Aufklärung

europäische kulturelle Bewegung des 17. und 18. Jahrhunderts
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Mit dem Wort Aufklärung wird ein in Europa und Nordamerika bereits im 17. und 18. Jahrhundert diskutierter geistesgeschichtlicher Prozess notiert, dessen zentrale inhaltliche Momente seit den 1780ern mit unterschiedlichen Schwerpunkten als epochale Errungenschaft angesehen wurden. Von einem eigenen Zeitalter der Aufklärung wird seit dem 19. Jahrhundert in allgemeinen historischen Werken, in philosophie- und literaturgeschichtlichen Darstellungen gesprochen - in manchen Disziplinen wie der Germanistik in Abgrenzung vom Barock, in anderen eher im Blick auf einen zentralen Prozess der frühen Neuzeit. Der Begriff blieb in mehreren Feldern der Geschichtsschreibung daneben ungenutzt: Eine "Musik der Aufklärung" wurde nicht definiert (man stellt hier Barock und Frühklassik einander gegenüber), eben so wenig notieren die meisten Geschichten der bildenden Kunst eine Phase der Aufklärung (hier ist für Europa die Folge Barock, Rokoko, Klassizismus als Alternative verbreitet).

Zentrale Momente des gestesgeschichtlichen Prozesses sind: die Berufung auf die Vernunft als universeller Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile insbesondere der Religion und des Aberglaubens, die Ausrichtung auf die Wissenschaften, insbesondere Naturwissenschaften, als moderne Wissenlieferanten. Die Forderung religiöser Toleranz geriet mit den religiös-politischen Kontroversen der Niederlande und Englands im 17. Jahrhundert in die Diskussion, parallel stehen hier politische Forderungen nach Pressefreiheit und bürgerlichen Rechten unter Zugrundelegung allgemeiner Menschenrechte wie die Forderung eines auf das Allgemeinwohl ausgerichteten aufgeklärten Absolutismus, wenn nicht grundlegend demokratischer Staatsformen.

Ein eigener Zukunfts- und Fortschrittsoptimismus durchdrang den Motivkomplex: die Vorstellung, dass die wesentlichen Probleme des menschlichen Zusammenlebens sich in einer vernunftorientierten Gesellschaft schrittwese lösen würden. Eng verbunden mit den einzelnen zentralen Thesen ist das Vertrauen der Aufklärer auf die kritische Öffentlichkeit als Institution, die den Prozess mit historischer Zwangsläufigkeit voranbringen würde.

Zur Aufklärung gehört schließlich eine spezifische Kritik am Projekt, die sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Zentrale Denker der Aufkläung wie Voltaire übten noch Mitte des 18. Jahrhunderts am Fortschritsoptimismus der Epoche Kritik. Diskutiert wird in der Epochenforschung, ob die Empfindsamkeit nicht bereits die erste inhärente kritische Gegenbewegung war oder aber die spezifische emotionale Seite des vernunftorientierten Projekts. Mit den Strömungen der Romantik wurden Grundpositionen der Aufklärung wie ihr „Vernunftglaube“ Gegenstand der breiteren Kritik.

Der Begriff wird unter Verweis auf die europäische Dimension der Debatte immer wieder historisch offen gehandhabt: Man spricht etwa in Ländern des islamischen Kulturraums gegenwärtig von der Notwendigkeit, hier eine eigene Phase der Aufklärung ähnlich zu absolvieren, wie Europa dies im 18. Jahrhundert tat.

Zum Begriff und seiner Verwendung

 
Daniel Chodowiecki Licht als Symbol der Aufklärung

Begriffsherkunft

Der Begriff Aufklärung (englisch Enlightenment, niederländisch Verlichting, französisch les Lumières) knüpft mit seiner Lichtmetaphorik an die breite Diffamierung des Mittelalters als einer dunklen Epoche seit dem 16. Jahrhundert an. Die Neuzeit setze, so die Propaganda, der Dunkelheit des Mittelalters das Licht der Erkenntnis entgegen. Eine eigene Emblematik entwickelt sich hier mit Rückgriffen auf die antike Philosophie, in der Erkenntnis und Licht einen metaphorischen Zusammenhang bildeten.[1]

Die These einer Epoche der Aufklärung bildet sich erst im 18. Jahrhundert klarer heraus. Die französische Bezeichnung Siècle des Lumières („Jahrhundert der Lichter“) kommt erstmals 1733 bei Jean-Baptiste Dubos vor. Jean-Jacques Rousseau sowie 1751 Jean-Baptiste le Rond d’Alembert[2] greifen sie auf. Die Vertreter dieser neuen Denkweise wurden Les Lumières genannt.

