Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften durch Wikileaks
Die Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften, die ab dem 28. November 2010[1] auf dem Internetportal WikiLeaks geschah, wird auch Cablegate (deutsch: Telegramm-Skandal, analog zu Watergate) genannt. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von 251.287 internen Berichten und Lagebeurteilungen der US-Botschaften in aller Welt an das US-Außenministerium, die aus der Zeit von Dezember 1966 bis Februar 2010 stammen. Enthalten sind 15.652 als geheim und 101.748 als vertraulich eingestufte Berichte. Parallel berichteten die Zeitungen New York Times, der Guardian, Le Monde, El Pais und das Nachrichtenportal Spiegel Online, denen WikiLeaks vorab die Auswertung ermöglichte.[2][3]
Inhalte
Afrika
In einer Direktive von Hillary Clinton an ihre Diplomaten ordnet diese die Beschaffung biometrischer Daten über politische Führer der Länder Demokratische Republik Kongo, Uganda, Ruanda und Burundi an. Außerdem sollen bestimmte Gesichtspunkte, wie Gesundheitszustand und Meinung zu den USA festgehalten werden.[4][5]
Deutschland
Es befinden sich unter den Dokumenten 1719 Berichte und Lagebeurteilungen der Botschaft Berlin. Unter anderem wird Außenminister Guido Westerwelle (FDP) als inkompetent, eitel und aggressiv bezeichnet.[6][7] Weiterhin wird ihm ein „zwiespältiges Verhältnis zu den USA“ und eine „überschäumende Persönlichkeit“ vorgeworfen.[6][8] Bei einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bezog sich Westerwelle auf Hans-Dietrich Genscher. Diese Rede wurde in den Medien als „Guido Genscher“ bezeichnet.[9] Ein Diplomat fasst die Geschehnisse zusammen mit: He’s no Genscher.
Eine Reihe von Dokumenten aus der Berliner Botschaft berichten den USA besorgt über die Standpunkte Deutschlands über die SWIFT und das Terrorist Finance Tracking Program (TFTP).[10]
Weiterhin wird davon berichtet, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger überstimmt hat, da diese sich bei einer Abstimmung beim COREPER zur Verlängerung des TFTP enthalten hatte.[10]
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) spricht bei einem Treffen am 3. Februar 2010 mit dem Botschafter davon, dass er gern weitere Truppen nach Afghanistan schicken würde, wobei nicht die SPD das Problem sei, sondern Guido Westerwelle. [11]
Bei den Koalitionsverhandlungen des Kabinett Merkel II zeigt ein Bericht, dass ein Informant mehrfach interne Koalitionspapiere zum Kauf anbieten wollte. Dabei handelt es sich um einen „jungen, aufstrebenden Parteigänger“ der FDP.[12][6] Im Interview mit dem Spiegel rechtfertigt Botschafter Murphy dies als normale diplomatische Arbeit.[6]
Israel
Laut einer Depesche der US-Botschaft in Tel Aviv bedankte sich der Mossad-Chef Meir Dagan für die Zusicherung der USA gegenüber Israel für Sicherheitsunterstützungen in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar im Zeitraum von 2008 bis 2018.[13][14]
Österreich
1700 Depeschen kommen aus der Botschaft der Vereinigten Staaten in Wien. Die bis dato von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente enthalten Einschätzungen eines österreichischen Diplomaten über den Iran.[15][16]
Saudi-Arabien
Der König und Premierminister von Saudi-Arabien Abdullah ibn Abd al-Aziz schlägt in einem Bericht vor, allen Guantanamo-Bay-Insassen RFID-Chips einzupflanzen. Er selbst nutze dies bei seinen Falken und Pferden. Daraufhin antwortet der Diplomat, dass Pferde keine Anwälte haben. [17][18] Des Weiteren soll der Herrscher Saudi-Arabiens Abdullah mehrfach während eines Treffens mit US-Diplomaten die USA zu einem Militärschlag gegen den Iran gedrängt haben. Auch die Herrscher Bahrains, Abu Dhabis und Jordaniens drängten demnach zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Teheran.[19][20][21]
UN
In einer Direktive von Hillary Clinton an ihre Diplomaten ordnet diese die Beschaffung der DNA des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon an. Außerdem sollten Details zu Telekommunikationsinfrastruktur, Passwörter sowie Schlüssel für VPN beschafft werden. [4][5]
Reaktionen
Regierungen
Bereits kurz nach der Veröffentlichung der ersten Dokumente wurden auch Reaktionen von verschiedenen Regierungen bekannt.[22]
- Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle äußerte sich in der Tagesschau: „Hier wird mit rechtswidrig, kriminell erworbenen Daten Kasse gemacht. Darum geht es.“[23]
- Indiens Außenminister sagte: „Indiens Regierung ist nicht wirklich besorgt, aber wir sind sicherlich daran interessiert, mehr darüber zu erfahren, worum es sich dabei handelt.“[24]
- Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad äußerte sich mit: „Diese Dokumente verfolgen bestimmte politische Ziele. Sie sind eine gewisse Art von Geheimdienstspiel und haben deshalb keine einzige legale Grundlage“ [25]
- Italiens Premierminister Silvio Berlusconi lachte, als er vom angeblichen Inhalt der Dokumente hörte.[26]
