Raum (Philosophie)

philosophischer Begriff
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Der Raum (von mhd. rûm „das nicht Ausgefüllte“, „freier Platz“) ist eine grundlegende Komponente der Wirklichkeit. Philosophisch strittig ist, ob der Raum „an sich“, unabhängig von Wahrnehmung und Vorstellung, existiert oder lediglich eine Anschauungsform des wahrnehmenden Subjekts ist.


Definition

So einfach wie wir im täglichen Leben mit dem Begriff „Raum“ umgehen, umso schwerer hat es die die Wissenschaft sich diesem Begriff zu nähern.

Den Raum im Allgemeinen stellt man sich als "Leeren Raum" vor, der gefüllt ist mit einer Vielzahl von Dingen, die gleichzeitig die Bedingungen des Auseinanderseins und des Nebeneinanderseins erfüllen und selbst Ausdehnung und Räumlichkeit besitzen.
Materie ist demnach substanzerfüllter Raum.

Wenn man sich dem Thema von der Mathematik aus nähert, dann ist der Raum eine Menge von Punkten, die sich in den drei Dimensionen definieren lassen. Den größten uns bekannten Raum, das Universum, mit einer Größe von ca. 7.800.000.000.000 Lichtjahren, lässt sich zwar nicht mehr richtig verstandesmäßig begreifen, ist aber mathematisch durchaus "berechenbar".

Die Physiker sehen den Raum eher als "Feld".

Die Philosophen stellen jede Menge Theorien auf. Entweder sind diese erkenntnistheoretisch ("Aussagen über den Raum aus eigener Erfahrungen"), ontologisch (metaphysisch) ("den Raum logisch begreifen") oder phänomenologisch ("den Raum beobachten und gucken, was passiert").


Geschichte

Raumvorstellung der Antike

Die Raum-Vorstellung beruhte seit der griechischen Antike auf der Geometrie Euklids (ca. 360–280 v. Chr.).


Das geozentrische Weltbild

Im geozentrischen Weltbild steht die Erde im Zentrum des Universums. Sonne, Mond, Planeten und Sterne umkreisen die Erde.


Die Vorstellung der Welt als Erdscheibe
 
Weltkarte des Hekataios

Die Vorstellung einer flachen Erde als Insel in einem Urozean findet sich in vielen frühen Kulturen, - in Mesopotamien, Griechenland, Asien und Mesoamerika.

Vertreter der Theorie der flachen Erde:


Mit sehr wenigen Ausnahmen glaubte seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. keine gebildete Person in der Geschichte des Westens mehr, die Erde sei flach. [2]


Die Vorstellung der Himmelskörper als Kugelgestalt
 
Das Ptolemäische System mit der Erde im Zentrum

Die Idee einer Kugelgestalt der Erde wurde in Griechenland schon im Altertum vertreten.

Pythagoras vertrat im 6. Jh. v. Chr. darüber inaus die Ansicht, dass die Himmelskörper auch kugelförmig seien.

Aristoteles gab in De caelo aus dem 4. Jh. v. Chr. folgende Gründe für die Kugelgestalt der Erde an:

  • Sämtliche schweren Körper streben zum Mittelpunkt des Alls. Da sie dies von allen Seiten her gleichmäßig tun und die Erde im Mittelpunkt des Alls steht, muss sie eine kugelrunde Gestalt annehmen.
  • Bei von der Küste wegfahrenden Schiffen wird der Rumpf vor den Segeln der Sicht verborgen.
  • In südlichen Ländern erscheinen südliche Sternbilder höher über dem Horizont.
  • Der Erdschatten ist bei einer Mondfinsternis stets rund.


Auf Claudius Ptolemaeus im 2. Jahrhundert geht die Erstellung eines Globus und die Ortsangabe durch geographische Länge und Breite zurück.


Das heliozentrischen Weltbild

 
Geozentrisches und heliozentrisches Weltbild im Vergleich

Im heliozentrischen Weltbild steht die Sonne im Zentrum des Universums. Erde, Mond, Planeten und Sterne umkreisen ab jetzt die Sonne.


Raumvorstellung des Mittelalters bis zur Neuzeit

  • Kopernikus
  • Kepler
  • Galilei
  • Newton








Raumvorstellung der Neuzeit

Erst durch die Entwicklung von nicht-euklidischen Geometrien durch Gauß und Riemann wurde die ausschließliche Gültigkeit der euklidischen Geometrie überwunden.


Raum bei Kant

Kant vertritt in der Kritik der reinen Vernunft die Auffassung:

"Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt." [1]

Der Raum wie auch die Zeit seien lediglich als "Formen der Sinnlichkeit" anzusehen und können weder durch die Erfahrung noch durch die Wahrnehmung gegeben werden. Kant umgeht mit seinem a priori-Status, den er sowohl für Raum und Zeit als auch für die Kategorien behauptet, eine wissenschaftliche Herleitung, woher wir als Menschen denn eine Vorstellung vom Raum haben.