Der im Englischen heute geläufige Terminus Enlightenment wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Epochenbegriff verwendet. Man suchte damit ein Äquivalent für die deutsche und französische Epochensetzung.[3] Der moderne Epochenbegriff setzte sich im Englischen im 20. Jahrhundert durch.[4] Das Verb „to enlighten“ und das Partizip „enlightened“ waren dagegen fest im Vokabular des 17. und 18. Jahrhunderts verankert, mit den Bedeutungen „Verständnis schaffen“ und „aufgeklärt“ im Sinne von „über eine Sache erhellend informiert“. Der deutsche Ausdruck Aufklärung wird in den 1770er-Jahren gebräuchlicher. Immanuel Kants berühmte Definition in Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? folgt im Dezember 1784 einer Ausschreibung, mit der die Herausgeber der Berliner Monatsschrift zur Klärung eines Begriffs aufrufen, der nicht mehr im Kreuzfeuer der Kritik steht. Auch hier geht der Epochenbegriff aus einem unauffällige Sprechen von „aufklären“ im Sinne von sich „über einen Sachverhalt Klarheit verschaffen“ hervor.

Zeitliche Abgrenzung

Die Prozesse, die seit den 1770er-Jahren unter dem Begriff Aufklärung zusammengeführt werden, haben unterschiedliche Wurzeln. Die Vertreter der Aufklärung rangen um ein Projekt, dessen Realisation noch Jahrhunderte in Anspruch nehmen sollte: Louis-Sébastien Mercier, der ein spezifisches Programm der Aufklärung entfaltet, blickt 1771 in einem frühen Zukunftsroman auf das Jahr 2440 voraus.

Die Eckdatensetzung der modernen Forschung folgt den Vorgaben der jeweiligen Epochengeschichtsschreibung, die sich in den historischen Fächern unterschiedlich herausbildete. Ein relativ enger Begriff setzte sich in der Germanistik durch, die die Aufklärung im Blick auf Gottsched und Lessing formulierte und mit diesen vom Barock abgrenzte. Forscher wie Werner Krauss stellten der Hauptphase eine Frühaufklärung voran, die in das 17. Jahrhundert zurückreicht, und setzten eine Spätaufklärung vor das 19. Jahrhundert.

In der breiteren internationalen Forschung setzte sich in den letzten Jahren eher die Rede von einer Frühen Neuzeit mit den Eckdaten 1500 bis 1800 als ein mit verhältnismäßig wenigen Wertungen verbundener Zeitabschnitt durch, in dem die „Aufklärung“ als einer unter mehreren Prozessen vor sich geht. Im größeren zeitlichen Rahmen fand in den letzten zehn Jahren das 17. Jahrhundert mit seinen theologisch-philosophischen Neuerungen als eine Phase eigentümlicher Radikalität Beachtung.[5] Der Schwerpunkt blieb dagegen im 18. Jahrhundert verortet. Hier setzte sich in den letzten Jahren ein neutraleres Sprechen vom 18. Jahrhundert durch, bei Bedarf auch als „langes 18. Jahrhundert“ mit den Rahmendaten 1680 bis 1830 definiert. Ein Problem dieser Betrachtungsweise ist, dass das „18. Jahrhundert“ in Frankreich, im Gegensatz zu Großbritannien, vom Tod des Sonnenkönigs 1715 bis zur Französischen Revolution 1789, als ausgesprochen kurz erlebt wird

Die Definition einer „Epoche“ der Aufklärung bleibt heikel, da ein inhaltlich definierter Zeitabschnitt Forschungslücken generiert: Die Musik Händels und Bachs bleibt Barockmusik bis an die Grenze der Frühklassik, und selbst Christoph Willibald Gluck wird heute eher wieder als Barockmusiker betrachtet. Die Kunstgeschichte kennt ebenfalls keine „Aufklärung“ als Epochenbegriff. Insgesamt dominieren in der Musik und der bildenden Kunst die Vanitas-Motive das Barockzeitalter wie Lamento oder Stillleben, während sich die Aufklärung um eine Überwindung dieser Traditionen bemüht. Eine Konzentration auf die frühe Neuzeit oder das „lange 18. Jahrhundert“ erlaubt es, parallele und teilweise widersprüchliche Strömungen zu integrieren.

