Mischehendebatte im deutschen Reichstag
Die im Mai 1912 durchgeführte Mischehendebatte im Deutschen Reichstag belegt die rassenpolitischen Konzeptionen der damaligen deutschen Parteien im Hinblick auf die deutsche Kolonialpolitik und die Vorstufen des sich in der Zwischenkriegszeit verschärfenden Rassismus in dr deutschen Gesellschaft.
Ablauf
Anfang Mai 1912 eröfffnete der Staatssekretär des Reichs-Kolonialamts, Wilhelm Solf die Debatte, indem er die „Mischlingsfrage“ und das Problem der „Mischehen“ in den deutschen Kolonien in dramatisiernder Art im Reichstag zur Verhandlung stellte. Die „üblen Folgen der Mischehen“ - so Solf seien von allen Nationen erkannt worden, die ihr „kolonisatorischer Beruf in Berührung mit farbigen Völkern niederer Kultur und minderer Zivilisation“ gebracht habe. Es gehe darum, ein „würdeloses Herabsteigen zur niederen Rasse“ zu verhindern. Solf appellierte an die (ausschlielich männlichen) Abgeordneten, sich zu überlegen, ob sie sich „schwarze Schwiegertöchter“ und „wollhaarige Enkel“ wünschten. Die Deutsche Kolonialgesellschaft gebe jährlich 50000 Mark dafür aus, dass „weiße Mädchen“ nach Südwestafrika geschickt werden. Solf argumentierte „Wollen Sie, daß diese weißen Mädchen mit Hereros, mit Hottentotten und Bastarden zurückkehren als Gatten?“ Solf resümierte seinen Standpunkt mit den Worten: „Wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Deutsche bleiben“. Gegenüber den „Farbigen“ sei „auch der Proletarier Herr“. Solf wandte sich deshalb ausdrücklich an die seit 1912 stärkste Reichstagsfraktion, die Sozialdemokraten mit der Bitte um Unterstützung, und zwar mit dem Argument, nicht der „Wohlhabende“ komme „draußen“ in die Versuchung, eine „eingeborene Frau zu heiraten“, sondern der „arme Mann, der kleine Mann“.
Wilhelm Solf, der als Gouverneur von Deutsch-Samoa (1900 – 1911) als eher liberal und verständnisvoll galt, fand für seine grundsätzliche Sicht auch die gewünschte breite Zustimmung. Allerdings gab es deutliche Vorbehalte eher praktischer Art.
Georg Ledebour (SPD) meinte in seiner Antwortrede „Mischlinge“ entstünden mit „Naturnotwendigkeit“ in „allen Kolonien“, wenn die „jungen Leute im kräftigsten Lebensalter“ mit den „unterworfenen Völkern in Berührung kommen“. Um die Rassenmischung zu vermeiden, müsse man die Kolonien aufgeben, während Solf nur den „Geschlechtsverkehr ausrotten“ wolle. Ledebour kritisiete das Mischeheverbot spezifisch mit Bezug auf Samoa, wo es etwa 80 Mischehen gebe. Gerade weil die Samoaner kulturell den Weißen näher stünden als die Hottentotten oder Hereros, habe sich bei ihnen auch der „Geschlechtsverkehr“ auf eine „höhere Stufe erhoben“. Ledebour unterstellt Solf, dieser befürchte, dass durch das „Einströmen des weißen Blutes“ in Samoa eine „Bevölkerung“ heranwachse, „teils weißen, teils samoanischen Blutes“, die „genau wie die Bastards in Südwestafrika, die aus der Vermischung von Holländern und Hottentotten“ hervorgegangen sind, die „Widerstandskraft der Eingeborenen“ verstärke. Damit nahm Ledebour ein Argument von Friedrich von Lindequist, dem Gouverneur von ,Deutsch-Südwestafrika’auf, der 1906 in einer Denkschrift zur Siedlungspolitik vor der „Anzahl von Mischverbindungen“ und den „üblen Folgen der Rassenvermischung“ gewarnt hatte, „weil in Südafrika die weiße Minderheit sich durch die Reinhaltung ihrer Rasse in ihrer Herrschaft über die Farbigen behaupten“ müsse. In Südwestafrika war schon 1905 ein Verbot der „standesamtlichen Eheschließung zwischen Weißen und Eingeborenen“ erfolgt, 1906 hatte sich der Gouverneur Deutsch-Ostafrikas bei solchen Ansuchen die persönliche Entscheidung vorbehalten.
Ledebour positonierte sich zwar als Kritiker der „kapitalistischen Kolonialpolitik“ und ihrem„Bedürfnis“, die Weißen als ein „Herrenvolk gesondert von den Eingeborenen zu erhalten“ und über sie „dominieren zu lassen“, sah es aber auch „nicht als einen wünschenswerten Zustand“, „wenn Ehen zwischen Eingeborenen und Weißen geschlossen werden oder wenn da ein außerehelicher Geschlechtsverkehr, aus dem Mischlinge hervorgehen“, stattfinde. Er „entrüstete“ sich sogar “ darüber, dass „weiße Frauen hier in Deutschland mit Negern angebandelt“ haben. Und er wies auf die „unerfreuliche“ Tatsache hin, dass „gewisse Frauen“ für „exotische Völkerschaften“ eine „perverse Neigung“ bekundeten, wasLedebour als Phänomen bürgerlicher Dekadenz einstuft.
