Totalitarismus

diktatorische Form der Herrschaft mit Ideologischer Legitimation
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Totalitarismus bezeichnet eine diktatorische Herrschaftsform. Im Unterschied zu autoritären Diktaturen erheben totalitäre Diktaturen den Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu schaffen, und in alle soziale Verhältnisse hinein zu wirken. Während sich autoritäre Diktaturen damit begnügen, dass das Volk nicht gegen die Herrschenden aufbegehrt, fordern totalitäre Diktaturen die aktive Unterstützung der Beherrschten ein. Typisch ist die dauerhafte Mobilsierung in Massenorganisationen.

Begriff

Der totalitäre Staat versucht, durch Propaganda und Erziehung die unter seiner Herrschaft lebenden Menschen einer ständigen Indoktrination dieser herrschenden Ideologie auszusetzen. Dies soll bewirken, dass nicht nur äußerlich der formale Gehorsam dem Staat gegenüber sichergestellt ist, sondern auch innerlich die herrschende Ideologie enthusiastisch akzeptiert wird, was eine Politisierung der privaten Lebensbereiche mit sich bringt: Die Gedanken und Gefühle eines jeden Menschen sollen faktisch „von der Wiege bis zur Bahre“ manipuliert werden, um diese innere Bejahung der herrschenden Ideologie zu erzeugen.

Um jedes von der herrschenden Ideologie abweichende Denken schon im Keime zu ersticken, sind die Bürger des totalitären Staates einer ständigen Kontrolle durch Spitzel und Geheimdienste und auch oft willkürlichen Repressionen wie etwa spontaner Verhaftung ausgesetzt.

Giovanni Amendola bezeichnete am 12. Mai 1923 den Faschismus erstmals als totalitäres System. Der Begriff Totalitarismus wurde in den Zwanziger Jahren von dem damaligen Diktator Italiens Benito Mussolini für das von ihm geschaffene Herrschaftssystem des Faschismus verwendet (stato totalitario) und durchaus positiv verstanden. Der national-konservative Staatsrechtler Carl Schmitt führte diesen Begriff in Deutschland ein.

Schon zwischen den Weltkriegen gab es Kritiker, die das Wort Totalitarismus in seiner heute üblichen negativen Bedeutung gebrauchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als im Zuge des kalten Krieges immer mehr die Wesensähnlichkeit der Regierungssysteme des gerade besiegten Nationalsozialismus und des Kommunismus, besonders Stalin'scher Prägung, herausgestellt wurde, wird von Totalitarismus nur noch in negativer Konnotation gesprochen.

Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus ist der Schriftsteller George Orwell, der ihn in seinem Roman 1984 schon im Jahre 1948 beschreibt und darin spätere Erkenntisse anderer Kritiker auf fiktiver Ebene vorwegnimmt. Franz Borkenau stellte 1940 in seinem Werk The Totalitarian Enemy eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und Bolschewismus vor.

Die meistrezipierten Theoretiker des Totalitarismus sind Hannah Arendt, die im Jahr 1952 ihr Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft schrieb, sowie Carl J. Friedrich und Zbigniew Brzezinski, die 1956 das Werk Totalitarian Dictatorship and Autocracy veröffentlichten. Die Kernelemente der Totalitarismustheorie von Friedrich, Brzezinski und Arendt werden noch heute als Grundlagen der Totalitarismusforschung angenommen und verwendet.

Laut Friedrich und Brzezinski zeichnen sich totalitäre Diktaturen durch sechs konstitutive Merkmale aus: 1) eine offizielle Ideologie mit Heilsanspruch, 2) eine einzige Massenpartei, 3) das Waffenmonopol, 4) das Monopol der Massenkommunikationsmittel, 5) ein System terroristischer Polizeikontrolle und 6) eine zentral gelenkte Wirtschaft.

Aktuelle Varianten totalitarismustheoretischer Argumentationen nennen Nazis, Stalinisten und den fundamentalistischen Islamismus in einem Bedeutungszusammenhang (so z. B. Henry Beni Lévy in seiner Biografie über Jean Paul Sartre).

Allgemein ist es akzeptiert, dass folgende Staaten totalitär sind oder waren:

Umstritten ist dagegen in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die DDR angewendet werden kann.


Kritik am Begriff

Der Begriff Totalitarismus wird innerhalb der Geschichts- und Politikwissenschaft kontrovers diskutiert.

Kritiker der Theorie des Totalitarismus werfen ihr vor, als rein politikwissenschaftlicher Begriff die mit einer Gesellschaft untrennbar verbundene, jeweils unterschiedliche historische Genese, sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur der als totalitär bezeichneten Staaten nicht zu berücksichtigen. Eine Reihe von makropolitischen Merkmalen, wie z. B. Einheitspartei, allzuständiger Machtapparat, Kommunikationsmonopol und Führerkult reichten ihnen in wissenschaftlicher Hinsicht nicht aus, um zu erklären, was eine totalitär regierte Gesellschaft sei. Den normativen Ausgangspunkt der Betrachtung stelle der demokratisch-pluralistische Verfassungsstaat westlicher Prägung dar. Dieser würde aber weder empirisch-analytisch an seinen eigenen Maßstäben gemessen, noch zum Vergleich mit den als totalitär geltenden Staaten herangezogen, sondern als ein Positiv außerhalb der gesamten Untersuchung gestellt. Die Theorie vom Totalitarismus sei deshalb eine bipolare Schwarz-Weiß-Typologie, deren erkenntnistheoretischer Gehalt stark gegen Null gehe. Die Rede von totalitären Staaten sei als „reine Herrschaftsideologie“ (K. H. Roth) zu betrachten, und könne von demokratisch-pluralistischen Staaten gegen alle anders organisierten Staatsgebilde argumentativ aufgefahren werden.

Vor allem von sozialistischer Seite wird die Totalitarismusthese als „Totalitarismusdoktrin“ bezeichnet. Diese sei ein ideologisches Konstrukt des Kalten Krieges, das die Länder des real existierenden Sozialismus diffamieren sollte. Gemäß sozialistischer Theorien ist der Faschismus vielmehr eine reaktionäre Form des Kapitalismus und damit mit Sozialismus oder Kommunismus überhaupt nicht zu vergleichen. Heute würde sie von „Rechtsintellektuellen“ etwa aus dem Veldensteiner Kreis neu belebt.


Literatur

Kritik

Siehe auch: Hannah-Arendt-Institut, Totalitäre religiöse Gruppe, Neuer Totalitarismus, Faschismustheorien