- Italiens Außenminister Franco Frattini kritisierte die Veröffentlichung als den „11. September der internationalen Diplomatie“ [27]
- Kanadas Außenminister Lawrence Cannon kommentierte die Veröffentlichung folgendermaßen: „Unverantwortlich; Veröffentlichungen wie diese sind bedauerlich und dienen nicht jedermanns nationalen Interessen. Die dafür Verantwortlichen können unsere nationale Sicherheit bedrohen.“[28]
- Der Außenminister der Niederlande, Uri Rosenthal sagte: „Wir wissen nicht, was drin steht. Es könnte sein, dass sie Namen von niederländischen Politikern enthalten. Wir sind auf Alarmstufe Rot.“[29]
- Vereinigtes Königreich: Ein Pressesprecher des Foreign Office gab bekannt: „Wir verurteilen jede unbefugte Veröffentlichung von Verschlusssachen, so wie wir Veröffentlichungen von Verschlusssachen im Vereinigten Königreich verurteilen […] Sie können der nationalen Sicherheit schaden, sind nicht im nationalen Interesse […] und können Leben gefährden.“[30]
- USA: Das Weiße Haus veröffentlichte eine Darstellung, welche sagt, dass die Veröffentlichung „unsere Diplomaten, Fachleute und Menschen auf der ganzen Welt gefährdet, die in die Vereinigten Staaten zur Förderung der Demokratie und Open Government kommen.“ [31]
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Andreas Wilkens: DDoS-Attacke auf Wikileaks vor angekündigter Veröffentlichung. Heise online, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Secret US Embassy Cables. WikiLeaks, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Amerikas Diplomaten-Berichte: Geheimdepeschen enthüllen Weltsicht der USA. Spiegel Online, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ a b Robert Booth, Julian Borger: US diplomats spied on UN leadership. The Guardian, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ a b Cable Viewer: Viewing cable 09STATE80163, S) REPORTING AND COLLECTION NEEDS: THE UNITED. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ a b c d US-Depeschen über Deutschland: Im Netz der Denunzianten. Spiegel online, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Merkel, die Teflon-Pfanne. 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Cable Viewer: Viewing cable 09BERLIN1162, GERMANY'S NEXT FOREIGN MINISTER?: THE WORLD. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Andreas Rinke,Thomas Sigmund: Westerwelle: Vom Spaß-Guido zu Guido Genscher. 4. Mai 2009, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ a b Cable Viever: Viewing cable 09BERLIN1528, COALITION TESTED AS US-EU TFTP/SWIFT AGREEMENT. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Cable Viewer: Viewing cable 10BERLIN157, DEFENSE MINISTER ZU GUTTENBERG REVEALS STRUGGLE. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Cable Viewer: 09BERLIN1271, WESTERWELLE FIRM ON REMOVAL OF NUCLEAR WEAPONS. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ US embassy cables: Israel grateful for US support. The Guardian, abgerufen am 30. November 2010.
- ↑ Cable Viewer: Viewing cable 07TELAVIV2652, U/S BURNS' AUGUST 17 MEETING WITH ISRAELI MOSSAD. Abgerufen am 30. November 2010.
- ↑ 2100 Wikileaks-Dokumente mit Bezug zu Österreich. Der Standard, 29. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Jakob Steinschaden: Wikileaks: Dokumente auch aus Österreich. Futurezone, 29. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ US embassy cables: Saudi king's advice for Barack Obama. The Guardian, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Cable Viewer: Viewing cable 09RIYADH447, COUNTERTERRORISM ADVISER BRENNAN'S MEETING WITH. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,731605,00.html
- ↑ http://www.sueddeutsche.de/politik/wikileaks-iran-ahmadinedschad-ist-hitler-1.1029668
- ↑ Cable Viewer: Viewing cable 08RIYADH649, SAUDI KING ABDULLAH AND SENIOR PRINCES ON SAUDI POLICY TOWARD IRAQ. Abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Überblick bei Zeit-Online, 29.11.2010.
- ↑ ARD Tagesschau 29. November 2010. (MP4 Video) 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ WikiLeaks: India unconcerned , yet interested. 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Reaktion auf US-Depeschen: Iran kontert WikiLeaks-Veröffentlichung. Spiegel Online, 29. November 2010, abgerufen am 30. November 2010.
- ↑ Berlusconi ride sopra alle rivelazioni di Wikileaks. Agenzia Nazionale Stampa Associata, 28. November 2010, abgerufen am 28. November 2010 (italienisch).
- ↑ "Merkel selten kreativ", Berlusconi "unfähig" - Geheimdokumente. Der Standard, 29. November 2010, abgerufen am 30. November 2010.
- ↑ WikiLeaks reveals undiplomatic U.S. critiques. CBC, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010 (englisch).
- ↑ VS waarschuwen ook Nederland voor Wikileaks. 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010 (niederländisch).
- ↑ ‘Special relationship’ could spring a leak. Financial Times, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.
- ↑ Wikileaks release of embassy cables reveals US concerns. BBC News Online, 28. November 2010, abgerufen am 29. November 2010.