Atlantis

mythisches Inselreich
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Atlantis (griech.: Άτλάντις "[Reich oder Insel] des Atlas") ist ein vermutlich fiktiver versunkener Inselkontinent, der einst Heimat einer entwickelten bronzezeitlichen Zivilisation gewesen sein soll.

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Atlantis-Karte von Athanasius Kircher (ca. 1666)

Die einzigen bekannten Angaben dafür stammen von dem griechischen Philosophen Platon. Sie beschreiben Atlantis nicht als damals verbreiteten Mythos, sondern als Inhalt eines fiktiven Dialogs. Darin erzählt einer der Sprecher, was ihm selbst durch Hörensagen überliefert wurde und von viel älteren ägyptischen Quellen stammen soll. Mit diesem damals typischen literarischen Kunstgriff wollte Platon nicht die Existenz einer bis dahin unbekannten Insel behaupten, sondern die Rolle Athens im Rahmen seiner "Politeia" für seine Zeit zur Geltung bringen.

Gleichwohl hat seine Beschreibung die Phantasie zahlreicher Abenteurer und Altertumsforscher angeregt. Zum Mythos wurde "Atlantis" erst durch ihre vielfältigen, an Platon anknüpfenden Hypothesen, die einen realen Hintergrund seines fiktiven Dialogs annehmen. Sie fassten ihn als Bericht mit einem historischen Kern auf und begannen, nach dem "versunkenen Kontinent" mit einer Urzivilisation zu suchen. In dieser Form prägte der Mythos um Atlantis das moderne Europa. Dies zieht sich von der frühen Neuzeit, wo "Atlantis" in alte Seekarten eingetragen wurde, bis zur heutigen Esoterik mit ihren spekulativen Theorien.

Ursprung

 
Platon

Ursprung und einzige schriftliche Quelle über Atlantis sind die beiden Dialoge Timaios und Kritias, die Platon etwa 360 v. Chr. verfasste. In den Dialogen erzählt Kritias seinen Gesprächspartnern Hermokrates, Timaios und Sokrates die Geschichte, die er nach eigener Angabe als Zehnjähriger von seinem 90-jährigen Großvater überliefert bekam. Dieser wiederum hätte sie in seiner Jugend von dem attischen Staatsmann Solon gehört, der ein Freund der Familie war. Als Ausgangspunkt dieser Überlieferung erscheint also der große athenische Gesetzgeber des 6. Jahrhunderts v. Chr. - zu Platons Zeiten sicher schon selbst eine halb sagenhafte Gestalt. Dieser soll nun, nach Kritias' Bericht, um 570 v. Chr. das alte Ägypten bereist haben. Dort, in der damaligen Hauptstadt Sais, sollen ihm Priester der Neith die Atlantis-Geschichte erzählt haben.

Es gilt als hochgradig unwahrscheinlich, dass die sokratischen Dialoge Timaios und Kritias historisch reale Gespräche der genannten Personen wiedergeben. Die Form des Dialogs oder Lehrgesprächs ist ein in der antiken Philosophie und besonders bei Platon beliebtes rhetorisches Element, um belehrenden Texten mehr Authentizität und mehr Lebendigkeit zu verleihen. Dabei wird die Zuhörerrolle nicht erfundenen, sondern berühmten und respektierten Personen der städtischen Aristokratie und der politischen Zeitgeschichte in den Mund gelegt. Eine reale Diskussion müsste spätestens 408 v. Chr. stattgefunden haben, da in jenem Jahr einer der Teilnehmer, Hermokrates, starb. Unabhängig davon gilt als gesichert, dass Solon Ägypten besuchte (vgl. Hdt. I 30,1 und II 177,2) - ob und was ihm von Atlantis berichtet wurde, ist dagegen nicht bekannt.

Die beiden zusammengehörigen Dialoge sind nur die erste Hälfte eines zunächst offenbar umfangreicheren Plans. Der kurze Kritias ist unvollendet abgebrochen, und den ursprünglich geplanten dritten Dialog, in dem Hermokrates der Sprecher gewesen wäre, begann Platon gar nicht erst. Die Atlantis-Erzählung bricht daher unvollendet ab. Der Grund ist nicht überliefert.