Epochenkonstruktion

Hauptartikel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Historischer Überblick

Größere technologische und politische Umwälzungen erlauben es, die Frühe Neuzeit gegenüber dem Mittelalter und dem 19. Jahrhundert zu definieren: Der Buchdruck generiert ab etwa 1500 eine neue Öffentlichkeit mit eigenen Medien, über die sich historische Prozesse wie die Reformation entfalten. Vom 18. Jahrhundert an gehen die Varianten des Absolutismus als grundlegender Staatsform zu den neuen Organisationsformen des modernen Nationalstaats über. Großbritannien wird schon im 18. Jahrhundert zur Industrienation.

Die fortschrittsorientierten Strömungen vor dem 19. Jahrhundert verbinden sich im 17. und 18. Jahrhundert schrittweise zu dem, was in den 1770er- und 1780er-Jahren mit dem Wort Aufklärung benannt wird. Eine Vorgängerdebatte ereignete sich in den 1680ern: Die Querelle des Anciens et des Modernes, der Streit der „Alten und der Neuen“ um die grundsätzliche Frage, ob die Neuzeit der Antike mittlerweile nicht überlegen sei. Man löste sich allmählich von der strikten Forderung einer Nachahmung antiker Vorbilder ohne eigene Originalität, obwohl diese Debatte noch weit ins 18. Jahrhundert hineinreichte. Als neue Perspektive eröffnete sich die Vorstellung, dass die Gegenwart eine Phase des Fortschritts sei. Der Motivkomplex, der ab etwa 1770 zum „Programm“ der Aufklärung wird, erfasst verschiedenste Wissenschaften und Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens.

Theologie

Bis ins späte 17. Jahrhundert hinein bleibt die Theologie der zentrale wissenschaftliche Diskussionsraum. Die Naturwissenschaften wurden noch als Teil der Philosophie betrachtet, die eng mit der Theologie zusammenhing, und konnten sich erst mit der industriellen Revolution und den Umgestaltungen der Bildungssysteme Ende des 18. Jahrhunderts emanzipieren. Die Reformation und die Gegenreformation bestimmten ab den 1520er-Jahren die politischen Entwicklungen: Eine Neuaufteilung der europäischen Landkarte in konfessionelle Bündnisse erfolgte, der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) und der englische Bürgerkrieg (1642 bis letztlich 1660) entzündeten sich an den religiösen Kontroversen. Zentrale Prämissen des Weltbildes blieben mit der biblischen Geschichtsauffassung verbunden: Die These, dass die Welt 4004 v. Chr. von Gott geschaffen worden sei, erschien den meisten Aufklärern im 17. und 18. Jahrhundert als eminent rational, verglichen mit den weit längeren Zeiträumen, die andere Kulturen wie die Chinesische Kultur mit Mythen füllen. An der Lehre von der göttlichen Schöpfung ist damals noch kaum zu rütteln, auch nicht an der Vorstellung, dass Adam als erster Mensch die ersten kulturellen Leistungen vollbracht habe. Zahlreiche Philosophen der Aufklärung gehen davon aus (wie John Locke mit seinen erkenntnistheoretischen Erwägungen in den 1690ern), dass der Mensch dazu in der Lage sei, durch eine korrekte Kombination von Ideen alles in jedem Moment zu erfinden. In verweltlichter Form hält sich diese Vorstellung in den Robinsonaden des 18. Jahrhunderts.

Die Reformation schafft noch in den 1520ern die zentralen Problemstellen, denen aufgeklärtes Denken sich in den 1680ern im Blick auf das Zusammenspiel von Politik und Religion stellt. Der aufklärerische Kampf gegen Aberglauben findet in der protestantischen Auseinandersetzung mit dem katholischen Reliquienkult einen Vorgänger. Der Kampf der Aufklärer um Gewissensfreiheit und staatliche Organisationsformen, die sie garantieren, geht in die Spaltung der protestantischen Bewegung der 1520ern, in die Kontroverse zwischen Martin Luther und Jean Calvin zurück, in denen es um die Bündnisse geht, die die Reformation unter Luthers Initiativen mit einzelnen Staaten eingehen. Gewissensfreiheit wird auf seiten der Calvinisten und der sich von hier aus abspaltenden einzelnen Bewegungen als persönlicher Entscheidungsraum gegenüber dem Staat und der Kirchenhierarchie definiert. Die protestantischen Territorien kämpfen bis in die Säkularisation des 19. Jahrhunderts einen Kampf gegen zahllose theologische Gruppierungen, die ein Recht auf individuelle Erkenntnis der Wahrheit des biblischen Worts und daran anschließend auf verschiedenste Glaubensdogmen wie die Antitrinitarismus verteidigen. Relative Toleranz gestehen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Niederlande diesen Gruppen zu. Auf dem Kontinent finden verschiedene der Bewegungen wie die Socinianer temporär den Schutz einzelner Regenten. Dem Pluralismus der Bewegungen, die sich zum guten Teil clandestin publizistisch betätigen, steht im 17. Jahrhundert zunehmend ein eigener Pluralismus ans Positionen in der Theologie und Philosophie gegenüber, die einzelne Dogmen der neuen Bewegungen radikalisieren.

