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Karl-Heinz Ohlig

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Karl-Heinz Ohlig (* 15. September 1938 in Koblenz) war von 1970 bis 1978 Professor für Katholische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule des Saarlandes. Seit 1978 war er Professor für Religionswissenschaft und Geschichte des Christentums an der Universität des Saarlandes. Seit Oktober 2006 ist er emeritiert.

Positionen

Als Theologe griff Ohlig immer wieder heiße Eisen auf, wenn er zum Beispiel schon 1973 mit einem Werk die Frage stellte: „Braucht die Kirche einen Papst?“

In seinem Buch „Die Welt ist Gottes Schöpfung“ (Mainz 1984) will er den Schöpfungsglauben und die Evolutionstheorie versöhnen, indem er Schöpfungsakt und Entwicklung in ein zeitliches Nacheinander ordnet. Er geht davon aus, dass Gott „mit der Konstitution der kosmischen Energie, die sich im Urknall entladen hat, alle Gesetzmäßigkeiten in sie hineingelegt, die zur Entwicklung des Universums geführt haben“ (S. 109). Gottes Wirken wird auf diese Weise in der Zeit vor dem Urknall gesehen, wodurch ein späteres Eingreifen des Schöpfers in den Lauf der Entwicklung hinfällig ist.

In seinem Werk „Ein Gott in drei Personen? Vom Vater Jesu zum ‚Mysterium‘ der Trinität“ (1999) fragte er "historisch-kritisch" nach, wie das Dreifaltigkeits-Dogma entstand und welche äußeren Bedingungen und philosophischen Voraussetzungen zu seiner Formulierung führten. Nach einer detaillierten Analyse der dogmengeschichtlichen Entwicklung der ersten Jahrhunderte kommt Ohlig zum Ergebnis, dass die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes als eine kulturgeschichtliche Gestalt des christlichen Glaubens unter anderen gelten und nicht länger normativ sein sollte.

Friedmann Voigt schreibt über Karl-Heinz Ohligs religionshistorischen Ansatz in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juni 2002: „Ohlig kann Marx zustimmen, dass die Kulturbedingtheit der Religion ‚in jeder ihrer Erscheinungsformen deutlich‘ wird. Aber er verweist gegen Marx zu Recht darauf, dass die Zeit der kulturellen Bedeutung der Religion längst nicht vorbei ist. Die historische Denkweise hat für Religionsgegner wie -verfechter eine beunruhigende Pointe: Die Religionsgeschichte ist von jeher eine narzisstische Kränkung des Absolutheitsanspruches von Religionen, aber auch der radikalen Religionskritik: Der Aufweis vom Werden, Wandel und Vergehen religiöser Vorstellungen stellt einen Einwurf gegen den Anspruch auf unvergängliche letzte Wahrheit dar.“ (Rezension zu Ohligs Buch: Religion in der Geschichte der Menschheit. Die Entwicklung des religiösen Bewusstseins. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002.)

Thesen zum Islam

In den letzten Jahren vor seiner Emeritierung hat Ohlig - der über keine Kenntnisse des Arabischen verfügt[1] - sich mit neuen Thesen zur Frühgeschichte des Islam befasst. 2005 gab er mit Gerd R. Puin den Sammelband "Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung der frühen Geschichte des Islam" heraus. Hier vertritt er die These, der Islam sei als christliche, antitrinitarische arabische Bewegung entstanden, "muhammadun" (etwa: "der Gepriesene, der Auserwählte") sei ursprünglich nur ein Titel für Jesus Christus gewesen und bezeichne diesen auch im Koran, und die (Um-)Deutung als Name eines arabischen Propheten sei erst um das Jahr 800, also 150 oder 200 Jahre nach der traditionell angenommenen Lebenszeit Mohammeds erfolgt. In Zusammenarbeit mit Christoph Luxenberg vertritt Ohlig die Auffassung, dass der Koran nicht nur einem syro-aramäischen Sprachumfeld entstamme, sondern zumindest in großen Teilen auf einer syrischen christlichen Grundschrift basiere.[2]

