Eugen Gerstenmaier

evangelischer Theologe, Widerstandskämpfer und Politiker (CDU), MdB, MdEP
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Eugen Karl Albrecht Gerstenmaier (* 25. August 1906 in Kirchheim unter Teck; † 13. März 1986 in Bonn) war ein evangelischer Theologe, Widerstandskämpfer und Politiker (CDU). Er war von 1954 bis 1969 Präsident des deutschen Bundestags.

Leben, Beruf, Widerstand

Nach einer Ausbildung als Kaufmann machte Gerstenmaier das Abitur nach und studierte daraufhin Philosophie, Germanistik und Evangelische Theologie in Tübingen, Rostock und Zürich. 1934 wurde er als Mitglied der Bekennenden Kirche kurzzeitig inhaftiert. 1935 wurde er Theodor Heckels Assistent im Kirchlichen Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Nach der Münchner Konferenz 1938 schloss sich Gerstenmaier der Widerstandsgruppe um den Kreisauer Kreis an.

Am 20. Juli 1944 hielt Gerstenmaier sich im Berliner Bendlerblock auf, um den Umsturzversuch gegen Hitler und das NS-Regime zu unterstützen. Daraufhin wurde er verhaftet und vor dem Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. 1945 wurde er von amerikanischen Truppen befreit. Wie Hermann Ehlers war er an der Organisation des Hilfswerks der EKD beteiligt. 1945 bis 1951 war er dessen Leiter.

Abgeordneter

Von 1949 bis 1969 war Gerstenmaier für die CDU Abgeordneter im Deutschen Bundestag. 1949 bis 1953 war er dort stv. Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und anschließend bis zum 17. Dezember 1954 Vorsitzender dieses Ausschusses.

Nach dem plötzlichen Tod von Hermann Ehlers 1954 wurde Gerstenmaier dessen Nachfolger (bis 1969) als Bundestagspräsident. Bei seiner Wahl am 16. November 1954 gab es dabei den im Bundestag einmaligen Fall, dass zwei Fraktionskollegen gegeneinander um das Amt des Bundestagspräsidenten kandidierten: Gegen den "offiziellen" CDU/CSU-Kandidaten Gerstenmaier, der vielen Abgeordneten auch der Regierungskoalition zu kirchennah war, trat Ernst Lemmer, vorgeschlagen von dem FDP-Abgeordneten Hans Reif, an und verlor erst im dritten Wahlgang mit lediglich 14 Stimmen Unterschied (Gerstenmaier: 204, Lemmer: 190, Enthaltungen: 15). Von 1957 bis zum 12. Oktober 1959 war Gerstenmaier Vorsitzender der Unterkommission "Haushalt" des Bundestagsvorstandes. Am 31. Januar 1969 legte Gerstenmaier das Amt als Bundestagspräsident nieder, nachdem es öffentliche Auseinandersetzungen über die Inanspruchnahme von ihm unbestritten rechtlich zustehenden Wiedergutmachungsleistungen gab. Nachfolger wurde Kai-Uwe von Hassel.

Nach Gerstenmaier, der als Bundestagspräsident den Bau besonders gefördert hatte, benannte der Volksmund das Abgeordnetenhochhaus in Bonn Langer Eugen.

Politische Ausrichtung

Er gehörte zu den CDU-Politikern, die die Westbindungspolitik von Konrad Adenauer wegen der damit verbundenen Abkehr von einer primär auf die Wiedervereinigung Deutschlands abzielenden Politik intern kritisierten. Auch in der Sozialpolitik stand er Adenauer eher kritisch gegenüber und unterstützte mit pointiert christlich-protestantischen Argumenten gegen den "totalen Versorgungsstaat" (Zitat auf dem Kieler Parteitag 1958) eher die Position von Ludwig Erhard. Von 1956 bis 1966 war er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.

Gerstenmaier gehörte dem Auswahlgremium der beiden Unionsparteien an, das am 24. Februar 1959 Ludwig Erhard als neuen Bundespräsidenten vorschlug, was dieser jedoch ablehnte.

Ehrenamtliches

1980 gehörte Gerstenmaier für die CDU neben Hermann Kunst (Vorsitzender), Alex Möller (für die SPD), Rudolf Hanauer (für die CSU) und Bernhard Leverenz (für die FDP) zu den Mitgliedern der Schiedskommission zur Überwachung der Einhaltung des Wahlkampfabkommens im Bundestagswahlkampf.

Von 1977 bis zu seinem Tode war Gerstenmaier Vorsitzender der "Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages e.V." (ab 1984: Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments e.V.)

Veröffentlichungen

  • Der dritte Bundestag. Zum Wahlgesetz und zur Gestalt des künftigen Parlaments, in: Der Wähler, Jg. 1955, Heft 11, Seiten 495-497
  • Brauchen wir einen besseren Bundestag?, in: DER SPIEGEL, Jg. 1964, Heft 38 vom 16. September 1964
  • Öffentliche Meinung und Parlamentarische Entscheidung, in: Karl Dietrich Bracher u.a., Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift für Gerhard Leibholz zum 65. Geburtstag, Tübingen 1966, Seiten 123-134
  • Zukunftserwartungen der Demokratie, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1972/73, Trier 1974, Seiten 41-50
  • Gewissensentscheidung im Parlament, in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 1980, Heft 30, Seiten 1855-1858
  • Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht, Frankfurt am Main 1981

Literatur

  • Bruno Heck (Hrsg.): Widerstand - Kirche - Staat. Eugen Gerstenmaier zum 70. Geburtstag. Stuttgart 1976