Platons Atlantis-Bericht

Nach Platon existierte neuntausend Jahre vor Solons Zeit (etwa 9600 v. Chr.) ein Inselkontinent von der Größe Kleinasiens (Asia) und Nordafrikas (Libya) "vor den Säulen des Herakles". Jenseits dieser Meerenge liegt nach der griechischen Mythologie das Gebiet des Gottes Poseidon, weshalb der älteste seiner Söhne mit der Sterblichen Kleito - namentlich Atlas - der König des Inselreiches sei. Nach diesem König Atlas (der nicht mit dem Titan Atlas zu verwechseln ist) wird die Insel adjektivisch als "atlantisch" bzw. genitivisch als "Atlantis" bezeichnet. Das umgrenzende Meer ist der Atlantische Ozean (also "der dem Atlas gehörende Ozean") - ein Begriff, der schon vor Platon durch Herodot verwendet wurde und sich dort auf den Titan Atlas und nicht auf den König Atlas bezog. Administrativ soll Atlantis in zehn Teilreiche gegliedert gewesen sein, da Poseidon mit Kleito insgesamt zehn Söhne (fünf Zwillingspaare) hatte, von denen jeder über ein Gebiet herrschte, während Atlas Herrscher über alle war.

Platon beschreibt die große Insel als äußerst fruchtbar und dicht besiedelt, auch habe es dort besonders hohe Berge gegeben. Die Hauptstadt von Atlantis habe am Rande einer 3.000 mal 2.000 Stadien großen, zentral gelegenen Ebene am Meer gelegen. An deren zum Meer hin gelegenen Rand lagen drei konzentrische Wasserringe, die um einen mittleren Hügel mit Tempeln und der Königsburg lagen. Diese Tempel sollen die Atlanter mit einem zu Platons Zeiten unbekannten, wie Feuer glänzendem Material namens Oreichalkos überzogen haben, das die Atlanter nach dem Gold am meisten schätzten. Ebenso berichtet Platon von einem Kanal vom Meer bis zu den konzentrischen Wasserringen, die somit als Hafen der Stadt gedient hätten.

Bevor Atlantis mit dem Krieg gegen Ägypten, Ur-Athen und andere Staaten begann, hatte es bereits die Länder in Europa bis nach Tyrrhenien und Nordafrika bis nach Ägypten hin erobert. Ur-Athen war von der Göttin Athene gegründet worden, die auch die staatliche Ordnung schuf, die auffällig Platons Vorstellung des idealen Staates ("Politeia") gleicht. Auch das Gemeinwesen von Sais sei später von der Göttin Neith, dem Gegenstück zur griechischen Athene, begründet worden. Dem kleinen, aber im Gegensatz zu Atlantis tugendhaft geführten Ur-Athen gelingt es, die Atlanter zu besiegen und den Völkern bis hin zu den Säulen des Herakles die Freiheit wiederzugeben.

Später versinkt die Insel Atlantis durch Erdbeben innerhalb „eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht“ im Meer. Dort, wo sie einst lag, sei das Meer nun unbefahrbar und schlammig. Ur-Athen sei von den Erdbeben ebensowenig verschont worden. Die Überlieferung der athenischen Heldentat soll in der ägyptischen Stadt Sais aufbewahrt worden sein, die tausend Jahre nach Athen gegründet worden sein soll.

Hypothesen und Deutung

Die universitäre Wissenschaft geht fast ausschließlich davon aus, dass es sich bei Atlantis um eine Erfindung Platons handelt. Hauptgrund für diese Annahme ist zum einen die allgemein anerkannte Theorie über die Entwicklung erster Hochkulturen, die die Existenz eines Weltreiches vor 12.000 Jahren ausschließt. Zum anderen ist es das Fehlen weiterer schriftlicher Quellen, hauptsächlich vor Platon. So berichtet weder Herodot noch irgendein anderer griechischer Autor über ein Inselreich namens Atlantis, obwohl die Geschichte den Griechen seit Solon bekannt gewesen sein müsste, wenn dieser sie tatsächlich aus Ägypten mitgebracht hätte.