Baruch Spinoza vertritt in seinem theologisch-politischen Traktat von 1670 die These, Judentum und Christentum seien lediglich vergängliche Phänomene ohne absolute Gültigkeit. John Toland behauptet 1696, die Bibel sei zum Teil eine menschliche Fälschung. In radikalen Schriften des Untergrunds diffamieren Autoren direkt oder indirekt Moses, Jesus und Mohammed als die drei großen Betrüger der Menscheitsgeschichte - von der Zirkulation eines Buches De tribus impostoribus wird berichtet, bis es schließlich 1716 als subversive Schrift auf den Markt kommt. Die Theorie, die sich hier gegen das Christentum wendet, hat ihre eigene Tradition in der Religionsgeschichte, die im 17. Jahrhundert Theologen wie Pierre Daniel Huet legitim formulieren: Priester hätten in Altägypten und andernorts hermetische Lehren formuliert, Lehren, die sich nur Eingeweihten eröffneten. Auf Priesterbetrug seien viele der Kulte gegründet gewesen, die nach der Sintflut eingerichtet wurden, um die Bevölkerung unwissend und in Ehrfurcht zu halten - so der aufklärerische, den betrug entlarvende Gedanke. Die Ausdehung dieses Gedankens auf die Offenbarungsreligionen ist um 1700 revolutionär. Die Gründung von Geheimgesellschaften, die ihr Wissen ähnlich hermetisch abschließen wird von hier aus im 18. Jahrhundert Mode.

Dem Markt der ketzerischen Optionen und der Bewegungen, die einzelne Doktrien verfolgt von Staaten und Kirchen vertreten, stehen in ganz Europa behördliche Maßnahmen entgegen, hier allenfalls einen Untergrund zuzulassen. Besonders in England, wo der Protestantismus als Staatskirche etabliert wird, eskaliert die Auseinandersetzung um die individuelle Glaubensentscheidung. Der Bürgerkrieg, der Exodus freikirchlicher Gruppen nach Nordamerika, die Aufnahme geflohener französischer Hugenotten, die sich in den 1680ern nicht sofort der anglikanischen Kirche unterordnen, schaffen das Konfliktpotential, das nach der Glorious Revolution 1688 konstruktiver diskutiert wird, und in dem wesentliche Positionen der Aufklärung zur Frage von Staat und Freiheit seiner Bürger schließlich definiert werden. John Lockes Pladoyer für Toleranz von 1689[6] wird zu einem der zentralen Texte der Aufklärung. Mit dem Plädoyer verbunden ist der Abschied von der Idee, dass eine einzelne religiöse Gruppe sich gegenüber dem Individuum als Besitzer der Wahrheit profilieren kann. Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise steht noch 1779 in der Tradition dieser Debatte. Die Toleranz gegenüber allen Religionen, Islam und Judentum eingeschlossen, ist hier schließlich das Ziel. Um 1700 wird dieser Toleranzgedanke auf dem Feld der Geschichtsforschung vorbereitet. Antike Kulte sind hier von Interesse, vor allem die Geschichte der christlichen Häresien wird hier um 1700 mit dem überraschenden Ziel der Vorurteilslosigkeit angestrebt. Gottfried Arnolds ab 1699 erscheinende Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie setzt hier in der deutschen Aufklärung die Maßstäbe.

