Empathie

Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale anderer Personen zu erkennen
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Der Begriff Empathie bezeichnet zum einen die Fähigkeit, Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale eines anderen Menschen nachempfindend zu erkennen und zum anderen die eigene Reaktion auf die Gefühle Anderer wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls.[1] Nach Heinz Kohut kann Empathie zu Mitgefühl und Altruismus führen, aber auch anderen Zwecken dienen. Kohut nennt als Beispiel einen Folterer, der durch Empathie weiß, wie er sein Opfer 'erfolgreich' quälen soll. Empathie spielt in vielen Wissensgebieten eine fundamentale Rolle, von der Kriminalistik über die Psychiatrie bis hin zum Management oder Marketing. Empathie ist gemäß dem Stufenmodell von Theodor Lipps (s. u.) nicht nur auf Menschen beschränkt; erste Stufen der Empathie sind auch in der Tierwelt nachgewiesen.

Begriff

Der Begriff Empathie ist eine moderne gräzisierte Lehnübersetzung von deutsch ‚Einfühlung‘[2], in Anlehnung an das bedeutungsähnliche Sympathie. Ihm liegt das griechische Vorlage:Polytonisch empátheia zugrunde, das ursprünglich eine intensive Gefühlsregung bedeutete. Im Neugriechischen steht es allerdings mit negativer Konnotation für ‚Voreingenommenheit, Feindseligkeit, Gehässigkeit‘.[3] Grundlage war wohl aber nach Duden-Fremdwörterbuch die spätgriechische Bedeutung „heftige Leidenschaft“. Nach Paul Ekman handelt es sich weder bei Empathie (Mitgefühl) noch bei Mitleid um Emotionen, sondern um Reaktionen auf die Emotion eines anderen Menschen.[4] Ferner unterscheidet Ekman zwischen kognitiver und emotionaler Empathie: "Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen ..." [5]. Der Begriff Empathie spielt in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen eine zentrale Rolle, von der Psychologie und Psychiatrie über die Pädagogik, Seelsorge, Sprachwissenschaft und Soziologie bis hin zur Marketing- und Managementwissenschaft.

Bedeutung der Empathie in verschiedenen Disziplinen

In der Psychotherapie bezeichnet der Begriff Empathie eine Strategie der Stimmungsübertragung vom Patienten auf den Therapeuten. Dadurch ist es dem Therapeuten möglich, die Emotionen und die Stimmung des Patienten bei sich selbst zu erleben und somit besser zu verstehen. Es ist ein aktiver Prozess des einfühlenden Verstehens. Dieser ist notwendig, weil Patienten belastende Emotionen in der Regel leugnen, ablehnen, bekämpfen oder vermeiden. Der Therapeut muss daher eine korrigierende, akzeptierende, und wertschätzende und Haltung einnehmen, damit er die belastenden Emotionen besser nachvollziehen und geeignete therapeutische Maßnahmen effektiver einleiten kann. [6] Im Management und insbesondere bei der Führung von Mitarbeitern spielen die Motivation, das Engagement und die Leistungsbereitschaft von Mitarbeitern eine zentrale Rolle. Die Motive und Beweggründe der Mitarbeiter, die ihrem Verhalten zugrunde liegen, lassen sich nicht unmittelbar beobachten; außerdem sind sie den Betroffenen häufig gar nicht bewusst und können sich sehr schnell von einer zur anderen Situation verändern. Es gilt der Grundsatz, wonach man andere Menschen nur dann motivieren (oder Demotivation vermeiden) kann, wenn man sie nicht nur rational, sondern auch emapthisch versteht.[7] Aus diesen Gründen ist Empathie ein wesentlicher Bestandteil der Führungskompetenz. Im Marketing, insbesondere beim Persönlichen Verkauf und bei der Vermarktung von Dienstleistungen, kommt es darauf an, dass die Kontaktperson auf Seiten des Anbieters sich möglichst zuverlässig in die Gedanken- und Gefühlswelt des Kunden hineinversetzen und das Angebot möglichst präzise auf seine – oft unausgesprochenen – Motive und Wünsche ausrichten kann. Empathie ist somit eine wesentliche Voraussetzung für die Effinzienz von Maßnahmen im Marketing und Vertrieb. [8] Als Beispiel aus der Psychologie sei das Konzept der „Sozialen Intelligenz“, dem Ausgangspunkt der Forschung zum Thema Emotionale Intelligenz von David Wechsler angeführt, das eine Schlüsselstellung in dieser Disziplin einnimmt und heute unter den Stichworten Selbstregulation oder Volition weiter diskutiert wird. [9]

