Das Kastell Murrhardt war ein Kohortenkastell an einem Abschnit des UNESCO-Weltkulturerbes „Obergermanisch-Raetischer Limes“ (Vorderer Limes) auf dem Gebiet der heutigen Stadt Murrhardt im Rems-Murr-Kreis, Baden-Württemberg.
Kastell Murrhardt | |
---|---|
Limes | ORL 44 (RLK) |
Strecke (RLK) | Obergermanischer Limes Vorderer Limes, Strecke 9 |
Datierung (Belegung) | kurz nach 150 n. Chr. bis spätestens 259/260 n. Chr. |
Typ | Kohorten- und Numeruskastell |
Einheit | a) Cohors XXIV voluntariorum civium Romanorum, b) Numerus exploratorum Tribocorum et Boiorum |
Größe | 135,5 (131,40) m × 164 m (= 2,2 ha) |
Bauweise | a) Holz-Erde b) Stein |
Erhaltungszustand | Das Gelände wurde in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts überbaut. |
Ort | Murrhardt |
Geographische Lage | 48° 58′ 37,6″ N, 9° 34′ 55,9″ O |
Höhe | 301 m ü. NHN |
Vorhergehend | Kleinkastell Hankertsmühle (nördlich) |
Anschließend | Kleinkastell Ebnisee (südlich) |

Lage
Die mit der Längsachse nordöstliche Orientierung des Kastells im tief eingeschnittenen Tal der Murr wird sowohl vom Verlauf des Limes als auch vom Fluss, der im Bereich der Garnison in ostwestliche Richtung abfließt, bestimmt. Wie an den meisten Kastellplätzen in den Limesgebieten wurde versucht, die Prätorialfront, die dem Feind zugewandte Seite des Lagers, weitgehend zur Grenze hin zu orientieren. Der Standort am Hang des Riesbergs war hochwassersicher an der südlichen Talsohle ausgewählt worden. Die Flanken dieses Berges wurden erst seit den 1960er Jahren mit Häusern und Kleingartenanlagen überbaut. Die heutige Riesbergstraße folgt dem Verlauf einer der ehemaligen Lagerhauptstraßen, der Via principalis. Das heutige evangelische Pfarramt II liegt über der einstigen vorderen Querhalle des Stabsgebäudes (principia). Die antike Grenze befindet sich in 1,2 Kilometern Entfernung und verläuft fast genau in Nord-Südrichtung. Eine Erklärung für den ungewöhnlich großen Abstand des Kastells zum Limes wird in einer Engstelle des Murrtales gesucht, die es im näheren Bereich der Grenzanlagen gibt. Hier waren keine Möglichkeiten zur Errichtung größerer Militärbauten vorhanden. Mit seiner Lage im Flusstal konnte die Besatzung der Garnison den Zugang vom Barbaricum auf römisches Territorium sperren bzw. kontrollieren. Inwieweit die vergleichsweise flache Murr außerdem eine schnelle Versorgung der Truppe auf dem Wasserweg sichern konnte dürfte offen sein. Verbindungsstraßen zu den Kastellen in Welzheim und in Mainhardt sowie in das rückwärtige Hinterland nach Benningen an der Einmündung der Murr in den Neckar, dem früheren Standort der Kohorte, können als gesichert angenommen werden. Die Militärstraße zur Murrmündung folgte nur bis etwa Oppenweiler dem Murrtal und verlief dann in etwa über die Linie Großaspach und Rielingshausen zur Murrmündung. Einzelne Abschnitte dieser Straße sind nachgewiesen. Oberhalb der Murrmündung, im Areal der Häldenmühle, wiesen im Gewann Au verschiedene Funde auf einen römerzeitlichen Schiffsanlegeplatz am rechten Neckarufer gegenüber Benningen hin.[1] Somit lief an dieser Stelle vermutlich der Versorgungsweg des Kastells über Wasser mit dem Versorgungsweg über Land zusammen.