Für die zentralen Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert als Aufklärer in die Diskussion um religiöse Vielfalt und Toleranz mischen, wird der Gedanke bestimmend, dass es alle Religionen und Konfessionen durchdringend einen rationalen Kern des Glaubens gebe. Im Deismus als Vernunftreligion wird diese Option im 18. Jahrhundert mit zunehmender Offenheit diskutiert. Für den Deismus werden im selben Moment Zusatzoptionen eröffnet: Die einer Gotteserkenntnis aus den modernen Wissenschaften heraus, die Gott als Schöpfer und als die universelle Vernunft voraussetzen, die sich in den Naturgesetzen und der perfekten Ordnung der Welt manifestiert. Von der Welt als "Uhrwerks" wird hier in der belibten Metapher gesprochen, die Gott gleichzeitig aus dem aktuellen Weltgeschehen herausdrängt und damit das Wunder als Option grundsätzlich diskreditiert. Die deistische naturwissenschaftliche Option ist, dass Gott die Welt mit allen Naturgesetzten schuf, nach denen sie sich gegenwärtig bewegt. Die Idee, dass die von Gott geschaffene Welt als Gottes Schöpfung perfekt sein muss, erobert im späten 17. Jahrhundert die religionsphilosophischen Debatten: Sie findet sich bei Anthony Ashley-Cooper, dem 3. Earl of Shaftesbury verknüpft mit dem Gedanken, dass alle Lebewesen in der Natur in perfekt organisierten Gleichgewichten zusammenleben.[7] Gottfried Wilhelm Leibniz verbindet das vernüftige Postulat unter anderen Prämissen mit Folgepostulaten wie dem, dass es unendlich viele bewohnte Welten geben müsse, die zusammengesehen erst verständlicher machen würden, in wiefern die vorliegende einem perfekten Plan folgt.[8] Mit der Theodicee-Debatte verbindet sich im 18. Jahrhundert die spezifisch aufklärerische Diskussion um die Geschichte als Fortschrittsprozess, in dem sich die Welt in ihrer Perfektion entfaltet.

Toleranzidee, Deismus und Theodicee werden im Verlauf des 18. Jahrhunderts Ecksteine einer Verlagerung der theologischen Debatte auf das Gebiet der Philosophie. Mit der Verlagerung verbindet man im 18. Jahrhundert zunehmend die Hoffnung auf eine im Gegensatz zur Glaubensentscheidung auf vernünftige Einsicht und Aufklärung basierende Lösung aller bestehenden Kontroversen.

Geschichtswissenschaft

Wenn auch der historische Rahmen der Welt- und Heilsgeschichte bis in das späte 18. Jahrhundert weitgehend unangetastet bleibt, so notiert man in den Wissenschaften ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert eine Revolution in der gesamten historischen Durchdringung des Wissens.

Mit dem Buchdruck wird es um 1500 möglich, wissenschaftliche Arbeiten neu öffentlich zu positionieren: Man kann von nun an davon ausgehen, dass das einzelne Buch als vervielfältigtes Verlagsobjekt europäisch greifbar ist - ein Objekt, auf das man sich in den Wissenschaften in Briefen wie in neuen Publikationen europaweit präzise beziehen kann. In den 1560ern kommen die ersten Messkataloge auf den Markt, die den das Buchangebot für Mitteleuropa abbilden. Ein eigener brieflicher Informatonsaustausch durchzieht die res publica literaria zu diesem Zeitpunkt im Bestreben, einen Informationsstand über die zunehemend unüberschaubare Produktion zu herzustellen. In den 1620ern erscheinen die ersten regelmäßig gedruckten Zeitungen in den Niederlanden. In den 1660ern wird die Idee der perodischen Berichterstattung und die Erfahrung, die wissenschaftliche Gesellschaften im Unterhalt einer informierenden Korrespondenz haben kombiniert. Das wissenschaftliche Journal, das nach dem Muster des Journal des Sçavans die kontinuierliche Berichterstattung aus den Wissenschaften, vor allem jedoch Rezensionen neuer Bücher anbietet wird das Medium, das von Aufklärern im 18. Jahrhundert als die optimale Problemlösung wahrgenommen wird. Drei Jahrzehnte später haben sich flächendeckend in Europa (Osteuropa bleibt hier unterrepräsentiert) konkurrierende Journalprojekte gegründet. Zu den Zeitschriften, die von Kollektiven herausgegeben werden kommen neue, die von einzelnen Akteuren herausgegeben werden und subjektivere Meinungen zu aktuellen Publikationen verbreiten. Die Historia Literaria wird nun als neue Wissenschaft formuliert. Johann Burkhard Mencke tut dies 1715 in der Vorrede seines Compendiösen Gelehrten-Lexicons in typischer Manier:

„Wenn wir aber unsere jetzige Zeiten genau betrachten, so müssen wir bekennen, daß die Historia Literaria, die sonsten von denen Gelehrten nur als ein Nebenwerck geachtet wor-den, bey vielen zum Hauptwerck, und insgemein zur Mode-Wissenschafft worden.“[9]

Hinter den Aussagen steht die Einsicht, dass Wissen in allen Gebieten nun nicht mehr im Versuch gegeben wird, stabil zu erfassen, wie die Welt beschaffen ist. Wissen selbst wird als kurzlebig, als Moden unterworfen und dem Fortschritt ausgesetzt erfasst. Es wird gleichzeitig zunehmend als Spielball öffentlicher Interessen wahrgenommen. Die Wissenschaften formulieren sich an dieser Stelle neu als laufender Diskurs. Die Titel zentraler Texte der Aufklärung sind hierfür typisch. Autoren legen gewichtige Werke nur noch als "Versuche" vor, als "Briefe", als "Essays".

Die Flut der Journale lässt sich ab dem frühen 18. Jahrhundert nicht mehr bibliographisch erfassen. Kurzlebige Projekte gehören in das Stimmengewirr das zunehmend die öffentliche Meinung bestimmt. Die Kritik als innerwissenschaftliche Kommunikationsform entwickelt sich in diesen Titeln - sie bieten nahzu ausschließlich Rezensionen aktueller Bücher, Meinungen zu aktuellem Wissen.

Mit dem frühen 18. Jahrhundert kommen populäre Formate mit den moralischen Wochenschriften in England auf den Markt, sie werden auf dem Kontinent eine neue Mode mit Themenverschiebungen: Fragen der Moral und des Geschmacks werden hier diskutiert. Die belles lettres, Poesie und Romane werden hier das neue größere Publikumskreise bindende Thema. Literatur, um 1700 der Bereich der Wissenschaften, wird im späten 18. Jahrhundert zum neuen Debattengegenstand populäreren Interesses: zum Feld der Romane, Dramen und Gedichte, die von nun an ähnlich kritisch betrachtet werden - und damit selbst der Ort kritischer Auseinandersetzungen werden.

Die historische Betrachtung wird im 18. Jahrhundert zunehmend populär. Sie relativiert im Verlauf zunehmend historische Wissensbestände, indem sie deren Neueinordnung erlaubt: So sah man die Welt zum historischen Zeitpunkt, die Gegenwart ist daran nicht mehr gebunden. In der Geschichtswissenschaft selbst verabschiedet man sich von überkommenen Wissensbeständen in der Pyrrhonismus-Debatte, die namentlich Pierre Bayle in den 1690ern popularisiert. Die kritische historische Evaluierung allen Wissens ist zwischen 1680 und 1720 das Projekt, das der Umstrukturierung des Wissenschaftsbetriebs zu Gunsten der Naturwissenschaften vorangeht - sie machen sich in diesem Prozess von historischen Überlieferungen gänzlich frei machen und begründen sich neu als Experimentbasiertes Wissen.

Philosophie und Naturwissenschaften

 
Der Rückblick des 19. Jahrhunderts darauf, wie der Mensch in der Kopernikanischen Wende das Ende seines mittelalterlichen Weltbildes erfuhr: Camille Flammarions Holzstich aus seinem L'Atmosphère: Météorologie Populaire (Paris, 1888), p. 163.

Europas Kulturraumm nutzte ab den 1490ern technologische Fortschritte, um eine globale Vormachtstellung zu gewinnen: Südamerika wurde 1492 entdeckt und unverzüglich ausgebeutet. Wissen in den Bereichen Navigation, Geographie und Waffentechnik erwies sich damit als Wirtschaftsfaktor. Der technolgische Vorsprung, den Europas Nationen ab Mitte des 18. Jahrhunderts nutzten, um sich nun auch in Asien und Afrika als Kolonialmächte zu etablieren, wurde in der europäischen Geschichtswissenschaft als Errungenschaft der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter verteidigt. Europa hatte sich entwickelt - der Rest der Welt waren Entwicklungsländer. Gleichzeitig war offensichtlich, dass die Naturwissenschaften erst Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene Stellung im Wissenschaftsbetrieb gewannen. Die Aufklärung war nicht schlagartig gekommen, sie siegte auf dem Weg ins 19. Jahrhundert in einem Prozess, in dem die Theologe an Bedeutung verlor.

