Kubismus ist eine Stilrichtung in der modernen Kunst, die vor allem in der Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre stärkste Ausprägung hatte. Ausgehend vom Spätimpressionismus und der methodischen Bildanalyse Paul Cézannes führte der von Pablo Picasso und Georges Braque begründete Kubismus zu einem Wendepunkt in der Malerei und bildete den Anfang der abstrakten Malerei und der künstlerischen Abstraktion.

Entwicklung
Der Kubismus beschäftigt sich mit dem Übergang von gegenständlichen zu abstrakten Formen. Das Wort „Kubismus“, abgeleitet vom französischen cube für Kubus (Würfel), wurde als kunstwissenschaftlicher Terminus 1908 durch Louis Vauxcelles vorbereitet, der in einer Besprechung von Arbeiten Braques in der Galerie Daniel-Henry Kahnweilers zuerst die Reduktion auf geometrische Formen, auf Kuben, als „bizarreries cubiques“ zur Sprache brachte. Nach Angaben von Guillaume Apollinaire hatte zuerst Henri Matisse spöttisch von „petits cubes“ gesprochen, was dieser später allerdings bestritt. Den wertfreien Begriff „Kubismus“ verwendete erstmals Jean Metzinger in der gemeinsam mit Albert Gleizes verfassten Abhandlung „Du Cubisme“ im Jahr 1912. [1]
Georges Braque und Pablo Picasso gelangten, aufbauend auf Paul Cézanne, der erklärt hatte, dass sich alle Naturformen auf einfache stereometrische Körper wie Kugel, Kegel, Zylinder oder Pyramide zurückführen ließe, zu einer neuen Bildverfestigung „zur Wiedergabe der Gegenstände in kubistischen Formelementen.“[2] Mit dem Bild Les Demoiselles d’Avignon schuf Picasso 1907 das Grundlagenbild des Kubismus, 1908 folgte Braque mit Häuser bei L'Estaque, das als erstes Bild von Louis Vauxcelles mit den „cubes“ in Verbindung gebracht wurde. [3] Seinen Höhepunkt hatte der Kubismus im Jahr 1914.
Methoden
Der Kubismus war eine Kritik der realistischen respektive der klassischen Malerei. Seine Methode war wesentlich die abstrakte Perspektive, für welche sich Beispiele bereits in antiken Epochen oder bei Naturvölkern finden lassen. Die Überschreitung der Perspektive, also dessen, was uns in Abfolge an einem Gegenstand oder im Raum durch Erfahrung als wahrscheinlich gilt, führte im Kubismus zu einer Reihe neuartiger Versuche, Harmonie oder Einheit auf einer Bildoberfläche herzustellen.
Analytischer Kubismus
Im analytischen Kubismus, ab 1907 von Picasso und Braque entwickelt, werden die Gegenstände auf bestimmte Grundformen hin analysiert und, unter Verzicht auf bunte Farben und traditionelle illusionistische Bildmittel, wie ein einheitlicher Raum, einer Verwendung der Perspektive und Erkennbarkeit der abgebildeten Objekte, die in geometrische Teile zergliederten Dinge auf der Bildfläche ausgebreitet.[4] Daraus ergibt sich, dass die Gegenstände sehr kantig und zersplittert wirken und nur mehr oder weniger Bezug zu den realistischen Formen der Dinge haben. Diese Darstellung ermöglicht es daher, diese gleichzeitig (simultan) aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten (polyvalente Perspektive). Simultaneität ist deswegen ein Leitwort des Kubismus. Oft erscheinen manche Bildteile transparent, wodurch simultan mehrere Ebenen sichtbar sind. Auf plastische und perspektivische Wirkung wird verzichtet und die Farbpalette auf wenige Farben begrenzt; es herrschen in den Werken vor allem Braun-, Grau- und gedämpfte Grüntöne vor.
Synthetischer Kubismus
Im synthetischen Kubismus (etwa ab 1912) bemühen sich die Maler nach der „Zerlegung“ wieder um den „Aufbau“ des Gegenstandes, allerdings unter Wahrung der errungenen Freiheit der Bildgestaltung. Sie bauen hierbei ihre Bilder aus wenigen größeren Flächen auf, mit strengen klaren Umrissen und kräftigen Farben. Durch Überschneidung der Flächen und durch knappe Schattenangaben deuten sie Körperlichkeit an, ohne jedoch den Eindruck von der Gebundenheit der Gegenstände an die Zweidimensionalität der Fläche zu verwischen.