Forschungsgeschichte
Wie der Gewannname „Bürg“ zum Ausdruck bringt, verlor sich das Wissen um die Existenz einer alten, einst besiedelten Stätte wohl nie vollständig. Murrhardts römische Altertümer wurden bereits von Philipp Apian (1534) und Martin Crusius (annales Suevici, 1595) erwähnt. Die römische Vorgeschichte dieses Orts thematisierte auch die einschlägige Literatur des 19. Jahrhunderts. So notierte beispielsweise der Historiker und Bibliothekar Christoph Friedrich von Stälin (1805–1873) im ersten Teil seiner 1841 erschienenen Wirtembergischen Geschichte drei antike Inschriften.[2] Bei dem in den Jahren 1876 bis 1878 von Murrhardt nach Vorderwestermurr ausgeführten Straßenbau wurde die steinerne Umwallung des Kastells angeschnitten. In der Folge fanden die ersten systematischen Grabungen 1885 durch den damals neubegründeten Altertumsverein für das Murrtal und Umgebung statt. Im November und Dezember 1892 wurden Grabungen im Bereich der Umwehrung und am Stabsgebäude im Auftrag der Reichslimeskommission durch Oberamtsbaumeister Christian Hämmerle, den zuständigen Streckenkommissar, durchgeführt. Mit der beginnenden, fast vollständigen Überbauung musste das Landesamt für Denkmalpflege 1973, 1975, 1977 und 1979/1980 Abschnitte des rückwärtigen Lagerbereichs, der Retentura, untersuchen, wobei neben der Umwehrung auch an den Gräben und insbesondere im Umfeld der im Kastellinneren verlaufenden Via decumana Grabungen stattfanden.[3] 1988 wurde ein kleiner Ausschnitt der Zivilsiedlung untersucht und im September 2010 das bis dahin nicht lokalisierte Kastellbad bei Baumaßnamen entdeckt. In einer zweimonatigen Grabungsaktion konnte es unter Leitung der Archäologen Andreas Thiel und Stephan Papadopoulus untersucht und dokumentiert werden.
Baugeschichte
Holz-Erde-Kastell
Die Grabungen der 1970er Jahre wiesen eine bis dahin unbekannte Mehrphasigkeit der Garnison nach. Das ältere Holz-Erde-Kastell entstand nach Fundausweis kurz nach 150 n. Chr. Es besaß die gleiche Größe wie der spätere Steinbau und war vermutlich auch mit zwei umlaufenden Gräben ausgestattet. Die rückwärtige Toranlage konnte mit einer Breite von 4 Metern nachgewiesen werden und war mit rechtwinklig einbiegenden Torwangen ausgestattet. 1973 und 1979 wurde im südlichen Lagerbereich entlang der zur jüngeren Wehrmauer gehörenden Innenwand eine dem Mauerverlauf folgende, ältere Pfostenreihe entdeckt. Wie auch an vielen anderen Kastellplätzen beobachtet, war die steinerne Umwehrung einfach vor die ältere hölzerne Wallbefestigung gesetzt worden.[4]
Steinkastell
Umwehrung
Nur wenige Jahre später entstand der Ausbau in Stein. Die neue Anlage von etwa 2,2 Hektar Fläche besitzt einen für die mittlere Kaiserzeit typischen, annähernd rechteckigen Grundriss von etwa 135,5 Metern für die Frontseite (praetentura) und 131,40 Metern für die Rückseite (retentura). Die beiden Flanken messen etwa 164 Meter. Die Breite des Mauerfundamentes der Wehrmauer betrug 1,30 Meter. Das Baumaterial setzt sich hauptsächlich aus dem in der Umgebung anstehenden Keupersandstein zusammen. Die Fundamente bestanden aus unbearbeiteten Bruchsteinen, das aufgehende Mauerwerk wiederum aus behauenen Quadern. Die Kastellecken waren in einem Radius von rund 10 Meter abgerundet (Spielkartenform). Christian Hämmerle schätzte ihre Höhe auf über fünf Meter. Bei der Grabung von 1892 wurde die am Wall sich entlangziehende Straße (via sagularis) an allen Kastellseiten mehrfach, in ihren Rändern noch gut erkennbar in einer Breite von 3,30 bis 3,60 Meter aufgefunden. Sie lief in einer Entfernung von 8,5 bis 11 Meter vor der Innenflucht der Umfassungsmauer. Entlang der Mauer wurden drei größere Turmplattformen sowie je ein von Türmen flankiertes Tor in den Langseiten nachgewiesen. Die nach Südwesten und Nordosten ausgerichteten Tore, porta praetoria und porta decumana, wurden in deren Mitte festgestellt, die beiden an den Flanken beobachteten Principaltore lagen der Front erheblich nähergerückt. Nur die Porta praetoria war zweispurig, mit einer die beiden Durchfahrten trennenden Mauer (Spina) ausgeführt und maß insgesamt 7,85 Meter.