Immanuel Kant setzte in diesem Definitionsprozess den Akzent auf einen Mentalitätsumbruch, der mutmaßlich als Kopernikanische Wende stattfand: Das moderne aufgeklärte Individuum definierte sich erst, als es das theologische Weltbild des Mittelalters mit seinen Vorurteilen berwand. Das 20. Jahrhundert mythisierte diesen Umbruch sinnfällig mit der Verbreitung, die am Ende Schulbüchern Camille Flammarions Holzstich aus seinem L'Atmosphère: Météorologie Populaire von 1888 als Originaldokument aus der Zeit dieses Umbruchs gaben.

Es ist heute klarer, dass werder die Kugelgestalt der Erde noch die das heliozentrische Weltbild unverzüglich brisant wirkten. Von der Kugelgestalt der Erde ging man lange vor der Entdeckung Amerikas aus. Atlanten führten auf der anderen Seite noch im frühen 18. Jahrhunderts das kopernikanischen Weltbild neben dem ptolomäischen - man ging hier mit konkurrierenden Sichtweisen umdie im Studienbetrieb der Universitäten ohne größere Bedeutung blieben. Dieser blieb nach den vier Faktltäten in Thologie, Jurisprudenz, Medizin und ein philosophisches Grundstudium geteilt, in dem Studenten nebenbei in den Naturwissenschaften, Historie und Geographie eine grobe Orientierung erhielten, die beruflich für sie - als Theologen, Juristen und Mediziner - ohne größeren Nachhall blieb. Naturwissenschaftliche Forschung gedieh vorerst vor allem unter Protektion einzelner Landesherren, in privaten Forscherkreisen und Netzwerken und - ab Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend wichtig: - an staatliche geförderten Societäten. Die Royal Society wurde hier weltweit führend. Die Naturwissenschaften gewann klarere Plattformen ab den 1660ern mit den ersten der wissenschaftlichen Zeitschriften: Das französische Journal des Sçavans, die von der Royal Society in London herausgegebenen Philosophical Transactions und ihnen ab 1682 folgend die Leipziger Acta Eruditorum boten ihnen breiteren Raum, als der Buchmarkt. Das neue Medium des wissenschaftlichen Journals bot sich für isolierte Naturbeobachtungen an, für Berichte von Erfindungen und für Langzeitbeobachtungen. Zeitschriften wie die Breslausche Sammlungen nutzten die Periodizität des Wissenschaftlichen Journals erstmals, um Beobachtungsreihen sukzessive zu veröffentlichen.

Fernrohre und Teleskopie, Barometer, Thermometer und Uhren, die sich auf Schiffen zur Navigation eigneten, wurden die ersten technologischen Errungenschaften der modernen Naturwissenschaften. Unklar blieb bis in das mittlere 18. Jahrhundert, welchen praktischen Nutzen sie hätten. England, die Niederlande und Frankreich finanzierten Forschung großzügiger, da die Seehandelsmächte vor allem aus Geographie und Navigation direkten Nutzen zogen.

Als in den 1780ern und 1790ern mit der Industrialisierung der Aufbau moderner Wirtschaftsnationen einsetzte wurden ein anderes wichtiger als ihr bisherige technologische und finanzielle Nutzen der Naturwissenschaften: An sie gekoppelt hatten René Descartes, John Locke, Gottfried Wilhelm Leibniz und David Hume eine bahnbrechende erkenntnistheoretische Debatten geführt, die sich nun als Grundlage für die Neuorganisation des Wissenschaftsbetriebs ansprechen ließ. Zwei Argumentationslinien hatten sich in dieser Debatte herausgebildet, die beide heute gleichermaßen der Aufklärung zugerechnet wurden: Die des Rationalismus und die des Empirismus. Descartes und Leibniz standen in dieser Debattengliederung für die Rationalisten, die Erkenntnis weniger aus Experimenten bezogen denn aus der grundlegenden Anahme, dass der Kosmos vernünftig geordnet sei, und darum - von der Bibel unabhängig - über logische Schlussfolgerungen und vernünftigen Beweisführungen erkannt werden könne. Die Empiristen stehen demgegenüber für eine auf Beobachtung und Experiment beruhende Wissenschaftskultur. Beide Positionen verbinden sich in der Aufklärungsphilosophie mit dem Vertrauen in die Vernunft als Erkenntnisinstrument wie als Grundlage des zu erkennenden Kosmos, in Wissenschaften, die sich auf Experimente und Erfahrungen stützen und damit die Bedeutung tradierten oder ofenbarten Wissens in Frage stellen.