Der synthetische Kubismus baut im Wesentlichen auf die von Pablo Picasso, Georges Braque, später gleichermaßen von Juan Gris, praktizierte Collagetechnik, dem Papier collé auf. Die Künstler integrierten Holzimitat-Papier, Zeitungsausschnitte, Motivtapeten, farbige Papiere und Notenblätter in ihre Kompositionen. Zu den Papier collés wurden Braque und Picasso durch ihre zuvor entstanden dreidimensionalen Konstruktionen, den Papierplastiken angeregt, die sie aus Papier und Karton, Picasso später aus Blech, fertigten.[5]
Kubistische Plastik
In der kubistischen Plastik wird zunächst der Einfluss afrikanischer und ozeanischer Volkskunst deutlich. Picasso setzte sich ab 1905 mit afrikanischer Fetischkunst und archaischen Votivgaben auseinander und übernahm deren vereinfachte blockhafte Konzeption. In Abkehr von Rodins detailliert ausgearbeiteten Figuren verzichteten die Kubisten weitgehend auf eine naturgetreue Abbildung und gelangten zu einer starken Vereinfachung der Gestalt.
Der dem Kubismus nahestehende rumänische Bildhauer Constantin Brâncuși reduzierte die Ausgestaltung seiner Skulpturen auf das Äußerste und experimentierte in der Proportionierung mit dem Gleichgewicht, wobei er seinen Objekten einen „metaphorischen Verweis“ verlieh.[6] Hans Arp, am Kubismus und Futurismus orientiert, übertrug dieses Prinzip später auf organische Grundformen. Picasso wandte das Prinzip der Simultaneität, das er in der Malerei in geschachtelten Farbfeldern gefunden hatte, in der facettenhaften Strukturierung seiner Objektkunst an. In der Folgezeit übernahmen beispielsweise Alexander Archipenko, Raymond Duchamp-Villon oder Otto Freundlich eine ähnlich aufgefächerte Oberflächengestaltung.
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Constantin Brâncuşi: La Colonne sans fin (Die endlose Säule) in Târgu Jiu
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Hans Arp: Wolkenhirt (1953) auf dem Campus der Universität Caracas
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Otto Freundlich: Bronzeguss der Skulptur Ascension in Münster
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Umberto Boccioni: Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum, 1913
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Henry Moore: Reclining Figure, 1951
Diese facettierte, vielschichtige Gestaltung inspirierte wiederum den italienischen Futuristen Umberto Boccioni, der 1912 die neuen Skulpturen der Kubisten bei Atelierbesuchen in Paris gesehen hatte. Boccioni erweiterte das Gestaltungsprinzip der kubistischen „Vielperspektivik“ um den Faktor der Dynamik.
In späteren Jahren arbeiteten Künstler wie beispielsweise Alberto Giacometti, Willem de Kooning oder Henry Moore mit plastischen Methoden, die sich an den im Kubismus begründeten Gestaltungsprinzipien der Vielperspektivik und Dynamik orientieren.[6]
Verbindungen
Der Kubismus wird häufig mit einer theoretischen Betrachtung Paul Cézannes in Verbindung gebracht. Dieser schreibt in einem Brief vom 15. April 1904 an Émile Bernard: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu wiederholen, was ich Ihnen schon bei Ihrem Besuch sagte: Man behandle die Natur gemäß Zylinder, Kugel und Kegel und bringe das Ganze in die richtige Perspektive, so daß jede Seite eines Gegenstandes, einer Fläche auf einen zentralen Punkt führt.“ [7] [8] Der Kunsthistoriker Götz Adriani weist auf Missdeutungen hin, die in diesem Zusammenhang entstanden seien. Cézanne habe mit diesem Zitat keine Umdeutung der Naturerfahrung im Sinne einer Orientierung an kubische abstrakte Formelemente bezweckt, vielmehr hatte er im Gegensatz zur kubistischen Loslösung der Bildautonomie von den Vorgaben der Natur im Gegenteil versucht, diese ohne wesentliche Abstriche in das Werk unter verschiedenen Aspekten einzubringen.[9]
Ausgehend vom Kubismus gründete Robert Delaunay ab 1909 eine Kunstrichtung, von Apollinaire 1912 Orphismus genannt[10], die die Licht- und Farbeindrücke auf der Grundlage des Farbprismas aufbaute.