Raum bei Hans Reichenbach

Hans Reichenbach (1891-1953) verteidigt in seiner klassischen, empiristischen Behandlung des Raum-Problems in "Philosophie der Raum-Zeit-Lehre" eine Auffassung vom Raum, die vor allem der Relativitätstheorie und der Entdeckung nicht-euklidischer Geometrien Rechnung trägt. Die Form und Art des Raums müssen demnach erst durch Messungen bestimmt werden. Diesen Bestimmungen wohnt aber nach Reichenbach ein nicht vermeidbares, konventionelles Element inne. Wollen wir etwa bestimmen, ob wir in einem euklidischen oder nicht-euklidischen Raum leben, so können wir diese Frage nur dann beantworten, wenn wir vorher eine so genannte Kongruenzdefinition willkürlich festgelegt haben. Erst dadurch erhält die Frage nach der Form des Raumes eine definitive Antwort. In der Folge ist es auch eine Frage der Konvention, was die Wissenschaft als "unseren" physikalischen Raum auszeichnet: eine Kongruenzdefinition mag etwa die Antwort liefern, dass wir in einem nicht-euklidischen (d.h. gekrümmten) Raum leben, eine andere liefert den euklidischen Raum unter der Annahme, dass unsere Maßstäbe an manchen Stellen des Raums schrumpfen. Nach Reichenbach ist unentscheidbar, welche der Kongruenzdefinition die "wahre" Antwort liefert, weil sie nur eine Definition ist. Diese Theorie führt auf das Problem der äquivalenten empirischen Beschreibungen. Reichenbachs Haltung ist Poincares Konventionalismus verwandt.



Raumvorstellung der Moderne


Einstein und das Raum-Zeit-Kontinuum

Auf diesen nicht-euklidischen Geometrien baut die Relativitätstheorie Einsteins auf, die den drei Raum-Dimensionen als vierte Dimension die Zeit hinzufügt und so ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum entstehen lässt.



Raummodelle

Bei allem Einfluss unterschiedlicher Geometrien lassen sich grundlegend drei verschiedene philosophische Raummodelle unterscheiden: Absoluter Raum, relationaler Raum und topischer Raum.


Absoluter Raum

Wird der Ort als ein Behälter gedacht, in den man etwas hineintun kann, dann spricht man von einer absoluten Raumauffassung. Zur absolutistischen Tradition des philosophischen Raumverständnisses zählt man solche Namen wie Ptolemäus, Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton u.a. Ein absolutistisches Raumverständnis geht also davon aus, dass der Raum nur eine Randbedingung des Inhaltes ist, und basiert daher auf dem Dualismus von Raum und Körper.


Relationaler Raum

In Absetzung zu dem absoluten Raumverständnis entwickelt sich ein relationales Raumverständnis insbesondere durch Cusanus, Bellarmin, Leibniz, Mach u.a. Dem relationalen Verständnis von Raum als Zwischenraum zufolge, ergibt sich der Raum aus der Struktur der relativen Lage der Körper.


Topischer Raum

Neben diesem relationalen Raumverständnis, wie es für die westliche Moderne kennzeichnend ist, hat sich in Ostasien und insbesondere in Japan ein topisches Raumverständnis entwickelt (Nishida Kitarō 1945). Im Unterschied zum rein relationalen Raumverständnis wird der Raum nicht primär als ein Relationsgefüge verstanden, sondern vor allem als ein durch die Raumpunkte aufgespanntes Feld, dem Topos (jap. basho). Im Rahmen der „topologische Wende“ erlangt diese topische Raumaufassung zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine zunehmende Rezeption auch in der westlichen Philosophie.


Sonstiges

Der philosopische Raum und die Wahrnehmungspsychologie

Die Wahrnehmungspsychologie
Eine empiristische und damit zu Kants Verständnis gegenteilige Auffassung lässt sich der Medizin entnehmen. Das Gleichgewichtsorgan des Menschen, das wichtigste Organ des Lagesinns und des Gleichgewichtssinns, besteht aus einem Zentrum, um das herum sich drei mit Flüssigkeit gefüllte Ringe (Bogengänge) anordnen, die jeweils genau eine Ebene unserer Vorstellung vom Raum abdecken. Dass wir als Menschen nur den 3-dimensionalen Raum denken können, ergibt sich so aus der Anatomie dieses Organs. Diese sinnliche Wahrnehmung ist nach empiristischer Auffassung die Grundlage unserer komplexen objektiven Vorstellungen. Man kann dies auch leicht im Versuch nachvollziehen, in dem man sich für einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit hingibt (z.B. durch Springen vom 5-Meter-Brett in einem Schwimmbad) und kurzzeitig tatsächlich den Sinn für den Raum verliert.