[4] Der Lagermauer waren noch zwei umlaufende Gräben als zusätzliche Annäherungshindernisse vorgelagert, der innere wurde mit einer Breite von 6 Meter und einer Tiefe von 1,80 Metern vermessen, der äußere wies 9 Meter in der Breite und 2 Meter in der Tiefe auf. Die Grabungen 1979 und 1980 zeigten, dass die steinerne Wehrmauer teilweise Spuren einer starken Beschädigung aufwies. Pfostengruben eines starken Baugerüstes, das im Bereich der Breme errichtet worden war unterstützen diesen Befund.[5]
Innenbebauung
Bereits im 19. Jahrhundert waren die 46,4 × 38,4 Meter großen principia ergraben worden. Dabei konnte ein für die mittlere Kaiserzeit typisches, weitgehend standardisiertes Gebäude festgestellt werden, bei dem sich die Verwaltungstrakte um einen Innenhof gruppierten und dem eine große, über der Via principalis liegende, rechteckige Mehrzweckhalle vorgelagert war. In den rückwärtigen, westlichen Teil des Bauwerks war mittig das Fahnenheiligtum eingebaut worden, das mit seiner halbrunden Apsis aus dem Mauerverbund der Principia-Rückseite herausragte. Die auf die Mauern der Apsis wirkenden Kräfte wurden von zwei zusätzlich angebrachten Stützpfeilern abgefangen. 1885 wurden im Innenhof des Fahnenheiligtums noch zwei sauber gearbeitete Sandsteinpostamente in situ gefunden. Die zwei Ehreninschriften auf den vermutlichen Basen von nicht erhaltenen, überlebensgroßen Statuen, beziehen sich auf Julia Domna († 217), die Gemahlin des Kaisers Septimius Severus (193–211), und auf Kaiser Severus Alexander (222–235).[6] Die beiden Inschriften nennen auch die in Murrhardt stationierte Kohorte.[7] Die Treppe zum Keller unter dem Heiligtum, in dem die Kasse der Truppe aufbewahrt wurde, war bei der Auffindung noch gut erhalten.[5] Der Keller selbst barg bei der Auffindung Bruchstücke eines kleineren Altars aus Sandstein sowie das Bruchstück einer Figur, vermutlich einer Jupiterdarstellung.
Die weitere Innenbebauung wurde soweit nachvollziehbar weitgehend in Holzbauweise aufgeführt. Der Prähistoriker Rüdiger Krause konnte dabei zwei Phasen feststellen, die durch einen planierten Brandhorizont voneinander getrennt waren. In die ältere Phase gehören die Reste einer Mannschaftsbaracke sowie weitere Bauten hinter den principia, die entweder zu einer fabrica (Werkstatt) oder einem valetudinarium (Lazarett) gehört haben könnten. Ein weiterer, angrenzender Bau kann vielleicht als Pferdestall angesprochen werden. Über diese Bauten wurden nach der Brandkatastrophe, die dem Fundausweis entsprechend zwischen 170 und 190 n. Chr. stattgefunden haben muss, zwei horrea (Getreidespeicher) errichtet.[5] Die zeitliche Stellung des Zerstörungshorizonts deckt sich mit dem Befund vom Ostkastell in Welzheim. Dort wurde die entsprechende Brandschicht mit den Markomannenkriegen (166–180) in Verbindung gebracht.[8] Möglicherweise sind auch die Ausbesserungsarbeiten an der Kastellmauer in diese Zeit zu legen. Entlang der rückwärtigen Lagerstraße, der via decumana verliefen beidseitig Abflussgräben zum Tor hinaus. Ein dort gleichfalls aufgefundener 1,2 × 1,2 Meter großer holzverschalter Brunnen, der eine Tiefe von 3 Metern aufwies, barg große Mengen an Keramik. Die dendrochronologische Untersuchung des gut erhaltenen Bunnenholzes ergab ein Baujahr des Brunnens um 159 n. Chr.[9] Dieses für Murrhardts römische Vergangenheit sehr frühe Datum deckt sich mit einem 1988 entdeckten Brunnen aus dem Vicus.