Die Section d’Or (Goldener Schnitt) wurde 1912 als französische Künstlervereinigung gegründet. Sie steht dem Kubismus sehr nahe, unterscheidet sich gleichwohl durch die stärkere Farbgebung. Die Künstler der Section d’Or orientierten sich vor allem am Goldenen Schnitt und versuchten, dessen Harmonie wissenschaftlich zu begründen.
Bedeutung hat der Kubismus zudem durch seinen Einfluss auf das Design und die Architektur. Bedeutende „kubistische“ Architektur findet sich vor allem in Prag, hier sind vornehmlich Josef Chochol, Josef Gočár oder Pavel Janák zu nennen.
In Russland entwickelte sich um 1912/13 mit dem Kubofuturismus eine vereinfachte Form des Kubismus, der zugleich dynamische Elemente des Futurismus rezipierte. Charakteristisch ist hierbei eine Zerlegung der Figuren in zylindrische, teilweise industriell wirkende Elemente. Der Kubofuturismus leitete den russischen Konstruktivismus ein. Zeitweise Vertreter waren Kasimir Malewitsch, Iwan Puni und Ljubow Sergejewna Popowa.
Obwohl die Übertragung von Begriffen der Bildenden Kunst auf andere Künste und insbesondere auf die Musik problematisch ist und vielfach kritisiert wird, gelten vor allem zwei zeitgenössische Kompositionen ebenfalls als kubistische Werke: Die beiden Ballette Le sacre du printemps von Igor Strawinsky (1911/13) und Parade von Erik Satie (1917). Letzteres war von Picasso mit Bühnenbildern und Kostümen in kubistischem Stil ausgestattet worden. Abgesehen von der geistigen Nähe der Komponisten zu den Ideen des Kubismus sprechen dafür vor allem das Aufbrechen herkömmlicher Kompositionsmethoden und das Zusammenfügen eines Kunstwerks durch die Aneinanderreihung von sperrigen, weitestgehend unveränderten, nicht selten heterogenen Einzelelementen.
Nach dem Kubismus
Im Anschluss an den Kubismus entwickelte sich ab 1917 eine an der Architektur orientierte Stilrichtung, die 1918 mit dem Manifest Après le cubisme (Nach dem Kubismus) von den Künstlern Amédée Ozenfant und Charles-Edouard Jeanneret (Le Corbusier) als Purismus proklamiert wurde. Ozenfant hatte bereits 1915 in der selbstverlegten Zeitschrift L'Elan erste Gedanken zu einer reinen, „puren“ Kunstform dargelegt, die einfach, funktional und ohne dekorative Elemente daherkommen sollte.
Damit lieferten die Puristen einen ideologischen Ansatz, der die Entfernung von der Gegenständlichkeit weiterführte und im Suprematismus, Konstruktivismus und im Bauhaus umgesetzt wurde und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einfluss auf die minimalistische Kunst und Architektur hatte.
In den Vereinigten Staaten erfuhr der Kubismus als Folge der Armory Show eine kurzfristige Nachlese durch regionale Künstler, die zu einer „kuborealistischen“ Bildsprache fanden, wie beispielsweise Charles Demuth oder Alfred H. Maurer. Demuth fand in seiner strengen Formsprache mit industriellen Sujets zu einer eigenständigen Ausdrucksform, die im sogenannten Präzisionismus den Amerikanischen Realismus (American Scene) als erste von Europa losgelöste Bewegung ankündigte.[11] Maurer blieb indes eher dem akademischen Tafelbild in der Tradition der europäischen Schulen verhaftet, um letztlich zu ähnlich monochromen Arrangements, wie sie im Kubismus zu finden sind, zurückzukehren.