Zur Messung der Empathie wurden verschiedene physiologische Verfahren und psychologische Tests entwickelt. Ein Beispiel ist der 'Interpersonal Reactivity Index' von Mark Davis. [10] Dieser Index besteht aus vier Skalen: (1) Fantasy Scale zur Erfassung der Fähgikeit, sich als Akteur in finktive Geschichten hineinzuversetzen, (2) Perspective Thinking zur Erfassung der Fähigkeit, sich in den Standpunkt eines anderen Menschen hineinzuversetzen, also die Welt mit seinen Augen zu sehen (kognitive Empathie), (3) Empathic Concern zur Erfassung der Sympathie für Andere und der Fähigkeit, deren Betroffenheit zu verstehen (emotionale Empathie), (4) Personal distress zur Erfassung der Gefühle für Andere (Betroffenheit), die in emotional aufgeladenen oder belastenden Situationen entstehen. Nach Aussage von Judith Hall und Co-Autoren haben sich dieser Test und zahlreiche Modifikationen davon in der Praxis bewährt: "... they have been used with considerable success with adults and adolescents".[11]

Empathie in der Psychoanalyse

In der Psychoanalyse deckt sich der Begriff der Empathie mit dem Begriff Einfühlungsvermögen, den bereits Sigmund Freud definiert hat. Besonders deutlich hat sein Schüler Theodor Lipps (1906, S.198) diesen Begriff bereits 1906 so definiert, dass er mit dem heutigen Begriff Empathie deckungsgleich ist. Die folgenden Anmerkungen betreffen lediglich die psychotherapeutische Behandlungspraxis, besonders die Darstellung von Mitgefühl ist damit nur aus dieser Perspektive zu verstehen. Hier sei auf die englischen Artikel zu Compassion (als Äquivalent zu Mitgefühl) und Empathy verwiesen.

„Die spezifische ‚Einfühlung‘ ist kein Sich-Gleichmachen mit dem Patienten, sondern ein Erschließen des immer unerkennbar bleibenden Realen. Statt sich mit dem Analysanten zu identifizieren (Ich empfinde, was Du meinst), sorgt der Psychoanalytiker für genügend Fremdheit, die jenem erst die Begegnung mit dem eigenen unbewussten Begehren ermöglicht.“

Freud: Abriß der Psychoanalyse, Kapitel VIII, in: Gesammelte Werke, 17. Band, S. 127.

Empathie ermöglicht also schon gemäß Freud und Lipps, von außen unter Beachtung der Grenzen eine andere Person ganzheitlich – also auch unter Einbeziehung ihrer Emotionalität – zu erfassen, diese im eigenen Bewusstsein als „Alter Ego“ (mit begrenzter Kontingenz) zu konstruieren und mit dieser zu kommunizieren.

Veraltet ist die Auffassung, dass Empathie es ermöglicht, Gefühle zu teilen oder gar „in den Anderen einzudringen“. Dieser Vorgang wird mit Gefühlsansteckung (engl.: Emotional Contagion) oder auch „Mitgefühl“ bezeichnet (für Therapeuten schwierig, aber nicht immer vermeidbar) oder ist sogar eine Grenzverletzung (sollten Therapeuten unbedingt vermeiden).

Da Gefühlsansteckung und Empathie oft miteinander verflochten auftreten und das Eine mit dem Anderen dann gleichgesetzt wird, ist eine begriffliche Trennung nicht nur für Therapeuten, sondern auch im Alltag von großer Bedeutung. Gefühlsansteckung (und auch „Mitgefühl“) ist immer eine Überschreitung der persönlichen Grenzen, was das Wort „Ansteckung“ ja auch aussagt. Sie kann als positiv oder negativ empfunden, als Hilfe oder Therapie eingesetzt werden oder eher belastend wirken. Gefühlsansteckung geschieht oft unwillentlich; sie kann nur kognitiv beendet werden.

Im Gegensatz dazu bedingt Empathie ganz ausdrücklich den Ausschluss jeglicher Überschreitung oder Vermischung beiderseitiger persönlicher Grenzen. Es ist ausschließlich die Fähigkeit, eine Person ( unter strikter Respektierung der Individualität) von außen ganzheitlich wahrzunehmen.

