Skopzen

total enthaltsame religiöse Sekte in Russland
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. August 2010 um 23:09 Uhr durch TrueBlue (Diskussion | Beiträge) (Geschichte: +Lebensdaten). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Skopzen (von russisch скопец - Eunuch, Kastrat), auch Weiße Taubenбелые голуби») genannt, waren eine religiöse Gruppierung, die sich ca. 1775 als Splittergruppe der Chlysten bildete und in Russland vor allem im 19. Jahrhundert starke Verbreitung fand. Ihre Anhänger praktizierten eine spezifische, rituelle Körpermodifikation bzw. Verstümmelung bezüglich der äußeren Genitalien und der weiblichen Brust. In Russland verfolgt, emigrierten viele Skopzen nach Rumänien.

Wartung
Wartung

Dieser Artikel wurde in der Qualitätssicherung Religion eingetragen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses Artikels zu beseitigen, und beteilige dich an der Diskussion.

weibliche Skopze
männlicher Skopze (großes Siegel)

Besondere Rituale

Die Gottesdienste der Skopzen, die sogenannten Schiffsdienste (wohl eine Anspielung auf die Arche Noahs), fanden in der Nacht von Samstag auf Sonntag statt und bestanden zu einem erheblichen Teil aus rituellen Tänzen; da diese Tänze eine visionäre Ekstase herbeiführen sollten, tanzten die Gläubigen gelegentlich bis zum körperlichen Zusammenbruch.

In Anlehnung an Mt 19,12 EU und Lk 23,29 EU praktizierten die Skopzen eine rituelle Verstümmelung bestimmter Geschlechtsmerkmale, primär der Genitalien. Auf diese Weise sollte die Fleischlichkeit des Menschseins überwunden werden, wodurch die Gläubigen dem Himmel nahezukommen glaubten. Ihrer Überzeugung nach war alles Unheil und alles Böse durch den Geschlechtsverkehr zwischen Adam und Eva in die Welt gekommen und Christi wahre Lehre habe auch die Praxis der Kastration umfasst.

Um diese Einstellung glaubhafter zu machen, behaupteten die Skopzen, Jesus sei der erste Skopze gewesen: Das Abendmahl vor seiner Verhaftung (das Waschen der Füße seiner Apostel) stellten sie als die Kastration der Jesus Jünger durch ihren Meister dar.

Beim Mann erfolgte die Verstümmelung in zwei Formen: die Entfernung der Hoden (das „kleine heilige Siegel“) oder die zusätzliche Entfernung des Penis („das große heilige Siegel“).

Dabei gingen die Skopzen davon aus, dass der Mensch durch die Erbsünde und den Abeltod vom Teufel mit den „Satansmalen“ (Genitalien) ausgestattet wurde, die sie, in Anlehnung an die Apokalypse (Offenbarung des Johannes) als "Der Abgrund", russ. "Besdna", im Falle einer Frau bezeichneten (Vulva), und als "Den Schlüssel zum Abgrund" im Falle eines Mannes. Die Kastration selbst wurde als das "Besteigen eines weißen Rosses" bezeichnet. Damit wurde der Skopze zum Apokalyptischen Reiter, dem Kämpfer um das Himmelreich. Bei der Frau entsprachen jenem die Entfernung der Klitoris (Klitoridektomie) und diesem die zusätzliche Ablation der Brüste.

Klitorisentfernung war eher selten; am meisten praktizierte man die Brustentfernung. Für einen Prediger der Gemeinde waren beide "Siegel" vonnöten, und zwar unbedingt mithilfe des glühenden Eisens.

Der Eingriff soll in alter Zeit mit Beilen und glühenden Messern vorgenommen sein, später auch mit Rasiermessern.

Die Selbstbezeichnung als Weiße Tauben ist eine Anspielung auf den Heiligen Geist, der in den Körpern der Kastrierten lebt; "weiß" stand für die vorgenommene "Reinigung" bzw. Unbeflecktheit des Körpers.

Geschichte

Die Skopzen sind eine Abspaltung der Chlysten und gehen auf eine Gruppe zurück, die sich um 1775 unter dem russischen Bauern Andrej Iwanow (* 1732, † 1832) sammelte. Iwanow wohnte ab 1802 als Kleinbürger in Sankt Petersburg und nannte sich dort Kondratij Seliwanow. Seliwanow behauptete, mit dem 1762 ermordeten Zar Peter III. identisch zu sein und über diesen, dass er der wiedergekehrte Christus und durch Kleidertausch dem Anschlag Katharinas II. entgangen sei.[1]

Trotz Verfolgung breitete sich die Bewegung im gesamten Zarenreich aus und zählte Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 300.000 Mitglieder. Trotz strengster Sicherheitsvorkehrungen seitens der russischen Regierung fanden die Skopzen immer Wege, weitere Mitglieder für sich zu gewinnen. So gelang es Seliwanow, beide Neffen des Sankt Petersburger Generalgouverneurs Miloradowitsch zum Beitritt zu bewegen. Bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland im Jahre 1861 rekrutierten die Skopzen neue Mitglieder vor allem aus den Reihen der Leibeigenen, für welche sie bei deren Eigentümern die Freiheiten erkauften - unter der Voraussetzung, die Befreiten würden sich kastrieren lassen. Auch die Reichtümer der Skopzen (sie galten als reichste Lehgeber in damaligem Russland- nicht zuletzt, weil sie oft keine eigenen Kinder hatten und kein Geld für die körperlichen Freuden ausgaben) halfen ihnen, neue Mitglieder für sich zu gewinnen. Religiös motivierte Verstümmelungen der Genitalien sind auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch belegt.

Von den Skopzen spalteten sich im Zuge der Verfolgung die „Geistlichen Skopzen“ und die „Neuskopzen“ ab, die statt der Verstümmelung nur strenge Askese und sexuelle Enthaltsamkeit praktizieren.[1]

Einzelnachweise

  1. a b Skopzen In: Brockhaus Enzykopädie 2002 digital, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2002.

Literatur

  • Alexander Etkind: Chlyst. sekty, literatura i revoljucija. Moskau 1998
  • Karl Konrad Grass: Die geheime heilige Schrift der Skopzen. Leipzig 1904
  • Karl Konrad Grass: Geschichte und Persönlichkeit der Skopzensekte. In: MNR. Band 63, 1910, S. 97–114
  • Karl Konrad Grass: Russische Sekten: 4. Skopzen. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 1. Auflage, Band 5, 1913, S. 74–90 oder Die russischen Sekten (Nachdruck der Ausgabe 1907–1914), Zentral-Antiquariat der DDR, Leipzig
  • Karl Konrad Grass: Die russischen Sekten. Band 2. Die weissen Tauben oder Skopzen nebst geistlichen Skopzen, Neuskopzen u.a. Ostberlin 1966
  • A. I. Klebanow: Is Mira Religiosnowo Sektantswa.
  • Walter Koch: Über die Russisch-rumänische Kastratensekte der Skopzen, Fischer, 1921 (Untersuchungsbericht eines deutschen Militärarztes)
  • Ionel Rapaport: Introduction a la psychopathologie collective la secte mystique des Skoptzy. Erka, Paris 1949
  • F. von Stein: Die Skopzensekte in Russland, in ihrer Entstehung, Organisation und Lehre. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 7, 1875, S. 37-69.
  • Nikolai Wolkow: La secte russe des castrats. Paris 1995

Siehe auch