Man nimmt daher an, Platon habe Atlantis zu Demonstrationszwecken erfunden. Da sein Werk über den idealen Staat ("Politeia") in der Kritik stand, mehr oder minder eine Kopie des ägyptischen Staatssystems zu sein (durch Isokrates, vgl. Eucken, 1983), erschuf er den Mythos eines idealstaatlichen Ur-Athens, das angeblich schon 1.000 Jahre vor den Ägyptern existierte und zugleich so stark war, dass es jenes mächtige Weltreich (Atlantis) besiegen konnte, das ganz Europa beherrschte. Die Angabe, Ägypten sei damals bereits 8.000 und Athen über 9.000 Jahre alt gewesen, ist nicht willkürlich, sondern orientiert sich an der damals gängigen griechischen Vorstellung vom hohen Alter der ägyptischen Kultur (vgl. Herodot II 100,1; II 142,1-3). Womöglich, so eine andere Theorie, wollte Platon mit der abwegig erscheinenden Altersangabe zu Athen aber auch nur den einheimischen Traditionalismus verspotten (vgl. Heidel, 1933).

 
Weltkarte des Hekataios, 5. Jhdt. v. Chr.

Atlantis jenseits der "Säulen des Herakles" zu lokalisieren lag insofern nahe, als dort für die Griechen das Ende der Welt lag, und der Anfang des Reichs von Poseidon, nämlich des Weltmeeres (Ωκεανος). Trotz ihres Drangs nach Westen (Kolonien in Spanien - Mainake, Hemeroskopeion) hatte zu Platons Zeiten kein Grieche das Meer jenseits von Gibraltar befahren; erst die Entdeckungsreisen des Pytheas von Massilia Ende des 4. Jhdt. v. Chr. änderten dies. Stattdessen waren nur Berichte karthagischer Seefahrer bekannt, die - sicherlich um die Griechen abzuschrecken - von Untiefen und kaum befahrbarem, schlammig-dickflüssigem Wasser berichteten. Für die Vermutung, dass es dort einst einen Kontinent gegeben habe, der nun untergegangen war, brauchte es da nicht viel Fantasie.

Wenn auch die Existenz eines Atlantis nach Platon bezweifelt wird, muss man annehmen, dass er für seine Fiktion reale Vorbilder brauchte. So erinnert das atlantische Staatssystem mit seinen "Unterkönigen" und einem "Oberkönig" stark an die Struktur des achämenidischen Perserreichs mit seinen Satrapen, die dem Großkönig unterstellt waren. Auch die Beschreibung der atlantischen Hauptstadt mit konzentrischen Ringen erinnert an Herodots Beschreibung der persischen Residenzstadt Ekbatana (vgl. Hdt I 98,3-6). Ebenso ist im Fall der kreisrunden Hafenanlagen eine Ähnlichkeit zum Kriegshafen Karthagos erkennbar, von dem allerdings unklar ist, ob er bereits zu Platons Zeiten existierte. Des Weiteren könnte das despotisch regierte Syrakus als ein Vorbild gedient haben.

In Bezug auf den charakteristischen Teil der Atlantis-Geschichte - den Untergang in Folge einer Naturkatastrophe - stehen mehrere mögliche Vorbilder zur Auswahl. Erdbeben im Allgemeinen ereignen sich in der Ägäis recht häufig, zu Platons Lebzeiten mindestens zwei von katastrophalen Ausmaßen. Zum einen kam es 426 v. Chr. nach mehreren Erdstößen zu einer Überschwemmung zu beiden Seiten des Golfs von Euboia, bei dem die Stadt Orobiai und eine Insel namens Atalante überflutet wurden (vgl. Thuc. III 89). Die andere, sicherlich bekanntere, weil tragischere Katastrophe, ereignete sich im Winter 373 v. Chr., als nach einem Erdbeben im Golf von Korinth ein Tsunami die reiche Stadt Helike vollständig zerstörte und die Einwohner tötete (vgl. Diod. XV 48,1-3).

Eine Reihe von Forschern favorisiert eine Theorie, nach der der Ausbruch der Vulkaninsel Thera (vermutlich 1628 v. Chr.) der Ursprung des Untergangsszenarios ist. Dabei ist allerdings umstritten, ob und inwiefern Platon und seinen Zeitgenossen jene Katastrophe bekannt war. Schriftliche Überlieferung dazu gibt es in Griechenland keine. In Ägypten finden sich sehr vage Beschreibungen der Folgen (verdunkelter Himmel, Ascheregen) auf der sog. "Unwetterstele" des Pharaos Ahmose (vgl. Klug, 2002). Ebenso findet sich eine Aufzeichnung in China, wo von verdunkeltem Himmel und sommerlichem Frost berichtet wird (Folgen des Vulkanischen Winters). Diese Informationen dürften Platon allerdings schwerlich bekannt gewesen sein. Spekuliert wird aber ebenso über eine mündliche mythologische Überlieferung. In Anbetracht der Tatsache, dass der Kern bekannter Mythen wie der Ilias oder der Argonautensage über mehrere Jahrhunderte aus mykenischer in klassisch-griechische Zeit überliefert wurde, wäre es nicht undenkbar, dass auch der Thera-Ausbruch den einen oder anderen Mythos inspirierte. Ein vielzitiertes Beispiel wäre hier die Legende von der Deukalion-Flut, in der von einer (stark an Noah erinnernden) Sintflut berichtet wird, jedoch nicht vom Untergang eines Reiches oder gar eines Kontinents.