Lipps unterscheidet drei Stufen der Empathie:

  • Die erste Ebene beinhaltet generelle Empathie, wenn die Form eines Objekts eine Aktivität hervorruft.
  • Auf der zweiten Ebene vollzieht sich natürliche Empathie. Auf dieser ruft ein Objekt eine Aktivität hervor, die versucht, es in einen realen Kontext bzw. einen kausalen Zusammenhang einzuordnen. Auf dieser Ebene geschieht es, dass Objekte „vermenschlicht“ werden.
  • Auf der dritten, der höchsten Ebene der Empathie, reagieren wir auf echten menschlichen Ausdruck wie Gesten, Gesichtsausdrücke und Stimmlagen.

Siehe auch: Jean Decety: Beiträge zur Empathieforschung.

Perspektivenübernahme

Perspektivenübernahme ist eine Technik bzw. Fähigkeit aus der Sozialpsychologie und dem Psychodrama, bei der man sich in die Rolle und Position eines anderen hineinversetzt und versucht, die Welt aus dessen Sicht zu sehen.

in den Mokassins eines anderen gehen“ - (Indianische Redensart, vollständig „Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist“ für: sich in seine Rolle, seine Perspektive einfühlen). Außerdem wird darunter die Fähigkeit verstanden, auf andere Werthaltungen und Normen einzugehen, um sie in die Person integrieren und neue soziale Rollen annehmen zu können (vgl. Tausch (Soziologie)).

Wesentlich dabei ist, dass der eigene Affektzustand dem Gefühlszustand einer anderen Person entspricht. Dies wird dadurch ausgelöst, dass man die Perspektive der anderen Person einnimmt – „in ihre Haut schlüpft“ – und so ihre emotionalen und anderen Reaktionen begreifen kann. Dies gelingt teilweise sogar in extremen Situationen. Beispielsweise wird in Anti-Aggressivitäts-Trainings die Fähigkeit von (potenziellen) Gewalttätern gefordert, sich empathisch in ihre Opfer hineinzuversetzen.

Die gemeinsame Übernahme einer Perspektive hängt in der Geschichte oft mit demokratischen Tendenzen beziehungsweise mit der Überbrückung von Standesgrenzen zusammen. Das Theater der griechischen Antike war eng mit der Idee der athenischen Demokratie verbunden. Aristoteles prägte in diesem Zusammenhang die Begriffe Mimesis und Katharsis. Diese öffentliche Einfühlung wurde im 18. Jahrhundert mit dem sogenannten Rührstück nachzuahmen versucht. Seit der französischen Revolution entwickelten sich Einfühlungstheorien. Die frühe Psychologie etwa von Sigmund Freud berief sich auf die Theatertheorie („Ödipuskomplex“).

Jakob Levy Moreno entwickelte vor allem zwischen 1914 und 1940 das Psychodrama. Die Gruppe steht im Mittelpunkt des therapeutischen Prozesses, nicht der Einzelne, wie bei Freud. Die Geschichte eines Mitglieds der Gruppe, des Protagonisten, wird in einer oder mehreren Szenen mit Hilfe eines ausgebildeten Leiters den anderen vorgestellt. Die Zuschauer helfen, wenn der Protagonist Darsteller für sein erlittenes Problem sucht. Diese Darsteller nehmen also für die Dauer der Szene und darüber hinaus die Perspektive dieser Menschen ein. Im abschließenden Sharing und Rollenfeedback helfen sie dem Protagonisten mit der Darstellung ihrer Perspektive.

Hirnforschung

Im Jahr 2000 entdeckte Giacomo Rizzolatti die Spiegelneurone in der Großhirnrinde von Rhesusaffen. Die Neurone haben die erstaunliche Eigenschaft, immer gleich zu reagieren, egal ob der Affe eine Handlung selber ausführt oder ob er diese Handlung bei anderen beobachtet. Rizzolatti schrieb 2006 über seine Forschungen das „So Quel che fai - Il cervello che agisce e i neuroni specchi.“[12] Das Buch erschien 2008 in deutscher Übersetzung. Giacomo Rizzolatti beschreibt (zusammen mit Corrado Sinigaglia) die weitreichenden Konsequenzen seiner Entdeckung, die vielen Bereiche unseres Denkens, Handelns und Empfindens, in denen das Spiegel-Prinzip eine Rolle spielt.[13]

Untersuchungen zu Spiegelneuronen lassen zwischen dem Nachahmungsverhalten und der Fähigkeit zur Empathie einen Zusammenhang vermuten, beispielsweise beim Gähnen und beim ansteckenden Lachen. Dieses Phänomen wird jedoch als Gefühlsansteckung bezeichnet und keinesfalls als Empathie im oben beschriebenen Sinn (gemäß Freud und Theodor Lipps). Diese Vermischung oder Verwechselung findet sich recht häufig auch in wissenschaftlichen Texten.