Darüber hinaus vertritt Ohlig folgerichtig die These, dass die bereits im 7. Jahrhundert zweifelsfrei belegte arabische Zeitrechnung nicht auf der Hidschra beruhe - denn einen Propheten Mohammed habe es ja nie gegeben, und also auch keinen Auszug desselben aus Mekka; vielmehr beziehe sie sich auf einen Sieg des oströmischen Kaisers Herakleios über die Sassaniden im Jahr 622.[3] Bei diesem Kampf hätten arabische Hilfstruppen auf der Seite des Herakleios eine wichtige Rolle gespielt und als Dank in diesem Jahr ein eigenes Reich als Foederati im Ostiran (Gegend um Marw) gründen können. Die Zeitrechnung bezieht sich demnach also auf den Beginn der Selbstherrschaft der Araber in diesen Gebieten.

Diese Thesen führt er mit Volker Popp und Christoph Luxenberg in Der frühe Islam (2007) weiter aus. Es folgten bis 2010 vier weitere Bände derselben Reihe, in denen die neuesten historisch-kritischen Arbeiten zum Thema Früher Islam veröffentlicht werden. In der Zwischenzeit hat sich die Autorenschaft internationalisiert (USA; Kanada, Frankreich u.a.). 2010 stieß Prof. Muhamad Sven Kalisch zu diesem Forscherkreis. Auch für Kalisch ist der Prophet Mohammed nun mehr keine historische Größe mehr, sondern eine im 9. Jahrhundert installierte Integrationsfigur.

Hauptansatzpunkt der Kritik sind die islamischen Quellen, das heisst die ersten beiden Jahrhunderte nach Mohammed. Aus diesen beiden Jahrhunderten gibt es keinerlei Erwähnung des Propheten, die erste Nennung erfolgt im 9.Jahrhundert. Auch die Hadithe, die "Sprüche und Taten des Propheten", stammen ausnahmslos aus dem 9. Jahrhundert und später. Nach Ansicht der genannten Forschergruppe wurden im 9. Jahrhundert die Geschehnisse des 7. und 8. Jahrhunderts rückinterpretiert. Die Gesamte Mohammedvita und -literatur wären deshalb die Sicht (bzw. eine Erfindung ) des 9. Jahrhunderts. Dies ist auch problemlos die Mehrheitsmeinung der Islamforschung. Die Geister teilen sich aber bei der Interpretation von "Muhamad". Der Inarah - Kreis (der inzwischen internationale Kreis um Prof. Ohlig) interpretiert die Person Muhamad als den Titel muhamad. Bereits weit vor Muhammad sei muhamad als Titel mit der Bedeutung der Gepriesene weit verbreitet gewesen. Das früharabische/aramäische muhamad sei aber nichts anderes als das Synonym des griechischen Krästos und des lateinischen Christus. Mit dem Gepriesenen, dem muhamad sei niemand anderer gemeint gewesen als Jesus.

Die arabischen Christen, die den muhamad verehrten, nahmen jedoch nicht an den Konzilsentscheidungen von Nikäa Teil, die unter anderem die Postulierung der "Dreifaltigkeit" zur Folge hatten, sondern blieben kompromisslose Monotheisten. Die arabischen Christen hätten demnach die vorherrschende griechische Kirche quasi arabisiert und die arabische Kirche hätte sich von einer Häresie zu einer Religion entwickelt. Aus dem aramäischen Qeryan sei der arabische Quran geworden, aus dem muhamad der Muhamad. Diese Manifestation der neuen Religion hätte vorwiegend im 9. Jahrhundert stattgefunden.

Der Inarah-Kreis umfasst Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen, und diese können das Muhamad = Jesus Konzept sehr beeindruckend untermauern. Luxenberg weist zwingend die Existenz von (bislang 400) aramäischen Wörtern im Koran nach, unter anderem das chimar,ein im Arabischen nicht existentes Wort, das im syro- aramäischen (die Sprache der Zeit) Stoffgürtel bedeute. Erst im 9. Jahrhundert wurde daraus das Kopftuch, eine vollkommene Fehllesung, wie Luxenberg argumentiert. Luxenberg weist die Inschriften im Felsendom zu Jerusalem als christliches und nicht islamisches Glaubensbekenntnis nach.