Felicie Affolter, eine Schülerin von Jean Piaget, hat argumentiert, dass zu den ersten Wahrnehmungen eines Menschen die der "stabilen Unterlage" gehört, die dem Ziehen der Schwerkraft einen Widerstand entgegensetzt. Dann folgen die Erfahrungen mit dem Widerstand der seitlichen Begrenzungen. Ebenfalls grundlegend sind die Erfahrungen des Umfassens und des Umfasstwerdens. Mit wachsender Reife werden diese propriozeptiven Wahrnehmungen mit den visuellen Wahrnehmungen in Verbindung gebracht. Im tausendfachen Spüren des Zusammenspiels von Körper, Schwerkraft und Gegenständen entsteht so, beim Wahrnehmungsgesunden, ein mentales Modell vom Raum.[3]


Literatur

  • Otto Friedrich Bollnow: Mensch und Raum. Kohlhammer, Stuttgart 1990. ISBN 3-17-018471-7
  • Rudolf Carnap - Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre. -, Berlin 1922 (Kant Studienergänzungshefte 56)
  • Hugo Dingler - Grundlagen der Geometrie -, Stuttgart 1933
  • Jörg Dünne et al (Hg.): Raumtheorie : Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, ISBN 9783518294000. (Inhaltsverzeichnis)
  • Carl Friedrich Gauß - Werke 1 - XII -, Leipzig 1863-1933
  • Werner Gent - Die Raum-Zeit-Philosophie des 19. Jahrhunderts -, 1930
  • Alexander Gosztonyi: Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie und Wissenschaften. 2 Bände (Orbis academicus I/14, 1 u. 2). Alber, Freiburg / München 1976 ISBN 3-495-47202-9
  • Adolf Grünbaum - Philosophical Problems of Space and Time -, New York 1963
  • Ulf Heuner (Hg.): Klassische Texte zum Raum. Parodos, Berlin 2006 ISBN 3-938880-05-8
  • Christian Hoffstadt: Denkräume und Denkbewegungen. Untersuchungen zum metaphorischen Gebrauch der Sprache der Räumlichkeit. (Dissertation). Europäische Kultur und Ideengeschichte Bd. 3, hrsg. von Bernd Thum u. Hans-Peter Schütt. Universitätsverlag, Karlsruhe 2009. Online-Version [2] (PDF 1,3 MB).
  • Max Jammer - Concepts of Space: The history of Theories of Space in Physics -, Dover Publications, New York 1993 (Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorien. Übersetzt von Paul Wilpert, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960) - (Vorwort von Albert Einstein)
  • Peter Janich - Eindeutigkeit, Konsistenz und methodische Ordnung -, Frankfurt 1973
  • Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage, "Der transzendentalen Ästhetik, Erster Abschnitt, Von dem Raume", "Der Transzendentalen Analytik, Zweites Hauptstück, Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" (Band 3, Seiten 71 bis 77)
  • Bernulf Kanitscheider - Geometrie und WIrklichkeit -, Berlin 1971
  • Friedrich Kaulbach - Die Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant -, Kölner Universitäts-Verlag, Köln 1960
  • Paul Lorenzen - Das Begründungsproblem der Geometrie als Wissenschaft der räumlichen Ordnung -, in: Philosophia Naturalis 6, 1961
  • Isaac Newton - Philosophiae Naturalis Principia Mathematica -, London 1687 (Minerva 1992, ISBN 3-8102-0939-2)
  • Henri Poincaré - Wissenschaft und Hypothese -, 1902 (Xenomos Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-936532-24-9)
  • Hans Reichenbach, Philosophie der Raum-Zeit-Lehre, Verlag Walter de Gruyter, Berlin & Leipzig 1928. (Englisch: The philosophy of space and time (translated by J. Freud & Hans Reichenbach), Dover Publications, New York 1958).
  • Moritz Schlick - Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik -, Julius Springer Verlag, Berlin 1917 (4. Auflage 1922)
  • Hermann Schmitz - System der Philosophie -, Bonn 1964-1980
  • J. J. C. Smart - Problems of Space and Time -, New York 1964 (editor)
  • Elisabeth Ströker: Philosophische Untersuchungen zum Raum, Klostermann, Frankfurt 1965, ISBN 3-465-01249-6
  • Hermann Weyl - Raum, Zeit, Materie -, 1918 (8. Auflage: Springer 1993)
  • Margaret Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace. Eine Geschichte des Raumes von Dante zum Internet., Übersetzt von Ilse Strasmann. Piper, München 2002. ISBN 3-250-10417-5
  • A. Wilhelm - Das Raumerlebnis in Naturwissenschaft und Erkenntnistheorie, 1949

Quellen

  1. Kosmas Indikopleustes - Topographia Christiana -, 550
  2. Jeffrey Burton Russell – ‚’The Myth of the Flat Earth
  3. Félicie Affolter: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Neckar-Verlag, 8. Auflage 1997, ISBN 3-7883-0255-0

Siehe auch