Wehrpflicht in Deutschland

Überblick über die Wehrpflicht in Deutschland
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Als Wehrpflicht bezeichnet man die Pflicht für einen gewissen Zeitraum in der Armee oder einer anderen Wehrformation (z. B. Feuerwehr) eines Landes zu dienen. Ob und für wen eine Wehrpflicht besteht ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich geregelt:

Deutschland seit 1957

Wer ist wehrpflichtig?

Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und

  1. ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben oder
  2. ihren ständigen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben und entweder
  • ihren früheren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatten oder
  • einen Pass oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland besitzen oder sich auf andere Weise ihrem Schutz unterstellt haben.

(§1, Satz 1. Wehrpflichtgesetz (WPlfG)

Polizeivollzugsbeamte leisten keinen Wehrdienst. Ihre Wehrpflicht gilt mit dem Eintritt in die Polizei (Polizei der Länder und Polizei des Bundes) als abgegolten. Eine Ausnahme besteht wenn das Dienstverhältnis in der Polizei vor dem Ende der Wehrpflichtigkeit beendet wird.

Erfüllung der Wehrpflicht

Die Wehrpflicht wird durch den Wehrdienst oder im Falle des § 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes vom 28. Februar 1983 durch den Zivildienst erfüllt. Die Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes beträgt heute 9 Monate.

Wehrpflicht-Dauer in der Bundesrepublik Deutschland von 1957 bis heute. (in Monaten)


Grundausbildung

Die Allgemeine Grundausbildung (AGA) dauert drei Monate. Sie beinhaltet die Themen Formalausbilung, Gefechtsdienst, ABC-Dienst, Theorie, Sanitätsdienst aller Truppen, Leben im Felde usw. Daneben werden zahlreiche Übungen (Märsche, Biwaks, Hindernisbahn) durchgeführt. In begrenztem Umfang wird auch Sport getrieben. Zum Ende der AGA wird das Gelöbnis abgelegt. Die AGA endet mit der Rekrutenbesichtigung. Den Absolventen wird der Allgemeine Tätigkeitsnachweis (ATN) Sicherungssoldat (Wachausbildung), sowie je nach Truppengattung ein ATN zur bestandenen Grundausbildung verliehen.

Je nach Verwendung schließt sich eine Spezialausbildung an das Ende der AGA an. Dem Soldaten wird am Ende dieser Ausbildung noch ein ATN (Erstverwendungs-ATN) verliehen, z. B. IT-Soldat, Sanitätssoldat usw.

Ende der Wehrpflicht

Die Wehrpflicht endet mit Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 45. Lebensjahr vollendet, bei Offizieren und Unteroffizieren in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird.
Im Spannungs- und Verteidigungsfall endet die Wehrpflicht mit Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 60. Lebensjahr vollendet.

Was bedeutet 'Erfüllung der Wehrpflicht'?

Die Pflicht zur Dienstleistung umfasst

  1. den Grundwehrdienst (§ 5 WPflG)
  2. Wehrübungen (§ 6 WPflG)
    1. Einzelwehrübungen
    2. Besondere Auslandsverwendungen
  3. im Verteidigungsfall den unbefristeten Wehrdienst

Müssen auch Ungediente im Verteidigungsfall Wehrdienst leisten?

Ja, ungediente Wehrpflichtige gehören zur Ersatzreserve. Wehrpflichtige, die in der Bundeswehr gedient haben, gehören zur Reserve. Die übrigen gedienten Wehrpflichtigen gehören zur Reserve, sobald über ihre Heranziehung zum Wehrdienst auf Grund der Wehrpflicht entschieden ist.

Wehrgerechtigkeit

Die politische Diskussion, die Bundeswehr in eine reine Berufsarmee umzuwandeln, stellt die Wehrpflicht in Frage. Da immer weniger junge Männer eines Jahrgangs tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden, beklagen Kritiker die mangelnde Wehrgerechtigkeit bei der Auswahl der Rekruten.