Datei:Empathy Children.jpg
Kinder zeigen typische Hirnaktivitätsmuster, die bei Schmerzempfinden auftreten, wenn sie ein schmerzhaftes Ereignis einer anderen Person sehen.

In der aktuellen Hirnforschung (Manfred Spitzer) zeigt sich eine durch Hirnstrukturen beeinflusste Empathie gegenüber Personen in Abhängigkeit von deren fairem bzw. unfairem Verhalten. Dabei konnte eine unterschiedliche Ausprägung bei Frauen und Männern festgestellt werden. Besagte Hirnstrukturen reagieren bei Männern deutlicher und stärker auf äußere Einflüsse von Fairness oder Unfairness. Die empfundene Empathie wird bei Fairness-Erfahrung in den betroffenen Hirnregionen derart verstärkt, dass Männer z. B. ein größeres bzw. verstärktes Mitgefühl empfinden. Im umgekehrten Falle, also bei Unfairness-Erfahrung, reagieren die Hirnregionen bei Männern mit einem deutlicheren Bestrafungsempfinden.

Dagegen ist dieser Effekt bei Frauen sowohl im positiven als auch im negativen Sinne viel schwächer ausgeprägt. (Ob eine funktionell unterschiedliche Reaktion von Hirnstrukturen, die bei beiden Geschlechtern vorhanden sind, tatsächlich durch eine geschlechtsabhängig anatomisch-feingewebliche besondere Beschaffenheit dieser Hirnstrukturen bedingt oder durch andere Faktoren erst erworben oder antrainiert ist, ist durch diese Untersuchungen nicht geklärt – vergleiche z. B. frühkindliche Sehstörungen durch Sensorische Deprivation, wo ebenfalls kein anatomischer, sondern nur ein funktioneller Unterschied zu normal entwickelten, sehenden Kindern besteht.)

Auch hier ist zu beachten, dass Mitgefühl und vergleichbare Gefühle nicht synonym mit Empathie bezeichnet werden dürfen. Besonders dann, wenn Vieles gleichzeitig auftritt, besteht die Gefahr einer Überschreitung persönlicher Grenzen, die reine Empathie strikt vermeidet. Die Fähigkeit zur Empathie kann als Evolutionsvorteil gesehen werden, etwa durch das Ermöglichen des Erkennens von Vorwänden.[14]

Verhaltensforschung

Der Verhaltensforscher und Zoologe Frans de Waal sieht in der menschlichen Fähigkeit zur Empathie den Teil unseres evolutionären Erbes, auf dem die Voraussetzungen zu sozialem und moralischem Verhalten basieren.

Determinierte und angeborene Fähigkeit zur Empathie

Die außerhalb rein wissenschaftlicher Texte heutzutage wohl häufigste Verwendung des Begriffs Empathie beschreibt das, eigentlich bei allen Säugetieren vorhandene, natürliche Verständnis zwischen Mutter und Neugeborenem. Hier ist die Unterscheidung zwischen determinierter und angeborener Fähigkeit zur Empathie von großer Bedeutung.

Allgemein wird, unter anderem in der Kinderpsychologie, immer noch davon ausgegangen, dass sich Empathie bei Kleinkindern erst zum Ende des 2. Lebensjahres entwickelt, zum Beispiel ab der Selbsterkennung in Spiegeln. Es wird in der jüngsten Forschung jedoch immer deutlicher, dass diese Empathie nur in sozial determinierter Hinsicht gesucht und gefunden wird. Ein Sozialverhalten von Kleinstkindern vor dieser Entwicklungsstufe wird in den Wissenschaften zwar bereits wahrgenommen, oft jedoch lediglich als „Gefühlsansteckung“ interpretiert und bezeichnet.

