1921

Literatur

  • Pütter, Rohlfs: Otto Riese (1894-1977). In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 606 (Digitalisat).
  • Eugen Langen: Nachruf für Otto Riese, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1977, S. 1522
  • Festschrift für Otto Riese aus Anlaß seines siebzigsten Geburtstages (mit Beiträgen von Aubin, Bernhard, Ernst v. Caemmerer, Philippe Meylan, Karl Heinz Neumayer, Gerd Rinck and Walter Strauss). Verlag C. F. Müller, Karlsruhe 1964
  • Stephan von der Schulenburg (Hg.). Wolfgang Höhn (Werkkatalog): Helden der Bühne und Schönheiten der Nacht. Meisterwerke des Japanischen Holzschnitts aus den Sammlungen Otto Riese und Johann Georg Geyger, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, 19.2. - 10.5.2009. Katalog zur Ausstellung mit zahlreichen Illustrationen. Wienand, Köln 2009
  • Rose Hempel: Meisterwerke des japanischen Farbholzschnitts - die Sammlung Otto Riese. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung "Meisterwerke des Japanischen Farbholzschnitts, die Sammlung Otto Riese" im Museum für Ostasiatische Kunst Köln vom 24. September bis 7. Dezember 1997. Prestel Verlag, München, New York 1997