Für eine ausführlicher Darstellung, siehe: Wehrgerechtigkeit

Einberufungspraxis

Mit dem 2. Zivildienständerungsgesetz wurden die Regelungen zur Einberufung geändert:

  1. Absenkung der Heranziehungsgrenze für den Grundwehrdienst vom 25. auf das 23. Lebensjahr
  2. Keine Heranziehung von Verheirateten, in eingetragenen Lebenspartnerschaften lebenden oder Wehrpflichtigen mit dem Sorgerecht für mindestens ein Kind.
  3. Der Tauglichkeitsgrad T3 ist entfallen. "T3er" gelten nun als ausgemustert.
  4. Wehr- und Zivildienstpflichtige, die nach dem Erreichen der allgemeinen Hochschul- oder Fachhochschulreife eine betriebliche oder eine Beamtenausbildung aufgenommen haben, werden auf Antrag zurückgestellt
  5. Wehr- und Zivildienstpflichtige können sich von der Dienstpflicht befreien lassen, wenn mindestens zwei Geschwister ein ziviles oder militärisches Dienstjahr geleistet haben.

Im Vorgriff auf die neue Regelung wurde dies bereits seit dem 1. Juli 2003 so praktiziert. Die Pflicht zur Dienstleistung im Verteidigungsfall bleibt von den Regelungen 1 u. 2 unberührt.

Argumente für und wider die Wehrpflicht

Die Diskussion unterscheidet ethische und juristische Argumente. Während die auf ethischen Begründungsmodellen fußenden Argumente zum Rechtfertigungsproblem der Ethik führen, müssen sich die juristischen Argumente national zumindest an den ersten vier Artikeln des Grundgesetz messen lassen und international an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen.

Die Diskussion über die Wehrpflicht ist nicht gleichbedeutend mit der Diskussion über das Für und Wider einer Armee, hängt aber mit ihr zusammen.

Des Weiteren werden Analogien zur Schulpflicht und zur Steuerpflicht gezogen. Aus dem Für und Wider der einen Pflicht lässt sich jedoch nicht auf die Befürwortung oder Ablehnung einer anderen Pflicht schließen.


Generalinspekteur Bagger 1996 zur Allgemeinen Wehrpflicht

Am 16. Juli 1996 veröffentlichte der frühere Generalinspekteur Hartmut Bagger im Generalinspekteurbrief 1/96 seine Stellung zur Diskussion über die Allgemeine Wehrpflicht. "Für viele scheint das stärkste Argument für eine Berufsarmee die damit verbundene Professionalisierung zu sein. Wehrpflicht und Professionalität schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Wehrpflicht schafft darüber hinaus die Möglichkeit, das gesamte Potential an Intelligenz, Fähigkeiten und beruflicher Ausbildung unserer jungen Bürger zu nutzen. Wir profitieren von diesem Potential nicht nur bei den Wehrpflichtigen, wir gewinnen aus ihm auch die Hälfte unseres Führernachwuchses an Offizieren und Unteroffizieren. Qualität und Kultur der Führung in der Bundeswehr, aber auch Professionalität werden wesentlich von der Wehrpflicht abhängen. Der mit einer Freiwilligenarmee häufig verbundene Verzicht auf Pluralität kann zu einem Verlust an geistiger Vitalität und zur Entfremdungseffekten zwischen Streitkräften und Gesellschaft führen." Bagger sah deshalb auch keinen Zweifel, dass die Wehrpflichtarmee nicht nur unter dem Aspekt der Qualität ihres Personals, sondern auch aus gesellschaftspolitischer Sicht die "intelligentere Armee" ist. Zudem macht sie die Verteidigung von Recht und Freiheit zur Sache aller Bürger und beugt der Tendenz vor, Streitkräfte als "Dienstleistungsagentur für Verteidigung" mißzuverstehen.