Neuere Forschungen der Psychologie, Verhaltensforschung und Neurophysiologie beschreiben auch eine andere, nicht determinierte Existenz von Empathie hinter der Ebene der Gefühlsansteckung, die Kleinstkinder angeboren mitbringen und die sehr bald durch die determinierte Empathie ganz oder teilweise verdrängt wird.

Determinierte Empathie hat prinzipiell das Ziel, eine gruppenspezifische psychische Identität zu erreichen. Die angeborene Fähigkeit zur Empathie dagegen ermöglicht es Kleinstkindern, die Grenzen Anderer zu erkennen. In den dadurch erkannten eigenen Grenzen entwickelt sich die psychische Individualität.

Aus der bereits von Kleinstkindern gezeigten erheblichen Individualität schließen Psychologen wie Arno Gruen auf die Existenz einer angeborenen, nicht determinierten Empathiefähigkeit. Erste (sehr umstrittene) Versuche, Kleinstkindern schon sehr früh mittels der Gebärdensprache das Sprechen beizubringen oder gar Akkumulation von Wissen schon in diesem Alter zu beginnen, zeigen, dass Kleinstkinder lange vor dem Alter, in dem sie durch determinierte Empathie beeinflussbar sind, kommunikationsfähig und auch -bereit sind. Da Kommunikation jedoch gemäß Carl Rogers (1959) Empathie erfordert, sind offenbar also auch Kleinstkinder bereits empathiefähig.

Auch Rupert Lay weist frühkindliche Aktionen nach, die auf Empathie im Sinne von Kommunikation zwecks Grenzfindung (anderer und dann eigener Grenzen) schließen lassen.[15]

Nach den Ansichten moderner Erzieher und Psychologen geht diese natürliche, angeborene Fähigkeit zur Empathie durch kulturelle Einflüsse (Erziehung) in den ersten beiden Lebensjahren verloren und wird dann allenfalls durch kognitive Empathie ersetzt. Darüber hinaus werden den Kleinkindern so auch negative Emotionen durch die direkten Bezugspersonen vermittelt (Cierpka, s. u.). Arno Gruen sieht in der daraufhin fehlenden Möglichkeit zu einer individuellen Kommunikationsbereitschaft und der folgenden Erfolglosigkeit in den heutigen Industriegesellschaften die Hauptursache für individuelle Aggression, die verstärkt von Jugendlichen ausgeht.[16]

Manfred Cierpka (der allerdings prinzipiell Empathie ebenfalls deterministisch definiert) sieht bereits vor dem Erreichen einer determinierten Empathiefähigkeit die positive, aber auch die negative Einflussnahme von direkten Bezugspersonen auf Kleinstkinder lange vor dem zweiten Lebensjahr – die im Extremfall zu einer später auftretenden totalen Emotionsverweigerung führen kann.[17] Indirekt bestätigt auch Cierpka hiermit die Existenz der angeborenen Fähigkeit zur Empathie, da eine reine Gefühlsansteckung diese Folgen nicht haben dürfte – sie löst per Definition keine Kommunikation, also auch keine Bewusstseinsveränderung aus.

Die US-amerikanische Psychologin Waxler hat beobachtet, dass schon einjährige Kinder spielerisch die Bezugspersonen (Mutter) irritieren – zum Beispiel die Kooperation beim Anziehen bewusst verweigern. Diese Spiele sind erste Kommunikationsversuche im Sinne der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann: Das Problem Doppelte Kontingenz wird von Seiten des Kindes durch Errichten eines Alter Ego aufgelöst, mit dem im Bewusstsein „diskutiert“ wird. Durch die Reaktion (Information) der Bezugsperson lernt das Kleinstkind die Grenzen Anderer erkennen und findet seine eigenen Grenzen, das Kind erweitert sein Bewusstsein und zwischen der Bezugsperson und dem Kind bildet sich eine Emergente Ordnung. Wird dieser Kommunikationsversuch des Kindes jedoch nicht wahrgenommen und sogar mit negativen Emotionen (im Regelfall Ärger der Mutter über die Verweigerung) beantwortet, entstehen schon beim Kleinstkind Urängste.[18]

Die Unterscheidung und Trennung von entweder Gefühlsansteckung oder Empathie beiderseits (sowohl seitens des Kindes als auch seitens der Bezugspersonen) wird gerade bei Kleinstkindern für besonders bedeutsam gehalten, da Letztere vom Kind aus nonverbal ausgedrückt und deswegen – auch weil die angeborene Fähigkeit zur Empathie bei Kleinstkindern noch weitgehend unerforscht ist – oft nicht richtig wahrgenommen wird.[19]