Lokalisierungsversuche

Trotz der zweifelhaften Authentizität der Angaben der "Quelle" und des offenkundigen Fehlens jeglicher Erwähnungen von Atlantis zwischen der Zeit Solons und Platons, glauben etliche Forscher an den ägyptischen und damit quasi-frühzeitlichen Ursprung der Atlantis-Geschichte. In den letzten Jahrhunderten, insbesondere aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, wurden daher zahlreiche Versuche unternommen, Atlantis irgendwo auf der Welt ausfindig zu machen. Eine Gruppe von hauptsächlich pseudo-wissenschaftlichen Autoren nimmt Platons Beschreibung wörtlich und vermutet einen untergegangenen Kontinent im Nordatlantik. Für den Untergang von Atlantis werden dabei oft phantastische Szenarien konstruiert, von Meteoriteneinschlägen bis Atombombenexplosionen. Die Überlebenden der Katastrophe sollen schließlich nach Ost und West geflohen sein und bei ihrer Ankunft den Menschen in der Alten und Neuen Welt die Zivilisation gebracht haben.

Populär wurde diese These vor allem durch den Amerikaner Ignatius Donnelly, der in seinem 1882 veröffentlichten Buch Atlantis nicht nur zur Wiege der menschlichen Zivilisation erklärte, sondern auch dessen Untergang mit der biblischen Sintflut in Verbindung brachte. Donnelly konnte sich bei seiner Darstellung des Untergangs von Atlantis übrigens in gewisser Weise auf die zeitgenössischen Vorstellungen über die Entstehung von Ozeanen berufen,wie sie damals besonders von dem österreichischen Geolgen Eduard Suess propagiert wurden. Jedoch hatte schon Suess die Einsenkung des Atlantiks in die Zeit des Tertiärs datiert, also eine Zeit, in der es auf der Erde noch garkeine Menschen gab. Seitdem sich Alfred Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung, und darauf folgend, das geotektonische Modell der Plattentektonik durchgesetzt haben, geht die Wissenschaft davon aus, dass sich erstens: kontinentale Kruste nicht einfach absenken, und in ozeanische Kruste verwandeln kann (schon garnicht im Laufe "eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht"), denn es handelt sich dabei um zwei völlig unterschiedliche Krustentypen mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Dichte; und dass sich zweitens: Ozeane statt dessen durch das langsame Auseinanderdriften von Kontinentalblöcken bilden. Obwohl die meisten Punkte von Donnellys Theorie solcherart im Laufe der Zeit widerlegt wurden, griffen etliche andere Autoren seine Ideen auf, u.a. Otto Muck, Erich von Däniken und Uwe Topper.

Da nach heute anerkannten Erklärungsversuchen feststeht, dass es zum einen im Atlantik nie einen "achten Kontinent", zum anderen im 11. Jahrtausend v. Chr. keine Hochkulturen gab, versuchen moderne "Atlantisforscher", Platon einen Fehler bei der Angabe von Ort, Zeit und/oder Größe von Atlantis nachzuweisen. Wissenschaftlich betrachtet verlieren sie dann aber den Anspruch, das, was sie gefunden zu haben glauben, noch "Atlantis" zu nennen (vgl. Nesselrath, 2002). Zum anderen tritt dabei ein unreflektiertes heuristisches Problem zutage: Wenn die Forscher selektiv jeweils verschiedene Aussagen Platons als fehlerhaft annehmen, so wird die Aussagekraft der vermeintlichen Quelle in der Summe geschwächt. Wenn einzelne Aussagen falsch sind, warum sollen die anderen stimmen? Und wie wären die partiellen Fehler zu beurteilen?