Nachkastellzeitliche Nutzung
Eine auf das Jahr 817 datierte Urkunde über die Gründung des Klosters Murrhardt berichtet, dass Kaiser Ludwig der Fromme angeordnet habe, seine Burg (castrum nostre), die als Hünenburg bezeichnet würde (quod vulgo Hunemburg dicitur) abzubrechen und aus den dadurch gewonnenen Steinen die Klosterkirche zu erbauen.[10] Diese Urkunde stellt zwar, wie man heute weiß, eine Fälschung des 12. Jahrhunderts dar, doch ist anzunehmen, dass die dortigen Aussagen teilweise auf ältere Vorlagen zurückgehen. Es ist nicht unüblich, dass antike oder vorgeschichtliche Bauwerke im Mittelalter als Werke angesehen wurden, die von Riesen (Hünen) erbaut wurden. Der Gewanname „Bürg“, der den Standort des Kastells bezeichnet, kann als ein weiteres Indiz dafür gelten, dass mit der in der Gründungsurkunde des Klosters benannten königlichen Burganlage damals noch bestehende Reste der Kastellanlage gemeint waren. Möglicherweise diente das Kastell als Standort einer fränkischen Besatzung, zumal Murrhardt an der Grenze zwischen dem teilautonomen alamannischen Herzogtum und den Franken lag. Das würde bedeuten, dass das Bauwerk in dieser Zeit immerhin noch so weit stand, dass es eine weitere Nutzung ermöglichte. Nach der Beendigung des alamannischen Herzogtums durch das Cannstatter Blutgericht im Jahr 746 dürfte dieser Platz an Bedeutung für die fränkischen Könige eingebüßt haben, so dass sein Abriss zugunsten des Kirchenbaus angeordnet werden konnte.[11]
Kastellbad
Bei den Aushubarbeiten für das Murrhardter Ärztehaus am Obermühlenweg wurden vor der Nordecke der römischen Garnison am 22. September 2010 die Überreste des Kastellbades entdeckt. Verhandlungen zwischen der Kommunalverwaltung und dem Investor hatten einen Baustopp bis zum 30. November des Jahres zur Folge. Danach wurden die Südseite des Gebäudes mit halbrunder Apsis, die Reste eines Kaltwasserbeckens sowie Teile des Heizungsystems freigelegt. Die Maße der west-östlich ausgerichteten Anlage betrugen etwa 50 × 12 Meter. Eine Besonderheit ist ein in seiner Funktion nicht exakt bestimmbarer Kanal, der unter einem nebenstehenden Gebäude hindurch lief und vermutlich zur Entwässerung und Trockenlegung des Gebäudeuntergrundes diente. Zum Fundgut zählen Ziegelstempel mit der Abkürzung XXIIII COH. Sie zeigen, dass die hier stationierte Cohors XXIV voluntariorum civium Romanorum den Bau errichtete.
Truppe und Militärpersonal
Die Besatzung des Kastells bestand aus der Cohors XXIV voluntariorum civium Romanorum (24. Kohorte freiwilliger römischer Bürger), ein Auxiliarverband, der etwa 500 Mann Infanterie umfasste. Diese Truppe stand in den 70er Jahren der flavischen Ära (69–96 n. Chr.) nach Fundausweis im Westkastell III von Heidelberg-Neuenheim. Anschließend soll die Kohorte dort unter Kaiser Domitian (81–96) durch die Cohors II Augusta Cyrenaica equitata abgelöst worden sein.[12] Der Althistoriker Rainer Wiegels mutmaßte, dass die Freiwilligenkohorte vor ihrer Abkommandierung noch zeitweilig parallel mit den Nachfolgern in Heidelberg-Neuenheim lag.[13] Um 90 kam die 24. Freiwilligenkohorte mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt nach Benningen oder wurde zwischenzeitlich noch im Kastell Sulz am Neckar-Odenwald-Limes kaserniert, wie Dietwulf Baatz annahm.[14] Laut dieser Vermutung ist sie erst nach Aufgabe der Sulzer Garnison im frühen 2. Jahrhundert in Benningen angekommen und wurde nach Auflassung dieses Standortes um 150 an den neuerrichteten Vorderen Limes in das Murrtal vorverlegt.[15] Der Name der Einheit ist dort durch die beiden oben erwähnten, 1885 gefunden Postamentinschriften sowie durch einen bei der Ausgrabung des Kastellbades gefundenen Ziegelstempel dieser Kohorte, aber auch durch Inschriften auf Monumenten, über die bereits im 16. und 17. Jahrhundert berichtet wurde, überliefert.[16] Auf der Inschrift CIL 13, 6530 hat sich der Name eines Kommandeurs der 24. Freiwilligenkohorte erhalten. Sie nennt den Kohortentribun Sextus Iulius Florus Victorinus, Sohn des Decimus, aus der Tribus Horatia. Eine Tribus dieses Namens gab es sowohl in der Umgebung von Rom, als auch in Afrika.
