Tristan-Akkord

in Richard Wagners 1865 uraufgeführtem Musikdrama Tristan und Isolde „leitmotivisch“ verwendeter Akkord
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Beim Tristan-Akkord handelt es sich um eine "leitmotivisch" genutzte Harmonie aus Richard Wagners Musikdrama Tristan und Isolde, nach dem er auch benannt wurde. Er erklingt zu Beginn des Werkes im zweiten Takt des Vorspiels in den Holzbläsern und den Celli.

Der Tristan-Akkord gilt als wegweisend für die Harmonik der Romantik. Dies ist vor allem durch seine musikalische Mehrdeutigkeit begründet. Meist wird er als Doppeldominante H-dur in einer a-moll Kadenz mit tiefalterierter Quinte f (statt fis) im Bass und freiem Sextvorhalt gis zur Septime a im Sopran interpretiert. Genausogut läßt sich das ganze Motiv in dis-moll deuten, wobei dann allerdings jedes "f" enharmonisch zu "eis" umzudeuten wäre. Der Tristan-Akkord wäre dann eine Subdominante "gis, h, dis" mit Sixte ajoutée "eis", die chromatische Fortschreitung des "gis" zum "a" ergäbe eine hartverminderte Doppeldominante (wenn man das "a" enharmonisch zu "gisis" umdeutet) "eis, gisis, h, dis" und im nächsten Takt die hartverminderte Dominante "ais, cisis (enharmonisch zu "d"), e, gis" mit der darauffolgenden chromatischen Fortschreitung des Grundtons "ais" zur None "h" (als "hartverminderte Dominante" bezeichnet man einen Dominantseptakkord mit tiefalterierter Quinte).

Bei Liszt gab es schon viele Jahre früher diese Zweideutigkeit. Vergleiche mit der musikhistorischen Entwicklung der Halbtonzusammenhänge legen nahe, dass das, was Chopin, Liszt und Wagner angefangen haben, in den Tritonussubstitutionen des Jazz endete und somit als Dominanten behandelt werden sollten.

Ausgezeichnet wird der Tristanakkord durch seine praktisch nicht vorhandene Strebewirkung. Als Dominante mit Sextvorhalt hört man ihn nicht, da die Auflösung des Vorhalts in die Septime nur als chromatischer Durchgang gehört wird (aufgrund der Tatsache, daß es sich hierbei lediglich um eine Achtelnote handelt). Als Subdominante kann er aber auch nicht überzeugen. So steht er zunächst richtungslos im Raum, bis das nachfolgende Geschehen, das dann in die Dominante "E" mündet, den tonalen Zusammenhang a-moll erkennen läßt.

Ein weiterer, in der Tristan-Diskussion häufig vernachlässigter Aspekt, ist die Tatsache, daß nicht nur der Tristan-Akkord für sich allein genommen keine Richtung der Auflösung besitzt (das eben macht ja seine Mehrdeutigkeit aus), sondern vielmehr, daß die Dominante, in die er mündet, nicht mehr als eine Dissonanz mit unbedingt geforderter Auflösung gehört wird. Der Hörer empfindet diese Dominante eher als Auflösung denn als aufzulösenden Akkord. Hier findet also das statt, was später Arnold Schönberg als "Emanzipation der Dissonanz" bezeichnet hat, was dann im frühen 20. Jahrhundert zur Auflösung der dur-molltonalen Harmonik und damit zur Entstehung der Atonalität führte, wo Dissonanzen überhaupt keine Strebewirkungen im herkömmlichen Sinne besitzen.

Besonders interessant sind die kreativen und wegweisenden unterschiedlichen Weiterführungen im Laufe des Werkes sowie die Einbettung in den hochgespannten chromatischen Alterationstil der Oper. Damit ist der Tristanakkord eine Art Inbegriff spätomantischer Harmonik, die seit dem an Halt und Bindekraft zur Tonika mehr und mehr verliert bis es schließlich gegen 1910 zum vollkommenen Umschlag in die Atonalität kommt.


Der Tristan-Akkord hat in der Musiktheorie eine solche Bekanntheit, dass ihn andere Musiker später zitierten (Alban Berg im letzten Satz der Lyrischen Suite) oder gar parodierten (z. B. Claude Debussy in seinem "Golliwog’s Cakewalk").