 
Ruinen der Minoer in Knossós

Beliebt ist dabei die Annahme, Solon seien beim Übersetzen der ägyptischen Hieroglyphen Fehler unterlaufen, bspw. die Verwechslung des Zeichens für "100" mit dem für "1000" (wobei dieser Übersetzungsfehler dann schon dem ägyptischen Priester unterlaufen sein müsste; vgl. Guthrie 1978). Somit rückt der Zeitpunkt des Untergangs in historisch greifbare Nähe, und die Größe der Insel schrumpft auf ein vorstellbares Maß. Auf diese Weise argumentieren u.a. die Anhänger der Theorie, die Thera-Katastrope und der daraus resultierende Untergang der Minoer seien identisch mit dem Untergang von "Atlantis" (vgl. Mavor, 1969). Diese Theorie, die bereits 100 Jahre alt ist (vgl. Baikie, 1910), wurde allerdings erschüttert, als festgestellt wurde, dass der Ausbruch eindeutig vor dem Untergang der minoischen Kultur geschah: auf Kreta gibt es jüngere Keramikformen die eindeutig in die Zeit vor das Ende der minoischen Herrschaft datieren, die aber auf Thera nicht mehr vorkommen. Der Ausbruch muss mindestens ein halbes Jahrhundert vor dem Zusammenbruch der minoischen Kultur stattgefunden haben. Zudem ist nach geologischen Untersuchungen auszuschließen, dass durch den Ausbruch eine katastrophale Flutwelle ausgelöst wurde. Seit einigen Jahren wird von vielen der Zeitpunkt des Thera-Ausbruchs von ca. 1500 v. Chr. ins 17. vorchristliche Jahrhundert vordatiert. Die Minoische Kultur erlitt durch die Katastrophe zwar eventuell einen schweren Schlag und wurde womöglich langfristig geschwächt (vgl. Driessen/MacDonald, 1997), dennoch existierte sie noch gut 200 Jahre weiter.

Eine neue, durchaus kühne These ist die Deutung der Atlantis-Geschichte als ägyptische Version der Ilias (vgl. Zangger, 1992), die durch Solon zurück nach Griechenland gelangt sei. Dabei wird auf die zahlreichen - mitunter allerdings banalen - Übereinstimmungen zwischen der Troja-Sage und Atlantis verwiesen, bspw. auf den Stierkult oder die Nordwinde. Die Lage diesseits der "Säulen des Herakles" wird damit erklärt, dass statt Gibraltar die Dardanellen gemeint seien. Da Troja allerdings auch (von Griechenland aus) diesseits der Dardanellen liegt, wird die Platon'sche Angabe von "vor der Mündung" (Tim. 24e5; gr. προ τού στόματος) zu einer Frage der Perspektive erklärt. Dass Troja nie überflutet wurde, wird dabei unbeachtet gelassen.

Im Gegensatz dazu suchte ein anderer Forscher nach einem Äquivalent der Überflutungslegende in den griechischen Mythen, und wurde dabei beim Mythos der Stadt des Königs Tantalos fündig (vgl. James, 1995). Jene Stadt soll einst reich und mächtig gewesen, dann aber von einem Erdbeben zerstört und von einem See begraben worden sein. Abgesehen davon gibt es jedoch keinerlei Übereinstimmung von Atlantis und "Tantalis". Auf ebenso wackeligem Fundament steht die Theorie von "Atlantis auf Zypern" (vgl. Sarmast, 2004). Dabei sollen geologische Untersuchungen des Meeresbodens östlich von Zypern die Überreste atlantischer Bauwerke zutage gebracht haben. Mittlerweile stellten sie sich jedoch als simple Schlammvulkane heraus.