Ob der auf dem 1973 bei Ausgrabungen in der Murrhardter Stadtkirche in sekundärer Verwendung entdeckten Grabstein des Zenturios Marcus Cossius genannte Numerus exploratorum Tribocorum et Boiorum (Kundschaftereinheit der Triboker und Boier) ebenfalls im gleichen Kastell lag oder eine zweite, kleinere Befestigung bei Murrhardt besaß, ist unbekannt.[17] Die Lage der zweiten Anlage wäre im Falle ihres Vorhandenseins in unmittelbarer Nähe des Grenzwalls, im Bereich des Murrtals etwas östlich des Kastells zu erwarten. Bereits seit hadrianischer Zeit war dieser Numerus als Hilfstruppe der 24. Kohorte freiwilliger römischer Bürger zugeteilt, wie sich aus seiner Nennung auf einer in Benningen - dem vormaligen Standort der Kohorte - aufgefundenen Inschrift erschließt.
Zivilsiedlung
Die zum Kastell gehörende große Zivilsiedlung, der Vicus, erstreckte sich nordwestlich der linken Flankenseite der Miltäranlage in der Talniederung im Bereich der Murrhardter Altstadt und südwestlich der Rückfront des Kastells auf flach ansteigendem Hanggelände. Der Kastellvicus liegt heute unter moderner Bebauung, im Norden auch unter dem mittelalterlichen Stadtkern. Verschiedene Fundstellen römischer Relikte werden dort genannt. Die dendrochronologische Untersuchung und Datierung der hölzernen Verschalung eines im Frühjahr 1988 bei Bauarbeiten im Rössle Quartier aufgedeckten 10 Meter tiefen Brunnens hat ergeben, dass die dafür verwendeten Bäume im Sommer der Jahre 161 und 162 gefällt wurden. Der Brunnen wurde jedoch schon recht bald, noch in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhundert, aufgegeben und verfüllt. Zudem wurde damals eine 4 Meter tiefe, eichenholzverschalte Zisterne freigelegt, die in den natürlichen Lehmboden eingetieft worden war. Dieser Boden bildete gleichzeitig die Sohle. Auch das Holz dieses Bauwerks konnte in des Jahr 162 datiert werden.[18]
Eine 1598 während der Bauarbeiten zum Mühlkanal in der Obermühle aufgefundene Inschrift, die in die Zeit zwischen 151 und 250 datiert wird, berichtet von der Wiedererrichtung bzw. Restaurierung eines älteren Mithrastempels durch den Militärtribun Sextus Iulius Florus Victorinus. Die Lage wird an der antiken Ausfallstraße nordwestlich des Kastells angenommen.[19] Der Althistoriker Elmar Schwertheim mutmaßte die ursprüngliche Erbauung dieses Heiligtums in das 2. Jahrhundert.[20] Ausgrabungen, die 1963 im Bereich des Turmes der Walterichskirche stattgefunden haben, brachten massive römische Fundamente zutage, von denen angenommen wird, dass sie zu einem Tempel gehörten und die vielleicht teilweise auch noch um 700 n. Chr. standen, als die älteste Holzkirche an dieser Stelle errichtet wurde.[21] Es muss sich hier jedoch nicht zwingend um das schriftlich überlieferte Mithrasheiligtum gehandelt haben. Dass die dieses nennende Inschrift an ganz anderer Stelle - im Bereich der Obermühle - gefunden wurde, spräche eher dafür, die Tempelanlage als ein weiteres Heiligtum der Siedlung anzusehen. Der Fund zahlreicher Bruchstücke von Urnen spricht für die Lokalisierung des römerzeitlichen Gräberfeldes ebenfalls auf dem Hügel der Walterichskirche, über den sich auch heute ein Teil des örtlichen Friedhofes erstreckt.[22]