Der Abgeordnete Braband (Freisinnige Volkspartei, FVP) kritisierte im weiteren Verlauf der Debatte, dass in den Großstädten bei „Vorführungen exotischer Trupps von Nubiern, Negern, Singhalesen“, „weiße Frauen sich den fremden Gästen geradezu an den Hals geworfen“ hätten. Braband lehnte Mischehen und die aus ihnen erwachsenden Mischlinge als gleichsam pathlogisches Phänomen ab und befürwortete im gleichen Atemzug auch die „Verhinderung“ von „Ehen zwischen Personen, die schwere ansteckende und vererbliche Krankheiten“ haben. Angesichts des weißen Männerüberschusses in den Kolonien konzedierte Braband zwar die Unvermeidbarkeit „geschlechtlicher Vermischung“ zwischen Kolonisten und „farbigen Frauen. Auch er sah das „Anwachsen der Mischlingsrasse“ aber als „Gefahr“, der die deutschen „Kulturmenschen“ nur durch „sorgfältige Überwachung der Erziehung der Mischlinge“ begegnen könnten.
Der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Richthofen sah „Geschlechtsverbindungen zwischen Weißen und Farbigen“ sogar als„sexuelle Immoralität“, die nicht mit einem „Siegel“ auch noch „staatlich sanktioniert“ werden dürfe.
Der freikonservative, evangelische Pastor Zürn von der Reichspartei formulierte die These „Kinder, die aus Mischehen hervorgehen, sich nach der schlechten Seite hin“ entwickelten. Er berief sich auf das „gesunde nationale Rassenbewußtsein“ und wandte sich ebenfalls gegen „jede Erleichterung der Rassenmischung in unseren Kolonien“.
Ähnlich der konservative Abgeordnete von Böhlendorf-Kölpin , der eine „scharfe Trennung“ der Rassen und eine „Erziehung unserer Kolonialbürger“ gegen „Mischehen“ und „Konkubinatsleben“ verlangte. Selbst der „Chef der katholischen Mission in Südwestafrika“ hätte im Vergleich mit diesen „unsittlichen“ Praktiken „Bordelle“ als das „kleinere Übel“ bezeichnet.
Der christlich-soziale Parlamentarier Mumm von der Wirtschaftlichen Vereinigung kritisierte, dass ein „gewisser weiblicher Aushub“ in den „Großstädten sich mit Schwarzen abgibt“ und forderte als „schärfste Reaktion“ die Verankerung der Ablehnung derartiger „Rassenschande“ im „Volksbewußtein“. Die Christlichsozialen sahen allerdings ein Mischehenverbot als ineffektiv an, da die anderen Kolonialmächte ein solches Verbot nicht aufzuweisen hätten und somit eine Heirat in den angrenzenden Kolonien Frankreichs oder Englands leicht möglich wäre. Mumm vertrat daher die Position, die „Ehe zwischen Weißen in den Kolonien“ zu fördern sei und nur „verheiratete Beamte in die Kolonien“ zu entsenden.
Eduard David, ein dem Eduard Bernsteinschen Revisionismus zugehöriger führender Sozialdemokrat vertrat nahezu als einziger eine entspanntere und weniger rassistische Position. Er verwies darauf, dass speziell die Samoaner ein „ganz hervorragend schönes und gesundes Volk“ seien. Man könne hier Erscheinungen finden, die als „typische Schönheiten des menschlichen Geschlechts“ gelten müssten. Das „Rassegefühl“ versage hier, beziehungsweise es verkehre sich in das Gefühl, dass „mancher Weiße“ seine Nachkommenschaft in einer solchen Beziehung nicht „degradieren“, sondern „aufbessern“ könne. David meinte allerdings: „Auch wir wünschen nicht, daß planlos Mischbevölkerung erzeugt wird“.
Auch der Zentrumsabgeordnete Gröber huldigte in der Debatte der „Schönheit“. Er zeigte im Reichstag Bilder eines „Bastardmädchens“ und von Samoanerinnen, und kommentierte: „recht hübsch, hübscher sind sie bei uns auch nicht“. Das Zentrum trat für die „Zulässigkeit der Rassenmischehen“ ein und zwar nicht zuletzt wegen ihrer geringen zahlenmäßigen Bedeutung. Laut „neuesten Berichten“ aus den Jahren 1907 und 1908 gäbe es in Neu-Guinea 34 „in Mischehe lebende Personen“ und 170 Mischlinge; in Samoa 90 Mischehen und 938 Mischlinge; in Südwestafrika 42 Mischehen und 3595 Mischlinge -““ – wobei die so genannten Rehobother bei der „Niederschlagung des Aufruhrs“ der Hereros und Namas mit „Treue und Tüchtigkeit“ mitgewirkt hätten..
Matthias Erzberger, der führende Repräsentant des katholischen Zentrums, trat in der Debatte des Jahres 1912 ebenfalls eindeutig „gegen die Vermehrung der Mischlinge“ auf. „99 Prozent aller Mischlinge in den Kolonien“ stammten allerdings aus dem „außerehelichen Geschlechtsverkehr“ also, sei es unlogisch, die Mischehe zu verbieten. Wer das „Mischlingswesen bekämpfen“ wolle, müsse in erster Linie gegen die „Konkubinatsverhältnisse““ vorgehen. Wer aber die Ehe verbiete, fördere das Konkubinat)
Ergebnis
Als Resultat der Debatte nahm am 8. Mai 1912 der Reichstag mit 203 Stimmen gegen 133 bei einer Enthaltung eine Resolution an, die auf die „Einbringung eines Gesetzentwurfs“ urgierte, der die „Gültigkeit der Ehen zwischen Weißen und Eingeborenen in allen deutschen Schutzgebieten sicherstellen“ und die Rechte der „unehelichen Kinder“ dort regeln sollte. Dafür stimmten Sozialdemokraten, Zentrum und Teile der Freisinnigen Volkspartei. Zu einem solchen Gesetz kam es jedoch nie.
Literatur
- Alexandra Przyrembel:" Rassenschande". Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7
Weblinks
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