Interpolation (Mathematik)

mathematisches Verfahren zur Bestimmung einer stetigen Funktion basierend auf diskreten Daten
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Der Begriff Interpolation bezeichnet eine Klasse von Problemen und Verfahren aus der numerischen Mathematik. Zu gegebenen diskreten Daten (z.B. Messwerten) soll eine kontinuierliche Funktion (die so genannte Interpolante) gefunden werden, die diese Daten abbildet. Man sagt dann, die Funktion interpoliert die Daten.

Einführung

 
Zu interpolierende Punkte

Manchmal kennen wir von einer Funktion nur einzelne Punkte, aber keine analytische Beschreibung der Funktion, um sie an beliebigen Stellen auswerten zu können. Ein Beispiel sind Punkte als Resultat einer physikalischen Messung. Könnte man die Punkte durch eine (eventuell glatte) Kurve verbinden, so wäre es möglich, die unbekannte Funktion an den dazwischenliegenden Stellen zu schätzen. Ein anderes Szenario besteht aus einer schwierig handhabbaren Funktion, die man durch eine einfachere approximativ darstellen will. Eine Interpolationsfunktion kann diese Anforderung der Einfachheit erfüllen.

Diese Aufgabe bezeichnet man als Interpolationsproblem. Es gibt für das Problem mehrere Lösungen, der Anwender muss zunächst geeignete Ansatzfunktionen wählen. Je nach Ansatzfunktionen erhalten wir eine andere Interpolante.

Die Interpolation ist eine Art der Approximation: die betrachtete Funktion wird durch die Interpolationsfunktion in den Stützstellen exakt wiedergegeben und in den restlichen Punkten immerhin näherungsweise. Die Approximationsgüte hängt vom Ansatz ab. Um sie zu schätzen, werden Zusatzinformationen über die Funktion   benötigt. Diese ergeben sich auch bei Unkenntnis von   meist in natürlicher Weise: Beschränktheit, Stetigkeit oder Differenzierbarkeit lassen sich häufig voraussetzen.

Bei anderen Approximationsverfahren wie z.B. der Methode der kleinsten Quadrate wird nicht gefordert, dass die Messdaten exakt wiedergegeben werden; das unterscheidet diese Verfahren von der Interpolation.

Bei dem verwandten Problem der Extrapolation werden Werte geschätzt, die über den Definitionsbereich der Daten hinausgehen.

Interpolationsprobleme

Das allgemeine Interpolationsproblem

Gegeben seien   Paare von reellen oder komplexen Zahlen  . Hierbei bezeichnet man die   als Stützstellen und die   als Stützwerte. Man wählt nun eine Ansatzfunktion  , die sowohl von   als auch von   weiteren Parametern   abhängt. Als Interpolationsproblem bezeichnet man die Aufgabe, die   so zu wählen, dass   ist.

Das lineare Interpolationsproblem

Man spricht von einem linearen Interpolationsproblem, wenn   nur linear von den   abhängt, d.h.

 .

Insbesondere die Polynominterpolation ist ein solches lineares Interpolationsproblem. Für die Polynominterpolation gilt

 .

Spezialfälle für  ,   und   nennt man lineare, quadratische und kubische Interpolation. In zwei Dimensionen spricht man entsprechend von bilinear, biquadratisch und bikubisch.

Nichtlineare Interpolationsprobleme

Zu den wichtigsten nichtlinearen Interpolationsproblemen zählt

  • das trigonometrische:  
  • das rationale:  

Interpolationsverfahren

Lineare Interpolation

Am einfachsten und wohl auch in der Praxis am häufigsten benutzt wird die von Isaac Newton begründete lineare Interpolation, bei der zwei gegebene Datenpunkte   und   durch eine Strecke verbunden werden. Es gilt:

 . Dies entspricht einer Konvexkombination der Endpunkte   und  .

Höhergradige Polynome

 
Interpolationspolynom 7. Grades

Der Fundamentalsatz der Algebra garantiert, dass man zu   Datenpunkten genau ein Interpolationspolynom  -ten Grades finden kann. Die Bestimmung der Koeffizienten erfordert die Lösung eines linearen Gleichungssystems. Man erhält das Interpolationspolynom z.B. mit Hilfe der Formel von Lagrange:

 

Weitere Verfahren zur Polynominterpolation siehe dort.

Stückweise Interpolation

Da Polynome mit zunehmendem Grad immer instabiler werden (d.h. sie schwingen stark zwischen den Interpolationspunkten), werden in der Praxis Polynome mit Grad > 5 kaum eingesetzt. Stattdessen interpoliert man einen großen Datensatz stückweise. Im Fall der linearen Interpolation wäre das ein Polygonzug, bei Polynomen vom Grad 2 oder 3 spricht man üblicherweise von Spline-Interpolation. Bei abschnittsweise definierten Interpolanten ist die Frage der Stetigkeit und Differenzierbarkeit an den Stützstellen von großer Bedeutung.

 
Stückweise lineare Interpolation
Datei:Spline interpolation.png
Kubische Spline-Interpolation

Hermite-Interpolation

Sind zusätzlich zu den Stützstellen   auch noch die  -Ableitungen   zu interpolieren, so spricht man von einem Hermite-Interpolationsproblem. Die Lösung dieses Problems lässt sich analog zum Lagrange-Verfahren ebenfalls in geschlossener Form angeben.

Trigonometrische Interpolation

Wählt man als Ansatzfunktion ein trigonometrisches Polynom, so erhält man eine trigonometrischer Interpolation. Die Interpolationsformel

 

entspricht einer Fourier-Entwicklung der unbekannten Interpolanten. Die Fourier-Koeffizienten   und   berechnen sich zu

  und  .