Vegetation
Wie die Befunde aus dem 1988 untersuchten Brunnen zeigten, gab es in der Vegetation des Kleinklimas im Murrtal während der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts Übereinstimmungen mit den Ergebnissen der intensiv erforschten Brunnenfunde aus dem Ostkastell von Welzheim. Die Wissenschaftler konnten in dem Murrhardter Brunnen 84 Bau- und Gerätehölzer bergen, die untersucht werden konnten. Es zeigte sich, dass Eiche (54%) und Tanne (25%) dominierten, ihnen folgte Esche (8%), Ahorn (7%) Buche (4%) sowie Hasel und Erle (je 1%).[23] Auch im Welzheimer Brunnen 2, der ebenfalls in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts geschlossen wurde, dominierten Eichen und Tannen.[24]
Die zeitgleich in Murrhardt entdeckte Zisterne bot sogar 183 Hölzer und zeigte einen etwas andere Zusammensetzung von Tanne (28%), Eiche (18%), Wacholder (18%), Buche (13%) und Esche (10%). Die starke Präsenz des Wacholder, der nicht zum ursprünglichen Bestand der Vegetation in diesem Gebiet zählte, zeugt von der damaligen Auflichtung der Wälder. Die bearbeiteten Hölzer aus Brunnen und Zisterne machten den geringeren Anteil aus. Es wurde festgestellt, dass die bearbeitete Eiche (37%) vor der Tanne (25%), Buche (15%), Esche (8%), Erle, Hasel und dem Ahorn lag.[23]
Denkmalschutz und Fundverbleib
Das Areal des Murrhardter Kastells sowie Teile der Zivilsiedlung sind Grabungsschutzgebiete. Nordost- und Südwest-Tor sowie Fahnenheiligtum des Stabsgebäudes sind Kulturdenkmale im Sinne des Denkmalschutzgesetzes des Landes Baden-Württemberg (DSchG). Nachforschungen und gezieltes Sammeln von Funden sind genehmigungspflichtig, Zufallsfunde an die Denkmalbehörden zu melden.
Im Carl-Schweizer-Museum sind römische Objekte, insbesondere aus Murrhardt und den in der Nähe liegenden Limeswachtürmen ausgestellt. Zu den wertvollsten Objekten gehörten ein 1,15 kg schweres bronzenes Schwert mit einem Griff in Form eines Adlerkopfes, das zu einer überlebensgroßen Kaiserstatue gehörte. Dieser Fund wurde 1954 zusammen mit zwei Bronzespitzen westlich des Kastells geborgen.[17]
Siehe auch
Literatur
- Dietwulf Baatz: Der römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau. Mann Verlag, Berlin 1993.
- Christian Hämmerle: Der obergermanisch-raetische Limes des Roemerreiches. (Hrsg. Ernst Fabricius, Felix Hettner, Oscar von Sarwey): Abteilung B, Band IV, Kastell Nr. 44 (1929).
- Rüdiger Krause: Neue Untersuchungen am römischen Kohortenkastell in Murrhardt, Rems-Murr-Kr. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 9 (1984). Theiss, Stuttgart 1984, S. 289ff.
- Konrad Miller: Das Kastell von Murrhardt. In: Die römischen Kastelle in Württemberg. J. Weise, 1892. S. 29 ff.
- Dieter Planck: Murrhardt (WN). Kohortenkastell. In: Ders. (Hrsg.): Die Römer in Baden-Württemberg. Theiss, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1555-3, S. 218–220.
- Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9.
- Manfred Rösch: Botanische Funde aus römischen Brunnen in Murrhardt, Rems-Murr-Kreis. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1988. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1989. ISBN 3-8062-0583-3. S. 114–118.