Volkswirtschaftliche Argumente

Aus volkswirtschaftlicher Sicht hindert die Wehrpflicht junge Männer während ihres Wehrdienstes daran, den Beruf, für den sie am besten qualifiziert sind, auszuüben. Gerade junge Männer, die gerade ihre Schullaufbahn beendet haben, könnten aber mit ihrem Wissen die Volkswirtschaft formen. Während der Wehrpflicht, die einen nicht unerheblichen Teil der Lebensarbeitszeit ausmacht, haben sie dazu keine Gelegenheit. Potenzielle Berufssoldaten werden in andere Berufe gedrängt, ihre potenzielle berufliche Qualität als Soldat geht der Volkswirtschaft somit verloren. Kritiker befürchten sogar, Wehrpflichtige könnten ihre in der Schule erworbenen Fähigkeiten zu einem Teil während der Dienstzeit wieder verlernen. Somit ist die Wehrpflicht in zweifacher Hinsicht ein Standortnachteil.

Zivil- und Grundwehrdienstleistende erhalten oftmals eine weit geringere Entlohnung als auf dem freien Markt durch Mindestgehälter möglich wäre. Obwohl das Gesetz es verbietet, übernehmen Zivildienstleistende oft Arbeiten, die sonst von Arbeitnehmern, die nicht unter Zwang arbeiten, erledigt würden. Sie blockieren so Arbeitsplätze und schwächen die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer.

Ethische Argumente

Wehrpflichtgegner können sowohl für als auch gegen eine Armee sein, während Wehrpflichtbefürworter folglich auch gleichzeitig für eine Armee sind.

Als ethisches Argument für die Wehrpflicht könnte man einbringen, dass die Hemmschwelle Kriege zu führen bei der Berufsarmee viel niedriger ist. Leute, die "freiwillig" bei der Armee sind schickt man eher los als solche, die dazu verpflichtet sind. Die USA führten beispielsweise nach dem Vietnamkrieg das Freiwilligenheer ein, da dieser der Bevölkerung missfiel.

Ethische Argumente für die Wehrpflicht findet man auch in Immanuel Kants Schrift "Zum ewigen Frieden": Hier argumentierte der Philosoph, stehende Heere (also Berufsarmeen) würden nur zu Wettrüsten und in weiterer Folge zu Kriegen führen. Im Gegensatz dazu steht der defensive Charakter der Wehrpflichtigenarmee: Kant sieht es sogar als ethische Pflicht an, Berufsheere durch freiwillige periodische Wehrübungen der Staatsbürger zu ersetzen (vgl. "Zum ewigen Frieden", BA 8f.). Ethische Argumente gegen die Wehrpflicht gibt es auch: Niemand hat das Recht einen Menschen zu gewissen Arbeiten zu zwingen, denn dies käme Zwangsarbeit gleich. Und wenn man nicht aus freiem Herzen und absolut unmotiviert das Land verteidigen muss, ist dies weder ethisch vertretbar noch besonders effizient.

Juristische Argumente

Die Diskussion über die Wehrgerechtigkeit leitet sich aus Artikel 3 des Grundgesetzes ab.

Schweiz

In der Schweiz gilt für männliche Bürger gemäß Art. 59 Bundesverfassung die allgemeine Dienstpflicht. Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig. Die Wehrpflicht dauert gemäß Art. 13 Militärgesetz in der Regel vom 20. bis 34. Altersjahr. Die Pflichtigen werden solange zu Wiederholungskursen aufgeboten, bis eine dienstgradbezogene Anzahl von anrechenbaren Tagen erreicht ist. Für die Mannschaftsdienstgrade beträgt diese Zahl höchstens 260 Tage.