Dabei wird angenommen, dass die Stützstellen   im Intervall   äquidistant verteilt sowie außerhalb dieses Intervalls periodisch sind. Die Koeffizienten können effizient mit Hilfe der schnellen Fourier-Transformation berechnet werden.

Logarithmische Interpolation

Vermutet bzw. weiß man, dass den Daten eine logarithmische Funktion zugrunde liegt, so empfiehlt sich dieses Verfahren.

Bei der logarithmischen Interpolation werden zwei bekannte Datenpunkte   und   durch eine logarithmische Kurve verbunden. Es gilt:

 

Oder anders formuliert:

 

Beispiel: χ²-Test

Allgemeine lineare Interpolation

Es sei   eine reelle oder komplexe stetig differenzierbare Funktion mit Nullstellenmenge  , wobei alle Nullstellen einfach sein müssen. Dabei kann   eine endliche Menge, wie z.B.  , oder eine abzählbare Menge,   oder   sein. Damit sind die Interpolationskerne gegeben als

  bei  

und stetig mit dem Wert 1 an der Stelle   fortgesetzt. Die Hilfsfunktion   ist außerhalb der Diagonalen   definiert als

  und stetig fortgesetzt zu  .

Nun sieht man leicht, dass auf den Nullstellen   gilt, wobei das Kronecker-Delta verwendet wurde.

Sind jetzt Werte   für jedes   vorgegeben, so ist eine Interpolationsfunktion definiert durch

 .

Im Falle einer abzählbaren Nullstellenmenge muss die Konvergenzbedingung

 

erfüllt sein.

Beispiele:

  • Mit vorgegebenen Stützstellen   und einer reellen Funktion   mit   ,   kann die Funktion   gebildet werden. Dann erhält man
 .
Das aus   resultierende Interpolationsverfahren ist die Lagrange-Interpolation. Andere Beispiele sind   für nach Unendlich gegen Null fallende Interpolationsfunktionen oder   für eine beschränkte Interpolationsfunktion mit übersichtlicher Berechnungsformel.
  • Mit dem Kreisteilungspolynom  , d.h. den  -ten Einheitswurzeln  ,  , als Stützstellen, ergibt sich die Diskrete Fourier-Transformation als Verfahren zur Berechnung der Koeffizienten des Interpolationspolynoms. Es gilt   und allgemein  , so dass
  ist.
  • Mit   und den Nullstellen  ,  , ergibt sich als Interpolationsfunktion die Kardinalreihe
 .

Diese spielt eine zentrale Rolle im Nyquist-Shannon-Abtasttheorem. Die Konvergenzbedingung lautet

 .

Stützstellendarstellung von Polynomen

Sei   ein Polynom. Dieses Polynom lässt sich in der sogenannten Koeffizientendarstellung durch die Angabe des Vektors   darstellen. Eine alternative Darstellung, die ohne die Koeffizienten   auskommt, besteht in der Stützstellendarstellung. Dabei wird das Polynom für   Werte   mit   und   ausgewertet, d.h. es werden die Funktionswerte   berechnet. Das Paar von Vektoren   bezeichnet man als die Stützstellendarstellung des Polynoms  . Ein wesentlicher Vorteil dieser Darstellung besteht darin, dass zwei Polynome in Stützstellendarstellung in   Schritten multipliziert werden können. In Koeffizientendarstellung werden hingegen   Schritte benötigt. Die Transformation von der Koeffizienten- in die Stützstellendarstellung ist daher von spezieller Bedeutung und wird als Fourier-Transformation bezeichnet. Die Rücktransformation wird durch Interpolation erreicht.

Anwendungen

In vielen Anwendungen von Interpolationsverfahren wird behauptet, dass durch Interpolation neue Daten aus bestehenden Daten hinzugewonnen werden. Dies ist aber falsch. Durch Interpolation kann nur der Verlauf einer kontinuierlichen Funktion zwischen bekannten Abtastpunkten abgeschätzt werden. Diese Abschätzung basiert meist auf der Annahme, dass der Verlauf einigermaßen "glatt" ist, was in den meisten Fällen zu plausiblen Resultaten führt. Die Annahme muss aber nicht notwendigerweise zutreffen. Höhere Frequenzanteile, die bei der Digitalisierung eines Signals aufgrund des Abtasttheorems verloren gegangen sind, können auch durch anschließende Interpolation nicht wieder rekonstruiert werden.

Bildverarbeitung

Datei:Bild interpolation.png

In der Bildverarbeitung verwendet man Interpolationsverfahren, um gerasterte Bilder zu vergrößern ("digitaler Zoom"). Da diese Bilder aber nur eine begrenzte Bildauflösung haben, führt die Wiederholung von Bildpunkten zu dem bekannten "Treppchen-Effekt". Das Phänomen ist allgemein auch als Aliasing bekannt. Interpoliert man stattdessen die hinzugefügten Bildpunkte aus den bekannten Nachbarpunkten (Antialiasing), so werden die Kanten glatter, was aber zu Lasten der Bildschärfe geht. Die optische Auflösung des Bildes wird durch die Interpolation nicht vergrößert.

In gängigen Bildverarbeitungssystemen wird häufig bilineare oder bikubische Interpolation verwendet. Die Interpolationsverfahren sind meist in Form von digitalen Filtern implementiert (Gauß-Filter, Lanczos-Filter).

Literatur

  • Josef Stoer, Numerische Mathematik 1, 8. Auflage, Springer 1999
  • Bernd Jähne, Digitale Bildverarbeitung, 4. Auflage, Springer 1997
  • Oppenheim/Schafer, Zeitdiskrete Signalverarbeitung, Oldenbourg 1992
  • Crochiere/Rabiner, Multirate Digital Signal Processing, Prentice Hall 1983