- Rolf Schweizer: Zwei römische Schmucknadeln aus Murrhardt (Kr. Backnang) und Marbach (Kr. Ludwigsburg). In: Franz Fischer und Wolfgang Kimmig (Red.): Festschrift Gustav Riek zum 65. Geburtstag am 23. Mai 1965. Schweizerbart, Stuttgart 1965 (= Fundberichte aus Schwaben. Neue Folge, 17), S. 181–183.
- Rainer Wiegels: Numerus exploratorum Tribocorum et Boiorum. In: Epigraphische Studien. 12, 1981. S. 309–331.
Weblinks
- Carl-Schweizer-Museum mit Informationen zur dort gezeigten Sammlung von Limes-Exponaten
- Informationen der Stadt Murrhardt zur Ausgrabung des Römerbads 2010
- Kastell Murrhardt auf der offiziellen Webpräsenz der Deutschen Limeskommission
Einzelnachweise
- ↑ Dieter Planck: Die Römer in Baden-Württemberg. Konrad Theiss Verlag. Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1555-3, S. 205.
- ↑ Christoph Friedrich von Stälin: Wirtembergischen Geschichte Bd. 1. J. G. Cotta’scher Verlag, Stuttgart und Tübingen 1841. S. 57.
- ↑ Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9. S. 82 u. Abb. 84.
- ↑ a b Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9. S. 82 u. Abb. 83.
- ↑ a b c Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9. S. 82 u. Abb. 84.
- ↑ Oliver Stoll: Römisches Heer und Gesellschaft. Franz Steiner Verlag. Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07817-7, S. 186.
- ↑ CIL 13, 6531 und CIL 13, 6532.
- ↑ Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9. S. 96.
- ↑ Bernd Becker: Fällungsdaten römischer Bauhölzer anhand einer 2350jährigen Süddeutschen Eichen-Jahrringchronologie. In Fundberichte aus Baden Württemberg. Band 6. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1981, ISBN 380621252X, S. 386.
- ↑ http://www.wubonline.de/?wub=147
- ↑ Zur Interpretation der Urkunde bezüglich der Nachnutzung des Kastells siehe v.a. Gerhard Fritz: Kloster Murrhardt im Früh- und Hochmittelalter. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 1982, ISBN 3799576177, S. 41, sowie auch Oscar Paret: Die Siedlungen des römischen Württemberg, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1932, S. 217.
- ↑ Gabriele Wesch-Klein: Ein Reibschalenfragment mit Graffito aus Heidelberg-Neuenheim. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Bd. 16. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1992, S. 530.
- ↑ Rainer Wiegels: Lopodunum II. Inschriften und Kultdenkmäler aus dem römischen Ladenburg am Neckar. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3806214913, S. 25.
- ↑ Dietwulf Baatz: Der römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau. Mann Verlag, Berlin 1993, ISBN 3786117012, S. 210.
- ↑ Philip Filtzinger, Hic saxa loquuntur. Hier reden die Steine. Hrsg. von der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1980, S. 41.
- ↑ CIL 13, 6530 und CIL 13, 6533.
- ↑ a b Dieter Planck, Willi Beck: Der Limes in Südwestdeutschland. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0496-9. S. 86.
- ↑ Rüdiger Krause: Römische Brunnen im Kastellvicus von Murrhardt. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, 1988, S. 114.
- ↑ CIL 13, 6530.
- ↑ Elmar Schwertheim: Die Denkmäler orientalischer Gottheiten im römischen Deutschland. E.J. Brill, Leiden 1974, ISBN 9004039848, S. 276.
- ↑ Gerhard Fritz: Kloster Murrhardt im Früh- und Hochmittelalter. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 1982, ISBN 3799576177, S. 47 (Fußnote).
- ↑ Bodo Cichy: Murrhardt. Stadtverwaltung Murrhardt (Hrsg.), 1963, S. 25f.
- ↑ a b Hans-Peter Stika: Römerzeitliche Pflanzenreste aus Baden-Württemberg. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1996, ISBN 3806212856, S. 125.
- ↑ Marcus Nenninger: Die Römer und der Wald. Untersuchungen zum Umgang mit einem Naturraum am Beispiel der römischen Nordwestprovinzen. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3515073981, S. 206.
Vorlage:Navigationsleiste Kastelle des Obergermanischen Limes