Auf dem Felde der Archäologie gibt es keinerlei Prophet-Muhamad-Belege, es werden aber von der Ohlig-Gruppe zahlreiche Funde (Inschriften, Münzen) präsentiert, die das muhamad - Jesus-Konzept belegen. Last but not least wird das Argument diskutiert, wonach die islamischen Heere den Persern ihr gesamtes Reich und dem byzantinischen Kaiser sein halbes Reich abgenommen hätten, diese aber nicht ein einziges Wort über den Propheten und seiner Religion berichteten, obwohl beide über einen Apparat verfügten, der sonst kein Ereignis in ihren Reichen unprotokolliert ließ. Der historisch-kritische Ansatz, wonach unabhängige Quellen als Beleg gefordert werden, ist eine Selbstverständlichkeit in der Forschung - nicht aber in der deutschen Islamforschung. Hier akzeptierte man ohne Probleme Sekundärquellen als Primärquellen, das heisst fromme Überlieferungen wurden ungeprüft als Fakten übernommen. Die Forscher um Ohlig dürften der unseligen deutschen "Orientalistik" des 20.Jahrhunderts den Todesstoß versetzt haben, weil sie seit dem 19.Jahrhundert - mit wenigen Ausnahmen - die einzigen sind, die Quellenkritik auch in der Islamforschung betreiben.

Werke

Bücher

  • Die theologische Begründung des neutestamentlichen Kanons in der alten Kirche. (Kommentare und Beiträge zum Alten und Neuen Testament) Patmos, Düsseldorf 1972, 336 S.
  • Braucht die Kirche einen Papst? Umfang und Grenzen des päpstlichen Primats. (Topos-Taschenbücher Bd. 10, hrsg. vom Matthias-Grünewald- u. Patmos-Verlag), Patmos, Düsseldorf 1973, 160 S.
    • Amerik. Übers.: Why We Need the Pope. The Necessity and Limits of Papal Primacy. mit einem »Postscript for the American Edition: The Lutheran-Catholic Dialogue in the U.S.A.«, 138-143), übers. von Robert C. Ware, Abbey Press: St. Meinrad, Indiana (USA) 1975, 152 S.
  • Jesus, Entwurf zum Menschsein. Überlegungen zu einer Fundamental-Christologie. Kath. Bibelwerk Stuttgart, Stuttgart 1974, 100 S.
  • Fundamentalchristologie. Im Spannungsfeld von Christentum und Kultur. Kösel-Verlag, München 1986, 722 S.
  • Christologie I. Von den Anfängen bis zur Spätantike. (Texte zur Theologie, Dogmatik, hrsg. von Wolfgang Beinert, Bd. 4.1), Styria-Verlag, Graz, Wien, Köln 1989, 227 S.
  • Christologie II. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Texte zur Theologie, Dogmatik, hrsg. von Wolfgang Beinert, Bd. 4.2), Styria-Verlag: Graz, Wien, Köln 1989, 239 S.
  • Ein Gott in drei Personen? Vom Vater Jesu zum „Mysterium“ der Trinität., Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz und Edition Exodus, Luzern 1999, 136 S.
  • Weltreligion Islam. Eine Einführung. Mit einem Beitrag von Ulrike Stölting, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz und Edition Exodus, Luzern 2000, 381 S.
  • Religion in der Geschichte der Menschheit. Die Entwicklung des religiösen Bewusstseins, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, 272 S.
  • Das syrische und arabische Christentum und der Koran in Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islams.
  • Der frühe Islam. Eine historisch-kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen. Berlin, Januar 2007, 666 Seiten, ISBN 3-89930-090-4 Leseproben
  • Schlaglichter: Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte. Berlin 2008, ISBN 978-3-89930-224-0

Artikel

Anmerkungen

  1. Ohlig (2000): Weltreligion Islam, l.c., S. 12.
  2. Mohammed, der einst Jesus war. Die Presse, 19. Dezember 2006
  3. Allerdings schlug Herakleios die Perser erst 627 bei Ninive, 628 baten sie um Frieden; 622 begann nur der kaiserliche Feldzug, ohne zunächst großen Erfolg zu haben: vgl. Walter E. Kaegi, Heraclius, Cambridge 2003, speziell S. 122ff.