Belles Lettres, Poesie und der Roman

Malerei, Skulptur, Architektur

Musik

Gesellschaftliche Resonanz

Rolle der Frau, Moral und Vernunft, Empfindsamkeit, Soziäteten, Geheimgesellschaften)

Politik

Aufgeklärter Absolutismus, Demokratiemodelle, Naturrecht und Zivilisationskritik. Theorie vs. reale Situation.

Konzept und Kritik

Bekannte Vertreter der Aufklärung

Zitate

  • Immanuel Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Siehe auch

Anmerkungen

  1. So etwa in der Gnostik und im Manichäismus aber auch in den hier nahen Strömungen des spätantiken Neuplatonismus.
  2. in seinem Discours préliminaire (Einleitung) zur Encycloédie
  3. Das OED notiert die folgenden beiden Verwendungen „1865 J. H. STIRLING Secret of Hegel p. xxvii, Deism, Atheism, Pantheism, and all manner of isms due to Enlightenment. Ibid. p. xxviii, Shallow Enlightenment, supported on such semi-information, on such weak personal vanity, etc. 1889 CAIRD Philos. Kant I. 69 The individualistic tendencies of the age of Enlightenment.“
  4. Gertrude Himmelfarb: The Roads to Modernity: The British, French and American Enlightenments. Vintage, London 2008. S. 11-12.
  5. Wichtig wurde hier besonders Jonathan Israels Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity, 1650-1750 von 2001.
  6. John Locke, A Letter Concerning Toleration. London, 1689.
  7. "Inquiry Concerning Virtue or Merit" [1699], wiederveröffentlich als "Treatise IV" der Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times. London, 1711.
  8. Gottfried Wilhelm Leibniz. Essais de théodicée 1710.
  9. Johann Burkhard Mencke, "Vorrede" zu: Compendiöses Gelehrten-Lexicon. Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch & Sohn, 1715, Bl. 3.

Literatur

Zur Einführung

  • Hans Joachim Störig: Weltgeschichte der Philosophie. 1950, überarbeitete und erweiterte Neuauflagen als Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Kohlhammer-Verlag 17. Auflage, Stuttgart 1999, ISBN 3170160702
  • Ehrhard Bahr (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-009714-2

Weiterführende Literatur

  • Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung. (1932), Meiner, Hamburg 1998, ISBN 3-7873-1362-1
  • Wolfgang Hardtwig (Hg): Die Aufklärung und ihre Weltwirkung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. [=Geschichte und Gesellschaft, Sonderhaft 23]
  • Jonathan Israel: Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity 1650-1750, Oxford University Press, Neuauflage 2002, ISBN 0-19-925456-7
  • Jonathan Israel: Enlightenment Contested: Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man,1670-1752, New York: Oxford University Press, 2006, Rezension
  • Frank Kelleter: Amerikanische Aufklärung. Sprachen der Rationalität im Zeitalter der Revolution. Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-74416-X
  • Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Meiner, Hamburg 2002, ISBN 3-7873-1613-2
  • Werner Krauss: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Rütten & Loening, Berlin 1963
  • Peter Pütz: Die deutsche Aufklärung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-06092-X
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Die Aufklärung in Österreich. Ignaz von Born und seine Zeit. Lang, Frankfurt/M. 1991, ISBN 3-631-43379-4 (Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850; Bd. 4)
  • Jochen Schmidt (Hrsg.): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-10251-7
  • Werner Schneiders: Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der Deutschen Aufklärung. Alber, Freiburg / München 1974, ISBN 3-495-47280-0
  • Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. C.H. Beck, München 1995 (Taschenbuchausg.: München: C.H. Beck, 2001. ISBN 3-406-47571-X).
  • Winfried Schröder (Hrsg.): Französische Aufklärung. Bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung. Reclam, Leipzig 1979
  • Jürgen Stenzel (Hrsg.): Das Zeitalter der Aufklärung (Deutsche Schriftsteller im Porträt, Bd. 2), Beck, München 1980, ISBN 3-406-06020-X
  • Barbara Stolberg-Rillinger: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart 2000, ISBN 3-15-017025-7 (Rezension).
  • Fritz Wagner: Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. (Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Theodor Schieder, Band 4) Union Verlag Stuttgart 1968, 3. Auflage: Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1996. ISBN 9783129075609

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