Neo-Gramscianismus ist eine relative neue Richtung in den Studien Internationaler Beziehungen und der Internationalen Politischen Ökonomie, die den langwährenden Stillstand zwischen der Denkschule des Realismus und den liberalen Theorien zu durchbrechen versucht. Sie stützt sich in ihrem kritischen Ansatz auf die politische Philosophie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci.
Zuerst hat der ehemalige Direktor des International Institute for Labor Studies der International Labor Organisation (ILO), Robert W. Cox, die politische Philosophie Antonio Gramscis für das Verständnis der internationalen Beziehungen fruchtbar gemacht (vgl. Cox 1977). Weitere von Gramsci inspirierte Analysen finden sich beim kanadischen Politikwissenschaftler Stephen Gill und in Deutschland z. B. bei Hans-Jürgen Bieling/Jochen Steinhilber, Eric Borg und Christoph Scherrer. Die zentrale Kategorie zur Analyse von Herrschaft bildet bis heute die der Hegemonie. Hegemonie ist nach Gramsci eine Form politischer Herrschaft, die auf Konsens beruht. Mit dem Hegemonie-Begriff knüpft der Neo-Gramscianismus an die Debatte um den Niedergang der US-amerikanischen Hegemonie seit den 70-er Jahren an ("American Decline"). Stephen Gill untersuchte die Trilaterale Kommission als Beispiel für die Rolle transnationaler Politiknetzwerke für die Herausbildung neoliberaler Hegemonie in den internationalen Beziehungen (vgl. Gill 1990). Neuere Arbeiten untersuchen den politischen Charakter von Globalisierung.
Antonio Gramsci ist nur eine wichtige Quelle für diese Richtung, es werden weiters auch Hobsbawm, Karl Polanyi, Karl Marx, Max Weber, Niccolò Machiavelli dazu gezählt, sowie, als jüngere Quellen auch Max Horkheimer, Adorno, Foucault and Derrida. Diese Richtung wird oft als die kritische Theorie Internationaler Beziehungen bezeichnet.
Literatur
- Hans-Jürgen Bieling/Jochen Steinhilber (Hg.): Die Konfiguration Europas. Dimensionen einer kritischen Integrationstheorie, Münster 2000
- Eric Borg: Projekt Globalisierung. Soziale Kräfte im Konflikt um Hegemonie, Hannover 2001
- Robert W. Cox: Labor and Hegemony, in: International Organization, 31 (1977) 3, S. 187-223
- Robert W. Cox: Power, Production, and World Order, New York 1987
- Christoph Scherrer: Globalisierung wider Willen? Die Durchsetzung liberaler Außenwirtschaftspolitik in den USA, Berlin 1999