Narrative Empathie

Auch Fritz Breithaupt erklärt (wie Ernest Mandel, s.o.) gesellschaftliche Empathie als die wichtigste Basis für ein humanes Soziales System. Die wahre Ursache für das Zustandekommen eines sozialen Systems sieht er jedoch in der Erweiterung der auch bei anderen Lebewesen zu beobachtenden reinen „Zweierszenen-Empathie“ (Mutter/Kind usw.) durch eine dritte Instanz. Dadurch entsteht eine „Dreierszenen-Empathie“. Als Beispiele nennt Breithaupt (u.A.) das „Stockholm-Syndrom“ (Geiseln sympathisieren mit Geiselnehmern gegen die Polizei als dritte Instanz) oder Empathie mit Bettlern (erst dann entstehend, wenn dieser durch eine dritte Person zum Beispiel abwertend behandelt wird).

Da Empathie außerhalb von klassischen „Zweierszenarien“ nur bedingt durch vorhandene Ähnlichkeit oder gegenseitige Beobachtung der Beteiligten erklärbar ist, sieht er Literatur - vor Allem Duale Narration - als wichtigste Ursache für empathische Verständigung. Hier ist gemäß Breithaupt insbesondere die fiktionale Literatur jeder historischen Periode immer von hoher Bedeutung für das jeweilige soziale System gewesen. Bei eindimensionaler (introspektiver bzw. ich-bezogener) Literatur (oft Poesie, Lyrik, Musiktexte usw.) entsteht oft nur eine „Zweierszenen-Empathie“ zwischen dem Leser und dem Verfasser, die nicht gesellschaftliche Empathie kreiert. Breithaupt folgend entsteht aber bei dem/der Leser/in (bzw. Beobachter/in oder Zuhörender/in) einer Auseinandersetzung (mindestens) zweier Menschen dann eine dritte Instanz.

Empathie auf breiterer (sozialer) Basis bedarf also gemäß dieser Auffassung zunächst der kognitiv (bewusstseinsverändernd) wirkenden Erzählung oder Betrachtung einer Kommunikation mindestens zweier Parteien. Die dann entstehende Empathie bezeichnet Breithaupt als Narrative Empathie“. In jedem offenen (nicht traditionell geprägten) sozialen System, das ja zwangsläufig immer auch von (kleinen oder großen) noch ungelösten Problemen begleitet ist, ist entstehende und sozial auch notwendige gesellschaftliche Empathie gemäß Breithaupt von der Entstehung einer dritten (möglichst unabhängig entstehenden) Instanz abhängig und sie entsteht nur durch kommunikativ geprägte Narration jeder Art (bewusst vorgetragen oder durch längere Beobachtung entstehend).

Empathie ist gemäß Breithaupt sogar in jedem humanen sozialen System zwangsläufig und ausschließlich als Produkt der „Parteinahme in einer Dreierszene“ zu bezeichnen, die nicht natürlich entsteht (wie in „Zweierszenenempathie“), sondern nur narrativ entstehen kann. Allerdings favorisiert Breithaupt diese Parteinahme als Mittel, Gruppenzusammenhalt zu erreichen, um andere Gruppen (er nennt z.B. Familien, aber auch andere Parteikonflikte) erfolgreich zu bekämpfen. Breithaupt definiert Empathie überwiegend als subjektiv wirksame Fähigkeit (Filter für das „Rauschen des Mitleids“). In der Einordnung von Empathie für Andere, insbesondere wechselnde Empathie in Dreierszenarien mit dem Ziel, eventuell Konflikte Anderer zu lösen, ist er widersprüchlich. Dass nur die als gesellschaftliche Empathie wirken, wird zwar positiv bestätigt, jedoch nur als ferneres Ziel. [20]

Empathogene Substanzen

Es existiert eine Reihe von empathogener Substanzen, die Empathie verstärken können:

Weitere psychologische Aspekte

Weiter konnte nachgewiesen werden, dass Sympathie Empathie verstärkt, und Antipathie/Hass Empathie unterdrücken kann.