Künstler des Kubismus
Diese Liste ist in der chronologischen Reihenfolge der Geburtsdaten sortiert und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Jeanne Rij-Rousseau (1870–1956): Nature morte au bol (1908)
- Kasimir Malewitsch (1878–1935)
- Pablo Picasso (1881–1973): Flasche, Glas und Geige (1913)
- Fernand Léger (1881–1955): Die Kartenspieler (1917)
- Georges Braque (1882–1963): Violine und Krug (1910), Flasche und Zeitung (1911)
- Jean Metzinger (1883–1956): Nu, (1910)
- Robert Delaunay (1885–1941): Hommage à Blériot (1914)
- André Lhote (1885–1962): Landschaft mit Häusern (1920)
- Roger de La Fresnaye (1885–1925): Die Eroberung der Lüfte (1913)
- Juan Gris (1887–1927): Die Uhr (Die Sherryflasche) (1912)
Weitere Künstler, die zeitweise dem Kubismus zugeordnet werden oder ihm nahe standen, finden sich hier.
Literatur
- Pierre Assouline: Der Mann, der Picasso verkaufte – Daniel-Henry Kahnweiler und seine Künstler. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1990, ISBN 3-785-70579-4
- David Cottington: Kubismus. Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2002, ISBN 3-775-71151-1
- Hajo Düchting: Die Kunst und der Kubismus. Belser, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-763-02477-3
- Albert Gleizes/Jean Metzinger: Du cubisme, on cubism, über den Kubismus. Fischer, Frankfurt/M. 1993, ISBN 3-894-06728-4.
- Ludger Hagedorn und Heinke Fabritius (Hrsg.): Frühling in Prag oder Wege des Kubismus (Tschechische Bibliothek) München, Deutsche Verlagsanstalt 2005, ISBN 3-421-05261-1
- Michail Lifschitz: Krise des Häßlichen. Vom Kubismus zur Pop-Art. VEB Verlag der Kunst, Dresden 1972
- Katharina Schmidt (Hrsg.): Ein Haus für den Kubismus. Die Sammlung Raoul LaRoche. Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 1998, ISBN 3-775-70754-9 (Ausstellungskatalog)
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Wilfried Wiegand: Picasso, Rowohlt Verlag, Reinbek, 19. Aufl. 2002, ISBN 978-3-499-50205-7 S. 158
- ↑ Robert Darmstädter: Reclams Künstlerlexikon. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1979, S. 383
- ↑ Karl Bertsch: Braque: Häuser in L'Estaque (1908). kunst.gymszbad.de 2006, abgerufen am 22. November 2008.
- ↑ Claudia List-Freytag (Hrsg.): Keysers Grosses Stil-Lexikon Europa. 780 bis 1980. Keysersche Verlagsbuchhandlung, München 1982, ISBN 3874051501 S. 454
- ↑ William Rubin in: Picasso und Braque - Die Geburt des Kubismus, Prestel, 1990 (englische Originalausgabe: Museum of Modern Art, New York, 1989), S. 24 ff
- ↑ a b zitiert nach Karin Thomas: Bis Heute – Stilrichtungen der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. DuMont, Köln 1986, ISBN 3-7701-1939-8, S. 84 ff.
- ↑ John Rewald: Briefe von Paul Cézanne, 1962, Diogenes Verlag, Zürich, Seite 281.
- ↑ Im Original: „Permettez-moi de vous repeter ce que je vous disais ici: Traiter la nature par le cylindre, la sphère, le cône, le tout mis en perspective, soit que chaque côté d’un objet, d’un plan, se dirige vers un point central.“; zitiert nach: Eric Alliez: L'oeil-cerveau - Nouvelles histoires de la peinture moderne, Seite 460
- ↑ nach Götz Adriani: Paul Cézanne. Leben und Werk, S. 115 f. C. H. Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-54690-7
- ↑ Karin Thomas: DuMont’s kleines Sachwörterbuch zur Kunst des 20. Lahrhunderts. Von Anti-Kunst bis Zero. DuMont Buchverlag, Köln 1977, S. 179
- ↑ vgl. auch: Karin Thomas: Bis Heute – Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. DuMont Buchverlag, Köln, 1986, S. 182f