Mit Phakomatosen bezeichnet man in der Medizin eine Gruppe von Krankheiten mit Fehlbildungen im Bereich der Haut und des Nervensystems. Bei dem Begriff handelt es sich nicht um eine genaue wissenschaftliche Definition, sondern eher um ein Konstrukt mit dessen Hilfe Diskussionen um Krankheitsmerkmale und Krankheitsursachen provisorisch sortiert wurden. Aufgrund neuerer Ergebnisse der molekularbiologischen Grundlagen von Erkrankungen ist der Begriff praktisch überflüssig, wird aber in der Literatur weiterhin verwendet.
Definition
Definition I:
Aus der Sicht des Pathologen sind Phakomatosen gekennzeichnet durch das Auftreten von Hamartomen in mehreren Organsystemen. Die Gruppe der Erkrankungen bei denen dies der Fall ist, wird aus historischen Gründen gemäß des griechischen Wortes für Linse: "Phakos" und wegen linsenförmiger Veränderungen des Augenhintergrundes bei manchen dieser Erkrankungen Phakomatosen genannt. Hierbei ist folgendes zu bemerken. Die historisch ursprüngliche Gruppe der Phakomatosen bezeichnet in der Tat meist erbliche Tumorerkrankungen. Die Hamartome, die dieser Erkrankungsgruppe ihren Namen gaben, sind aber keine Tumoren, sondern geschwulstähnliche Gewebsveränderungen. Unter dem Begriff Neurokutane Erkrankungen wird in der wissenschaftlichen Literatur eine größere Gruppe von Krankheiten verstanden, deren gemeinsames Merkmal in bestimmten pathogenetischen Mechanismen gesehen wird. In der modernen Litaratur wird ein Teil der Phakomatosen unter dem Stichwort der Tumorsupressorgenerkrankungen neu gegliedert.
Definition II:
Die Phakomatose (griech. phakos = Fleck) ist ein Sammelbegriff für neurokutane Syndrome. Diese sind gekennzeichnet durch Tumore (sog. Phakome, eine Form von Hamartomen) und weitere ektodermale Fehlbildungen. Viele dieser Erkrankungen sind vererbt, z.T. autosomal-dominant. Einige davon gelten daher als sog. familiäre Tumorsyndrome. Für viele dieser Erkrankungen sind Mutationen in Tumorsuppressorgenen bekannt und können humangenetisch gesichert werden.
Phakomatose als Sammelbezeichnung für eine Reihe von Krankheiten
Liste I:
Dazu gehören u.a. folgende Erkrankungen:
- Neurofibromatose od. Morbus Recklinghausen
- Tuberöse Sklerose od. Morbus Bournville-Pringle
- Retinozerebelläre Angiomatose od. Morbus von Hippel-Lindau
- Li-Fraumeni-Syndrom
- Sturge-Weber-Krabbe-Syndrom od. Angiomatosis encephalofacialis
- Angio-Osteohypertrophie od. Klippel-Trénaunay-Syndrom
Liste II:
Neurofibromatose Typ 1 von Recklinghausen,
Tuberöse Sklerose Bourneville-Pringel,
Retino-cerebelläre Angiomatose Hippel-Lindau,
Enzephalo-Faziale Angiomatose Sturge-Weber,
Ataxia teleangiektasia Louis-Bar.
Beispiele für die Einteilung der Phakomatosen
Das Lehrbuch der Neurologie von Mumenthaler (1979) definiert die Phakomatosen als Fehlbildungen an ZNS und Haut und zählt hierzu die Neurofibromatose Recklinghausen (NF), die Tuberöse Sklerose Bourneville-Pringle (TS), die Encephalo-Faciale Angiomatose Sturge-Weber (EFA) und die Retino-Zerebelläre Angiomatose Hippel-Lindau (RZA).
Das Lehrbuch der Neurologie von Delank (1994) definiert die neurokutanen Erkrankungen aufgrund von histologischen und embryologischen Überlegungen. Dort heißt es, die Phakomatosen seien dysplastisch-blastomatöse Entwicklungsstörungen, die ektodermale Strukturen betreffen und somit als neurokutane Erkrankungen auftreten. Dabei würden die ektodermalen Dysplasien zu Tumoren werden und hämangiomatösen Fehlbildungen seien mesenchymalen Ursprungs und somit sekundär aus ektodermalen Gewebe gebildet. Delank zählt zu den Phakomatosen ebenfalls NF, TS, EFA und RZA.
In Merrits Textbook of Neurology (1996) werden in dem Kapitel Neurocutaneous Disorders lediglich die Neurofibromatose Recklinghausen (eine congenitale Tumorerkrankung), die Encephalofaciale-/trigeminale Angiomatose Sturge-Weber-(Krabbe/Dimitri) (eine congenitale Gefäßmißbildung), die Incontinentia Pigmenti Bloch-Sulzberger (eine congenitale eruptive Hauterkrankung) und die Tuberöse Sklerose Bourneville-Pringle (wiederum eine congenitale Tumorerkrankung) abgehandelt. Der Kapitelautor Arnold P. Gold gibt dabei für die Auswahl der Erkrankungen keine nährere Begründung an.
Das Lehrbuch der Neurogenetik von Rieß und Schöls (1998) diskutieren die Autoren V.F. Mautner und S.M. Pulst in dem Kapitel Phakomatosen die Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2, die Tuberöse Sklerose und das Hippel-Lindau-Syndrom mit dem Hinweis, bei den Phakomatosen handele es sich definitionsgemäß um Erkrankungen von Haut und Retina und die genannten Erkrankungen seien genetisch durch den Funktionsverlust von Tumorsuppressorgenen ausgezeichnet.
Das Lehrbuch der Augenheilkunde von Reim ordnet die Phakomatosen unter den erblichen Tumoren der Retina ein und erwähnt neben dem Retinoblastom die sog. Maulbeertumoren der Tuberöse Sklerose Bourneville und die Angiomatosis retinae der Retino-Zerebelläre Angiomatose Hippel-Lindau. Die Encephalo-Faciale Angiomatose Sturge Weber wird wegen ihren Hämangiomen des Zilliarkörpers erwähnt und die Neurofibromatose Recklinghausen wegen ihrer Iris-Naevi (Lisch-Knötchen), die pathologisch als melanozytäre Hamartome charakterisiert sind.
Historische Enwicklung des Begriffes und der Krankheitsgruppe
In einer Arbeit von 1920 beschreibt der Arzt J. van der Hoeve erstmals "linsenförmie Veränderungen" im Augenhintergrund eines Patienten mit TS und nennt diese Veränderungen Phakome.
In einer Arbeit von 1923 beschreibt van der Hoeve die Augenveränderungen bei der Neurofibromatose Recklinghausen und der Tuberösen Sklerose Bourneville als ähnliche Erscheinungen und schlägt den Neologismus Phakomatose (abgeleitet aus Phakos = Linse, Muttermal) als Sammelbezeichnung für diese Gruppe von Krankheiten vor.
In zwei weiteren Arbeiten aus den Jahren 1932 und 1933 schlägt van der Hoeve vor, die Hippel-Lindau-Krankheit und das Sturge-Weber-Syndrom ebenfalls zur Gruppe der Phakomatosen zu rechnen.
In einer Arbeit von 1941 beschreibt Madame D. Louis-Bar ein Krankheitsbild mit kapillären Teleangiektasien der Haut und Bindehaut, Naevusbildung und cerebellärer Ataxie. Sie schlägt vor, diese Krankheit zur Gruppe der Phakomatosen zu rechnen.