Siehe auch

Literatur

  • M. H. Davis (1996): Empathy: A Social-Psychological Approach. Westview.
  • J. Decety & W. Ickes (2009): The Social Neuroscience of Empathy. Cambridge: MIT Press.
  • Cristina Becchio und Cesare Bertone (2004): Wittgenstein running: Neural mechanisms of collective intentionality and we-mode. In: Consciousness and Cognition 13, S. 123–33.
  • Arthur P. Ciaramicoli, Katherine Ketcham Der Empathiefaktor, dtv, ISBN 3-423-24245-0.
  • J. Lichtenberg, M. Bornstein, D. Silver: Empathy. 3 Bde. Hillsdale, N.J., 1984.
  • P. Ornstein, A. Ornstein: Empathie und therapeutischer Dialog. 1985.
  • Rolf Degen: Nervenbrücke zwischen du und ich? Bild der Wissenschaft Heft 11 2007; S. 30–33. Bezüge zu Neurologe Giacomo Rizzolatti, Neurologe Vilayanur S. Ramachandran, Entwicklungspsychologin Alison Gopnik.
  • Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia: Empathie und Spiegelneurone - die biologische Basis des Mitgefühls. Suhrkamp, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-518-26011-1.
  • Frank M. Staemmler: Das Geheimnis des Anderen – Empathie in der Psychotherapie. Klett-Cotta, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-608-94503-4.
  • Irene Heise: Einführung in eine Theologie der Empathie. Leitfaden für einen einfühlsamen Umgang bei Scheitern, Scheidung und Wiederverheiratung aus Theologie, Psychologie und Philosophie. ²2000. ISBN 3-9500649-1-5
  • Irene Heise: Einfühlung bei Edith Stein. Überraschende Einblicke in die Doktorarbeit einer sensiblen Heiligen. 2.Aufl. 2006. ISBN 3-9500649-4-X
  • Giacomo Rizzolatti/Corrado Sinigaglia: Empathie und Spiegelneurone - Die biologische Basis des Mitgefühls. Suhrkamp edition unseld, Frankfurt 2008. 9783518260111
Wiktionary: Empathie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Quellen

  1. J. A. Hall & F. J. Bernieri, Interpersonal Sensitivity, Theory and Measurement, London, 2001, S. 21 f. und P. Ekman, Gefühle lessen, München 2007, S. 249
  2. Dictionary.com: Empathy
  3. εμπάθεια bei komvos.edu.gr und εμπάθεια bei in.gr (griechisch–englisch)
  4. P. Ekman, Gefühle lesen, München 2007, S. 249
  5. ebenda, Hervorhebung im Original
  6. C.-L. Lammers, Emotionsbezogene Psychotherapie, Stuttgart 2007, S. 124 ff.
  7. W. Pelz, Kompetent führen, Wiesbaden 2004, S. 121 ff.
  8. P. Kotler und K. L., Keller, Marketing Management, Upper Saddle River, 2009, S. 360 ff.
  9. H. Gardner, Frames of Mind, The theory of multiple intelligences, New York, 1983 und R. Hoyle (ed.), Handbook of Personality and Self-Regulation, Blackwell Publishing Ltd., 2010
  10. M. H. Davis, Measuring individual differences in empathy: Evidence for a multidimensional approach, in: Journal of Personality and Social Psychology, 44, 113-126
  11. J. A. Hall & F. J. Bernieri, Interpersonal Sensitivity, Theory and Measurement, London, 2001, S. 21 f. und P. Ekman, Gefühle lessen, München 2007, S. 29
  12. Bildungsserver der Provinz Turin: Le scoperte delle neuroscienze: i neuroni specchio
  13. edition-unseld.de
  14. Siehe dazu u. a. Stefan Liekam, 2004, Empathie als Fundament pädagogischer Professionalität, S. 27 ff.
  15. Rupert Lay, Ethik für Wirtschaft und Politik, S.68
  16. U. a. Arno Gruen: Falsche Götter. 1991, S. 14 ff., deutlicher in Arno Gruen: Verrat am Selbst. 1984, S. 24.
  17. Cierpka: Möglichkeiten der Gewaltprävention, 1998, S. 25 ff.)
  18. C. Zahn-Waxler & M. Radke-Yarrow (1990): The origins of empathic concern. Motivation and Emotion, 14, S. 107–130.
  19. Georg Greif, Wien 2003, S. 54 f.
  20. Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, 2009, ISBN 978-3-518-29506-9, S. 152 ff