Nach einer jüngst veröffentlichten Theorie soll Atlantis im Nordwesten des heutigen Schwarzen Meeres gelegen haben und ca. 5500 v. Chr. durch eine schlagartige Flutung des Schwarzen Meeres untergegangen sein (vgl. Brose 2001, Schoppe, 2004). Dieses Ereignis wird als vorgeschichtlicher Ursprung der zahlreichen Flutsagen der alten mediterranen Kulturen (u.a. auch der biblischen Sintflut-Sage) nahegelegt. Demnach wäre mit den Säulen des Herakles der neu durchgebrochene Bosporus gemeint. Der Untergang führte, so die These, zu der jungsteinzeitlichen Revolution in Europa, der Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen und dem Auftauchen einer ersten Schrift 5500 v. Chr. auf dem Balkan. Erst später - durch die Einwanderung der Protogriechen aus dem nördlichen Schwarzmeerraum auf die griechische Halbinsel 1950 v. Chr. - wurde "der Westen" schrittweise in Richtung Gibraltar transponiert. Der sagenhafte Stoff Oreichalkos sei demnach der Obsidian-Stein, der als Zahlungsmittel eine Blüte erlebte und 5500 v. Chr. in Europa durch die Spondylus-Muschel abgelöst wurde. Als letzter Rest der "Insel" Atlantis verbleibt die Schlangeninsel, ein Buntsandsteinhorst wie Helgoland mit einem Durchmesser von 600 Metern im nordwestlichen Schwarzmeer. Ansprechend, wie diese Theorie ist, muss sie jedoch ohne die Vulkanausbrüche und Erdbeben des platonischen Mythos auskommen.

Eine Gruppe französischer Wissenschaftler um Marc-Andre Gutscher hat 2005 die These aufgestellt, dass die vor etwa 12.000 Jahren im Golf von Cadiz versunkene Insel Spartel ein weiterer Kandidat für die Insel Atlantis sein könnte. Die Forscher haben durch eine Schallwellen-Analyse des Meeresgrundes herausgefunden, dass Spartel wohl durch mehrere gewaltiger Erdbeben und Tsunamis versank. Die Untersuchungen haben jedoch keine Hinweise auf das Vorhandensein einer fortschrittlichen Zivilisation ergeben (Vgl. [1]).

 
Megalith-Reihen bei Carnac

Es existiert ebenso eine Vielzahl weiterer Theorien, die Atlantis im westlichen Mittelmeer vermuten. Mit der Erklärung, Platon habe die Nennung von "Asien" und "Libyen" als Ortsangabe zwischen diesen Kontinenten gemeint, präsentiert sich eine Theorie, die Atlantis bei Malta lokalisiert (vgl. Hausmann, 2000). Einer anderen These zufolge sei das tunesische Hinterland (vgl. Hoffman, 2004) gemeint, dessen Bewohner - da aus dem Atlas-Gebirge stammend - in der Antike ebenfalls "Atlanter" hießen. Auch eine Identität von Atlantis und Tartessos in Südspanien wurde versucht nachzuweisen (vgl. Schulten, 1927). Gleichzeitig wurde eine Verbindung zwischen dem Untergang von Atlantis-Tartessos und dem Seevölkersturm gesucht (vgl. Kühne, 2003). Weitere pseudowissenschaftliche Theorien versuchen, eine Verbindung zwischen der Megalith-Kultur und Atlantis herzustellen (vgl. Topper, 1977). Teilweise absurd muten Thesen an, wonach Atlantis in den Anden (vgl. Allen, 1999), in Indonesien (vgl. Schoch, 2002) oder gar in der Antarktis (vgl. Flem-Ath, 1997) zu finden sei. Theorien dieser Art haben nur noch wenig mit der eigentlichen Atlantis-Geschichte Platons zu tun, stattdessen wurde die (von Donnelly inspirierte) Suche nach einem gemeinsamen steinzeitlichen Ursprung aller Kulturen der Welt zu einem Selbstläufer. Statt Platons wird vielmehr Donnellys Atlantis gesucht.

Missbrauch

Die Nationalsozialisten missbrauchten Platons Atlantis-Bericht zu Propagandazwecken, indem sie die den Germanen einst heilige Insel Helgoland als Zentrum des Atlantischen Reichs, das heute auf dem Grund der Nordsee liegen soll, deuteten. Die Bewohner von Atlantis, die sich einst als "Kulturbringer" über die Welt verbreiteten, seien die Vorfahren der Arischen Rasse.
Die Theorie der Identität von Atlantis mit Helgoland und dem germanischen Thule wurde auch nach 1945 u.a. von dem deutschen Pastor und Privatgelehrten Jürgen Spanuth vertreten (vgl. Spanuth, 1976).

Siehe auch: Rungholt, Vineta.

Literatur und Medien

Für sämtliche Angaben zu Quellen, Sekundärliteratur und sonstigen Medien, siehe Atlantis/Medienliste.

Allgemein

Einzelne Hypothesen