Österreich

In Österreich gilt die allgemeine Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger vom 18. bis zum 50. Lebensjahr, für Offiziere und Unteroffiziere bis zum 65. Lebensjahr. Bis zum 36. Lebensjahr können Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst eingezogen werden. Die Dauer des Grundwehrdienstes beträgt 8 Monate, wobei zumindest 6 Monate ohne zeitliche Unterbrechung geleistet werden müssen. Die fehlenden Monate werden über den Zeitraum von mehreren Jahren durch Waffenübungen ergänzt. Bis alle 8 Monate abgeleistet sind, befindet sich der Wehrpflichtige im Milizstand.

Anstelle des Militärdienstes ist auch ein Wehrersatzdienst oder Zivildienst möglich. Dieser dauert 12 Monate und kann bei verschiedenen Organisationen abgeleistet werden.

Frauen haben prinzipiell keine Wehrpflicht, können aber den Wehrdienst freiwillig ableisten.

Ab 1.1.2006 dauert der Wehrdienst nur noch 6 Monate für alle.

Tunesien

In Tunesien unterliegen Männer und seit März 2003 auch Frauen der Wehrpflicht (1).

Geschichte

Heere, die aufgrund einer allgemeinen Aushebung aller wehrfähigen Männer aufgestellt wurden, gab es in der Geschichte immer wieder, etwa das Heer der römischen Republik oder Bürgergarden in Städten. Auch der preußische Staat befand sich mit dem Kantonssystem (Wehrfähige eines Gebietes waren für bestimmte militärische Einheiten enrolliert)auf dem Weg zu einer Wehrpflichtigenarmee.

Das Frankreich der großen Französischen Revolution war der erste europäische Staat, der seine Armee mit der Levée en masse fast ausschließlich aufgrund einer allgemeinen Wehrpflicht organisierte. (Daneben gab es noch Freiwillige.)

Preußen kopierte dieses Vorbild und führte im Zuge der preußischen Reformen auch die allgemeine Wehrpflicht ein. Damit war eine grundsätzliche Aufwertung des Soldatenstandes verbunden, galten Soldaten bisher doch als gesellschaftlich deklassiert - jetzt, wo auch Bürgersöhne zur Armee eingezogen wurden, galt Militärdienst als Ehrendienst. Entehrende Körperstrafen wurden folgerichtig abgeschafft.

Nach den Befreiungskriegen wurde die Wehrpflicht in Preußen konsequent beibehalten, mit der Ausnahme, dass Angehörige der "gebildeten Stände" sich als so genannte "Einjährige" melden konnten. In den anderen deutschen und europäischen Staaten wurde unter den tauglich gemusterten die erforderliche Anzahl von Rekruten durch Los bestimmt, der geloste konnte aber einen Ersatzmann stellen, weshalb in der Armee eher Männer aus ärmeren Schichten dienten.

Im Kaiserreich setzte sich das preußische gegen alle anderen Rekrutierungssysteme durch, hatte es doch seine Effizienz im Krieg 1870/71 eindrucksvoll bewiesen.

In der Weimarer Republik war die Wehrpflicht aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags abgeschafft, die Reichswehr war eine auf 100.000 Mann begrenzte Berufsarmee. Im Dritten Reich wurde die Wehrpflicht 1935 wiedereingeführt, im Zuge der Volksgemeinschaft wurde aber der "Einjährige" abgeschafft und von den Offizieren wurde erstmals gefordert, auch die Mannschaften als Kameraden zu betrachten.

Während der Zeit der Teilung Deutschlands unterlagen Bürger von West-Berlin nicht der Wehrpflicht.

Literatur

  • Roland G. Foerster (Hrsg.): Die Wehrpflicht: Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München, 1994 ISBN 3-486-56042-5
  • Ute Frevert: Die kasernierte Nation, Verlag C.H.Beck 2001, ISBN 3406479790
  • Andres Prüfert (Hrsg.): Hat die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland eine Zukunft? Zur Debatte um die künftige Wehrstruktur, Baden-Baden (Nomos) 2003. ISBN 3832903119

Siehe auch: Wehrdienst